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9. "Der Feind ist das Kind"

 Kindheit im zaristischen Rußland 

Von Patrick Dunn 

Und zur Zeit interessiert mich besonders die jüngere Generation und die damit verbundene Frage nach dem russischen Familien­leben, das meines Erachtens heute ganz anders ist als noch vor zwanzig Jahren. --  Dostojewski 1876

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Viele Historiker, die sich mit Rußland beschäftigt haben, heben die Bedeutung der Kindheit hervor. Fast immer werden in Biographien »bedeutender Männer« einige Seiten dem Vater des Betreffenden, seiner Familie oder »frühen Einflüssen«, denen er ausgesetzt war, gewidmet. Alle Zusammenfassungen umfang­reicher Epochen der russischen Geschichte enthalten Abschnitte über die Erziehung der heran­wachs­enden Generation, über die Geschichte von Findelheimen und über die Entwicklung der Familie.

Dabei geht man davon aus, daß ein strenger Vater, ein freundlicher Lehrer, eine beschützende Mutter oder deren jeweiliges Fehlen einen Einfluß auf das Verhalten des späteren Erwachsenen ausübte. Dasselbe nimmt man von einer bestimmten Regierungspolitik oder einer Veränderung in der Familienstruktur an. Dennoch ist es äußerst schwierig, Literatur über die Kindheit in Rußland zu finden, und zwar solche, mit der man die Kindheit der in den Biographien beschriebenen Personen vergleichen oder mit deren Hilfe man den Einfluß von Regierungsmaßnahmen oder kulturellen Bewegungen messen könnte.

Dieses Kapitel soll einerseits die wesentlichen Züge der Kindheit in Rußland im 18. und 19. Jahrhundert darstellen und zum anderen an Einzelpersonen zeigen, wie Kindheitserfahrungen das Verhalten von Erwachsenen beeinflußt haben.

Dabei kann es durchaus sein, daß unsere Schluß­folgerungen noch Änderungen erfahren, wenn Irrtümer korrigiert oder neue Fakten hinzugewonnen werden können. Die Untersuchung der die Kindheit in Rußland prägenden Bedingungen hat gerade erst begonnen.

Es ist schwer, sich in diesem Kapitel an eine klare zeitliche Abgrenzung zu halten. Zunächst erschien der Zeitraum von 1760 bis 1860 als der wichtigste. Nach 1760 begannen russische Autoren — beeinflußt durch westliche Literatur und aufgeschreckt durch die hohe Säuglingssterblichkeit — die Kindheits­bedingungen zu überprüfen.

Der bekannte Wissenschaftler Michail Lomonossow schätzte, daß die Hälfte der 500.000 jährlich in Rußland geborenen Kinder vor dem dritten Lebens­jahr starb. In Briefen, in denen er Anfragen von Iwan Schuwalow, einem maßgebenden Berater Katharinas der Großen, beantwortete, schlug er eine Reihe von Regierungs­maßnahmen vor, um die Sterblichkeitsrate bis zu 90% zu senken. Unter anderem schlug er vor, Heime für verwaiste und uneheliche Kinder einzurichten, ein Handbuch für Hebammen herauszugeben sowie stillende Mütter und Kinder von den strengen Fastenvorschriften der orthodoxen Kirche zu befreien.

1761 veröffentlichte Lomonossow seine Gedanken und Vorschläge in einem Essay <Zur Fortpflanzung und Erhaltung des russischen Volkes>.1 Im gleichen Jahrzehnt veröffentlichte Katharinas Günstling I. Betskoi Bücher und Streitschriften, die Lockes und Rousseaus Ideen zur Kinderaufzucht ausführlich erläuterten.

In den Jahren nach 1760 wurde deutlich, daß erstmals ein Bewußtsein über die Bedeutung von Methoden der Kinderaufzucht entstand. Für das Verständnis dieses Bewußtseins hielt ich es aber für notwendig, zeitlich weiter auszuholen, um die Maßnahmen aufzudecken, gegen die Lomonossow und Betskoi sich wandten.

Andererseits erschienen auch die Reformen nach 1860, die die russische Gesellschaft von Grund auf ändern sollten, als Beginn einer neuen Ära. Doch die beabsichtigten Veränderungen hinsichtlich der Kindheits­bedingungen vollzogen sich nicht sehr schnell. So wurde z.B. die traditionelle Autorität des Oberhauptes einer bäuerlichen Familiengemeinschaft durch die Gesetze von 1861, die eigentlich die Leibeigenen hätten befreien sollen, noch verstärkt.2) Auch Maßnahmen der Säuglingspflege wie das Wickeln hielten sich noch bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein.3)

Zwar befasse ich mich hauptsächlich mit dem Zeitraum von 1760 bis 1860, aber die Methoden und Einstellungen, die ich hier beschreiben und analysieren will, gab es natürlich schon vor 1760 und auch noch lange nach 1860.

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Als zweites möchte ich vorausschicken, daß sich dieser Aufsatz vor allem auf die »Großrussen« beschränkt, die gegen Ende des 19. Jhds etwa 45% der insgesamt 120 Millionen Einwohner Rußlands ausmachten.4) Es ist fast unmöglich, die unterschiedlichen Kindheitsbedingungen bei den vielen Völkern des Zarenreiches zu beschreiben; die Unterschiede sind in jedem Fall beträchtlich. Der Taufritus mit vollem Eintauchen wurde von den Ukrainern beispielsweise nicht durchgeführt.5)

 

In der Zeit von 1760 bis 1860 in Rußland ein Kind zu sein, war eine Qual, ein ungesichertes Dasein voll von Hindernissen für die körperliche wie für die seelische Entwicklung. Vielleicht weniger als die Hälfte der Kinder erreichte das Erwachsenenalter. Um 1760 schätzte Lomonossow, daß gut die Hälfte der russischen Kinder vor dem dritten Lebensjahr starb. Von 4600 Jungen, die 1832 in Moskau geboren wurden, starben 1300 innerhalb des ersten Lebensjahres. 1844 schätzte E. A. Pokrowski, daß ein Drittel der russischen Kinder ihren ersten Geburtstag nicht erlebten.6)

Nur wenige von denen, die trotz allem körperlich überlebten, wurden in unserem heutigen Sinn erwachsen, nämlich autonome eigenverantwortliche Persönlichkeiten. Natürlich kann man die hohe Säuglings­sterblich­keit teilweise auf solche Ursachen wie unzureichende Ernährung, klimatische Bedingungen, mangelhafte medizin­ische Versorgung oder die Fesseln der Tradition zurückführen. Doch diese Faktoren allein reichen als Erklärung nicht aus. In Norwegen z.B. betrug die Säuglingssterblichkeit im neunzehnten Jahrhundert nur ein Drittel der russischen, und das trotz des rauheren Klimas.7)

Wichtig ist meiner Meinung nach die Tatsache, daß russische Eltern Kinder und Kinderaufzucht für unwichtig hielten. Zwar mußte man sich um Kinder kümmern, doch im Grunde genommen vernachlässigten die Eltern ihre Kinder, ja, waren ihnen gegenüber sogar feindlich gesonnen. Die Bequemlichkeit der Eltern rangierte vor dem Wohlergehen der Kinder.

Um diese These zu untermauern möchte ich vier Aspekte des Problems betrachten: die Einzelheiten der Säuglingspflege, die Einstellungen der Eltern zu ihren Kindern, den psychologischen Hintergrund der Kinder in Rußland sowie die Kräfte, die die Kindheitsbedingungen ändern sollten.

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    Es galt, die ersten Jahre zu überleben  

 

Obwohl die meisten russischen Kinder in der feuchten, umhüllenden Wärme des Dampfbades geboren wurden, konnte es auch vorkommen, daß sich die Geburt in einem Viehstall, einem Hinterzimmer der Küche oder gar im Freien abspielte. In adligen Familien fand die Geburt wahrscheinlich in einem besonderen Raum, dem privaten Badehaus, statt. Doch für die große Mehrheit der Russen, die Bauern, diente das öffentliche Bade­haus als Kreißsaal. Die Bauern nannten sogar das Gebet, das der Priester kurz nach der Geburt sprach, das »Badegebet« (bannaia molitwa).

In Dörfern ohne Badehaus entbanden die Mütter an den verschiedensten Orten: in Schuppen, Speise- oder Vorrats­kammern, ja sogar auf dem Feld oder im Wald. Die Hauptsache war, daß der Geburtsort abgeschieden war. So kam es sogar vor, daß Mütter selbst in Gegenden, wo es Badehäuser gab, um der Intimität willen einen Viehstall oder einen Vorratsraum vorzogen.8)

Die Hebammenkunst hatte im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert immer größere Bedeutung gewonnen. Lomonossow empfahl eine geregelte Ausbildung für Hebammen und die Herausgabe eines Handbuches, in dem alle Erfahrungen über Geburtsvorgänge gesammelt werden sollten.9) 1776 wurden die ersten Schulen für Geburtshilfe gegründet. Im folgenden Jahr erließ die Regierung Anweisungen an die Gesundheitsämter — die es im Prinzip in den größeren Städten jeder Provinz geben sollte —, die besagten, daß wenigstens einer der dort tätigen Ärzte in Geburtshilfe ausgebildet sein solle.10)

Im frühen 19. Jahrhundert konnten interessierte Eltern Maksimowitsch-Ambodiks »Physiologie oder die Naturgeschichte des Menschen«11) oder die russische Übersetzung (1790) der »Hausmedizin« des englischen Arztes William Buchan kaufen. Man konnte auch einen Arzt aufsuchen, der an der Medizinisch-Chirurgischen Akademie unter S.F. Chotovizki, Professor für Geburtshilfe sowie Frauen- und Kinderkrankheiten, studiert hatte.

Trotz spärlicher Zeugnisse wird man annehmen dürfen, daß ein Teil der gebildeten und reichen Klassen diese Möglichkeiten nutzte.12) Doch die Bauernfrauen zogen noch spät im neunzehnten Jahrhundert die Hilfe der babka povitucha, einer erfahrenen alten Frau der ausgebildeten Bezirks-akusherka13) vor.

Man ließ die Hebamme gewöhnlich zwei bis drei Stunden vor der Entbindung kommen. Die Mutter ging während der Wehen im allgemeinen umher, konnte sich aber bei starken Austreibungswehen auf die Knie ihres Mannes setzen.

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Wenn die Geburt nahte, kehrte sie ins Bad, einen abgeschlossenen Raum oder in den Viehstall zurück. Der Wunsch nach Intimität während der Entbindung war so groß, daß einige Frauen sich sogar dann allein zurück­zogen, wenn eine Hebamme zur Verfügung stand. Während die Frauen des Landadels und des Mittelstandes bei der Geburt auf einem Bett lagen, zogen die Bäuerinnen die Entbindung in kniender Stellung vor. Die Arme stützten sie dabei auf ein quer durch den Raum gespanntes Seil oder auf einen Tisch.

Gleich nach der Geburt übernahm die Hebamme die Hauptverantwortung für das Neugeborene. Schien der Säugling schwach, so bekam er einen Klaps auf das Hinterteil oder ihm wurde Luft in Ohren, Mund und Nase geblasen. Die Hebamme badete das Baby im allgemeinen sofort nach der Geburt, meist gleich im heißen Badehaus. Direkt nach dem ersten Bad wickelte sie das Kind. Die Russen wickelten ihre Babys mit drei verschiedenen Tüchern. Man nahm hierfür weiches Leinen, sofern man es hatte; doch häufiger nähte man Baumwollstoff und andere Flicken aneinander.

Das izgolovnik oder Kopfband war ein dreieckiges Tuch, in das der Kopf fest eingebunden wurde. Zwei Enden des Tuches wurden hinuntergezogen, über der Brust des Säuglings gekreuzt, dann unter den Armen hindurch nach hinten geführt und schließlich auf dem Rücken verknotet. Das Kopfband ließ man gewöhnlich nach sechs Monaten weg, wenn man meinte, daß das Kind seinen Kopf selbst hochhalten könnte.

Den Unterleib wickelte man in ein anderes Dreieckstuch, das podguznik hieß. Es wurde unter das Gesäß des Kindes geschoben, mit seinen zwei Enden um die Taille gewickelt und dann in die Leistenbeugen hinuntergezogen. Das dritte Ende wurde dann unter dem Hinterteil zwischen den Beinen hindurch bis zum Nabel hochgezogen. Schließlich wurde der Rumpf mitsamt den Armen fest in ein drittes Tuch gewickelt, das pelenka hieß. Natürlich gab es Abweichungen von dieser Methode.

In einigen Gegenden wurden die Kinder nicht gewickelt, sondern einfach lose in ein großes Tuch eingeschlagen. In anderen Fällen benutzte man das izgolovnik nicht, sondern wickelte den Kopf einfach in einen Teil der pelenka ein. Theoretisch könnten die Wickel wohl drei- bis viermal täglich ausgewechselt worden sein, was im allgemeinen beim Baden oder Füttern geschah. Insgesamt wickelte man die Kinder sechs bis zwölf Monate lang.14)

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Während der ganzen von uns hauptsächlich betrachteten Zeit kritisierten sowohl Journalisten als auch Mediziner das Wickeln. Um 1760 schrieb Betskoi, daß das Einbinden nur bei einem verletzten Glied vorteilhaft sei und daß es bei gesunden Kindern »völlig abgelehnt« werden sollte.15)

1783 setzte sich der Publizist Nikolai Nowikow dafür ein, diesen Brauch abzuschaffen. Das Wickeln verforme nicht nur den kindlichen Körper, sondern, so schrieb Nowikow, »es hat sogar einen Einfluß auf das moralische Verhalten des Kindes, da sein erstes Selbsterleben in einem Gefühl, krank oder leidend zu sein, entsteht, was, verbunden mit dem Gefühl, in seinen Bewegungen eingeengt zu sein, in ihm die Saat des Zornes sät«.16)

Das Thema wurde in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts immer wieder von Schriftstellern aufgegriffen. Doch hielt Pokrowski es noch 1844 für nötig, vor dem Wickeln zu warnen, das wohl immer noch praktiziert wurde, weil es häufig Striemen, Quetschungen und Geschwüre verursachte.

Die Eltern verteidigten das Wickeln aus verschiedenen Gründen: beim nicht gewickelten Kind bestünde Verletzungsgefahr, das gewickelte Kind würde von eigenen plötzlichen Bewegungen weniger leicht erschüttert oder erschreckt werden. Doch Maksimowitsch-Ambodik scheint die Meinung der meisten Forscher über dieses Thema zusammengefaßt zu haben, als er schrieb, daß »neugeborene Kinder mehr aus Gewohnheit als aus Notwendigkeit gewickelt werden« — trotz der Tatsache, daß diese Gewohnheit der Gesundheit des Kindes abträglich war.17)

Bis ins späte neunzehnte Jahrhundert hinein wurden bei weitem die meisten russischen Säuglinge gestillt. Um 1870 z.B. wurden einer Erhebung in Petersburg zufolge von 8000 Kindern nur ein Drittel mit der Flasche ernährt. In der Landbevölkerung stillten die Mütter ihre Kinder selbst, während beim Adel überwiegend Ammen damit beauftragt wurden. Außerdem bekamen die Babys vom ersten Tag an einen Schnuller in Form eines zusammengebundenen Beutelchens, der mit Speise gefüllt war.

Man ging davon aus, daß der Säugling von der fünften Woche an Brotstückchen und Buchweizen- oder Gerstengrütze vertrug. Wurde ein Bauernbaby kurz vor der Ernte geboren und seine Mutter dringend auf dem Feld gebraucht, hat man es wohl mit Kuhmilch und beinahe von Anfang an auch mit fester Nahrung gefüttert. Mit zwölf bis sechzehn Monaten mußte das Kind gewöhnlich die gleiche Nahrung essen wie seine Eltern.18)

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Die Säuglingsernährung war ebenso wie das Wickeln schon lange Gegenstand der Kritik von Medizinern und Journalisten gewesen. In den Jahren nach 1760 setzte sich Lomonossow dafür ein, stillende Mütter und Kinder von den strengen religiösen Fastenvorschriften oder orthodoxen Kirche zu befreien.19) Betskoi legte seinen Lesern nahe, sich um eine gute Amme zu bemühen und den Kindern während des ersten Lebensjahres keine feste Nahrung zu geben.20)

Um 1780 empfahl Maksimowitsch-Ambodik, erst ab dem sechsten Monat Breinahrung zu füttern21), während Novikow ausführliche Ratschläge für das Stillen veröffentlichte, so auch den Vorschlag, die Mutter- oder Ammenbrust mit Knoblauch einzureiben, um die Entwöhnung zu erleichtern.22)

1837 veröffentlichte Mark Netschajew, der an der Medizinisch-Chirurgischen Akademie studiert hatte, in St. Petersburg ein Werk: »Über die Möglichkeiten bei der Landbevölkerung, den Tod von Kindern im ersten Lebensjahr zu verhüten«. Er beanstandete sowohl die Gewohnheit, Neugeborene mit Brot zu füttern, ihnen außer im Krankheitsfall der Mutter die Flasche zu geben, wie auch den Brauch, feste Nahrungsteile in den Babyschnuller zu tun, weil diese bekanntlich zerrissen, und das Kind den Inhalt dann schlucken mußte.

1874 erzählte man Katherine Blanch Guthrie, daß bei den Bauernfamilien — die durchschnittlich 17 Kinder hatten — die Hälfte der Kinder im Säuglingsalter starb; einige an Kälte, andere durch den Gebrauch der saska. Das war ein mit Milchbrei gefülltes Säckchen, an dem die Säuglinge, wenn sie stundenlang allein gelassen wurden, »so heftig saugten, daß sie die saska in ihren Hals hineinzogen und daran erstickten«.23)

Noch 1888 führte die Petersburger Gesellschaft der Kinderärzte den »auffälligen« Wissensmangel bezüglich der Gesundheit und Ernährung von Kindern als Hauptursache für die Säuglingssterblichkeit in Stadt und Land an.24) Aus Statistiken, nach denen die Säuglingssterblichkeit in den letzten neun Monaten des ersten Lebensjahres höher war als in den ersten drei Lebensmonaten, schloß Pokrowskij im gleichen Jahr, daß eine Hauptursache der Säuglingssterblichkeit im Brauch der gewohnheitsmäßigen Umstellung von Muttermilch auf feste Nahrung zu suchen sei.25)
      Und dies nach hundertjährigen Bemühungen durch Ärzte und Journalisten!

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Zusätzlich zu den Gefahren, in denen der russische Säugling bei der Geburt, beim Wickeln und Füttern schwebte — ganz abgesehen von Krankheit und anderen äußeren Faktoren — konnte es ihm passieren, daß er von seinen Eltern extremer Hitze und Kälte ausgesetzt wurde, sei es als Teil herkömmlicher »Abhärtungs«-maßnahmen, sei es aus Rücksicht auf überkommene Rituale.

In einem Reisebericht aus der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts heißt es:

Auch die Einwohner Moskaus kennen Mühsal vom Mutterleibe an. Sie gewöhnen ihre Kinder daran, extreme Hitze und Kälte, Hunger, Durst und Arbeit zu ertragen. Sie waschen die Neugeborenen in kaltem Wasser und rollen sie auf Eis und Schnee; und wenn sie das nicht überleben, weinen ihnen ihre Mütter keine Träne nach.26)

In seinem Buch über die Kindheit von 1761 wandte sich Lomonossow gegen die Sitte, die Kinder im Winter in ungeheizten Kirchen zu taufen und dabei das Neugeborene wie vorgeschrieben dreimal in das Wasser, so wie es aus dem Brunnen kam, zu tauchen. Diesen kirchlichen Brauch verglich er mit winterlichen Bädern im kalten Wasser und bezeichnete Priester, die an diesen Bräuchen festhielten, als »Henker«. Doch Robert Pinkerton, der über diese Sitten noch im frühen neunzehnten Jahrhundert berichtet, sagt, daß »die Leute so abergläubisch sind, daß sie wahrscheinlich die Gültigkeit der heiligen Handlung bezweifeln würden, wenn man das Wasser erwärmt hätte«.27)

 

Um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts waren Taufen im kalten Wasser schon ungewöhnlich. Dennoch hatte Pokrowski noch im Januar 1888 Gelegenheit, Zeuge einer solchen Taufe und ihrer tödlichen Folgen zu sein.

... in einer konservativen Familie wurde ein ganz gesundes Kind reicher, junger und völlig gesunder Eltern geboren. Kurz nach der Geburt wurde es einer gesunden Amme übergeben, an deren Brust es seine ersten Tage friedlich verbrachte. Nach einigen Tagen beschloß man, das Kind nach dem überkommenen Ritual zu taufen. Dieses ging folgendermaßen vor sich: draußen herrschte eine Temperatur von -23 °C; trotzdem wurde auf Anweisung des konservativen Priesters die große Halle des elterlichen Hauses, in der die Taufe stattfinden sollte, 24 Stunden vorher nicht geheizt.

Nach Meinung des Priesters war es nur so möglich, für die Taufe des Kindes die Atmosphäre einer alten Kirche zu schaffen. Am Tauftage holte man Wasser direkt aus dem Brunnen, ohne es irgendwie zu erwärmen. Als man das leichtgewickelte Kind in den Saal trug, begann es nach Aussagen der Amme gleich zu frieren, zu zittern und unruhig zu werden. Die Taufzeremonie nach dem alten Ritual dauerte sehr lang, nämlich über eine Stunde. Als der Priester mit seinen kalten Händen das Kind auszuwickeln begann, schrie es erbärmlich und hörte nicht auf, lauthals zu schreien, es sei denn, es mußte nach völligem Untertauchen im Wasser kurz Luft holen.

Jedes Untertauchen wurde nach dem alten Ritus langsam vollzogen. Alle Aufmerksamkeit war auf die heilige Handlung gerichtet. Als das Kind nach der Taufzeremonie wieder in seine Windeln gepackt wurde, wurde es bewußtlos, wollte nicht mehr an der Brust seiner Amme trinken und hatte am nächsten Morgen Krämpfe und Fieber. Am folgenden Tag hielten sowohl Krämpfe als auch Fieber an ......

Drei Tage nach der Taufe wurde Pokrowski gerufen, doch das Kind starb einen Tag später.28)

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Nach einem anderen unter der Landbevölkerung in Nord- und Mittelrußland verbreiteten Brauch setzte man die Neugeborenen der Hitze und den Anstrengungen, die ein Dampfbad mit sich brachte, aus. Mit vom Dampf weichen Birkenzweigen schlug man vorsichtig den Körper, um die Poren für den reinigenden Dampf zu öffnen. Die Temperatur in den Bädern stieg auf 50-55° C (oder noch höher), wenn das Wasser eimerweise auf die erhitzten Steine gegossen wurde, damit sich Dampf entwickelte. Pokrowskij warnte davor, Säuglinge einer so großen Hitze auszusetzen, da sie schwere Verbrennungen oder sogar den Tod verursachen könnte. Doch noch im neunzehnten Jahrhundert soll man Berichten zufolge bei Taufen Birkenblätter auf dem Körper der Kinder gesehen haben.29)

 

Die ersten Lebensjahre waren für ein Kind in einem staatlichen Findelheim noch gefährlicher als für Kinder, die in Familien aufwuchsen. Tooke erfuhr, daß zwischen 1766 und 1786 etwa 37.000 Kinder in das Moskauer Findelhaus aufgenommen wurden. Nachdem etwa 1000 von ihnen entlassen worden waren, wurden 1786 noch ca. 6100 lebende Kinder dort gezählt. Das bedeutet, daß etwa 30.000 Kinder umgekommen waren!

Tooke schränkt das Ergebnis dieser erschreckenden Schätzung natürlich zu Recht ein, indem er einräumt, es sei unmöglich festzustellen, wieviele dieser Todesfälle Folge einer bereits vor der Aufnahme bestehenden Krankheit oder Behinderung gewesen seien. Trotzdem bot sich einem Besucher 100 Jahre später ein »merkwürdiger Anblick«, als er zufällig ein Zimmer im Moskauer Findelheim betrat: »Am Ende des Zimmers befand sich ein großer Haufen von einigen hundert nackten Babykörpern, die wie Sardinen übereinandergelegt auf ihre Beerdigung im Frühling warteten.« Man kann nur vermuten, was sich alles in den staatlichen Säuglingsheimen abgespielt hat.30)

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Es gibt wenig gesicherte Informationen über die körperliche Entwicklung in den späteren Kindheits­phasen. Mit Hilfe von Eltern und Geschwistern und einer Vielzahl von Gerätschaften, die von Bänken mit eingeschnittenen Löchern bis zu rollenden Holzlaufstühlchen reichten, konnten russische Kinder gewöhnlich mit elf bis dreizehn Monaten, vielleicht sogar schon mit neun oder zehn Monaten laufen.31)

In diesem Alter waren sie ihren Wiegen, die es in unzähligen Ausführungen gab, schon entwachsen. Meist waren diese Wiegen an einem Brett oder Pfosten aufgehängt, die zum Schaukeln hinabgebogen werden konnten. John Quincy Adams schrieb 1810 über die russische Wiege, sie sei »eine schwerfällige Fehl­konstruktion, und das Kind befände sich in steter Gefahr, auf den Boden zu fallen, was in vier von fünf Fällen tödlich enden muß«.32)

Am Ende des ersten Lebensjahres war das Baby auch den Wickeltüchern entwachsen. Die russischen Kinder trugen im allgemeinen dann weite Hemden und wahrscheinlich enge Hosen; bei Adligen mag es Abweichungen gegeben haben. Pokrowski bemerkte jedoch, daß »einige dumme Kinderfrauen« die Kinder tatsächlich in so enge Hosen steckten, daß eine Reibung an den Genitalien erfolgte. Dies geschah bewußt in der wohlüberlegten Absicht, »den Kindern lustvolle Erlebnisse oder schöne Träume zu verschaffen«.33)

Außer diesen wenigen allgemeinen Bemerkungen weiß man wenig über die Kinderpflege, besonders über so kritische Themen wie Sauberkeitserziehung und den Umgang der Eltern mit der kindlichen Sexualität. Die Handbücher berücksichtigen diese Themen nicht, und Aufzeichnungen in Briefen und Erinnerungen sind selten.34)

 

 

    Die Einstellung der Eltern zu ihren Kindern   

Zwischen Eltern und Kindern herrschte ein Geist von Sklaverei .....
Kostomarow

Die Gesellschaft in Rußland war mindestens bis 1890 vorwiegend traditionsorientiert. Zwar kann hier nicht ausführlich dargelegt werden, was das im einzelnen bedeutet, aber wenn wir einige Grundzüge im sozialen Kontext verstehen, können wir auch die Eltern-Kind-Beziehung leichter begreifen.

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Zunächst ist für das Verständnis wichtig, daß Rußland damals ein Agrarstaat war, in welchem man — in jahr­hundert­alter Routine erstarrt — keine modernen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse anwandte und dadurch pro Morgen einen konstanten oder gar rückläufigen Ertrag erzielte. Deswegen verhieß Bevölkerungs­zuwachs keine erhöhte Produktion, sondern brachte die Belastung, zusätzliche Münder von einer gleichbleibenden oder ständig abnehmenden Nahrungsmenge ernähren zu müssen.

Da russische Eltern außerdem wenig über wirksame Methoden der Geburtenkontrolle wußten, hatten sie, wenn überhaupt, nur geringen Einfluß auf die Zahl der hinzukommenden Esser. Auch war im traditionellen Rußland nicht das Individuum oder die Position, die es erreichte, das Entscheidende, sondern das Ansehen der Familie, in die einer hineingeboren wurde. Das Wohl der Familie rangierte vor dem jedes ihrer einzelnen Mitglieder. Nicht zuletzt war das Autoritätsgefüge des traditionellen Rußlands patriarchalisch.

Wilson R. Augustine meint:

Für den russischen Adligen war die »gute Autorität« (auf dem Thron oder sonstwo) ein Inbegriff des »guten Vaters«: streng, liebevoll und in patriarchalischer Machtausübung über eine große Familie. In einem solchen Gesellschaftssystem beurteilte man Wert und Ansehen eines Menschen nicht danach, inwieweit es ihm gelang, abstrakten Verhaltensnormen zu entsprechen (wie in der westlichen Welt), sondern nach seiner am Familienmodell orientierten Bindung an seine Herrschaft.

Schließlich sollte man beachten, daß sich dieses Modell nicht nur auf die Politik, sondern auf alle sozialen Verhältnisse erstreckte. Im gleichen Maße wie der Adel dem Monarchen untenan war, war er wiederum Herr über seine Leibeigenen. Die Art der Autorität war in beiden Fällen die gleiche. Was immer einzelne Herren ihren Bauern angetan haben mögen, das gesellschaftliche Ideal des Großgrundbesitzers war das eines strengen und weisen Vaters, der seine unbegrenzte Macht zum Wohl seiner Untertanen ausübte.35)

In Bauernfamilien wiederum übte der älteste Mann eine ähnliche Herrschaft über die übrigen Angehörigen des Hauswesens aus.36)

Will man das Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern im Rußland des achtzehnten und neunzehnten Jahr­hunderts beschreiben, so waren sie wohl eher gleichgültig als interessiert, eher feindlich als warmherzig, und die spontanen Handlungen ihrer Kinder schränkten sie eher ein, als daß sie sie tolerierten.

Das Leben eines Kindes wurde einerseits von einem gleichgültigen, feindseligen, manchmal gewalttätigen Vater beherrscht, der den Lebensweg seines Kindes bestimmte, und andererseits vom Fehlen einer warm­herzigen Mutterbeziehung.

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Die Gleichgültigkeit russischer Eltern zeigt sich in Einzelheiten der Säuglingspflege. Das Einsetzen von Ammen und im späteren Leben von älteren Kindern, alten Frauen und beim Adel auch Leibeigenen als Aufpasser und Spielgefährten der Kinder schränkte die mütterliche Anteilnahme ein. Aufgrund dieser Art von körperlicher Betreuung sind die Beziehungsstrukturen im ersten Lebensjahr, wie Ruth Benedict schreibt, »viel breiter angelegt als in Gesellschaften, in denen der Kontakt des Kindes mehr auf den mit der eigenen Mutter beschränkt bleibt«.37)

Die aufreibende Arbeit der Bäuerinnen daheim und auf dem Feld war der Eltern-Kind-Beziehung ohnehin nicht förderlich. Doch sogar bei gebildeten und adligen Russen war die Anteilnahme der Mutter äußerst gering. Die Aufzucht durch Leibeigene, Kindermädchen, Hauslehrer und Bedienstete gehörte im achtzehnten Jahrhundert zum Alltag eines adligen Vorschulkindes.38)

Als um 1780 Sergei Aksakows Mutter ihre kleines Töchterchen persönlich an die Brust der Amme legte und selbst in den Schlaf wiegte, warnte eine Verwandte, daß »solch eine übertriebene Liebe ein Verbrechen gegenüber Gott sei und daß er es sicherlich bestrafen werde«. Als das Kind später starb, schien diese Prophezeiung nur bestätigt, und die Mutter kümmerte sich selbst nicht mehr um die Kinder, die sie anschließend zur Welt brachte.39)

1833 bat der junge Nikolai Gogol seine Mutter in einem Brief, ihre Erziehungsmethoden zu ändern und insbesondere darauf zu achten, die Kinder in ihrer eigenen Nähe zu lassen.40) Sonja Kowalewski erinnerte sich daran, wie sie mit Bruder und Schwester mit ihrem Kindermädchen in ihrem eigenen Wohntrakt schliefen, frühstückten und zu Mittag aßen. Sie sahen ihre Mutter fast nur, wenn irgendein Gast die Kinder sehen wollte.41)

1850 schrieb Aksakow, daß »die ersten Eindrücke, die im verblaßten Bild der Vergangenheit in mir sind, ..... sind meine Amme, meine kleine Schwester und meine Mutter«.42) Die Reihenfolge spricht für sich. Russische Kinder entwickelten tiefe Gefühlsbindungen an ihre Kinderfrauen und an die anderen Kinder im Haushalt; die Mütter dagegen blieben im Hintergrund.43) Auch die Väter verhielten sich gleichgültig gegenüber ihren Kindern.

Der Domostroj, ein im sechzehnten Jahrhundert von Klerikern zusammengestellter Ratgeber zur Familienführung, gab Vätern zum Umgang mit einem Sohn folgende Ratschläge: »lächle ihn nicht an, spiel nicht mit ihm; bist du schwach in kleinen Dingen, wirst du es später in großen zu büßen haben ...«44)

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Der Adel des achtzehnten Jahrhunderts lebte immer noch nach den althergebrachten Unterweisungen des Domostroj.45)

Wladimir Polunin erinnerte sich 1840 in Kursk, daß »die im Domostroj niedergelegten Vorschriften damals als Inbegriff ehelichen Glücks angesehen wurden und jegliches Abweichen von ihnen zum Familienstreit führte — eine schwere Sünde«.46)

1849 empfahl Gogol diesen traditionellen Ratgeber als ein Buch, das »einen mit dem Besten im russischen Menschen vertraut machen« könne.47) Nowikow bat die Väter in einem Buch von 1783 zu versuchen, wenigstens eine Stunde täglich bei ihren Kindern zu verbringen.48) Aber Sonja Kowalewski erinnert sich, daß sich in ihrer Kindheit im neunzehnten Jahrhundert »die Beziehung unseres Vaters zu uns darauf beschränkte, das Kindermädchen zu fragen, ob es uns gut ginge, wenn er uns zufällig traf ..... und uns gelegentlich auf den Arm zu nehmen und uns in die Luft zu werfen«.49)

Der bedeutende Graf Witte umriß das elterliche Desinteresse genau, als er in seinen Erinnerungen schrieb: »Spreche ich von meiner frühen Erziehung, muß ich sagen, daß meine Eltern, obwohl sie für uns, ohne auf Geld zu achten, Jungen, Erzieherinnen und Lehrer einstellten, es versäumten, uns genügend persönliche Aufmerksamkeit zu schenken.«50)

Das zweite Merkmal russischer Eltern im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert ist, sich ihren Kindern gegenüber eher feindselig zu verhalten und sie im Bewußtsein ihrer Macht zu bestrafen, anstatt durch Warmherzigkeit, Verständnis und Liebe bestimmte Erziehungstechniken anzuwenden. Auch dieses Merkmal spiegelt sich in den Einzelheiten des Umgangs mit Kindern wider. Soziologische Untersuchungen haben die Abneigung der Eltern, sich persönlich um ihre Kinder zu kümmern, mit ihrer Feindseligkeit diesen gegenüber in Verbindung gebracht.51) Russische Eltern neigten dazu, ihre Kinder mit körperlichen Züchtigungen zu strafen und zu leiten. Auch dies geschah in Übereinstimmung mit dem Domostroj, der den Vätern riet:

Strafe deinen Sohn, solange er klein ist, und er wird dich erfreuen und die Zierde deiner Seele sein, wenn du alt bist. Erspare deinem Kind keine Schläge, denn der Stock wird ihn nicht töten, sondern ihm gut tun. Wenn du den Körper schlägst, rettest du die Seele vorm Tode......

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Wenn du deinen Sohn liebst, strafe ihn oft, damit er später deine Seele erfreuen kann. Strafe deinen Sohn in seiner Jugend; und wenn er ein Mann ist, wird er dein Trost sein, und du wirst unter den Gottlosen gepriesen werden und deine Feinde werden dich beneiden. Erziehe dein Kind in Furcht und du wirst Frieden und Segen in ihm finden.52)

1783 warnte Nowikow Väter davor, sich bei der Kindererziehung »rauher Worte, strenger Vorschriften, schwerer Strafen, Befehle, mürrischen Verhaltens und unbeherrschter Handlungen« zu bedienen. Dann dürften die Kinder ihre Eltern zwar fürchten, aber ihre Furcht sei eher Verachtung als Respekt.53)

Alexander Herzens Erinnerungen aus seiner Kindheit im ersten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts bestätigen Nowikow:

Spott, Ironie und kalte, bissige äußerste Verachtung waren die Instrumente, die er (sein Vater) wie ein Künstler handhabte. Er gebrauchte sie gleichermaßen gegen uns wie gegen die Dienerschaft ..... Bis zu der Zeit, wo ich ins Gefängnis mußte, war ich meinem Vater wirklich entfremdet und verbündete mich mit den Dienerinnen und Dienern in einem ständigen Kleinkrieg gegen ihn.54)

Baron v. Wrangel, der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts aufwuchs, glaubte, daß die harte Disziplin einschließlich der Prügel, die der Vater anwandte, nur eine Gesellschaft widerspiegelte, in der »Härte ein moralisches Prinzip geworden war. Wohlwollen zu zeigen, bedeutete Schwäche, Grausamkeit Stärke«.55)

Die Kinder im Bewußtsein der eigenen Macht zu bestrafen, wie auch die Abneigung, für die eigenen Kinder zu sorgen, korrelieren stark mit elterlicher Feindseligkeit gegenüber ihren Nachkommen.56)

Auch das Vorkommen von Kindesmord ist ein Gradmesser für die Feindseligkeit der Erwachsenen Kindern gegenüber. Tolstois Stück »Die Macht der Dunkelheit«, das um den schrecklichen Mord an einem neugeborenen Kind kreist, beruhte auf einem Gerichtsverfahren aus dem Jahre 1880 gegen einen Bauern, der dieses Verbrechen begangen hatte. Im »Tagebuch eines Schriftstellers« berichtet Dostojewski aus Zeitungsberichten zusammengetragene Einzelheiten, die ein Verfahren gegen einen Vater betrafen, der seine siebzehnjährige Tochter »zu grausam« verprügelt hatte, sowie die Verurteilung einer Stiefmutter, die ihre sechsjährige Stieftochter aus einem Fenster im vierten Stockwerk geworfen hatte.57

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Besonders aufschlußreich in diesem Zusammenhang ist Anton Tschechows Kurzgeschichte »Schlafen, nur schlafen«, die sich um ein dreizehnjähriges Kindermädchen dreht. Überwältigt von Erinnerungen an die eigene schmerzvolle Kindheit sucht sie Linderung im Schlaf. Doch das Weinen des Babys läßt sie immer wieder aufschrecken. Und wenn es mal ruhig ist und vor sich hindöst, wecken sie der Hausherr oder die Hausfrau unweigerlich mit Schreien und Schlägen. Schließlich »begreift« sie, daß der Feind, der sie am Leben hindert, weder ihr Hausherr, noch die Gesellschaft, noch die Erinnerungen sind, sondern: »Der Feind ist das Kind.«

Lachend, dem grünen Fleck zublinzelnd und ihm mit dem Finger drohend, schleicht sich Warka zu der Wiege und beugt sich über das Kind. Nachdem sie es erwürgt hat, legt sie sich schnell auf den Fußboden, lacht vor Freude, daß sie nun schlafen kann, und schon nach wenigen Augenblicken schläft sie fest wie eine Tote .....58

Auch wenn es sich bei diesen Beispielen um erdichtete oder besonders krasse Vorfälle handeln mag, waren sie doch keineswegs selten. Statistiken über Kindesmorde in Rußland sind rar, auch die Zuverlässigkeit der Daten ist fraglich. Dennoch geben sie uns einen allgemeinen Hinweis auf die Existenz dieses Phänomens. Die Untersuchung eines Arztes in der Provinz Poltawskaja hielt in den Jahren von 1855 bis 1864 in diesem Gebiet 343 Fälle von Kindesmord fest. In derselben Zeit wurden 28.000 Kinder geboren, d.h. eins von achtzig Kindern wurde umgebracht. Ein Viertel aller gewaltsamen Tode in dieser Provinz betraf Kinder.

Pokrowski schrieb, daß das Gesundheitsministerium um 1870 die jährliche Rate von Kindesmorden in Rußland mit 400 ansetzte.59) Aber diese Zahlen beziehen sich nur auf die Fälle, die gerichtlich verfolgt worden waren; und es ist unklar, welcher Prozentsatz der Bevölkerung von der Statistik erfaßt wurde. Die Justizreformen von 1864, die das russische Gerichtswesen einführten, wurden nur allmählich im ganzen europäischen Teil Rußlands wirksam. Wären die Zahlen im ganzen europäischen Teil Rußlands gesammelt worden — und nur dort — fiele auf 200.000 Einwohner ein Kindesmord. Unter anderem haben zwei der bedeutendsten Zaren der russischen Geschichte, nämlich Iwan der Schreckliche und Peter der Große, ihren ältesten Sohn ermordet.

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Das dritte Merkmal russischer Eltern war die restriktive Haltung gegenüber dem spontanen Verhalten ihrer Kinder. Sie schienen nicht zu verstehen, daß das Kind Probleme und Gefühle haben kann, die ihm wichtiger sind als die Gebote der Erwachsenen. Es gibt allerdings auch Berichte, nach denen Kinder in Adelskreisen in einer gewährenden Atmosphäre aufgewachsen sind, solange sie von Erziehern und Dienern betreut wurden. Ein Adliger des achtzehnten Jahrhunderts schrieb z.B., daß...

....Kinderfrauen dem Kind das Gefühl geben, sein Wille müsse widerspruchslos ausgeführt werden. Daran gewöhnt es sich und wenn es älter wird und seine Leidenschaft wächst, hat dies zur Folge, daß das Kind, das solchen Frauen anvertraut war, Sklave seiner Leidenschaften wird. Denn hätte die Kinderfrau dieses Verhalten nicht gebilligt, hätten sich seine Leidenschaften nie so leicht und so stark ausbilden können.60)

1833 beklagte sich Gogol über die »Wildheit, die Kinder durch den Umgang mit Kindermädchen entwickeln«61), und Herzen erinnert sich an seine Kindheit eine Generation früher:

Nur im Aufenthaltsraum der Diener und in den Zimmern der Hausmädchen fand ich noch wirkliches Vergnügen. Dort hatte ich völlige Freiheit. Ich ergriff Partei, diskutierte mit meinen Freunden ihre Angelegenheiten und sagte meine Meinung dazu. Ich kannte alle ihre Intimgeschichten; aber im Wohnzimmer ließ ich nie ein Wort über die Geheimnisse der Dienstbotenräume fallen.62)

In der Eltern-Kind-Beziehung war die strenge Durchsetzung von Disziplin die allgemeine Regel. Bei adligen Kindern hielt sich das für das achtzehnte Jahrhundert charakteristische Muster von »fast anarchischer Freiheit und kürzeren Perioden von strengster Disziplin und Kontrolle« bis weit in das neunzehnte Jahrhundert hinein.63) Ferner taucht in den Memoiren des neunzehnten Jahrhunderts immer wieder als Thema auf, daß Eltern, insbesondere Väter, ihre Kinder als Wesen betrachten, die man ernähren und leiten, aber nicht verstehen müsse.

1783 beklagte sich Nowikow, daß »Eltern sich unter dem Aufziehen von Kindern nicht mehr vorstellen, als sie gut zu ernähren«. Ironischerweise glaubte Pokrowski hundert Jahre später — wie oben schon erwähnt —, daß Ernährungsgewohnheiten eine Hauptursache für die Säuglingssterblichkeit sei.64)

Sonja Kowalewski war überzeugt, daß ihr Vater nicht einmal ahnte, »über was für ein vielschichtiges Innenleben« seine Tochter verfügte, und daß er ihr Verhalten deswegen auch niemals begriff. Auf die Nachricht ihres »Fehltrittes« reagierte er nur mit der Feststellung, sie sei »ein schreckliches kleines Mädchen«.65)

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Von Wrangel schloß aus seinen Kindheitserfahrungen, daß man Kindern keine Seele zugestand. Sein Vater... »bemitleidete mich nur bei körperlichen Krankheiten und konnte sich wahrscheinlich noch nicht einmal vorstellen, daß es noch andere Leiden gibt«.66) Herzen beschrieb seine Kindheit als »bedrückend«, mit unzähligen Einschränkungen, die ihm aus gesundheitlichen und moralischen Gründen auferlegt worden waren. Er gesellte sich lieber den Dienstboten zu, weil diese ihn wie eine eigene Persönlichkeit behandelten.67) Da die Eltern in Adelskreisen nicht in der Lage waren zu verstehen, daß Kinder eigene Gefühle und Bedürfnisse hatten, war es für sie folgerichtig, für ihre erwachsenen Kinder Berufsweg und Ehegatten auszuwählen. Bei den Bauern war es nicht anders, es sei denn, der Gutsbesitzer griff ein.

 

     Der Kampf um Selbständigkeit   

 

Bisher habe ich die Einzelheiten der Säuglingspflege geschildert und versucht, die Einstellung der Eltern zu beschreiben. Während ich die Bedingungen der russischen Kindheit auswertete, konnte ich mich von der Richtigkeit der Annahme des Historikers David Hunt überzeugen, daß die zweite psychosoziale Phase von Erik Eriksons Modell für Historiker besonders wichtig ist.68)

Gerade in dieser Phase, wenn es die Kontrolle über Motorik und Sprache erlangt und lernt, Objekte voneinander zu unterscheiden, konzentriert sich das Bedürfnis des Kindes auf das Streben nach Autonomie, nach Selbständigkeit. Entscheidend für diesen Prozeß ist die Handhabung der Kontrolle durch die Eltern. Kinder müssen lernen, ihre Funktionen selbst zu regulieren, wenn sie ein Gefühl von Stolz und Selbständigkeit entwickeln sollen. Zuviel Kontrolle der Eltern führt zu einem dauernden Gefühl von Selbstunsicherheit. Andererseits müssen die Eltern das Kind davor schützen, seine noch unerprobten Kräfte zu überschätzen, damit es nicht ständig versagt und ein bleibendes Schamgefühl zurückbehält. In modernen Gesellschaften ist wahrscheinlich die Sauberkeitsgewöhnung das zentrale Ereignis dieser Phase. Gerade gegenüber der Shinkterkontrolle waren die Russen jedoch gleichgültig.69)

Der »Kampf um Selbständigkeit« — wie Erikson ihn nennt — spielte sich hier eher im Gesamtkontext aller Entwicklungsschritte während der Kindheit ab. Die russische Kindheit kann verstanden werden als Versuch der Eltern, die Entwicklung ihrer Kinder zur Selbständigkeit zu verhindern.

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Die herkömmlichen Methoden der Kinderaufzucht sorgten dafür, daß die Kinder kaum in das Erleben der Erwachsenen eindrangen. Weil Kinder aber manchmal einfach in die Welt der Erwachsenen eindringen müssen, mußten sie in ihrem Verhalten streng kontrolliert und in ihrer Selbständigkeit unterdrückt werden. Auf individuelle Autonomie wurde in der russischen Gesellschaft üblicherweise kein Wert gelegt, und bereits in der Familie wurde die Selbständigkeit des einzelnen zukünftigen Staatsbürgers unterdrückt.

Um den Willen eines Sohnes zu brechen, riet der aus dem fünfzehnten Jahrhundert stammende Domostroj einem Vater: »Lasse ihm in seiner Jugend nicht seinen Willen, sondern brich sein Rückgrat, solange er noch klein ist; sonst wird er sich verhärten und aufhören, dir zu gehorchen. Dann wird deine Seele Kummer und Sorge haben.....«70)

Diese Einstellung wurde noch durch solche Sprichworte bestärkt wie: »Wenn Gott dir Söhne schenkt, sei nicht faul, lehre und züchtige sie«, und »wenn er seinem Vater nicht gehorcht, wird er der Peitsche gehorchen«.71) Der Historiker Kostomarow schrieb, daß im siebzehnten Jahrhundert »zwischen Eltern und Kindern ein Geist von Sklaverei herrschte, und zwar unter dem Deckmantel heiliger patriarchalischer Beziehungen ..... Der Gehorsam des Kindes war eher sklavisch als kindgerecht, und die elterliche Macht wurde — bar jeden ethischen Wertes — zu blindem Despotismus.«72)

Beim großen Adelskonvent, der von Katharina II. 1767 einberufen wurde, war eine der Forderungen die nach zusätzlicher Macht über die Söhne. Die Analyse einer Reihe von Forderungen nach freier Verfügung über das Erbe zeigt, daß »offenbar kein Gedanke an wirtschaftliches Wachstum vorhanden ist, sondern nur der Wunsch, Väter dazu zu ermächtigen, Gehorsam und Dankbarkeit zu belohnen und unwerte Söhne zu bestrafen«.73)

Der Erlaß von 1775, der die Einrichtung von Armenhäusern in jeder Provinz anordnete, sah als mögliche Bewohner u.a. »Personen beiderlei Geschlechts« vor, »die nutzlos oder hilflos sind, wie z.B. ungehorsame Söhne und Töchter oder solche, die ein schlechtes Leben führen.....«74)

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Bei den Bauern war die elterliche Autorität nahezu grenzenlos. Mehrere Reisende beschrieben, wie Bauernväter beispielsweise ihren Sohn an irgendein Mädchen aus dem Dorf verheirateten; der frischgebackene Ehemann wurde dann zur Arbeit in die Stadt oder aufs Feld geschickt und die Schwiegertochter blieb zu Hause — den Launen ihres Schwiegervaters ausgesetzt:

Väter verheiraten ihre Söhne schon sehr früh an ein blühendes Dorfmädchen. Dann schicken sie die jungen Männer, die ihre Bräute schon wenige Tage nach ihrer Hochzeit in der Obhut der Schwieger­eltern zurücklassen müssen, zur Arbeitssuche nach Moskau oder Petersburg. Wenn der Sohn nach Ablauf einiger Jahre ins Elternhaus zurückkehrt, findet er sich nach dem Gesetz als Vater einer Reihe von Kindern, den Abkömmlingen seines eigenen Vaters, der es als eine Pflicht betrachtet hatte, der jungen Frau auf diese Weise den Ehemann zu ersetzen. Das ist in ganz Rußland üblich und wird von den Betroffenen nicht als Unrecht angesehen.....75)

 

Leroy-Beaulieu, der im neunzehnten Jahrhundert durch Rußland reiste, beobachtete, wie ein älterer Bauer einen jungen Mann mit Schimpfworten und Schlägen überschüttete. Als man versuchte, die beiden zu trennen, widersprach der jüngere Bauer mit den Worten: »Laßt uns in Ruhe; er ist mein Vater.«76)

Eine juristische Autorität aus dem neunzehnten Jahrhundert schreibt: »Die Pflicht, sich seinen Eltern zu unterwerfen, erlischt erst mit deren Tod ...... deshalb nehmen gewöhnlich erwachsene, ja sogar verheiratete Kinder häusliche Strafen (wie Stockschläge) hin.«77) Ein Sprichwort trifft den Kern der Sache noch besser: »Wenn die Erde die Eltern empfängt, empfangen die Kinder ihre Freiheit.«78) Auf diese Weise stärkten Staatsgewalt und überlieferte Sitte bei Bauern und Adligen die elterliche, besonders die väterliche Autorität.

Viele adlige Kinder erkannten klar, daß sie in ihrer persönlichen Selbständigkeit dem elterlichen Willen genauso unterworfen waren wie die Leibeigenen. Deshalb sympathisierten sie mit ihnen und handelten wie sie. Im Haus des künftigen Romanschriftstellers Turgenjew verbündeten sich die Kinder mit den Leibeigenen, um den Befehl der Hausherrin zu vereiteln, die Kinder der Magd ins Waisenhaus zu schicken.79) Herzen führte mit der leibeigenen Dienerschaft einen Kleinkrieg gegen seinen eigenen Vater.80) Der junge v. Wrangel gelobte mit seiner Schwester, daß sie, wenn sie groß wären, alle Leibeigenen freilassen und sie und ihre eigenen Kinder nie ungerecht behandeln würden.81)

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In einer Gesellschaft mit solcher Tradition war die Verhinderung von Selbständigkeit Mittel zum Zweck; denn der Zar war das Inbild einer guten Autorität, ein strenges, furchterregendes »Väterchen«, der seine väterliche Gewalt über seine Familie von Untertanen ausübte; es war eine Gesellschaft, die darauf bedacht war, individuelle Initiative zu entmutigen und persönliche Rechte zu ignorieren. Und in vielen Fällen wurden der kindliche Ärger über den Vater und die Sympathie mit den Leibeigenen von Erwachsenen in gegen die Regierung gerichtetes Handeln umgesetzt.82)

 

Aber Hunts Erklärung,83) daß die Väter die Selbständigkeit ihrer Söhne behinderten, weil die Gesellschaft auch die Selbständigkeit der Erwachsenen einschränkte, ist unzureichend. Dabei bleibt nämlich offen, warum sich die Gesellschaft in dieser Weise entwickelte. Meines Erachtens liegt dies in den Abwehr­mechanismen begründet, die das Ich im Konflikt zwischen dem Drang nach Selbständigkeit und der niederdrückenden übermäßigen Kontrolle der Eltern entwickelt.

Könnte beispielsweise die übertriebene Ergebenheit von Söhnen gegenüber Vätern, von Leibeigenen gegenüber Herren und von Adligen gegenüber dem »Väterchen« eine Reaktionsbildung im Dienste des Ichs bzw. der Verdrängung der Selbständigkeitsbestrebungen sein? Könnte andererseits der »blinde Despotismus« — mit Kostomarow gesprochen —, mit dem Eltern über Kinder und Adlige über Leibeigene herrschten, der verstärkte und direkte Ausdruck des ursprünglichen Dranges nach Selbständigkeit sein, der sich in begrenzten Tätigkeitsfeldern äußerte?

Diese Interpretation stützt eher die These, daß die Gesellschaft sich nach der Prägung in der Kindheit entwickelt und nicht umgekehrt. Für dieses Kapitel können wir jedoch als wesentlichen Punkt festhalten, daß die Entwicklung zur Selbständigkeit des Kindes behindert wurde und die soziale und politische Umwelt diese Behinderung unterstützte.

*

 

    Veränderungen in der Kindheit  

Ich habe mich mehr als üblich um dich gekümmert,
weil ich einfach der Stimme meines Herzens folgte.
 Radischtschew

Im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert änderte sich das traditionelle Muster der Kindheit in Rußland. Der Wunsch von Adligen, bei Katharina das Recht zu erwirken, in ihrem Testament nach eigenem Ermessen über die Aufteilung ihres Erbes verfügen zu dürfen — ein Recht, mit dem sie ihre Söhne kontrollieren wollten — zeigt, daß es in der Ausübung der herkömmlichen väterlichen Autorität Probleme gab.

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In seinen Memoiren beschrieb Polunin den Despotismus seines Großvaters, eines Kaufmannes um 1850, als Eckpfeiler des Familienlebens. Demgegenüber war sein eigener Vater 30 Jahre später sanft und liebevoll und gestattete seinem Sohn, eine eigene Meinung zu haben.84) In dem Zündstoff liefernden Buch <Eine Reise von Petersburg nach Moskau> (1790) beschrieb Alexander Radischtschew einige Szenen, die mit den herkömmlichen Methoden der Kinderaufzucht übereinstimmten. Über den Verkauf einer Gruppe Leibeigener schreibt er z.B.:

Die vierzigjährige Frau ist eine Witwe, die Amme des jungen Herren. Bis heute empfindet sie ihm gegenüber eine gewisse Zärtlichkeit. Ihr Blut fließt in seinen Adern. Sie ist seine zweite Mutter, und er verdankt sein Leben mehr ihr als seiner wirklichen Mutter, die zwar den Augenblick der Empfängnis genossen, sich aber in seiner Kindheit nicht um ihn gekümmert hatte. Seine Amme war seine wahre Mutter.85)

In einem anderen Teil des Buches entwirft Radischtschew ein literarisches Porträt eines unkonventionellen Vaters, der sich von seinen zwei erwachsenen Söhnen verabschiedet, die in den Staatsdienst treten wollen. Der alte Edelmann erklärt seinen Söhnen, daß sie nicht bei Kindermädchen und Hauslehrern, sondern unter den Augen ihres Vaters aufgewachsen seien, die der Autor als Augen voll »freundlicher Vernunft« beschreibt. Dann erzählt der Edelmann seinen Söhnen:

Von eurer Kindheit an habt ihr von mir niemals einen Zwang erfahren. Ihr solltet euch weder durch Schüchternheit noch durch blinden Gehorsam eingeengt fühlen ... Wenn ich meinte, daß ihr in eurer Kindheit von dem Weg, den ich euch bereitet hatte, kraft eines Zufalls abgebracht wurdet, dann hielt ich euch an, oder besser, dann führte ich euch unmerklich auf den alten Weg zurück, genauso wie ein Strom, der die Deiche durchbricht, von einer geschickten Hand wieder zurückgeleitet wird.86)

Das Bild allein zeigt schon, worum es geht: keine Behinderung, sondern frei fließende Entwicklung unter geschickter Führung, aber innerhalb weitgesteckter Grenzen.

Doch es bleibt die Frage, wie ein Mensch, dessen Selbständigkeit in der Kindheit durch die üblichen Erziehungsmethoden unterdrückt worden war, als Erwachsener entweder die väterliche Autorität herausfordern konnte (wie die Söhne Adliger um 1760) oder als Eltern die Entwicklung seiner Kinder zur Selbständigkeit zulassen konnte.

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Von einem Erwachsenen, der in seinem Leben wenig Erfahrung im Umgang mit Selbstbestimmung hatte, kann man kaum erwarten, daß er die Bemühung seiner Kinder, eigenständig zu handeln, toleriert. Außerdem fordert ein solches Kind die Eltern geradezu heraus, da die Familie der einzige Ort war, an dem die Eltern selbst freie Macht ausüben konnten. Das Grundbedürfnis des Kindes nach Eigenständigkeit war eine Bedrohung für die geringe Selbständigkeit der Erwachsenen und mußte deswegen unterdrückt werden. Wurde das Kind selbst Vater oder Mutter, erlebte es das gleiche Gefühl eingeschränkter Autonomie und die gleiche damit verbundene Bedrohung durch seine Kinder. So begann der Kreislauf immer von neuem. Meines Erachtens liegt der Ansatz für die Veränderung in der Eltern-Kind-Beziehung in einem äußeren Einfluß, der es dem einzelnen — Eltern und Kind — ermöglichte, außerhalb der Familie mit der Entwicklung von Autonomie zu beginnen.

 

In der traditionellen russischen Familie — und Gesellschaft —, in der das herrschende Wertsystem Gehorsam und Unterdrückung der individuellen Autonomie verlangte, hatte der einzelne kaum eine andere Wahl, als seinen Drang nach Selbständigkeit zu verdrängen und abzuwehren. Doch verdrängte Triebe können wieder an die Oberfläche gelangen, wenn die sozialen Bedingungen es zulassen. Das ist es, was meiner Meinung nach im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert in einzelnen Russen vor sich ging, die — entweder durch bestimmte Veränderungen oder durch Maßnahmen der Regierung — in neue Situationen gestellt wurden. Dann wurden sie dazu fähig, die in der Kindheit verhinderte Selbständigkeit zu erfahren. Und von einem Vater, der infolge eines plötzlichen Wandels kultureller Bedingungen erstmalig ein eigenes Gefühl von Selbständigkeit erlebte, kann man wohl erwarten, daß er eher bereit war, auch die Eigenständigkeit seiner Kinder zuzulassen, eine Haltung, die wahrscheinlich zu schweren Konflikten mit den eigenen Eltern und den überlieferten sozialen Werten führte.

 

Der Einfluß von schicksalhaften Ereignissen zeigt sich in den Familien von Wladimir Polunin und Nikolai Tschernyschewski, dem bekannten Literaturkritiker. Polunins Großvater Achim, ein wohlhabender Fischgroßhändler in Kursk in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, hielt seine Familie getreu dem Domostroj am kurzen Zügel. Er führte seinen Sohn Jascha in das Familienunternehmen ein und suchte auch eine Frau für ihn aus (natürlich nach Geschäfts­interessen).

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Aber dann wurde der Tod des Fischlieferanten zum Schicksalsschlag für das Familienunternehmen. Achims Schuldner weigerten sich, ihre Rechnungen zu bezahlen mit der Behauptung, das Geld würde nur den Erben des Verstorbenen zugute kommen, die es mit Sicherheit verschwenden würden. Achim dagegen fühlte sich moralisch verpflichtet, seine Verbindlichkeiten gegenüber dem Nachlaßvermögen zu begleichen.

Beides zusammen stürzte die Familie in den Bankrott. Jascha wurde dadurch gezwungen, Teehändler zu werden, schließlich nach Moskau zu ziehen und dort eine Verwaltungsposition in der Teefirma der Gebrüder Perlow zu übernehmen.87)

Tschernyschewskis Vater Gabriel war der Sohn eines Dorf-Diakons und wurde, wie es dem Brauch entsprach, in das örtliche Seminar geschickt, um denselben Beruf wie sein Vater, zu erlernen. »Doch 1880 wurde seine Karriere plötzlich durch einen ungewöhnlichen Umstand unterbrochen.«88) Der Priester an einer der bestsituierten Kirchen in Saratow starb und hinterließ eine fünfzehnjährige Tochter. Der Bischof von Penza beschloß, den jungen Gabriel nach Saratow zu schicken, damit er das Mädchen heiratete und auch das Kirchenamt übernahm.

 

In beiden oben beschriebenen Fällen entfernte ein zufälliges Ereignis den Sohn aus dem herkömmlichen Familienrahmen und brachte ihn in eine Situation, in der er auf sich selbst gestellt war und die seiner traditionellen Erziehung nicht entsprach. Die neue Situation erlaubte ihm, ja zwang ihn sogar, andere Verhaltensmuster zu entwickeln als die, die er sich unter der väterlichen Weisung angeeignet hatte; kurz, Polunin und Tschernyschewski konnten die Selbständigkeit entwickeln, die ihnen in ihrer Kindheit vorenthalten worden war. Beide wurden unkonventionelle Väter. Polunin war ein freundlicher, liebevoller Mann, der seinem Sohn seine eigene Meinung ließ. Tschernyschewski wurde beschrieben als ein Mann, der »seinen Sohn auf weise Art zur Selbsterziehung anleitete«; er war ein Mann, der dem jungen Nikolai Wertvorstellungen eher durch Beispiel als durch körperliche Strafe vermittelte.89)

 

Aus den Maßnahmen der zaristischen Regierung ergaben sich weitere Einflüsse auf die Veränderungen der Eltern-Kind-Beziehung. Besonders einschneidend war, daß man die Erziehung adliger Kinder dem Einfluß und Umfeld der Familie entzog.

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Peter I. (1689-1725) hatte zwar schon eine Pflichterziehung für alle zehnjährigen Söhne des Adels verordnet, mußte diesen Erlaß jedoch 1716 aufheben. 1722 wurde der Staatsdienst für alle Söhne des Adels zur Pflicht; und in dem Maße, wie die Ausbildung zur Voraussetzung für eine erfolgreiche Karriere im Staatsdienst wurde, wurde es für die Zehn- bis Zwölfjährigen üblich, das Elternhaus zu verlassen, eine Schule zu besuchen und später in den Staatsdienst einzutreten.

 

Wie Peter I. sah auch Katharina II. (1762-1796) in der Familie den Ursprung der Traditionen, die Rußlands Entwicklung zu einem »aufgeklärten« Staat aufhielten. Der Wunsch, durch Erziehungseinrichtungen, einen »neuen Menschentyp« zu schaffen, war einer ihrer Beweggründe, das Schulsystem zu entwickeln und auszubauen. Katharina hatte sogar geplant, die Kinder mit fünf Jahren aus der Familie zu nehmen,90) setzte diese Absicht jedoch nie in die Tat um.

Es ist schwer abzuschätzen, welche Auswirkungen die Trennung von der Familie aus Erziehungsgründen auf die Eltern-Kind-Beziehung hatte. Das Ausmaß, in dem ein junger Russe in der Schule seine Autonomie entwickeln konnte, hing wohl von der Haltung seiner Erzieher und von seinen eigenen Fähigkeiten und Erfahrungen ab.

Peter Kropotkin kann als Beispiel dafür angeführt werden, was die Schule für diese Entwicklung bedeuten konnte.

1862 beendete Kropotkin im Alter von 20 Jahren seinen fünfjährigen Dienst im Pagenkorps, in das sein Vater ihn eingeschrieben hatte, und entschied sich dann, seinen Militärdienst in Sibirien abzuleisten. Sein Vater verbot es; aber Großherzog Michael intervenierte, und Kropotkin bekam seinen Willen.91) Das ist ein typisches Beispiel dafür, wie Schule und öffentlicher Dienst gemeinsam die Entscheidungsgewalt des adligen Vaters über die Zukunft seines Sohnes einschränkten und es dem Sohn ermöglichten, eigene Entscheidungen über seinen Lebensweg zu treffen.

Das Leben von Grigori Belinski, Vater des bekannten Kritikers Vissarion, liefert ein anschauliches Beispiel für die Auswirkungen, die der Staatsdienst auf den einzelnen haben konnte. Grigori Belinski wurde 1784 als Sohn eines armen Dorfpriesters geboren. Da die Söhne traditionsgemäß auch im Priesterberuf das Erbe ihres Vaters antraten, wurde Grigori Belinski 1798 im Seminar von Tambow eingeschrieben.

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Im gleichen Jahr verabschiedete Zar Paul einen Erlaß, nach dem sich Seminaristen mit guten Latein­kenntnissen in die neueröffnete Medizinisch-Chirurgische Akademie von Petersburg einschreiben konnten; der Zar brauchte nämlich mehr Militärärzte.

Mit der Aufnahme in die Akademie wurde der Student von allen kirchlichen Verpflichtungen befreit. Für die Verpflichtung zu einem anschließenden befristeten Militärdienst erhielt er gewöhnlich ein Stipendium. 1804 tauchte der Name Grigori Belinski in der Immatrikulationsliste der Akademie auf. Hier zeigt sich ein entscheidender Bruch mit der Tradition. Die sozialen Begleitumstände des Krieges hatten eine konfliktfreie Wahlmöglichkeit geschaffen, die mit der traditionellen Lebensform brach. Vorbei war es nicht nur mit der üblichen Karriere in der Familie Belinski, sondern auch mit der Entscheidungsgewalt der Eltern, die das Leben eines jungen Russen herkömmlicherweise beherrschte.

Man weiß wenig über Belinskis medizinische Ausbildung und die folgende militärische Laufbahn. Doch was bekannt ist, deutet klar auf eine ständig zunehmende Autonomie seines Handelns hin. So heiratete er z.B. in Petersburg das Mädchen seiner Wahl und wurde im Krieg für persönlichen Mut ausgezeichnet. Als er wieder zu medizinischen Aufgaben in die Provinzstadt Chembar zurückkehrte, zog er sich bald zurück und verbitterte. Als Vater kümmerte sich Belinski jedoch äußerst sorgfältig um seinen Sohn. Er erzog ihn zu Hause und ließ ihn an der Universität von Moskau seine eigene Laufbahn wählen.

Kurz, der Schlüssel für die Veränderung in der Eltern-Kind-Beziehung in der russischen Familie des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts scheint in den zufälligen Ereignissen und den Maßnahmen der Regierung zu liegen, die den einzelnen in Situationen stellten, die es ihm bis zu einem gewissen Grad ermöglichten, außerhalb der Familie individuelle Autonomie zu entwickeln.

War dieses einzelnen gelungen, so wurden sie oft aus dem Konflikt mit der Gesellschaft und ihren Wert­vor­stellungen heraus zu Außenseitern. Das stand vielleicht hinter den Bemühungen der Adligen, bei Katharina zusätzliche Kontrolle über ihre Erben zu erreichen. Denn ihre Söhne akzeptierten vielleicht nach Schul- und Militärdienst­erfahrungen die absolute Herrschaft ihrer Vater nicht länger. Besonders deutlich zeigt sich der Konflikt mit den traditionellen Wertvorstellungen bei Kropotkin, der Anarchist wurde, wie auch bei Grigori Belinski und Gavriil Tschernyschewski, die innerhalb ihrer Umgebung bald zu Außenseitern wurden.92)

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Doch als Väter kümmerten sich Belinski und Tschernyschewski liebevoll um ihre Söhne und förderten aufgrund der Erfahrung eigener Autonomie die Selbständigkeit ihrer Söhne. Beide Söhne Wissarion Belinski und Nikola Tschernyschewski wurden wie ihre Väter in der Auseinandersetzung mit den traditionellen Wertvorstellungen der russischen Autokratie zu Außenseitern.

 

Die Veränderungen in den Kindheitsbedingungen hatten vermutlich tiefen Einfluß auf die russische Gesell­schaft. Seit Anfang des achtzehnten bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein beherrschte die russische »Intelligenz« (intelligencija) das kulturelle Leben und brachte revolutionäre Bewegungen hervor. Diese »Intelligenz« kann als eine Gruppe einzelner Gebildeter definiert werden, die individuelle Werte über die traditionellen stellte.

Wenn man die ersten Lebensjahre von Angehörigen der »Intelligenz« gründlich untersucht, findet man, daß die Kindheit meist unkonventionell verlaufen war. Es gab zwischen Eltern und Kindern zwar Auseinander­setzungen, auffälliger ist jedoch die enge Beziehung zwischen ihnen und die Aufmerksamkeit und Hilfestellung, die dem Kind vom Erwachsenen zuteil wurde. Bei Männern war dieser Erwachsene meist ihr Vater, wie bei Belinski und Tschernyschewski.

Das gleiche gilt auch für den Anarchisten Michail Bakunin, dessen Vater »seine Kinder mit weiser und weitsichtiger Liebe verwöhnte und, nach Aussagen seines ältesten Sohnes, stets nachsichtig und freundlich war«.93)

Bei Frauen übernahm die Mutter gewöhnlich die Rolle des liebevollen Erwachsenen. In einer kürzlich erschienenen Untersuchung über Wera Figner, Sofia Perowskaja und andere herausragende Frauen der revolutionären Bewegungen um 1870 bemerkt Barbara Engel: »Wenn wir nach einem Generationskonflikt zwischen diesen Töchtern und ihren Müttern suchen ..... entdecken wir, daß es im großen und ganzen keinen gab. Viel auffälliger ist das große Maß offener oder stillschweigender Unterstützung, die diese und andere Frauen von ihren Müttern erfahren haben.«94)

Demnach scheinen die Ursprünge wenigstens eines Großteils der »Intelligenz« in veränderten Kindheits­bedingungen zu liegen. Unkonventionell aufgewachsen und liebevoll unterstützt und gefördert, fanden diese jungen Männer und Frauen die russische Gesellschaft mit ihren Wertvorstellungen unerträglich. Sie trachteten danach, sie durch kulturelle Umwälzungen oder Revolution zu ändern.

So wissen wir auch von Lenins Vater, daß er »seinen Kindern die Kunst des Schachspiels beibrachte und regelmäßig mit seinen Söhnen spielte«.95)

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   Anmerkungen  

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1)  O razmnosenii i sochranenii rossijskogo naroda. Zu Lomonossows kinderheilkundlichen Interessen siehe E. M. Konius, Istoki russkoj pediatrii, Moskau 1946, S. 73-76, und V. S. Vail', Ocerki po istorii russkoj pediatrii vtorojpoloviny XIX veka, Stalingrad 1959, S. 3-5.

2) William T. Shinn, Jr., »The Law of the Russian Peasant Household«, Slavic Review, XX, 4 (1961), S. 605.

3) Geoffrey Gorer und John Rickman, The People of Great Russia, New York 1962, S. 98.

4) Richard Pipes, The Formation of the Soviet Union. Communism and Nationalism. iyij-2$, New York 1968, S. 2.

5) Aleksandr V. Teresechenko, Byt russkogo naroda, 7 Bde. in 2, St. Petersburg 1848, III, S. 46.

6)  Die Untersuchung wird erwähnt bei Vail', Ocerki, S. 67. (E. A. Po-krowski, PervonacaVnoje fiziceskoje vospitanije detej, Moskau 1888, S. 3.)

7)  Ebd. in einem früheren Werk, Fiziceskoje vospitanije detej u raznych narodov preimyscestvenno Rossii, Moskau 1884, S. 272, führt Pokrowski die Säuglingssterblichkeitsquote mehrerer europäischer Länder zum Vergleich an: Von 100 Säuglingen starben in Norwegen 10,4, in Dänemark 14,4, in England 15,4, in Frankreich 17,3 und in Rußland 32,6.

8)  Ebd., S. 41-48.

9)  Konius, Istoki, S. 73.

 

10)  Gavriil P. Uspenskii, Opyt' povestvovanija 0 drevnostijach ruskich, 2 Bde. in 1; Charkov 1818, I, 129.

11)  Nestor Maksimowitsch-Ambodik, Fiziologija ili jestjestvennaja istorija 0 celoveke, St. Petersburg 1787.

12)  Über den Gebrauch von Buchan, siehe z. B. Sergej Aksakov, Years of Childhood, übers, von Alec Brown, New York 1960, S. 10.

13)  Pokrowski, Fiziceskoje vospitanje, S. 41.

14)  Die letzten beiden Absätze stützen sich auf ebd., S. 42-48, 135-36. Siehe auch Robert Pinkerton, Russia, or Miscellaneous Observations, London 1833, S. I53-56-

15)  Konius, Istoki, S. 97.

16) Nikolai I. Nowikow, O vospitanii i nastavlenii detej, Izbrannyje peda-gogiceskije socinenija, hrsg. von M. F. Sabaeva, Moskau 1959, S. in.

17) Maksimowitsch-Ambodik, Fiziologija, S. xx.

18 Pokrowski, Fiziceskoje vospitanije, S. 41.

19 Konius, Istoki, S. 73-74.

 

20 Ebd., S. 97-98.

21 Maksimowitsch-Ambodik, Fiziologija, S. xxiv.

22 Nowikow, O vospitanii, S. 114. «

23 O sposobach otvrascat' smertonost' mladencev na pervom godu zizni v bytu krest'ianskom, in Vau', Istoki, S. 238; Guthrie, Through Russia, 2 Bde. in 1; New York 1970, I, S. 259-60.

24 Otvet peterburgskogo obscestva detskich vrachej na zapros S. P. Botina o pricinach vysokoj detskoj smertnosti, in: E. M. Konius, Ocerkipo istorii russkoj pediatrii, Puti razvitija sovetskoj ochrany materinstva i mladen-cestva, Moskau 1954, S. 18.

25 Pokrowski, Fiziceskoje vospitanije, S. 271-72.

26 Anon.: The Common Errors in the Education of Children and their Consequences, London 1744, S. 10.

27 Vail', Ocerki, S. 4; Konius, Istoki, S. 73-74 (auf Seite 29 befindet sich auch ein Bild mit einem Kaltwasserbad); Pinkerton, S. 153.

28 Pokrowski, Fiziceskoje vospitanije, S. 100.

29 Ebd., S. 77-78.

 

30 Guthrie, S. 57.

31 Pokrowski, Fiziceskoje vospitanije, S. 244.

32 Aus seinen Erinnerungen in Russia Under Western Eyes, hrsg. von Anthony Gross, New York 1971, S. 290.

33 Pokrowski, Pervonacal'noje fiziceskoje vospitanije, S. 255.

34 Einige Materialien dazu, wie Bräuche bis ins 20. Jh. heinein bestanden, finden sich bei Gorer, Great Russia, S. 106-07, I42-

35 Wilson R. Augustine, »Notes Toward a Portrait of the Eighteenth Century Russian Nobility«, Canadian Slavic Studies, IV, 1970, S. 384.

36 Shinn, »Russian Peasant«, S. 601-05; Dmko Tomasic, The Impact of Russian Culture on Soviet Communism, Glencoe 1953, S. 82-85.

37 »Child Rearing in Certain European Countries«, American Journal of Orthopsychiatry, XIX (1949), S. 345.

38 Marc Raeff, »Home, School, and Service in the Life of the Eighteenth-Century Russian Nobleman«, The Structure of Russian History, hrsg. von Michael Cherniavsky, New York 1970, S. 215.

39 Sergei T. Aksakov, Chronicles of a Russian Family, übers, von M. C. Beverly, London und New York 1924, S. 205.

 

40 Letters of Nikolai Gogol, übers, und hrsg. von Carl R. Proffer, Ann Arbor 1967, S. 44-45.

41 Sonja Kowalewski, Her Recollections of Childhood, übers, von Isabel F. Hapgood, New York, 1895, S. 3~8.

42 Aksakov, Years, S. 3.

43 Siehe z. B. My Past and Thoughts. The Memoirs of Alexander Herzen, übers, von Constance Garnett, rev. von Humphrey Higgins, New York 1968, I, 23.

44 Zitiert bei Marthe Blinoff, Life and Thought in Old Russia, University Park, Pennsylvania 1961, S. 35.

45 Reaff, The Origins of the Russian Intelligentsia. The Eighteenth-Century Nobility, New York 1966, S. 123.

46 Vladimir Polunin, Three Generations, Family Life in Russia, 1845-1902, übers, v. A. F. Birch-Jones, London 1957, S. 5.

47 Letters, S. 199.

48 Nowikow, O vospitanii, S. 95.

49 Kowalewski, Recollections, S. 34.

 

50 Sergei I. Witte, The Memoirs of Count Witte, übers, von Abraham Yarmolinskiy, Garden City 1921, S. 10.

51 Bettye Caldwell, »The Effects of Infant Care«, Review of Child Development Research, hrsg. von M. L. und Lois Hoffmann, I, New York 1964, S. 61-62.

52 Blinoff, Old Russian, S. 35.

53 Nowikow, O vospitanii, S. 169-70.

54 Herzen, My Past and Thoughts, I, S. 77-78.

55 Nikolai E. Wrangel, Memoirs of Baron N. Wrangel, 1847-1920, übers, von Brian und Beatrice Lunn, Philadelphia 1927, S. 14.

56 Wesley C. Becker, »Consequences of Different Kinds of Parental Disci-pline«, Review of Child Development Research, I, S. 176-77.

57 Fodor Dostojewski, The Diary of a Writer, übers, v. Boris Brasol, New York 1949, I, 211, 459 [deutsch: Tagebuch eines Schriftstellers'].

58 Anton Tschechow: »Schlafen, nur schlafen« aus Erzählungen der Mittleren Jahre 1887-1892, München (1968).

59 Pokrowski, Fiziceskoje vospitanije, S. 36.

 

60 Zitiert bei Raeff, »Home, School, and Service«, S. 215.

61 Gogol, Letters, S. 46.

62 Herzen, My Past and Thoughts, S. 23.

63 Raeff, »Home, School, and Service«, S. 213.

64 Nowikow, O vospitanij, S. 95.

65 Kowalewski, Recollections, S. 47-49.

66 Wrangel, Memoirs, S. 14-15.

67 Herzen, My Past and Thoughts, S. 37, 27.

68 David Hunt, Parents and Children in History, New York 1970.

69 Gorer, Great Russia, S. 100.

 

70 Zitiert bei Blinoff, Old Russia, S. 35.

71 Tomasic, Impact of Russian Culture, S. 81.

72 N. I. Kostomarow, Ocerk domasnej zizni i nravov velikorusskogo naroda, St. Petersburg 1860, S. 408.

73 Augustine, »Notes«, S. 408.

74 I. Gurevic, Rodiieli i deti, St. Petersburg 1896, S. 44.

75 Robert Ker Porter, Travelling Sketches in Russia and Sweden, 1805-08, in: Seven Britons in Imperial Russia, hrsg. v. Peter Putnam, Princeton 1952, S. 327-28. Siehe auch Tomasic, Impact of Russian Culture, S. 82; Georg Brandes, Impressions of Russia, New York 1966, S. 44.

76 Anatole Leroy-Beaulieu, The Empire of the Tsars and the Ru&ians, übers, v. Zenaide Radozin, New York 1893, I> S. 4^9-

77 Gurevic, Roditeli, S. 44.

78 Tomasic, Impact of Russian Culture, S. 93.

79 V. Zhitova, The Turgenev Family, übers, v. A. S. Mills, London 1947, S. 42-43.

 

80 Herzen, My Past and Thoughts, S. 77-78.

81 Wrangel, Memoirs, S. 44.

82 Siehe beispielsweise Marin Malia, Alexander Herzen and the Birth of Russian Socialism, Cambridge 1961, S. 32; Peter Kropotkin, Memoirs of a Revolutionist, Garden City 1962, S. 38-39, 204-07.

83 Hunt, Parents and Children, S. 153.

84 Polunin, Three Generations, S. 141-42.

85 Alexander Radishchev, A Journey from St. Petersburg to Moscow, übers, v. Leo Wiener, Cambridge 1958, S. 188-89.

86 Ebd., S. 113.

87 Polunin, Three Generations, S. 141-42.

88 William F. Woehrlin, Chemyshevskii: The Man and the Journalist, Cambridge 1971, S. 13.

89 Ebd., S. 18-19.

 

90 Konius, Istoki, S. 91; siehe auch Elaine Elnett, Historie Origin and Social Development of Family Life in Russia, 2, Aufl., New York 1927, S. 54.

91 Kropotkin, Memoirs, S. 124-28.

92 Über Tschernyschewski siehe Woehrlin, Chemyshevskii, S. 23-25; über Belinski siehe Patrick P. Dünn, »V. G. Belinskii: The Road to Reality, 1811-41« (Unveröffentlichte Dissertation, Duke University, 1969), S. 4-6, und »Perepiska Belinskogo s rodnymi«, hrsg. v. A. Akskariats, et al. Literaturnoje nasledstvo, Bd. 57; V. G. Belinskij, III, Moskau 1959, S. 30, 60-62.

93 E. H. Carr, Michael Bakunin, New York 1961, S. 7.

94 Barbara Engel, »Mothers and Daughters. A Model for Feminine Solida-rity in the Revolutionary Movement of the 1870's« (ein unveröffentlichter Vortrag, der 1973 vor dem Kongreß der American Association for the Advancement of Slavic Studies gehalten wurde), S. 1, 3.

95 Nikolai Valentinov (N. V. Volski), The Early Years of Lenin, übers, v. Rolf H. W. Theen, Ann Arbor 1969, S. 33

 

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9. <Der Feind ist das Kind> Kindheit im zaristischen Rußland Von Patrick Dunn