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3. Der gestörte Wasserhaushalt

 Metternich-1947

 

  Die Physik des Waldes  

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Der erste Welteroberer ist der Wald gewesen. Es gibt wohl kein Land der Erde, das nicht ehedem von dichtem Urwald bedeckt war. Vielleicht hat der Herrgott, wie sehr, sehr viele Menschen, eine besondere Vorliebe für den Wald. Und den Menschen schuf er zunächst wohl als einen Waldmenschen.

Als der Wald die Erde erobert hatte, war ihr Dasein als fruchtbarer Planet gesichert. Nicht der wilde Wolkenbruch, nicht der reißende und dann wieder versiegende Strom, nicht das brandende Meer und nicht die Glut der Sonne haben die Erde als bewohnbaren Stern gebildet, sondern der Wald. Er hätte nie die Erde erobern können, wenn er nicht so unendlich zweckmäßig und nützlich, und vor allen Dingen, wenn er nicht "als Ding an sich" völlig autarkisch wäre. 

Nirgends ist eine absolute Autarkie, eine Selbstgenügsamkeit oder Eigenwirtschaftlichkeit, möglich, bei keinem Getreidefeld, bei keinem Hackfruchtschlag, nicht einmal immer bei der Steppe — nur der Wald genügt sich selbst, er ist für sich allein ein lebensfähiges Individuum auf praktisch unbegrenzte Zeit. Der Wald ist physiologisch, biologisch und auch ökonomisch ein Wunder.

Der Wald als Lebensgemeinschaft verschiedenster Pflanzenindividuen ist die wunderbarste und ergiebigste chemische Fabrik und die wirksamste physikalische Anstalt. Er sorgt dafür, daß die murmelnde Quelle in seinem geheimnisvollen Schatten nie versiegt und der Strom, dessen Rücken die Schiffe trägt, auch in der heißen und trockenen Jahreszeit niemals leer wird. 

Der Waldboden hält die Feuchtigkeit fest und geht immer sehr haushälterisch damit um. Der Wald beteiligt sich an der Bildung der Wolken und zieht die Wolken an. Es ist der Regulator der Niederschlagsmenge und der Niederschlagsverteilung in seinem weitesten Bereich.

Ein besonderes Wort muß man dem eigenen Wasserhaushalt des Waldes widmen. Wenn man nach starken, stürmischen Regenfällen am Ufer eines Flusses steht, sieht man eine trübe Flut vor sich. Der Rhein ist nicht mehr grün und die Donau ist nicht mehr blau; das Wasser aller Bäche, Flüsse und Ströme ist schwer und undurchsichtig von mitgeführten mikroskopisch kleinen Erdteilchen. Die schweren Sinkstoffe rollen schon längst als leichtes oder schweres Geröll, dem Auge des Beobachters verborgen, am Grunde des Flusses. Tausende von Tonnen feiner Erdteilchen tragen die hochgehenden Flüsse an solchen Tagen abwärts, um sie schließlich im Meere unwiederbringlich zu versenken.

Die abgewaschenen Teilchen, die vom Strom davongetragen werden, stammen zum Teil aus der Hochgebirgsregion, zum allergrößten Teil aber von den fruchtbaren Hängen im ganzen Einzugsgebiet des betreffenden Stromes. Was der hart vom Himmel rauschende Regen hier von der fruchtbaren Scholle abwäscht und davonträgt, sind in erster Linie die feinsten Stoffe, und diese sind, wie uns die Wissenschaft gezeigt hat, auch die wesentlichsten Träger der Fruchtbarkeit. Auch höchste, sorgsamste und gewissenhafteste Arbeit schützt den in landwirtschaftlicher Kultur stehenden Hang nicht vor mehr oder minder starken Verlusten durch Abwaschung und Erosion.

Aus einer an sich bedenklichen Erscheinung wird an wenigen Stellen der Erde eine Tugend der Natur. Ägypten, ringsum von Wüsten umgeben, lebt von seinen alljährlich sich regelmäßig wiederholenden Nilüberschwemmungen, die fruchtbare Stoffe aus dem oberen Nilgebiet mit sich bringen und auf den ägyptischen Böden ablagern. Deren Humusschicht erneuert und ergänzt sich dadurch immer wieder.

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Die fruchtbare Po-Ebene ist auch ganz durch solche Sinkstoffe angeschwemmt worden. Man könnte derartige Beispiele nützlicher Wirkung der Abwaschung fruchtbarer Erdteile und ihrer Ablagerung an anderer Stelle beliebig vermehren.

Was solche Verfrachtung von Humusbestandteilen an Segen für den Empfangenden bedeutet, das stellt sich für den, der sie abgeben muß, als Nachteil und Unheil dar. Man darf auch nicht vergessen, daß die Abwaschung von Humuserde durchaus nicht immer mit einem Happy end schließt, wie in den vorgenannten Fällen, sondern daß in der Mehrzahl der Fälle die davongetragene Erde fern vom Ufer im Meer versinkt und für immer verloren ist.

 

Der Wald beteiligt sich an dieser sinnlosen und gefährlichen Abgabe von fruchtbaren Bodenbestandteilen gar nicht oder nur in kleinstem Umfange. Er entwickelt eine geradezu wunderbare Mechanik in der Entgegennahme und Verarbeitung der ihm zugeführten Wassermengen.

Der Regen, der klatschend über dem Walde niedergeht, trifft dessen dichtes Blätter- und Nadeldach. Dieser Aufprall hemmt die lösende und abwaschende Wirkung des Regentropfens zunächst einmal. Ein Teil der Wassermenge rinnt dann friedfertig an den Stämmen herunter, ein anderer Teil tropft, im Fall erheblich geschwächt, auf den Boden. Dort trifft er auf ein dichtes Moospolster oder auf ein dichtes Kissen von altem, verrottetem Laub. Wenn das Wasser aber den eigentlichen Boden erreicht, ist seine abwaschende Energie absolut gebrochen. Auch nach stürmischen Regengüssen bleibt die Waldquelle und bleiben auch ihre oberirdischen Zuflüsse verhältnismäßig klar.

Wunderbar ist die Organisation des Waldes, wenigstens des unverfälschten guten Mischwaldes, in der Verwertung der ihm gespendeten Wassermengen. Zunächst trinkt sich das Unterholz satt an dem lebensspendenden Naß, dann trinken davon die flachwurzeligen Waldbäume, deren Wurzeln nahe der Oberfläche parallel mit dieser verlaufen. Dazu gehören alle unsere Koniferen, wie Tannen, Fichten, Kiefern. 

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Was sie übriglassen, kommt dem Baum zugute, der seine Wurzeln, wie etwa die Buche, mitteltief in den Boden senkt, und was auch hier nicht verbraucht wird, das trinkt als letzte die Eiche mit ihrem sehr tief und senkrecht in die Erde führenden Wurzelwerk. 

Praktisch versinkt im Walde kaum etwas vom köstlichen Regennaß in den tiefsten Untergrund, wo es im Augenblick nur wenig nützte. Die schnellwüchsigen Flachwurzler trinken zuerst und am meisten, dann kommen die mittelwüchsigen Waldbäume mit ihren halbtiefen Wurzeln und endlich die langsamwüchsigen, kernigen Bäume mit ihrer tiefen Bewurzelung an die Reihe. In der Güte und Festigkeit des Holzes findet die Reihenfolge ihren Niederschlag. 

 

Nichts geht im physikalischen Getriebe des Waldes verloren, auch nichts von dem belebenden Regen, der auf sein Blätter- und Nadeldach hernieder­rauschte. Der Wald bewirtschaftet das Wasser im Sinne des geordneten Kreislaufs der Natur bis zur letzten Konsequenz.

Es klingt fast unglaublich, was die Feststellungen unserer Gelehrten in dieser Hinsicht ermittelten. Eine Birke von mittlerer Größe gibt im Tagesdurchschnitt rund 60 Liter Wasser an die Atmosphäre ab; an heißen Sommertagen steigt die verdunstete Wassermenge dieses Baumes bis zu 500 Liter. Ein Hektar Buchenwald verdunstet durch die Poren der Blätter im Tagesdurchschnitt eine Wassermenge von rund 30.000 Liter. 

Ein Hektar Buchenwald trägt somit zur Bildung von segenspendendem Tau und ebenso segenspendenden Regenwolken fast in demselben Maße bei, wie eine gleich große Fläche des Meeres.

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Der Wald ist sozial und erzieht zu sozialem Denken. Alle seine wohltätigen Funktionen übt er nicht allein für seinen eigenen Bereich aus, sondern er läßt seine weiteste Umgebung, das ganze Land, an den Segnungen teilnehmen; an seiner Regelung des Wasserhaushaltes und der Klimate, an der Bindung und Festigung der Humusschichten, am Schutz vor Stürmen und Lawinen, vor Steinschlag und Sandsturm. Der Wald liefert ferner den Roh- und Werkstoff Holz, er nährt das jagdbare Wild in seinem Schutz und Schatten und spendet darüber hinaus noch unmittelbar Nahrung für den Menschen und seine Haustiere. Alle Völker sind wohlgefahren, die im Schatten ihrer Wälder lebten.

Der Wald ist ein ethischer Begriff. Das 19. Jahrhundert, die Zeit des liberalen Kapitalismus, sah im Walde nur einen abnutzbaren, exploitationsfähigen Wertbestand, eine Holzfabrik, und alle anderen segensreichen Wirkungen nahm man als eine selbstverständliche Mechanik schweigend hin, bis der Mann, der den Forst zu betreuen hat, der Forstmann selbst, für eine gerechtere Beurteilung des Waldes sich einsetzte. Er prägte das Wort von den physischen und metaphysischen Wohlfahrtswirkungen des Waldes, und unter diesem Begriff faßt er alle segensreichen landeskulturellen und ethischen Wirksamkeiten des Waldes zusammen.

 

   Die Geschichte des Waldes  

Der Mensch brauchte Raum, Raum und wieder Raum. Ihn bot der Wald. Der Wald lieferte reichen, jungfräulichen Boden, als ihn der Mensch zurückdrängte. Dieser Boden war Gewinn, und der Gewinn stachelte die Begehrlichkeit des Menschen weiter an. Der Raubbau am Walde begann.

Es gibt eine bestimmte Grenze, bei der ein Optimum der Wohlfahrtswirkung des Waldes garantiert liegt. Mit Stift und Rechenschieber ist diese Grenze nicht zu ermitteln, sondern nur mit klarem Blick und mit Verständnis zu suchen und mit Fingerspitzengefühl zu ertasten. Überall verläuft die Grenze entsprechend den geographischen und kosmischen Allgemeinbedingungen anders. Der Mensch mißachtete vielfach die Grenze. Der älteste Mensch tat es aus Unkenntnis, sein jüngster Enkel tut es aus eigensüchtiger Berechnung.

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Durch die Jahrhunderte hindurch war es im wesentlichen entscheidend, inwieweit der Wald als ethischer Begriff im Gefühlsbestand des Menschen verwurzelt war. Die Mittelmeervölker, die ihre Kulturen bauten, wo heute Wüsten sich dehnen, haben offenbar nicht verstanden, die richtige Grenze abzuschätzen, bei deren Überschreiten ungerechtfertigte Eingriffe in den Gleichgewichtszustand der natürlichen Kräfte erfolgten. Ihr Anspruch an die Natur war maßlos, ihre Kulturen kamen und vergingen darum auch sehr bald schon zu Beginn der überlieferten Menschheitsgeschichte.

Auch in unseren Breiten ist am Walde gesündigt worden, indem man ihn über Gebühr abtrieb, ohne für Wiederaufforstung zu sorgen, oder auch dadurch, daß man den Wald verkünstelte und in den Forst, die ergiebige Holz- und später Zellulosefabrik, verwandelte; aber: — die grüne Fläche war noch da, zwar auf "modernes" Wirtschaftsbedürfnis zugeschnitten, aber doch mit wenigstens einem immer noch genügenden Teil der alten Wirksamkeit.

An der Behandlung des Waldes schied sich in der Geschichte das Schicksal der Völker, und es wird sich an ihr weiter scheiden, solange es einen zwangs­läufigen, kosmisch bedingten Kreislauf im Naturgeschehen gibt.

 

  Der Karst  

Als ein Gebiet, das Gottes Zorn getroffen hat, liegt im Südosten Europas am Rand des Adriatischen Meeres der Karst. Der Name schon sagt dem geographisch bewanderten Menschen alles. Er deutet hin auf Vegetationslosigkeit und Lebensfeindlichkeit. 

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Der Karst bildet in Europa das furchtbarste Beispiel für die Folgen von Waldverwüstung und Waldvernichtung. Im übertragenen Sinne nennt man Karstgebiete alle Bergländer, deren ursprüngliche Vegetation unter der Herrschaft und Hand des Menschen ein ähnliches Schicksal hatte wie die des eigentlichen Karstes.

Der Karst zeigt kalte und kahle Kalkblöcke auf ungemessenen Strecken. Wo in dieser öden Steinwüste Leben Fuß fassen kann, dort zeigt sich nur armseliges Knüppel- und Knieholz, das sich ängstlich, um sich vor der Wut der Bora zu schützen, eng an den Boden schmiegt. Mensch und Tier finden in dieser Öde nur kärgliche Nahrung und Heimstatt. Man muß, wenn man diese Steinwüste durchquert, viele Kilometer weit marschieren, um einmal einen Funken ärmlichsten menschlichen und tierischen Lebens zu finden. Der Karst ist totes Gebiet, wahrscheinlich für immer. 

Diese Tatsache wirkt besonders erschütternd, wenn man sich vergegenwärtigt, daß in dieser Ode von heute gestern noch lebensvolle Wälder rauschten. Hier standen in geschlossenen waldmäßigen Verbänden vor allen Dingen prächtige, vielhundert und tausendjährige Eichen. Die Römer wandten, als sie ihre Kriegsflotten bauten, diesem Gebiet eines kernigen Eichenholzes zunächst ihr Augenmerk zu und trieben bestimmte Teile der Karstwälder ab. Aber was die Römer schlugen, war angesichts der reichen Fülle der Holzvorräte im Karst kein Raubbau im eigentlichen Sinne, weil die Grundlage des Waldes erhalten blieb. Nichtsdestoweniger setzte der abwehrende Zorn der eingeborenen Bevölkerung der römischen Habgier einen wirksamen Widerstand entgegen.

Den Karst im heutigen Wortsinne, diese zu dauernder Unfruchtbarkeit verdammte leblose Felsenwüste schufen erst die venezianischen Handelsherren der beginnenden Neuzeit. Sie brauchten Holz und wieder Holz für ihre Krämerschiffe und als Pfahlroste für ihre üppigen Paläste. Ihrer Rücksichtslosigkeit und ihrer Finanzkraft gelang es, in wenigen Jahrzehnten aus einem reichen Waldgebiet die ärmste Felsen wüste zu machen. Mit dem Wald schwand das Mark dieses Landes. Es wurde Wüste, ist Wüste und bleibt Wüste.

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Die Humusdecke des Landes verlor nach deni Abtrieb der Wälder ihre Konsistenz. Das Klima änderte'sich, und zwar dergestalt, daß immer nur die Extreme vorherrschend waren. Die Niederschläge veränderten ihre Form, ebenfalls in Richtung auf die Extreme hin. Wolkenbrüche schwemmten die haltlos gewordene Humuserde hinweg, und was sie übrigließen, das blies, nachdem es zu totem Staub zerfallen war, im Winter die eisige Bora hinweg. Kahle Kalkfelsen blieben übrig. 

Alle menschliche Technik, aller menschliche Fleiß und aller menschliche Reichtum würden nicht ausreichen, um diesem Gebiet wieder etwas von dem alten Leben wiederzugeben. Nur die Natur könnte helfen, indem sie hier einen Werdeprozeß wieder beginnen ließe, der sich über Tausende von Jahren hinaus erstrecken müßte. Vorläufig aber zeigt die Natur in diesem Gebiet, wie furchtbar sie sich rächen kann, und der Mensch, zur Ordnung gerufen, muß sich nun ihrem strengen Willen beugen.

 

  Griechenland  

Auf Griechenlands Bergen rauschten einst die dichten heiligen Haine, und auch in den Niederungen grünte üppig der Wald. Er fiel im Tal und auf den Bergen der Axt eines rücksichtslosen Holzfällers zum Opfer, der schnell zu Geld kommen wollte, als der "Markt" nach Holz verlangte. Deshalb liegen weite, einst blühende Gefilde Griechenlands heute brach; sie leiden unter Regenarmut und kämpfen, schon längst zu Halbwüsten geworden, auf die Dauer einen vergeblichen Kampf gegen eine völlige Umwandlung in Wüste, wenn nicht bald, sehr bald die Menschenhand ordnend, helfend und aufbauend sich betätigt. Die Bevölkerungszahl des heutigen waldlosen Griechenlands ist nur ein Bruchteil der Bevölkerung, die ihre Äcker bebaute und ihre Kunstwerke schuf einstmals im lichten Schatten reicher Wälder.

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Italien

Italien kämpft heute einen heroischen und offenbar auch recht erfolgreichen Kampf für die Steigerung seiner landwirtschaftlichen Erzeugung. Italien ist ein altes Land der raubbaulichen Waldnutzung. Die geschichtlichen Betrachtungen über die einschlägigen Vorgänge behandeln zumeist nur die jüngere Zeit, beginnend mit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Das Übel reicht aber mit seinen verderblichen Wurzeln weiter in die Zeit zurück. Der alte Römer liebte seine Warmluftheizung im komfortabeln Heim, und noch heute stehen wir staunend vor den Gebäuderesten riesiger Badehäuser. 

Der Bedarf an Brennholz, dem alleinigen Brennmaterial der damaligen Zeit, muß enorm gewesen sein, zumal man wärmewirtschaftliche Grundsätze kaum beachtete. Die Reste des Waldes verschlangen im alten Römerreich die Dreirudererschiffe, in den Seerepubliken die Galeeren und Palastbauten, und in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts die Jagd nach klingendem Gewinn, wodurch das an sich waldarme Land um rund 2 Millionen Hektar wertvollsten Waldes beraubt wurde. Für die Appeninhalbinsel war der Raubbau am Walde zu jeder Zeit eine typische Erscheinung. Die Verödung und Verkarstung weiter Flächen im italienischen Berggelände sind die bleibende Folge.

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  Frankreich  

Frankreich hat während seiner Revolutionswirren einen wilden Raubbau an seinen Waldbeständen betrieben und damit mancher von Natur begnadeten Gegend das Rückgrat gebrochen. Der Zügellosigkeit der Revolution aber folgte bald eine straffe Ordnung, und dadurch nur wurde Frankreich vor größerem und dauerndem Schaden bewahrt. Im übrigen, sind die französischen Forstwirte, angeregt durch die Folgen des Raubbaus am Walde während der Revolution, die ersten gewesen, die den Wald nicht allein als Rohstoffquelle, sondern auch als eine naturgegebene Einrichtung mit höchsten Wohlfahrts­wirkungen für das ganze Land erkannten und dementsprechend arbeiteten. Die französischen Forstwirte sind in dieser Hinsicht Vorbilder und Lehrmeister für die Forstwirte vieler anderer interessierter Länder geworden! 

 

  Spanien  

Spanien liegt zerrissen am Boden. Nichts anderes als die soziale Frage hat das Land in Hader zerfallen lassen und in immer neue Wirren gestürzt. Im verhältnis­mäßig industriearmen Spanien ist die soziale Frage nur eine Frage der agrarpolitischen Verfassung. Es gibt in diesem Lande seit der Maurenzeit nur Latifundienbesitzer, d.h. Besitzer unübersehbar großer Landflächen, und daneben Besitzer landwirtschaftlicher Zwergbetriebe und besitzlose Landarbeiter. Von ungefähr 7,5 Millionen Erwerbstätigen beschäftigt die Landwirtschaft 4,5 Millionen.

Es gibt in Spanien rund 6,6 Millionen landwirtschaftlicher Betriebe; davon sind 5 Millionen kleiner als ein Hektar. Diese Kleinstbauernwirtschaften sind nicht etwa Eigentum ihrer Betreuer, sondern Pachtgütchen mit Erträgnissen, die unter der Grenze des menschenwürdigen Einkommens liegen. Der schlechtest­bezahlte Industriearbeiter im Rayon Bilbao und Barcelona führt ein besseres Leben als dieser unfreie spanische Bauer. Rund 1.45 Millionen Kleineigentumsbauern bewirtschaften 3,6 Millionen Hektar Land, und 250.000 Großbetriebe haben rund 3 Millionen Hektar unter dem Pflug. In der Hand der spanischen Latifundienbesitzer aber sind rund 9,4 Millionen Hektar Ackerland.

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Man hört oft die Meinung aussprechen, daß die spanische soziale Frage in dem Augenblick gelöst sei, wenn der Latifundienwirtschaft ein Ende bereitet würde. Das dürfte kaum der Fall sein, denn damit würde nur eine formelle an Stelle einer tatsächlichen und wirksamen Lösung gefunden werden. Wenn man heute den ganzen spanischen Grundbesitz aufteilte, so hieße das lediglich, Menschen, die nicht existenzfähig sind, für die Zukunft noch mit der Bürde eines rentenlosen und unrentabeln Eigentums belasten. In Spanien, diesem seltsamen "überwiegenden Agrarlande", ist mehr als die Hälfte des Bodens nicht bebaut, weil diese Hälfte eben nicht anbauwürdig ist. Sie besteht aus öden Steppen, kahlen Felspartien und Landflächen, die vielfach den Charakter ausgesprochener Wüsten annehmen. 

Fruchtbar und anbauwürdig sind lediglich die Küstenstriche und die Flußtäler. Das Innere des Landes ist vegetativ steril und für, absehbare Zeit tot. Alle Extreme des Klimas machen sich in Spanien geltend, langdauernde Trockenheit, heiße Sommer, eisige Winter. Künstliche Bewässerungsanlagen könnten die Mängel des Klimas und der fehlenden Niederschläge aufheben, aber die zum Teil großartigen Bewässerungsanlagen aus maurischer Zeit sind verfallen, und die neu zu errichtenden kosteten so viel Geld, daß aller zusammengefaßter Reichtum Spaniens nicht ausreichen würde, das zu schaffen,* was not täte. Außerdem wäre der Nutzen neuer Bewässerungsanlagen nur von zweifelhaftem Wert, weil der Verfall des Landes, seine Versteppung und Verwüstung zu weit vorgeschritten sind.

An Spanien hat die Natur für raubbauliche Eingriffe in ihr natürliches Getriebe und in ihren Kreislauf furchtbare Rache genommen. Vor wenigen Jahr­hunderten noch war die Pyrenäenhalbinsel die blühendste Halbinsel Europas. Prächtige Wälder standen in den romantischen Flußtälern und auf den Hochebenen im Innern des Landes, und diese Wälder sorgten dafür, daß ausreichende Niederschläge fielen und das Klima wohltätig ausgeglichen war. Es machte unter diesen Umständen keine sonderliche Mühe, in von Natur aus trockenen Gebieten die künstlichen Bewässerungsanlagen hinreichend zu speisen.

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Spaniens Unglück begann mit der Niedermetzelung der Wälder. Der verbliebene Waldanteil beträgt nur 9,9 v.H. Infolgedessen gehört Spanien zu den waldarmen Ländern. Aber der ungenügende spanische Waldbestand ist zudem, ungleich über das Land verteilt, und eine ungleiche Waldverteilung wirkt sich praktisch dahin aus, daß große Teile des Landes an der wohltätigen Wirksamkeit des Waldes nicht mehr teilnehmen. Der spanische Wald bedeckt fast ausschließlich die nördlichen Flächen des Landes und besonders die äußerste nordwestliche Ecke. Die riesigen Flächen Mittel- und Südspaniens aber sind so gut wie waldfrei, und damit sind diese großen Gebiete allen verheerenden Einflüssen ausgesetzt, die das Fehlen des Waldes mit sich bringt.

Mit dem Holzreichtum seiner Wälder baute Spanien in der Glanzzeit seiner Geschichte die Schiffe seiner Conquistadoren und die Fahrzeuge seiner Silberflotten, und es bezahlte ein kurzes, sehr kurzes wirtschaftliches und politisches Glück mit dauernder gräßlicher Armut. Es gibt Leute, die behaupten, die iberische Halbinsel habe in ihren glücklichsten Zeiten 70 Millionen Menschen ernährt; heute ergeben Schätzungen eine Menschenzahl von nicht mehr als 23 Millionen.

 

  Flugsand auf deutschem Boden  

Auch auf deutschem Gebiet ist gesündigt worden am Walde. Es soll hier keine Aufzählung der begangenen Waldfrevel vieler Jahrhunderte erfolgen, auch nicht der immer wieder geglückten Versuche der Wiedergutmachung, sondern es soll nur an wenigen Beispielen gezeigt werden, wie auch in Deutschland einzelne Gebiete dauernd schwere Schädigungen davongetragen haben.

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An der Westgrenze des Reiches liegt das Hohe Venn,* ein ödes, klimatisch unwirtliches Hochmoor, das weiten Gebieten der westlichen Eifel in seiner Nachbarschaft einen vennartigen Charakter aufdrückt. Das vegetationsarme, jeder Kulturmaßnahme feindselige Moor war nicht immer die traurige und unwirtliche Fläche, als die wir sie heute kennen. Vor 1½ Jahrhunderten noch rauschten dort, wo heute nur eisgraue Moose und Flechten wachsen, dichte Wälder. Sie wurden zur Zeit der französischen Herrschaft am Rhein abgetrieben, mit dem Erfolg, daß die klimatischen und meteorologischen Verhältnisse sich in der westlichen Eifel grundlegend änderten — für wahrscheinlich lange, sehr lange Zeit. 

Der preußische Fiskus hat unter vielen Kosten schon vor Jahrzehnten mit neuen Aufforstungsarbeiten begonnen, aber nur kleine Teilerfolge erzielt. Der ehemalige Raubbau am Walde und die Schaffung kilometerweiter Kahlschläge hat den Haushalt der Natur so gründlich gestört, daß der Mensch, auch wenn er guten Willens ist, bei der beleidigten und ausgepowerten Natur auf starre Ablehnung stößt. Nur langsam und unter ständigen hohen Aufwendungen kann neuem Ertrag und neuer Fruchtbarkeit zurückgewonnen werden, was einstmals leichtfertig; und gewinnsüchtig seines natürlichen Reichtums beraubt und dadurch in ein lebensfeindliches Moor verwandelt wurde. 

Ein anderes, nicht minder böses Beispiel auf deutschem Boden sind die Frische Nehrung zwischen Danzig und Pillau und die benachbarten Küstengebiete. Dieser Teil der Ostseeküste gehört zum Gebiet der deutschen Buchenregion. Im ganzen Zuge der Ostseeküste rauschen noch heute prachtvolle Buchen­wälder, nur die Frische Nehrung und ihre Festlandbasis machen eine traurige Ausnahme. Das Land ist hier eine öde und traurige Sandwüste, der die als seltsame Naturwunder auf deutschem Boden bekannten "Wanderdünen" ihr Gepräge geben.

* (d-2011:)  "Dienstag, 26. April 2011 11:00 Uhr:  Feuer verwüstet ein Fünftel des Hochmoores "Hohes Venn" bei Aachen # Im deutsch-belgischen Naturschutzgebiet "Hohes Venn" hat ein Feuer rund ein Fünftel des Hochmoores verwüstet. Wie die Einsatzleitung mitteilte, ist vom größten Brand seit 60 Jahren eine Fläche von rund tausend Hektar und damit dreimal so groß wie der New Yorker Central Park betroffen. Offensichtlich habe eine Unachtsamkeit gestern nahe dem Ort Baelen das Feuer ausgelöst, das inzwischen unter Kontrolle sei. Wegen der Trockenheit war das "Hohe Venn" für Wanderer bis auf Randbereiche gesperrt." #   wikipedia  Hohes_Venn  

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Auch auf diesem traurigen Fleck deutscher Erde stand einst prachtvoller Laubwald. Aber der Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. brauchte Geld und ließ, um die Kalamität in den fiskalischen Kassen zu beseitigen, die Axt an die grüne Pracht dieser Stellen der Ostseeküste legen. Die Holzfäller des Königs taten ihre Arbeit gründlich; sie ließen einen unübersehbar weiten Kahlschlag zurück. Das andere tat die Natur, deren Kreislauf man unbedachterweise gestört hatte: sie machte diesen Fleck Erde zu einer kleinen Wüste, angetürmt mit wandernden Sandmassen.

 

  Das klassische Beispiel: Amerika   

Den wildesten Raubbau an ihren ehemaligen unübersehbaren und prachtvollen Waldbeständen haben die Vereinigten Staaten von Amerika betrieben. Man muß auf die Vorgänge jenseits des Ozeans ausführlicher eingehen, weil die Entwicklung in den Staaten der schlüssige Beweis ist für eine entscheidende Mitwirkung des Menschen bei der Wüstenbildung. Auch in Nordamerika begann das Unglück mit der raubbaulichen Mißhandlung des Waldes.

Als die aus aller Welt zusammengeströmten "Kulturpioniere" des amerikanischen Westens ihre Tätigkeit begannen, galt diese Arbeit einem Lande, dessen Naturkräfte wunderbar ausgewogen waren. An den Küsten gab es natürliches fruchtbares Kulturland, im mittleren Westen dehnte sich Tausende von Kilometern weit die Prärie, aber den größten Anteil an der Fläche des Kontinents beanspruchte ein ursprünglicher und in jeder Beziehung reicher Naturwald. Den "Kulturpionier" aber lockte die Ausbeutung dieses Waldes in erster Linie. In ihm und an ihm galt es doppelt zu verdienen: einmal dadurch, daß der gefällte Baum einen wichtigen Roh- und Gebrauchsstoff lieferte, und ferner dadurch, daß die abgeholzten Flächen Raum gaben für eine landwirtschaftliche Nutzung.

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Die "Pioniere" dachten nur an sich und ihr kapitalistisches Interesse, jede höhere Erwägung, etwa die von einer Treuhänderschaft der lebenden Generation gegenüber kommenden Generationen, war ihnen fremd. Sie ernteten mit gieriger Hand, ohne je gesät zu haben, sie trieben ihren Raubbau am Walde, ohne auch nur an eine bescheidene Wiederaufforstung zu denken, sie hielten den Waldreichtum der neuen Heimat für "unerschöpflich".

Die Axt allein war nicht fähig, die rasende Gier nach schnellem Gelderwerb zu stillen. Da warf man mit frevelhafter Hand Feuerbrände in den Wald, an dem Jahrhunderte, Jahrtausende bauten. So ging es viel schneller, neue Anbauflächen für markt- und börsengängige Erzeugnisse auf jungfräulichem Boden zu gewinnen. Besonders unheilvoll war in dieser Hinsicht die Politik der neu in den Westen vorgetriebenen Eisenbahnen. Sie haben am Waldbestand der Vereinigten Staaten am schwersten gesündigt und andere angehalten, ebenso zu sündigen. Nicht der maßvollen Bescheidung früherer Generationen ist es zu danken, daß die heute lebende Generation des amerikanischen Volkes noch über so große Waldbestände verfügt, sondern nur dem ursprünglichen, über alle Begriffe großen Bestand des nordamerikanischen Landkolosses an sich.

Bis in die jüngste Zeit ist so sorglos mit dem Waldvorrat in Amerika gewirtschaftet worden. Auch heute wird noch so gewirtschaftet mit dem, was verblieben ist. Der Holzverbrauch Amerikas ist, absolut und relativ, größer als der anderer Länder. Die Farm wird in Holz errichtet, der Bahnhof, ganze große Städte. Die Schienen der pazifischen Eisenbahnen ruhen über Tausende von Meilen auf Holzschwellen, der Belag der Straßen ist aus Holz, und aus Holz sind zahlreiche Schiffe der amerikanischen Handelsflotte. Die Papierfabriken verschlingen täglich ganze große Wälder.

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Die Sägewerke stoßen immer aufs neue in unberührte Waldteile vor und fressen sie förmlich auf. Es gibt in Amerika Sägewerke, die einen täglichen Abtrieb von 10 Hektar Wald verarbeiten. Wenn ein Distrikt "verarbeitet" ist, wird der Betrieb in eine andere Gegend verlegt. Inzwischen allerdings wachsen bereits die Rohstoffsorgen der Aktionäre jener wälderverschlingenden Sägewerke.

Und immer wieder wütet das Feuer im amerikanischen Walde.

Durch Waldbrände verliert die Union von Amerika Jahr um Jahr Waldbestände, deren Wert zwischen 25 und 100 Millionen Dollar schwankt. Es ist vorgekommen, daß der Brandverlust eines einzigen Jahres den zehnjährigen normalen Holzbedarf der Staaten übertraf, und der jährliche Bedarf Amerikas ist mit rund 500 Millionen Festmetern an Holz nicht gerade gering. Im Oktober 1918 verwüstete im Staate Minnesota ein Waldbrand ein zusammenhängendes Gebiet von der Größe Württembergs. Zu dem Verlust des Holzes kam dabei die Vernichtung von 30 Ortschaften und eine Totenliste von 400 Menschen.

Wenn Nordamerika nach Errichtung eines Forstamtes als Unterabteilung des Landwirtschaftsministeriums auch seit Jahren mit beachtlichem Erfolg bestrebt ist, die wildesten Auswüchse einer Raubbauwirtschaft an seinen Wäldern zu unterbinden, so kann man doch ermessen, wohin die Reise geht, wenn man erfährt, daß auch heute noch der Abgang an Holz und Wald in Amerika rund dreimal größer ist als der natürliche Zuwachs. Amerika zehrt auch heute, nach den bösen Erfahrungen mit seiner Raubbauwirtschaft, noch nicht von den Zinsen, dem natürlichen Zuwachs seines Waldes, sondern es greift immer noch rücksichtslos in die Substanz hinein. Amerika war noch vor wenigen Jahrzehnten ein Hauptausfuhrland für Holz; die Ausfuhrzahlen aber schrumpften immer mehr zusammen, und schon jetzt führt das "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" in nennenswertem Umfange Holz aus dem waldreichen Kanada ein.

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Keine hundert Jahre sind verflossen seit dem Zeitpunkte, an dem die Axt begann, rücksichtslos in den Urwäldern des Mississippi- und Missourigebietes zu wüten und die ersten Feuerbrände von Händen, die nicht wußten, was sie taten, in den Wald, diesen tragenden Faktor aller Landeskultur, geworfen wurden. Keine hundert Jahre hat das große Glück der geldscheffelnden Kulturpioniere von ehedem und ihrer Kinder gedauert. Keine hundert Jahre hat die Natur mit ihrer bitteren Rache gewartet. Die Wüstenbildung auf den Flächen, die vor wenigen Jahrzehnten noch dem Walde und der Prärie gehörten, hat eingesetzt, und die Dynamik der neugeschaffenen Wüste macht sich in weitem Bereich bemerkbar.

 

  Die Gleichung der reziproken Werte  

Bei welchem Anteil des Waldes an der Gesamtfläche eines Landes oder Kontinents ein Optimum der segensreichen Wirksamkeit für einen gesunden Natur­haushalt, für die fruchtbare Aktivierung aller Naturkräfte und für die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts der Kräfte erreicht wird, läßt sich schwer sagen, weil hier das Zusammenspiel einer Reihe von Faktoren übergeordneter Art eine Rolle spielt. Es kommt vor allem auf kosmisch bedingte klimatische Neigungen und auf Besonderheiten der meteorologischen Disposition an. In Gebieten mit Meeresklimaten wird die Relation zuungunsten des Waldes anders sein dürfen als in kontinentalklimatischen Gebieten, unmittelbar an den Küsten anders als im Innern der Länder und Landmassen. Voraussetzung für die Erreichung eines Optimums an Wirksamkeit wird in allen Fällen eine gute und gleichmäßige Verteilung des Waldes über das betreffende Land sein.

Rußland steht statistisch mit 29 v.H. Waldanteil recht günstig da, aber infolge einer ungleichmäßigen Verteilung des Waldbestandes über das Riesenreich kann ein Optimum an günstiger Wirksamkeit nicht erreicht werden. Auch Nordamerika weist statistisch immer noch ein durchaus erträgliches Verhältnis zwischen Wald- und Ackerflächen auf, aber auch dort ist die Verteilung über das Land nicht so, daß sie im Sinne einer ordnungsgemäßen Abwicklung des Geschehens im Haushalt der Natur wirken kann.

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Ein richtiges Verhältnis des Waldanteils zu den anderweitig genutzten Flächen eines Landes dürfte ganz allgemein gesehen bei einem Waldanteil von etwa 30 v.H. liegen, immer wieder eine gleichmäßige Verteilung über die Gesamtfläche vorausgesetzt. In bestimmten, von übergeordneten Faktoren abhängigen Grenzen sind Abweichungen gestattet. Die Insel Irland z.B., ohne kosmische, geographische und physikalische Störungsmöglichkeiten unter dem meteorologischen Einfluß des Ozeans liegend, kommt praktisch ohne jeden Waldbesitz aus, und tatsächlich ist Irland mit 1,6 v.H. das waldärmste Kulturland der Welt.

Für die einzelnen Erdteile läßt sich im allgemeinen folgender Satz aufstellen: Je mehr Wald die Erdteile haben, desto weniger Wüstengebiete weisen sie auf, und je kleiner der Anteil des Waldes am Gesamtareal ist, desto größer ist der Anteil der Wüstenflächen. Es besteht in dieser Hinsicht ein festes, beinahe mathematisch ausgewogenes reziprokes Verhältnis.

Europa ist zu etwas mehr als einem Viertel seiner Gesamtfläche, nämlich zu 27,6 v.H., mit Wald bedeckt. Der Erdteil weist den immerhin erträglichen Anteilen 20 v.H. seiner Gesamtfläche an Ödland auf.

Asien hat verhältnismäßig weniger Wald als Europa, nämlich den Anteil von 18,4 v.H. Der Erdteil hat 29 v.H. ausgesprochene Wüsten; rechnet man die Steppe hinzu, so ergibt sich ein Satz von 50 v.H. der Gesamtfläche des Erdteils, der außerhalb der kulturellen Nutzung steht.

Afrika, dessen Name sich in der Vorstellungswelt des Durchschnittseuropäers mit dem Vorhandensein unermeßlicher Urwälder verbindet, ist mit 10,8 v.H. einer der waldärmsten aller Erdteile. Afrika besteht aber zu rund 35 v.H. seiner Oberfläche aus ausgesprochener Wüste. Rechnet man Steppe und Savanne hinzu, so ergibt sich, daß rund 55 v.H. der afrikanischen Erde kulturlose Flächen sind.

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Australien ist mit 4,8 v.H. der waldärmste aller Erdteile; der Wüstenanteil beträgt rund 33½ v.H. Rechnet man die Steppengebiete hinzu, so ergeben sich nicht weniger als 77 v.H. kulturlose Flächen.

Nordamerika hat 27,3 v. H. seiner Fläche mit Wald besetzt, gönnt.ihm also ungefähr denselben Anteil wie Europa. Nordamerika aber ist ein riesiger Landkomplex, während Europa ein Zwerg unter den Erdteilen ist. Wenn der Waldanteil von rund 27 v. H. für Europa genügt, so ist er für den riesenhaften Landkomplex von Nordamerika unzureichend. Der Unterschied drückt sich in durchaus verschiedenen Anteilen von kulturlosen und kulturfeindlichen Flächen aus,: Europa 20 v. H. Ödland, Nordamerika 35 v. H. Wüste.

Südamerika ist, absolut und relativ, der waldreichste Landkomplex der Erde mit 43,6 v. H. Waldfläche; der Wüstenanteil umfaßt nur 10,7 v. H. des Areals von Südamerika. Dabei ist noch zu bedenken, daß die südamerikanischen Wüsten ausgesprochene Küstenwüsten sind, die fast ausnahmslos unter dem Einfluß von Meeresklima liegen. Den Wüsten Patagoniens gegenüber versagen alle Erklärungsversuche der Geographen. Vielleicht wäre Südamerika völlig wüstenlos, wenn hier nicht auch einmal Zufälligkeiten und äußere Einwirkungen maßgebend gewesen wären, die außerhalb des Rahmens des klimatisch und meteorologisch Erklärbaren liegen.

 

  Wälder oder Forste? Laubhölzer oder Koniferen? 

 Der rationelle Waldbau, das einseitige und rücksichtslose Streben nach der Erzeugung schnellwüchsiger und deshalb auch schnell verwertbarer Nutzholz­mengen, hat nicht nur das äußere Bild unserer Wälder verändert, sondern auch die wohltätigen unmittelbaren und mittelbaren landeskulturellen

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Wirkungen des Waldes stark in Mitleidenschaft gezogen. Der natürliche Grundtyp des Waldes ist der Mischwald, wobei, je nach den Lebensbedingungen und entsprechend den Bodenverhältnissen, hier die eine, dort die andere Baumart oder Baumfamilie im Vordergrund steht. Hier sind es die Koniferen, in anderen Regionen sind es die Laubbäume, die dem Walde sein äußeres Bild verleihen. Immer aber zeigt der Naturwald eine reiche Mischung der verschieden­artigsten Hölzer, er ist die wohlausgewogene Gemeinschaft der heterogensten Baumarten, die sich friedlich in die Lebenselemente des Waldes in der Weise teilen, daß ein wohltätiges Gleichgewicht der lebendigen und zeugenden Kräfte dauernd wirksam bleibt.

Dieser natürlich gewachsene Wald mit der Vielheit der verschiedensten Individuen paßt nicht in das wirtschaftliche Konzept des modernen Forstmannes. Er erstrebt die hundertprozentige Nutzkultur. Er klassifiziert die Bäume nicht nach ihrem biologischen Wert und nach den landeskulturellen Ausstrahlungen, die von ihnen ausgehen, sondern in erster Linie nach ihrem Marktwert.

Eine Eiche hat eine sehr lange Wachstumszeit, die in die Hunderte von Jahren geht. Der moderne Forstmann liebt die kernige Eiche sehr, wenn er sie schlagreif vorfindet, aber er schätzt sie bedeutend weniger, wenn sie sich in jüngeren Lebensaltern unter seinen hölzernen Pfleglingen befindet, weil es ihm zu lange währt, bis sie "wirtschaftlich" wird; d.h. bis sie als nüchterner Posten im Hauptbuch des Waldbesitzers oder des Holzhändlers erscheint. Dann erfüllt diese herrliche Eiche erst ihren vollen modernen Lebenszweck. Bei der Buche verläuft der Wachstumsprozeß schon wesentlich schneller, und deshalb sieht sie der Forstmann in seinem Waldbestande bedeutend lieber. Sie kann schneller zu Geld gemacht werden. Das neuzeitliche Gelddenken hat den hehren Dom des Waldes genau so in seinen Bann geschlagen wie alle anderen Gebiete, auf denen der moderne Mensch seine flüchtigen Profite sucht.

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Dem kalkulierenden Forstwirt des Zeitalters der kommerziellen Zivilisation erschien das schnellwüchsige Nadelholz als die große Rettung auf seiner emsigen Suche nach verkürztem Umtrieb, nach beschleunigtem Umsatz, nach forciertem Geschäft. Der Nadelbaum liefert zwar entsprechend seiner schnellen Entwicklung kein kerniges Holz wie zahlreiche unserer Laubbäume, aber was schadet das in einem Zeitalter, das zwar den unvergänglichen eichenen Hausrat unserer Ureltern in den Raritätenkabinetten des Kunst- und Antiquitätenhandels zu Phantasiepreisen ersteht, das sich selbst aber in seiner Holzbearbeitungs­kunst förmlich bemüht, Dinge herzustellen, die unter gefälliger Form geringsten inneren Wert verbergen und die so schnell wie nur immer möglich abnützbar sind. 

Der Fünfzig-Pfennig-Bazar ist ein kommerzielles Kriterium dieser modernen Zeit, und man mag sich den Kopf über Ursache und Wirkung zerbrechen, etwa darüber, ob die moderne Industrie vieler Sparten geschaffen wurde, um dem "billigen Jakob" hinter dem Ladentisch der Einheitspreisgeschäfte in aller Welt seine Schleuderware zu liefern, oder ob diese Schleuderbazare gegründet wurden, um dem Produktionsprogramm mancher Industrien entgegenzukommen. 

Die Nadelholzbäume sind die "Brotbäume" der neuzeitlichen Forstwirtschaft geworden. Sie haben die Laubhölzer verdrängt und verdrängen sie noch weiter. Zwei wesentliche Momente wirken im Sinne einer materiell orientierten Forstwirtschaft zusammen: die höhere Wirtschaftlichkeit des Nadelholzwaldes, der den zwei- bis zweieinhalbfachen Ertrag des Laubwaldes in der gleichen Zeitspanne erbringt, und die Eignung der Nadelhölzer zur besseren und leichteren waldbaulichen Schulung. Erst mit Hilfe der Nadelhölzer konnte der Wald die geometrisch säuberlich geordnete Holzfabrik des linear ausgerichteten Stangenackers, die pedantisch abgesteckte Produktionsstätte von Einheitstelegraphenstangen werden. Der Wald wurde zum Forst, zu einer öden und gefährlichen Monokultur eines einseitigen und gleichbleibenden Baumtyps. Die alte Romantik des Waldes ging unter in einer künstlichen Anlage, und mit ihr gingen viele der unabdingbaren Wohlfahrtswirkungen des Waldes verloren oder verwandelten sich in ihr Gegenteil.

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Mit Hilfe der Nadelhölzer hat der rationelle Forstwirt den guten, alten und gesunden Mischwald vergewaltigt. Im Mittelalter z.B. gab es in den Gebieten Rheinlands und Westfalens weder Kiefern noch Fichten, sie wurden erst vor 150 bis 200 Jahren hierher gebracht und bodenständig gemacht. Heute steht aber ein westfälisches Forstamt mit 90 bis 95 v.H. Fichtenbestand an der Spitze der neuzeitlichen "Waldverfichtung".

Kiefer sowohl wie Fichte, die beiden "Brotbäume" der modernen Forstwirtschaft, waren vorher in Deutschland nur auf einzelnen isolierten Inseln bodenständig. Neuzeitliches Gewinnstreben hat die Koniferenarten inzwischen zur Grundlage des deutschen Waldes schlechthin gemacht. Nach der Bodenerhebung von 1927 umfaßt das Nadelholz rund 70 v.H. der deutschen Waldbodenfläche. Davon entfallen 44 v.H. auf die Kiefer, 25 v.H. auf die Fichte und 2,5 v.H. auf die Tanne. Von den 30 v.H. der Fläche, die dem Laubholz verbleiben, sind 13 v.H. Buchen- und nur 5 v.H. Eichenhochwald. 

Der Koniferenbestand ist in Deutschland und in anderen Ländern der nördlichen gemäßigten Zone in ein schädliches Übermaß gesteigert. Die Nadelholz-Stangenfabriken sind gewaltsam in die Regionen der Laubhölzer, z.B. in die Buchenregion des norddeutschen Tieflandes, hineingepreßt worden und drängen die bodenständigen Baumbestände immer stärker zurück. In der Mark Brandenburg, die wie ganz Ostdeutschland heute unbestritten dem dürren Nadelwald gehört, rauschten noch vor ein paar hundert Jahren üppige Eichenwälder.

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Was bedeutet dieser Übergang vom sommergrünen Saftwald zum ewig dürren Nadelholzbestand? Man braucht die einzelnen Waldtypen nur oberflächlich in Augenschein zu nehmen, um tiefgreifende Unterschiede festzustellen. Der Saftwald ist ein vielgestaltiger und großartiger Organismus vom Boden bis zu den höchsten Baumwipfeln. Unten die dichten Polster der Moose, Flechten, Gräser und Beerensträucher, darüber das Unterholz in hundertfältiger Varietät, und dann folgt der prächtige Aufbau des eigentlichen Hochwaldes. Der ganze Waldraum ist angefüllt mit all den wunderbaren Erscheinungen aus der Welt der Laubhölzer, die eine großartige Lebensgemeinschaft von grandioser Vielseitigkeit und Eindringlichkeit bilden, in der jedes Einzelindividuum seine ihm angemessene Aufgabe hat. Hier nehmen die segensreichen Wohlfahrtswirkungen des natürlichen Waldes ihren Ursprung, von hier aus strömt die Segnung des klimatischen und meteorologischen Ausgleichs, ein Abglanz der hehren Wirksamkeit der die Welt beherrschenden kosmischen Kräfte, in die Lande hinaus.

Ganz anders ist es beim Nadelwald. Bei genauer Betrachtung muß man zugeben, daß schon sein äußeres Bild unnatürlich ist. Er führt in seiner Eigenschaft als Kunstforst die geometrische Linie in die frei und ungebunden schaffende Natur ein, der nichts verhaßter ist als unnatürlicher Zwang, die nichts weniger anerkennt als die rationelle Konstruktion. Wichtiger aber als diese äußerliche Verschiedenheit sind die abweichende innere Konstitution und die physikalisch-physiologische Wirksamkeit. Der Stangenacker des Nadelwaldes kennt keinen Bodenbewuchs und kein Unterholz. Der Boden, dicht bedeckt mit abgestorbenen Nadeln, erscheint glatt wie der Boden einer Tenne. Das dunkle Nadeldach verschluckt die Sonne, und die Vielzahl der Nadeln hält den Regen ab, der von ihnen aus schnell wieder verdunstet. Unter der Fichte erstickt alles Leben. Sie verurteilt die Waldkräuter, Beeren und Pilze zum Tode. Die Niederschläge, die den Boden erreichen, dringen nicht durch das Polster der abgestorbenen Nadeln in das Erdreich, sondern fließen zumeist oberflächlich ab. Das führt an Hängen zu Humus- und Nährstoffverlusten. 

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Ausgelaugter Sand, der zur Verkittung neigt, bleibt zurück. Die schwierigen Podsolböden, die Bleicherde, die in weiten Gebieten unserer gemäßigten Erdbreiten anzutreffen sind und dem Landbau äußerst schwierige Probleme stellen, sind die Folge des lange Jahre hindurch gestörten natürlichen Kreislaufs in der Natur. Dazu kommt noch, daß die Quellbildung und die Speisung der Quelle erschwert werden und daß durch das flache Wurzelsystem der Nadelhölzer die unteren Bodenschichten vom natürlich funktionierenden Stoffwechsel ausgeschlossen sind.

Das sind die akuten Wesens- und Wirkungsmerkmale des Nadelholzbestandes. Dazu treten noch nachhaltige wirtschaftliche Einflüsse der trockenen Nadelwälder. Die abgestorbenen harzigen Nadeln der Dürrwälder verändern unmittelbar die Konsistenz des Waldbodens. Während das tote Blattwerk der Laubwälder den Boden düngt und die Humusschicht mächtiger werden läßt, bewirkt die abgestorbene Nadel der Koniferen, daß der Boden sauer und minderwertig wird. In die unmittelbare Gefahr der Versandung und völligen Aushagerung geraten die Böden der Nadelholzwälder, wenn Kahlschläge entstehen. Kahlschläge entstehen aber in Nadelholzbeständen, unabhängig vom Willen und von der Absicht des Waldwirts, außerordentlich schnell und leicht angesichts der-Tatsache, daß Feuer und Schädlingsbefall gerade den reinen Nadelwald fortgesetzt in höchstem Maße bedrohen

Maßgebende Bodenkundler haben ermittelt, daß schon heute mindestens 60 v.H. der in Deutschland von Nadelholz bestandenen Waldböden durchaus sauer und minderwertig und zum großen Teil für eine anderweitige waldbauliche oder gar landwirtschaftliche Nutzung ungeeignet geworden sind. Die großen Nadelholzgebiete Ostdeutschlands sind bereits zu einem dringenden bodenkundlichen Problem geworden. Der Nadelholzbestand hat hier der fortschreitenden Versandung, z.B. in der Mark Brandenburg, Vorschub geleistet. In eingeweihten Kreisen spricht "man schon heute offen von der "gefährdeten Zone des ostdeutschen Landbaus".

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Warum? — Professor Kirwald von der Forsthochschule Tharandt gibt folgende Antwort: 

"Es entsteht (im Dürrewald) ein Mangel an Basen, Wärme, Luft oder Wasser, eine Entartung im Boden und ein Wechsel im Pflanzenbestand. Infolge der gehemmten Zersetzung kommt es zur Versauerung des Bodens. Es bleibt heller Bleichsand zurück. Die Bodenteile verkitten zu einer dichten Schicht, der Orterde, oder zu krustenartigem Ortstein. Das Sickerwasser kann nicht tiefer in den Boden eindringen. In Ebenen und Vertiefungen können daraus Vernässungen und Moore entstehen. Der Speicherraum wird erheblich verkleinert, die Speisung des Grundwassers verhindert. Der kapillare Aufstieg aus dem Grundwasser wird unterbunden, unter Umständen entstehen daraus leicht Trockenschäden. Das Wasser der Bleicherdeschichten ist meist ungünstiger für das Süßwasserplankton und dadurch auch für das Fischleben. Durch Abschluß der Wurzeln von den tieferen Schichten werden sie gegen die Nachschaffung von Nährstoffen abgeschlossen. Durch die Versauerung geht das Bodenleben zurück. Als Folge davon fehlen dann im Boden die zahllosen Gänge, Kanäle, Röhrchen und Höhlräume aller Abmaße (von Maulwürfen, Engerlingen, Schnecken, Regenwürmern, Ameisen bis zu den Algen, Urtierchen und winzigsten Pilzen)."

Das sind die Erscheinungen im engeren Bereich der Nadelholz-Balkenfabriken. Aber die Nachbarschaft, ja, ganze große Regionen, z.B. die gefährdete Zone des ostdeutschen Landbaus, werden in Mitleidenschaft gezogen. Der Wasserhaushalt wird gestört, die Grundwasserstände sinken, in weitem Bereich wächst die Hochwassergefahr, in Trockenzeiten aber drohen Dürre und Austrocknung. Alle Zerfallskräfte im Naturhaushalt werden durch die übersteigerte Monokultur der Nadelwälder geweckt und intensiviert, nachdem die gegenseitige Beeinflussung der natürlichen Lebenselemente Boden, Wasser, Licht, Luft und Wärme gestört ist.

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So geraten in der gefährdeten Landbauzone des deutschen Ostens weite Gebiete, die seit Jahrhunderten in landwirtschaftlicher Nutzung gestanden haben, in die Gefahr, dem Landbau für dauernd verlorenzugehen. An exponierten Stellen dieser Zone ist der Abbau und Zerfall der natürlichen Kräfte so weit vorgeschritten, daß die Sanddünenbildung schon heute zusehends zunimmt. Das Schicksal der Kurischen Nehrung mit ihren Wanderdünen scheint sich auf großen Landflächen Ostdeutschlands wiederholen zu wollen. Es handelt sich nicht um Ostdeutschland allein. In anderen Ländern, deren Waldbau in die modernen Kiefern- und Fichtenöden einmündete, drohen ähnliche Gefahren: in Polen, Rußland, großen Teilen der nordischen Welt, in den westlichen Ländern im französischen Departement Landre mit seinen geschlossenen Nadelwäldern. Für Rußland bildet die breite Zone der Podsolboden, die sich zwischen dem Tundren- und dem Steppengürtel in breitem Band durch das riesige Land zieht, das schwierigste landwirtschaftliche Problem. Der Nadelwald erzeugt die Podsol- (Bleich-) Erde und fördert ihre unerwünschte Entwicklung.

 

  Der Versuch zur Rettung  

Der moderne Forstmann kennt seine Sünden und ist im Bilde über ihre Wirkung auf die Böden seiner Wälder, und die landwirtschaftlich genutzten Böden im weiten Umkreise. Aber er ist zu sehr verstrickt in das katastrophale Gelddenken seines Zeitalters, das ihn auf der einmal betretenen Bahn festhält. Aber auch forsttechnische und forstkulturelle Gründe hindern ihn, das Steuer so energisch, wie er es vielleicht möchte, herumzuwerfen.

Jede Monokultur, d.h. die ununterbrochene Folge einer und derselben Pflanzung, schwächt und zerstört den Boden und die in ihm vorhandenen Kräfte. Das tut auch die Monokultur im Waldbau. Die Dürrewald-Böden sind fichten- und kiefernmüde geworden. Sie sträuben sich schon heute gegen die Wiederaufforstung entstandener Lücken und Kahlschläge mit neuen Kiefern und Fichten. 

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Außerdem ist aber auch die Bodenzerstörung so weit gediehen, daß ein "Fruchtwechsel", also die Aufforstung mit Laubwald, gar nicht mehr in Frage kommt. Der Fruchtwechsel im Walde, vergleichbar dem Fruchtwechsel auf dem Acker, ist aber der jüngste Schrei der Forstwirtschaft, die sich auf falschem Geleise festgefahren sieht und nun danach trachtet, die Sünden von gestern und heute zu tilgen — sofern letzteres überhaupt noch möglich ist. Die verarmten, in ihrer Konsistenz zerrissenen Dürrewaldböden sträuben sich vielfach gegen die angestrebte wechselnde Beforstung. Der Naturhaushalt ist in jeder Hinsicht schon allzusehr gestört.

 

Doch der Zwang, einem unmittelbar drohenden Unheil zu entgehen, ruft dringend nach Gegenmaßnahmen. Man muß auf diesen gefährdeten und verdorbenen Dürrewaldböden ganz von vorne beginnen, wenn man retten will, was man glaubt noch retten zu können. Man muß auf ihnen so beginnen, als ob man Ödland ohne Humusdecke vor sich hätte. Interessante, zeitraubende und mühselige Versuche sind mit gewissen Erfolgen in der Mark Brandenburg gemacht worden. Die Akazie, der "Pionierbaum", dessen man sich immer erinnert, wenn es gilt, verdorbenes Land Schritt für Schritt der Kultur zurückzugewinnen, hat in dieser Hinsicht hohe Bedeutung. Dieser Pionierbaum übt als Baumleguminose, als Stickstoffsammler, eine gute Wirkung auf das Bodenleben, die neue Humusbildung und die Anreicherung des Bodens mit Nährsubstanzen aus. Der praktische Vorgang bei der Sanierung verdorbener Dürrewaldböden ist derart, daß man Akazienbäume an den Rändern der Wälder anlegt, durch Anritzen ihrer Wurzeln mit dem Untergrundhaken immer neue Wurzelausschläge zur Entwicklung bringt, die sich allmählich in den Nadelholzbestand hineinziehen, den abgestorbenen oder absterbenden Kiefernhoden neu beleben und so langsam Schritt um Schritt eine erste Voraussetzung für eine Art von neuem Mischwald schaffen.

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Gott der Herr hat seine gütige Hand über alle jene Waldbestände in der Welt gehalten, die unter dem rationalen Denken der modernen Zeit noch nicht von den Nadelholz-Monokulturen einer fabrikmäßig produzierenden Forstwirtschaft jüngerer Prägung erfaßt worden und so deren verwüstender Wirkung entgangen sind. Mit Schaudern nur kann man daran denken, daß im Schreibtischfach manches zielbewußten forstwirtschaftlichen Rohstoffproduzenten bereits die Pläne für eine Ablösung der regenfeuchten Urwälder der Tropen mit ihrem unendlichen Reichtum an Gehölzfamilien durch den monotonen, aber wirtschaftlichen Nadelwald fertig liegen. Wie mag sich in den Köpfen solcher wackern Männer, denen die Tatsache doch wohl nicht unbekannt sein dürfte, daß die Böden der Tropen auf Grund der herrschenden klimatischen und meteorologischen Verhältnisse von Natur aus wesentlich schwächer und deshalb stärker gefährdet sind als die Böden der gemäßigten Klimate, die Zukunft der ganzen Tropenzone eigentlich darstellen? 

 

 Der unstillbare Holzhunger 

Man hätte allen Grund zu der Annahme, daß die Spuren der Waldverwüstung auf die zeitgenössische Welt, die sich nicht mehr mit der Ausrede entschuldigen kann, die lebensgesetzlichen Zusammenhänge in der Natur nicht zu kennen, abschreckend wirken müßten. Man sieht die unmittelbaren und mittelbaren Folgen räuberischer Eingriffe in vielen Teilen der Welt, man weiß, daß sie das Antlitz der Erde in weiten Gebieten unheilvoll verändert haben, und man ist sich klar darüber geworden, daß die durch Waldvernichtung und Waldverwüstung hervorgerufenen Veränderungen in der kulturellen Nutzung der Erdoberfläche begonnen haben, die Lebensansprüche der Menschheit einzuengen. 

Doch was zeigt die Wirklichkeit? 

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In der ganzen Welt ist auch heute noch die Waldwirtschaft auf der Grundlage eines frisch-fröhlichen und unbeschwerten Raubbaus aufgebaut. In der ganzen Welt wird, von einigen ganz wenigen Ländern abgesehen, Jahr um Jahr mehr Holz geschlagen als zuwächst. Kein Bauer kann und darf mehr Korn ernten, als auf seinem Acker heranreift, ohne zu einem Dieb und Betrüger zu werden. Am Waldbestand der Welt aber wird, dieser Betrug mit der größten Selbst­verständ­lichkeit geübt. Die Gewinnung des Rohstoffes Holz erscheint einer rein kommerziell eingestellten Menschheit wichtiger als alle wirtschaftlichen, kulturellen und ethischen Wirkungen, die vom lebendigen Walde ausgehen.

In den Jahren vor dem letzten Weltkriege war die Situation in der Weltforstwirtschaft so, daß in zwei Jahren soviel Holz geschlagen wurde wie in drei Jahren zuwuchs. Während der Kriegsjahre selbst ist der Raubbau ins Uferlose gestiegen. Das bedeutet fortgesetzten Substanzverzehr. Jeder Privatmann, der so wirtschaftet, kann den Zeitpunkt errechnen, in dem die Substanz seines Vermögens aufgezehrt sein wird. Besonders bedauerlich ist dabei die Tatsache, daß von Holzverbrauch in der ganzen Welt viel mehr gesprochen wird als von Aufforstung, mit deren Hilfe die entstehenden schweren Lücken aufgefüllt und der Zeitpunkt der völligen Abnutzung der Waldbestände hinausgeschoben würde.

 

Besonders bedenklich muß die europäische Wald- und Holzwirtschaft stimmen. Europa ist der kleinste Erdteil, der nur 8 v.H. der gesamten Landoberfläche der Erde umfaßt. Dieser Erdteil weist auch nur 10 v. H. des Waldes der Erde auf, aber Europa erntet jährlich über 600 Millionen Festmeter, d.h. 32 v.H. des ganzen Weltholzbedarfs. Zu berücksichtigen ist dabei, daß im europäischen Walde relativ die höchsten Werte stecken.

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Im Durchschnitt weist der europäische Wald je Hektar 170 Festmeter auf. Das ist dreimal mehr als der Durchschnitt der Wälder der Erde beträgt und als die asiatischen und nordamerikanischen Bestände aufweisen, und es ist sieben- bis achtmal mehr als der Bestandsdurchschnitt in Afrika, Südamerika und Australien ausmacht. Unter diesen Umständen erntet der Zwergerdteil Europa ein Drittel, nämlich 32 v.H. der gesamten Holzmasse der Erde auf einem Waldanteil von nur 10 v.H. des Waldbestandes der ganzen Welt.

Nordamerika verbraucht seit Jahren doppelt soviel Holz für industrielle Zwecke als ihm auf natürliche Weise zuwächst. Allein drei Millionen Tonnen Papier verschlingen jährlich die amerikanischen Zeitungen.

Kaum hatte das industrielle Zeitalter mit seiner systematischen Übernutzung der Wälder begonnen, als das Gespenst der "Holznot" akut wurde. Der Wahn, daß die Wälder der Erde unerschöpfliche Vorreite böten, verflüchtigte sich recht bald vor der niederschmetternden Wirklichkeit, daß die Wälder zusehends schrumpften. Die Gegenwirkung setzte ein, aber nur langsam und zögernd, wie es immer der Fall ist, wenn es um Dinge geht, die nicht unmittelbar Geld einbringen, sondern solches erfordern. 

Das typische Beispiel ist das von Anfang an hochindustrielle Land Sachsen. Hier erschien schon vor Beginn der eigentlichen Industrieepoche unter dem Einfluß eines intensiven Berg- und Hüttenwesens der Begriff der Holznot, und in seinem unmittelbaren Gefolge wurde hier auch erstmalig der Gedanke der waldwirtschaftlichen "Baumzucht", d.h. der Anwendung rationeller Kulturmethoden in Aufzucht und Schulung junger Stämme praktisch durchgeführt. Den weithin sichtbaren und wirkenden Niederschlag fand die Notwendigkeit einer Abstimmung der Interessen von Waldbau und Holzverbrauch im Jahre 1811 in der Gründung der Forstakademie Tharandt, der ersten forstlichen Hochschule in Deutschland und überhaupt in der Welt.

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Ein unheilvolles Geschick schwebt über den Wäldern der Erde. Sie liefern im Holz den Werkstoff, mit dem der Mensch seit alters her am besten fertig wird, weil er Eigenschaften in sich vereinigt, die sonst kein Werkstoff besitzt. Wie sein eigener Schatten verfolgt bearbeitetes Holz den Menschen durch sein Leben. Das Papier, dem ich im Augenblick diese Gedanken anvertraue, ist aus Holz; der Bleistift, den ich in der Hand halte, der Tisch, auf dem ich schreibe, der Stuhl, der mich an den Schreibtisch fesselt, der Boden, auf dem meine Füße ruhen, alles dies entstammt dem Walde. Die Wiege, die dich ins Leben hineinträgt, ist aus Holz, und schließlich der Sarg, in dem du zur letzten Ruhe getragen wirst. Man verfolge die Kette weiter, und die Ehrfurcht vor diesem Werkstoff steigt ins Unendliche. Man versteht aber auch die rasende Gier nach diesem auch heute noch unvergleichlichen Stoff.

Noch in einer anderen Hinsicht waltet über dem Walde ein unseliges Fatum, das sein Dasein bedroht. Holz ist ein außerordentlich verschwenderischer Roh- und Werkstoff. Die Form, in der das Holz heranwächst, bringt es mit sich, daß auf dem Wege bis zur letzten Verwendung des Holzes etwa 50 v.H. des ursprünglichen Stoffes als Abfall entstehen. Besonders hoch, höher als bei Nadelholz, ist der Abfallanteil beim Laubholz. Jedenfalls entsteht bei der Ernte und Verarbeitung des Holzes ein Prozentsatz an Abfall, wie ihn sonst kein Werkstoff aufzuweisen hat.

Die Art der Holzwerbung führt dazu, daß ein recht bedeutender Teil des Abfalls im Walde zurückbleibt und so durch Wiedereinschaltung in den Stoffwechselprozeß der Natur eigentlichen waldbaulichen Zwecken zugute kommt. Mit großem Bedauern nimmt der geschäftstüchtige Mensch den Abfallanteil, der im Walde verbleibt, in den Kauf. Dem Walde selbst aber wird auf diese Weise wenigstens ein lebenswichtiger Vorteil geboten, denn der Nährstoffbetrag, der dem Walde auf diese Weise zukommt, ist in der Regel das einzige, was der Mensch an Zuwendungen für seinen Wald übrig hat.

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Es ist Gewohnheitsrecht geworden, aus dem Walde nur zu nehmen, ihm aber nichts zu geben, trotzdem man weiß, daß im Nährstoffhaushalt des Waldes dieselben Gesetze gültig sind wie auf jedem Getreide- und Rübenacker. Wenn man aber von einem Boden dauernd nimmt, ohne ihm etwas zu geben, so wird er immer mehr verarmen, und damit wird zugleich der Waldbestand- immer schlechter werden. Das kann bis zu dem Punkte vorwärtsgetrieben werden, wo der Waldboden schließlich zur Heide werden muß. 

Wir haben solche Beispiele vor Augen: die Lüneburger Heide, große Teile der Eifel, der Nürnberger Reichswald, die Kiefernwaldgebiete der Oberpfalz und des Nordspessart. Im östlichen Norddeutschland sind 500.000 Hektar soweit heruntergewirtschaftet, daß ihr Aufwuchs nur noch als Knüppelwald zu betrachten ist. Hierhin gehört auch die bereits erwähnte gefährdete Zone des ostdeutschen Landbaus.

Als mit der industriellen Ära das eiserne Zeitalter anhub, war zunächst die Annahme berechtigt, daß der Werkstoff Holz durch das Eisen und seine immer weiter steigende Bearbeitungsmöglichkeit eine fühlbare Entlastung und damit zugleich der Waldbestand der Welt eine bedeutende Erleichterung seines Daseins erfahren würde Die Annahme hat getäuscht. Das Holz blieb der bevorzugte Stoff der gewerblichen Weiterverarbeitung. Es hat seinen Ruf neben Eisen, Stahl und Leichtmetallen nicht nur voll .behauptet, sondern es wurde unter Beibehaltung aller früheren Verwendungszwecke auch noch ein wichtiger Ausgangsstoff der chemischen Industrie.

Heute liegt die Zukunft so düster wie je einmal zuvor vor den der Welt verbliebenen Resten des Waldes. Die Erhaltung der Waldsubstanz durch forstpflegerische Maßnahmen läßt außerordentlich viel zu wünschen übrig. Die Ausbeutung des Waldes aber steigt fortwährend auf der seit Jahr und Tag immer neu werdenden Grundlage sogenannter "wirtschaftlicher Notwendigkeiten". 

Die Habgier und die Anbetung des Dämons Geld ist um beschönigende, entschuldigende und rechtfertigende Ausflüchte nie verlegen. Die Menschen aber mögen sich durch eine großzügige und ideell verbrämte Propaganda und durch Statistiken, die unverkennbaren Zwecken dienen, hinter das Licht führen lassen — nicht täuschen läßt sich die ehrliche, redliche, unbestechliche und allzeit gerechte Natur. 

Das Schicksal geht seinen Weg weiter, wie es ihn oft gegangen ist, wenn der menschliche Eigennutz das Lebensgesetz der Natur mit Füßen trat. 

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   Die Wasserökonomie des Fruchtfeldes   

Im Durchschnitt normaler Jahre fallen in Deutschland 610 Millimeter Regen; die größte Menge davon fällt in den Monaten, in denen sich die Hauptvegetation der wichtigsten Nutzgewächse zusammendrängt. Von der Jahresregenmenge gehen im Durchschnitt 30 bis 40 v.H. durch oberflächliche Verdunstung verloren, ohne in den Boden eingedrungen und den Pflanzen nützlich geworden zu sein. Die gleiche Menge, 30 bis 40 v.H., trinken die Pflanzen, der Rest versinkt im Untergrund und stärkt den Vorrat an Grundwasser. Im kapillaren Aufstieg wird dieser Teil für das Pflanzenleben in der Folge, namentlich in Zeiten längerer Trockenheit, nutzbar.

Von der Durchschnittsregenmenge eines Jahres von 610 Millimeter gehen demnach 183 bis 244 Millimeter durch Verdunstung scheinbar verloren. Dieselbe Menge nimmt der Pflanzenteppich für seine Ernährung zu sich, während der Rest, den Grundwassersee auffüllen hilft. Das bereits früher einmal angeführte ein Hektar große Roggenfeld beansprucht mit seinem Gesamtverbrauch von 1200 Kubikmeter aber 120 Millimeter der gefallenen Regenmenge für seinen Stoffwechsel, seine Transpiration und seine Ernährung, und kommt mit diesem «Betrag an notwendigem Wasser der

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oberen Grenze des unter normalen Verhältnissen überhaupt Möglichen bereits bedenklich nahe. Es gibt aber im deutschen Reichsgebiet zahlreiche und ausgedehnte Agrargebiete, die nur 400 Millimeter oder, noch weniger an Jahresniederschlag verzeichnen. Hier berührt der Wasserbedarf jenes Roggenfeldes schon die unterste Grenze des wichtigen und unersetzbaren Produktionsfaktors Wasser.

Vor hundert Jahren fiel wahrscheinlich die gleiche Regenmenge wie heute. Jener Roggenacker aber erzeugte damals nicht 20 Doppelzentner an Körnern und 40 Doppelzentner an Stroh, sondern nur die Hälfte von beiden. Er brauchte natürlich auch keine 120 Millimeter hohe Wasserdecke zum Leben, sondern nur eine solche von 60 Millimeter. Sein Besitzer kannte aus diesem Grunde den Begriff "Wassermangel in der Landwirtschaft" noch nicht. Dann kam die wahrhaft phantastische Steigerung der landwirtschaftlichen Erzeugung auf Grund der praktischen Anwendung der Mineralstofftheorie, zu welcher der Chemiker Justus von Liebig den Grundstein legte. Merkwürdigerweise spielen heute, nachdem so Großartiges in und von der rationellen Landwirtschaft erreicht worden ist, manche wilden Fortschrittsphantasten mit der Auffassung, daß es eine Grenze in der Steigerung der landwirtschaftlichen Erzeugung überhaupt nicht gebe, und daß vielleicht in weiteren hundert Jahren die heutige Bodenleistung aufs neue um 100 v. H. übertrumpft sein werde.

Sie dürften irren. Eine Grenze setzen der Erzeugung allein die unabdingbaren primären Produktionsfaktoren, die die Natur selbst bietet, und zu diesen gehört vor allen Dingen das Walser. An dieser Gesamtlage ändert nichts die Tatsache, daß man auf begrenzten Flächen künstliche Beregnungsanlagen und Bewässerungssysteme schafft. Solche künstlich mit Wasser versorgten Flächen geben nicht den Ausschlag, ausschlaggebend ist und bleibt auf absehbare Zeit das freie Feld und der offene Acker, wo nicht der Mensch, sondern immer noch der gebietet, der die Elemente beherrscht und der die Wolken regnen und die Sonne strahlen läßt. Die Niederschlagsfeuchtigkeit aber ist zudem ein fester Betrag, und ein künstlich geschaffener Mehrverbrauch an Wasser an der einen Stelle führt wahrscheinlich zu verstärktem Mangel an einer anderen Stelle.

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   Das Gesetz des Minimums   

Es mutet eigenartig an, daß die selbstverständlichsten Produktionsfaktoren in der Bodenerzeugung zuletzt zum Gegenstande wissenschaftlicher Untersuchungen und Experimente gemacht wurden. Albrecht Thaer hatte längst seine sogenannte Humustheorie, Justus Liebig seine Mineralstofftheorie aufgestellt, als Sonnenlicht, Sonnenwärme und Wasser in ihrer physiologisch-biologischen Bedeutung im Pflanzenleben zur Grundlage von exakten wissenschaftlichen Untersuchungen und Versuchen gemacht wurden. Verhältnismäßig recht spät griff Adolf Mayer die Untersuchung der Wirksamkeit von Licht und Wärme, Ewald Wollny die des Wassers auf.

Es ergab sich sehr bald, daß die genannten Produktionsfaktoren genau so dem "Gesetz des Minimums" unterliegen wie die Nährstoffe der Pflanze. Das Gesetz des Minimums besagt, daß die Pflanzenentwicklung und der Ertrag der Pflanzen sich nicht nach dem Produktionsfaktor richten, der in der größten Menge vorhanden ist, sondern nach dem lebenswichtigen Stoff oder Umweltfaktor, der im Pflanzenleben in der geringsten Menge wirksam wird. Man könnte, um ein drastisches Beispiel zu wählen, in der Wüste Sahara alle Nährstoffe, deren die Pflanze bedarf, in großen Massen ausstreuen, ohne auch nur das bescheidenste Pflanzenleben zu erzeugen, weil ein Produktionsfaktor, nämlich das Wasser, fehlt. Man könnte andererseits auf zwei Kulturflächen etwa unserer Breiten diese Düngermengen ausstreuen. Die Flächen sollen unter den gleichen inneren und äußeren Verhältnissen stehen, nur eine abweichende Regenhöhe haben.

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Die Ernte wird durchaus verschieden sein, ohne Rücksicht auf den Vorrat des Bodens an Nährstoffen und auf die Wirksamkeit aller sonstigen Produktions­faktoren. Während die auskömmlich beregnete Fläche eine hohe Ernte bringt, wird die andere darunter bleiben.

Die Experimente um den Wasservorrat des Bodens haben interessante Ergebnisse gezeigt. Ein Optimum des Ertrages wird gewährleistet, wenn der Boden einen Feuchtigkeitsgehalt von 60 v.H. seines vollen Sättigungsgrades besitzt. Über und unter diesem Gehalt an Wasser fallen die Erträge. Bei Roggen ergibt sich, wenn man den bei 20 v.H. Feuchtigkeitsgehalt des Bodens erzielten Ertrag an Körnern sowie an Stroh und Spreu gleich I setzt, folgende Ertragsskala:

Boden
feuchtigkeit    Körnerertrag   Strohertrag  
 
40 v.H.           4,70               2,47 
  60 v.H.           6,66               3,42   (Ertragsoptimum)
  80 v.H.           5,20               2,42
 100 v.H.          2,40               1,28 

Man ersieht aus diesen Ergebnissen, daß eine Anreicherung des Bodens mit Feuchtigkeit, die über eine das Ertragsoptimum sichernde Norm hinausreicht, sogar bis zur äußersten Möglichkeit der hundertprozentigen Sättigung immer noch annehmbare Erträge sichert, daß aber eine Annäherung an den Nullpunkt der Sättigungskapazität schwere Gefahren für die Erzeugung und damit für die Ernährung mit sich bringt. 

 

    Der Kampf um die Wassernutzung   

Man mag fragen: ist denn ernstlicher Grund zu einer Besorgnis wegen etwaiger mangelnder Versorgung der Pflanzenwelt mit Niederschlagswasser vorhanden? Wird der Himmel nicht, von Ausnahmen abgesehen, das kostbare Naß für unsere Kulturpflanzen weiterspenden, wie er es bis jetzt im allgemeinen getan hat?

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Bei der Beantwortung der Frage ist eine Tatsache zu berücksichtigen, die immer entscheidender in den Vordergrund drängt. Wir waren bei der Verwaltung und Verwertung der kostbaren Wasserschätze, die uns durch Regen, Schnee, Tau und Nebel laufend in bestimmten Beträgen zukommen, in der glücklichen Lage, Nutznießer jener Verhältnisse zu sein, die die Natur von sich aus schuf und in ein geradezu wunderbares System einer selbstgesteuerten universellen Wirkung brachte. 

Der Wasserhaushalt der Natur, ein Teil des allgemeinen Naturhaushaltes und in der großen Sicht eine Teilfunktion der gewaltigen kosmischen Maschine, ist so intensiv und nachhaltig wirksam, daß Eingriffe des Menschen in ihn teilweise erst sehr viel später ihre nachteiligen Folgen zeitigen. Um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts begannen Amerikas Kulturpioniere mit ihrem grandiosen Raubbau an der Scholle und mit ihren Eingriffen in den Naturhaushalt, um die Eingriffe von Jahrzehnt zu Jahrzehnt weiter zu steigern; — die Katastrophe wurde erst in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts in ihrer vollen Tragweite akut. Gottes Mühlen mahlen eben langsam.

Heute bereits spricht man in Deutschland und in allen wirtschaftlich vielseitig und hoch entwickelten Ländern von absolutem und relativem Wassermangel, von latenter und offener Wassernot. Besonders geschieht das in den Kreisen der Landwirtschaft. Nach den bisherigen Ausführungen könnte es den Anschein haben, als ob das Wasser keine andere Funktion aufzuweisen hätte, als landwirtschaftlich nutzbar gemacht zu werden. Das ist durchaus nicht der Fall. Am Wasservorrat und an seiner ökonomischen Verwertung sind alle Wirtschaftszweige mehr oder minder interessiert, und das Wettrennen der Interessenten um den Vorrang in der Wassernutzung ist in vollem Gange. Es ist ein stilles, aber doch energisches Tauziehen um den Rang des Stärkeren entbrannt.

Nicht einzelne Fabriken, sondern ganze große Industriezweige, allen voran Chemie, Zellulose, Eisen und andere Metalle, Textil, Papier usw. verlagerten sich lediglich nach Maßgabe vorhandener Wasservorräte; Großstädte pumpen zu ihrer Versorgung ganze Flüsse ab, und sie pumpen weit verzweigte Brunnensysteme in ihrem Umkreis so leer, daß der darüberstehende Wald verdorrt. 

Der moderne Wasserverbrauch schuf in Deutschland ebenso wie in anderen Ländern der Welt die Erscheinung der "sterbenden Flüsse".

Die moderne Wasserbautechnik hat in Deutschland ihre Großtaten bislang einseitig im Interesse der gewerblichen Wirtschaft vollbracht, auf die Landwirt­schaft und ihren Wasserbedarf für die lebenswichtige Erzeugung von Nahrungsgütern hat sie gar keine oder nur eine bedingte Rücksicht genommen. 

Was jedoch von diesem Zweig der Technik und Baukunst im engeren Bereich des Feldes geschah, auf dem unsere Nahrung heranwächst, das wird, je mehr sich das Bewußtsein lebensgesetzlicher Zusammenhänge in weiten Kreisen Bahn bricht, immer stärker negativ beurteilt.

Alles dies aber wurde in die geduldige Landschaft hineinprojiziert, als am Nil ein gigantisches System von Stau- und Bewässerungs­anlagen ausschließlich zu agrarkulturellen Zwecken entstand, und als die Flußgebiete des Indus und des Brahmaputra, des Tennessee und des Sacramento auf Flächen, die das deutsche Reichsgebiet bei weitem übertreffen, durch ähnliche Anlagen künstlich befruchtet wurden. 

Wie sich diese Werke der zivilisatorischen Ära, die in den Bereich der Kultur zurückschwingen, auf lange Sicht bewähren werden, wissen wir noch nicht. 

Auch haben wir noch nicht den letzten Beweis in den Händen, ob sie sich in den Kreislauf des Naturgeschehens organisch einfügen werden und ob sie demnach geeignet sind, das gestörte Gleichgewicht der natürlichen Kräfte künstlich wieder aufzurichten. 

Eines aber wissen wir: daß für andere weite Gebiete in der Welt - wozu auch das deutsche Reichsgebiet gehört - gewisse Erscheinungen der Gegenwart trübe Erwartungen für die Zukunft rechtfertigen.

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Dr. Anton Metternich : Die Wüste droht : Die gefährdete Nahrungsgrundlage der menschlichen Gesellschaft