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Geleitwort des Club of Rome

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Claude Martin hat ein großartiges Buch über die Tropenwälder vorgelegt, welches der Club of Rome nach sorgfältiger Prüfung mit großer Freude und in Dankbarkeit als Bericht akzeptiert hat. Endspiel - Wie wir das Schicksal der tropischen Regenwälder noch wenden können ist damit der 34. Bericht an den Club of Rome.

Der erste Bericht erschien 1972 - die berühmten Grenzen des Wachstums. Claude Martins Buch bringt wesentliche, entscheidende und neue Aspekte in die globale Debatte um die Zukunft der Menschheit und unseres Planeten ein. Dies ist das wichtigste Kriterium für einen »Bericht an den Club of Rome«.

Der Club of Rome war eine der ersten und einflussreichsten Organisationen, die sich langfristigem Denken und der systemischen Analyse wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Fragestellungen widmete. Dieses Denken stand am Anfang der Umweltbewegung, die sich in den 1970er-Jahren formierte; sie beeinflusste Millionen von Menschen über eine ganze Generation hinweg. Es hat in den letzten Jahrzehnten auch maßgeblich dazu beigetragen, visionäre politische Grundsatzentscheidungen auszulösen. Der Club of Rome setzte somit das langfristige Denken und die Analyse der größten Zukunftsherausforderungen für die Menschheit ganz oben auf die internationale Agenda.

In Endspiel präsentiert Claude Martin den geschichtlichen sowie aktuellen Stand der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem noch immer voranschreitenden Verlust tropischer Regenwälder und ihrer Rolle für die Klimastabilität. Der Bericht ist ein Weckruf, der uns allen die globalen Gefahren, die von der fortschreitenden Zerstörung ausgehen, und die Konsequenzen für unseren Planeten klar vor Augen führt. Er stellt aber auch jüngste positive Entwicklungen heraus und skizziert eine Reihe notwendiger Maßnahmen, die es auch künftigen Generationen ermöglichen würden, sich an der Magie unberührten Regenwaldes zu erfreuen.

Wir sind überzeugt, dass der Bericht Endspiel einen entscheidenden Beitrag dazu leistet, die Ursachen, die zur Degradierung und Zerstörung von Regenwäldern weltweit führen, besser verstehen und bewältigen zu können. Er veranschaulicht die Grundsätze für den Schutz tropischer Regenwälder und untersucht Möglichkeiten und Wege der Bewahrung eines Großteils der Biodiversität sowie der Kulturen indi-gener Völker auf unserem Planeten.

Endspiel gibt der Thematik der Zukunft tropischer Regenwaldgebiete ihren wichtigen Stellenwert zurück - und platziert sie wieder im Zentrum der globalen Umweltdebatte.

Anders Wijkman und Ernst Ulrich von Weizsäcker, Ko-Präsidenten des Club of Rome

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Vorwort von H. Lesch

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Im Regenwald feiert das Leben sich selbst. Es ist immer warm und immer feucht. Die tropische Sonne erwärmt den Regenwald auf durchschnittlich 25 Grad Celsius jahrein, jahraus. Und es regnet viel, ach was, manchmal schüttet es wie aus Kübeln, und zwar meistens am Nachmittag und am Abend. Gewaltige Gewitter begleiten die Niederschläge bis tief in die Nacht hinein. Und wenn sich dann tags darauf der Boden und die Luft wieder rasch erwärmen, verdunstet das Regenwasser als feuchtwarme Luft und ballt sich am Himmel in immer dichteren Wolken abermals zusammen. Wieder regnet es, und aufs Neue durchzucken Blitze den Himmel. Feuer, Wasser, Luft und Erde sind hier in Wallung, sind miteinander durch uralte Kreisläufe verbunden.

Wie die Ozeane, so wirken auch die Regenwälder wie gigantische Schwungräder des globalen Klimas. In diesem Netz der Urelemente bedient sich das Leben großzügig und entwickelt deshalb auch die größte Vielfalt an Flora und Fauna. Nirgendwo auf unserem Planeten ist die Gier des Lebens auf Entfaltung so spürbar wie in den tropischen Regenwäldern. Sie sind das Labor des Lebens, hier wird geschüttelt und gerührt, hier schlummern immer noch die größten Wunder und Geheimnisse.

Nach allem, was wir heute wissen, ist die Erde einzigartig. Ob auf anderen Planeten Leben, geschweige denn Leben in einer erdähnlich reichen Form existiert und jemals entdeckt werden wird, ist fraglich - eher werden in nicht allzu ferner Zukunft Abkömmlinge unserer Spezies auf dem Mars herumlaufen.

Ob die Menschheit bis dahin eine genauere Vorstellung von der tatsächlichen Biodiversität unserer guten alten Erde haben wird?

Erst ein Bruchteil der Tier- und Pflanzenarten ist bis heute wissenschaftlich erfasst, und wir sind drauf und dran, unseren größten Biodiversitätspool zu verlieren. Das Versuchslabor Regenwald wird geplündert und gerodet, und das ist gefährlich für die ganze Welt.

Jetzt kommt der Klimawandel noch als weitere Bedrohung hinzu: Regenwälder sind nicht nur Kohlenstoffsenken, die Klimaveränderungen machen die Regenwälder auch zu potenziellen Opfern lang anhaltender Trockenzeiten. Der Regenwald ist einer der wichtigsten Bestandteile der planetaren Kreisläufe, die Leben, auch das von uns Menschen, überhaupt erst möglich machen.

Aber wo die Gefahr wächst, wächst auch das Rettende, so der gute Hölderlin, der nie einen Regenwald gesehen hat. Aber er hat recht, denn die möglichst genaue Kenntnis der biologischen, chemischen und physikalischen Kreisläufe in diesem eng vernetzten Wunderwerk der Elemente und der Lebewesen macht den wirklichen Wert der Regenwälder deutlich. Dazu gehören auch die lokalen Bevölkerungen und Ureinwohner im Amazonas- und Kongobecken, in Borneo und Papua-Neuguinea, von deren jahrtausendealtem Wissen wir auch im Cyberzeitalter noch viel lernen könnten. Die objektiven Wissenschaften sagen uns, was für einen Schatz die Regenwälder darstellen. Sie sagen uns aber auch, was weg ist, ist weg - wenn wir nicht aufpassen.

Dieses ungewöhnliche »Dschungelbuch« von Claude Martin enthält all das, was man über den Regenwald wissen muss. Er macht aus seinem Herzen keine Mördergrube, sondern lädt uns ein, mit ihm durch dieses Paradies zu gehen, zu sehen und vor allem zu verstehen, warum wir dieses großartige Panoptikum des Lebens nicht den ökonomischen Zwängen opfern dürfen. Claude Martin erzählt und erklärt, schwärmt und ordnet ein. Und er zeigt die Chancen auf, die es immer noch gibt, das Allerschlimmste zu verhindern, und zwar jetzt! Ohne die Regenwälder wäre unsere Erde nicht mehr das, was sie gerade jetzt noch ist, eine wunderbare Welt voller Möglichkeiten, in der sich das Leben seit Jahrmilliarden ausprobiert und immer wieder aufs Neue zeigt, dass es sich zu leben lohnt. Verschwinden die Regenwälder, dann werden Räder und Kräfte in Gang gesetzt, denen wir hilflos ausgesetzt sein werden. Claude Martins Buch ist ein Erlebnis und ein Bekenntnis. Es gibt keine Alternative zum Optimismus. Also los!

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Prof. Dr. Harald Lesch

 


Einführung

»Überall geht ein frühes Ahnen dem späteren Wissen voraus.«
Alexander von Humboldt

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Als im Jahr 1972 der erste Bericht an den Club of Rome, Die Grenzen des Wachstums, veröffentlicht wurde, lebte ich gerade im Dschungel Zentralindiens, wo ich als junger und ziemlich unbedarfter Biologe arbeitete. Auf mich wie auch auf viele andere, die wegen der Konsequenzen des ungebremsten Wachstums und Ressourcenverbrauchs beunruhigt waren, hinterließ das Buch einen bleibenden Eindruck.

Die Begrenztheit der tropischen Regenwälder auf der Erde war nicht Gegenstand des Berichts. Die Ausdehnung dieser Wälder kannte man damals noch nicht, und die öffentliche Diskussion über ihr Schicksal hatte noch nicht begonnen. Zwar hatten einige wenige Wissenschaftler bereits ihrer Besorgnis Ausdruck verliehen, aber der Wissensstand, diese Wälder betreffend, hatte sich kaum über das hinausentwickelt, was in den historischen Berichten der frühen Forscher, Missionare und kolonialen Forstverwalter beschrieben wurde.

Viele der tropischen Länder, selbst die größten unter ihnen, hatten überhaupt keine Vorstellung davon, über welche Fläche sich der Regenwald auf ihrem Territorium ausdehnte.

Seit 1972 haben wir enorm viel Wissen dazugewonnen. Die wissenschaftliche Literatur über tropische Regenwälder ist geradezu explodiert, insbesondere in den letzten beiden Jahrzehnten. Heute verfügen wir über satellitengestützte Fernerkundungstechnologien, mittels deren wir einen Elefanten im Kongobecken erkennen und Waldrodungen von der Größe eines Hinterhofes nachverfolgen können. Wir verfügen über das Handwerkszeug, um nachvollziehen zu können, was den Wandel in der tropischen Landnutzung antreibt. Wird aber die internationale Gemeinschaft diese Instrumente auch wirklich nutzen, um die tropische Entwaldung und den Verlust an Biodiversität erfolgreich zu bekämpfen? Oder werden wir den langsamen Untergang dieser Wälder erleben, so wie wir ja bereits die verheerenden Folgen des Klimawandels in vielen Teilen der Welt erfahren?


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Wissenschaftsinstitute wie Nichtregierungsorganisationen publizieren derzeit Hunderte von Artikeln und Berichten pro Jahr zu den unterschiedlichsten Facetten des Themas Regenwald: zur Veränderung der Waldbedeckung, Fragmentierung des Waldes, Biodiversi-tät, Klimawandel und Kohlenstoff­speicherung. Allerdings arbeiten die meisten Wissenschaftler innerhalb ihrer eigenen wissenschaftlichen Disziplinen und veröffentlichen ihre Ergebnisse in spezialisierten Fachzeitschriften, ohne aufeinander Bezug zu nehmen oder eine Gesamtübersicht zu präsentieren. Forschungsarbeiten sind in hohem Maße fachspezifisch und für Nichtfachleute schwer zu lesen. Wenn nicht bekanntere Wissenschaftsmagazine wie Science oder Nature Forschungsergebnisse publizieren, deren Wirkung breit genug ist, um von den Medien aufgegriffen zu werden, dann kann es passieren, dass wesentliche wissenschaftliche Erkenntnisse von Politik und Öffentlichkeit nicht registriert werden.

Sprachbarrieren verschärfen dieses Problem zusätzlich. Der größte Teil der wissenschaftlichen Literatur über tropische Regenwälder kommt heute von Universitäten in den Vereinigten Staaten oder Großbritannien, und Wissenschaftsinstitute in einigen Sprachräumen haben oft Schwierigkeiten, die aktuelle Forschung zu verfolgen. Umgekehrt trifft dies allerdings auch zu. Forschungsarbeiten zur Ökologie der Regenwälder in den ehemaligen französischen und belgischen Kolonien in Afrika tauchen selten auf dem Radarschirm englischsprachiger Wissenschaftler auf. Dies ist ein Grund dafür, warum man allgemein annimmt, die afrikanischen Regenwälder seien biologisch verarmt und nicht ausreichend erforscht und verstanden. Vielleicht ist es ja nur die Sprache der Untersuchungen, die nicht ausreichend verstanden wird. In einem wunderbaren Buch von Jean-Pierre Van de Weghe, Forets d'Afrique Centrale, la Nature et l'Homme, beziehen sich etwa die Hälfte der mehr als 350 Literaturverweise auf französische Publikationen, die sich mit der Biologie der afrikanischen Regenwälder beschäftigen.

Geheimnis und Schönheit der äquatorialen Regenwälder wecken bei einem sehr breiten Publikum nach wie vor große Neugier und tiefe Emotion. Keine andere Vegetationszone hat so viele Bücher und Filme


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hervorgebracht wie der tropische Regenwald. Geht es hier nicht um die Gegenden, in denen unsere nächsten Verwandten überlebt haben und immer noch leben? Seit dem Beginn des neuen Jahrtausends jedoch scheint das öffentliche Interesse an tropischen Regenwäldern ins Stocken geraten zu sein. Mit der wachsenden Anzahl globaler Umweltprobleme leiden einige Naturschutzorganisationen an Ermüdungserscheinungen, das Thema Regenwald zu verfolgen. Seit sich die Welt voll auf den Klimawandel konzentriert, sind die tropischen Regenwälder zur bloßen Kohlenstoffsenke degradiert worden. Diese grob reduktionistische Sichtweise hat Aufmerksamkeit und Interesse der Öffentlichkeit in Bezug auf das Überleben dieser Wälder wieder zurück auf eine technische und akademische Diskursebene gelenkt, die für die meisten Menschen uninteressant oder nicht zugänglich ist.

In den vergangenen Jahren hatte ich immer öfter den Eindruck, dass viele Leute davon überzeugt zu sein scheinen, die Vernichtung des tropischen Regenwaldes sei kein Thema mehr oder das Anliegen, sie zu retten, ohnehin chancenlos. Beides ist nicht zutreffend; ohne öffentliche Aufmerksamkeit jedoch wird sich nicht genug politischer Druck aufbauen lassen für Maßnahmen gegen die immensen wirtschaftlichen Kräfte, die in der Lage sind, die verbleibenden Gebiete des unberührten tropischen Regenwalds zu zerstören.

 

Die ungeschminkte Wahrheit ergründen

 

In diesem Buch habe ich versucht, einen Überblick über den derzeitigen Wissensstand in Bezug auf die tropischen Regenwälder der Erde zu geben. Ich habe dieses Buch nicht einfach deshalb geschrieben, weil ich schon immer von ihnen fasziniert war; vielmehr wollte ich die ungeschminkte Wahrheit entdecken und Antworten finden, Antworten auf die Fragen, warum wir diese Wälder verlieren, obwohl sie so lebenswichtig für die Zukunft der Biodiversität auf unserem Planeten sind, und was wir tun können, um zumindest das zu bewahren, was noch übrig ist. Ich gebe meine Erkenntnisse weiter in der Hoffnung, durch meine Arbeit auch bei anderen Menschen Interesse und Motivation zu wecken.


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Obwohl ich mich bemüht habe, die wichtigsten Erkenntnisse der wissenschaftlichen Literatur, insbesondere der jüngsten Forschungsarbeiten, abzudecken, behandelt dieses Buch nur einen Bruchteil dessen, was in den Tausenden Artikeln und Büchern, die in den letzten Jahrzehnten veröffentlicht worden sind, nachzulesen ist. Ich erhebe daher selbstverständlich nicht den Anspruch, den riesigen Reichtum an Wissen über die Biodiversität aller tropischen Regenwälder und der indigenen Gemeinschaften, die darin wohnen, vollständig darzulegen. Ich habe mich lediglich mit solchen Aspekten und Trends be-fasst, denen ich die höchste Relevanz zuschreibe, wenn es um die Zukunft des größeren Teils der tropischen Regenwälder geht. Um meine eigene Beurteilung und Erfahrung zu ergänzen und abzurunden, habe ich acht Experten gebeten, zu bestimmten Fragen ihre eigene Sichtweise beizusteuern.

Es ist meiner Meinung nach wichtig, gegenüber den Fragen, welche die Zukunft der tropischen Regenwälder betreffen, einen pragmatischen Standpunkt einzunehmen. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) sagt für die Zeit zwischen 2015 und 2050 einen 60-prozentigen Anstieg beim weltweiten Bedarf an landwirtschaftlichen Produkten voraus - eine Folge der Zunahme der Weltbevölkerung, der Urbanisierung und der Veränderungen in den Ernährungsgewohnheiten, insbesondere des raschen Anstiegs beim Fleisch- und Palmölverbrauch in den Schwellenländern. Es könnte so kommen, dass die Welt die tropischen Regenwälder buchstäblich aufisst, da geeignete Flächen zur Ausweitung der Landwirtschaft anderswo kaum noch zur Verfügung stehen. Leider bringt es mehr Profit, ein paar Tonnen Rindfleisch oder Tiernahrung pro Hektar zu produzieren, als ebendiesen Hektar intakten tropischen Regenwald zu erhalten. Solange das gängige ökonomische Leitbild der Gewinnmaximierung zu derart drastischen Fehlentwicklungen führt, bleiben die nationalen Regierungen und die internationale Gemeinschaft - ganz zu schweigen von den indigenen Waldbewohnern - in einer schwachen, wenn nicht vollkommen machtlosen Position.

Wollen wir den tropischen Regenwald verstehen und erhalten, dann ist es nicht hilfreich, ihn in ein romantisches Licht zu rücken; ich will also auf alle Vorstellungen dieser Art verzichten, vor allem, weil andere dies schon viel überzeugender getan haben, als es mir je gelingen könnte. Das soll nicht heißen, dass ich nicht tiefe Anerken-


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nung empfinde gegenüber den frühen Beschreibungen der Wunder des tropischen Regenwaldes, etwa von Charles Darwin, Alexander von Humboldt oder P. W Richards. Aus der Zeit, als ich im tropischen Regenwald lebte, sind mir viele Augenblicke der Freude und des Staunens in lebhafter Erinnerung: wie ich auf den tiefen Nachhall lauschte, der entsteht, wenn Schimpansen zur Markierung ihres Territoriums gegen die Brettwurzeln der Bäume trommeln, oder wie ich von der Terrasse meines Bungalows in Westghana aus zuschaute, wie die karminrote Sonne sich in tiefes Purpurrot verwandelte, bevor sie über dem vollkommen intakten Kronendach der Regenwaldbäume unterging. Ich weiß noch, wie erstaunt ich war, als große Fische eines halben Dutzend unterschiedlicher Arten in unser Boot sprangen, während wir langsam einen schmalen Seitenarm des Amazonasstroms hinauffuhren.

Ich habe allerdings auch die weniger erfreulichen Realitäten dieser Wälder kennengelernt, wenn ich mich etwa, nur von einem einheimischen Jäger mit seiner Machete begleitet, in entlegenen Gebieten verirrte. Ich bin auch in kleine Waldsiedlungen gekommen, wo ausnahmslos jeder Einwohner an Elephantiasis litt - einer durch einen parasitischen Wurm verursachten Schwellung der Beine. Tropische Regenwälder können für ihre Bewohner bedrohlich sein. Dann haben sie nichts mehr gemein mit dem orchideengeschmückten Wunderland von Walt Disneys Dschungelbuch - manchmal ist der Dschungel einfach nur heiß, grün, drückend und voller Treiberameisen.

 

Kein Raum für Pessimismus

Nach meinen Vorträgen über den Schutz des tropischen Regenwaldes bin ich oft gefragt worden, ob ich Optimist oder Pessimist sei. Meine Standardantwort lautet, dass dies davon abhänge, ob ich gefrühstückt habe oder nicht. Meine ausweichende Reaktion hat ihren Grund in der Ungewissheit, was die ökonomischen, sozialen und politischen Faktoren betrifft, die über die Zukunft dieser Wälder entscheiden werden. Ich bezweifle, dass irgendein ehrlicher Mensch die Zukunft der Regenwälder bis zum Ende des 21. Jahrhunderts vorhersagen könnte.

Ich habe tiefsten Pessimismus empfunden, als ich sah, wie man riesige Regenwaldflächen mit Bulldozern plattmachte, um


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Viehweiden zu gewinnen, oder als man im indonesischen Kalimantan schon wieder einige der artenreichsten Tieflandregenwälder in eine Palmölplantage umwandelte.

Andererseits wurde ich optimistisch gestimmt, als ich erfuhr, dass ein so gut wie unerforschtes Regenwaldgebiet von der Größe der Niederlande, die Montanhas do Tumucu-maque in Amapä, einem brasilianischen Bundesstaat an der Grenze zu Französisch-Guayana, zum Schutzgebiet erklärt wurde (vgl. Farbbild 18). Mit Optimismus betrachtete ich auch die erstaunlichen Fotos von indigenen Angehörigen eines »unkontaktierten« Stammes, die mit ihren Pfeilen auf ein Flugzeug der Brazilian National Indian Foundation (FUNAI) zielen. Und sie sind nicht allein, denn in den Indigenenreservaten des Amazonas hat man 67 derartige Stämme identifiziert, die fernab jeglicher Zivilisation leben (vgl. Farbbild 16).

Sollen unsere Prognosen überhaupt ein gewisses Maß an Glaubwürdigkeit besitzen, dann müssen wir diese beiden Realitäten berücksichtigen: den Verlust, mit dem für die Zukunft zu rechnen ist, wie auch die Chancen, die für den Erhalt des Tropenwaldes bestehen. Kürzlich hörte ich, wie ein bekannter französischer Botaniker das Schicksal der tropischen Regenwälder beklagte. Inzwischen, behauptete er, sei nur noch degradierter Sekundärwald übrig geblieben. Ich will den enormen Druck auf die Regenwälder und die sehr reale Gefahr massiver weiterer Abholzungen ganz bestimmt nicht herunterspielen, aber derart eklatant falsche Äußerungen, die einfach so hingeworfen werden, sind nicht nur irreführend, sondern gefährden auch die Unterstützung für dringend notwendige Schutzmaßnahmen.

Als der große Gelehrte und Forschungsreisende Alexander von Humboldt, begleitet von dem Botaniker Aime Bonpland, im Jahr 1799 zu seiner fünfjährigen Expedition nach Zentral- und Südamerika aufbrach, hatte vor ihnen noch kein Europäer je einen Fuß in das Innere der Wälder Amazoniens gesetzt. Auf ihrer Reise zu Fuß und per Boot erbrachten sie den Beweis, dass der geheimnisvolle Rio Casiquiare den Orinoco in der Tat mit dem Amazonasbecken verbindet, ein Phänomen, das die europäischen Geografen zur damaligen Zeit für unmöglich hielten.

Die indigenen Stämme wussten über den Rio Casiquiare Bescheid, so wie sie auch Namen hatten für all die Pflanzen und Tiere, deren Fülle Humboldt und Bonpland derart überwältigte, dass sie sogar Angst hatten, verrückt zu werden angesichts all des neu entdeckten Artenreichtums.


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Die meisten Regenwälder auf der Erde waren damals von Menschen bewohnt und sind es noch; zur Zeit von Humboldts Reise jedoch betrug die Weltbevölkerung erst eine Milliarde Menschen, weniger als ein Siebtel der heutigen Population. Die Wunden durch die Eingriffe der indigenen Waldbewohner, die vom Wanderfeldbau lebten, wurden vom Wald rasch wieder geheilt. Damals betrug die Fläche des von tropischen Regenwäldern bedeckten Gebiets immer noch annähernd 1,6 Milliarden Hektar - eine Fläche, die annähernd der Landesfläche Russlands entspricht und von der man annimmt, dass es sich um die ursprüngliche Maximalausdehnung handelt. Und mit Ausnahme der begrenzten Bereiche des Wanderfeldbaus waren diese Wälder grundsätzlich Primärwälder - Wälder also, die noch nie irgendeine signifikante Störung hatten erdulden müssen. Heute ist weniger als die Hälfte dieses Gebiets als ungestörter Wald übrig geblieben - niemand weiß genau, wie viel -, und etwa ein weiteres Viertel überlebt als fragmentierter und unterschiedlich stark degradierter Wald.

Aber damit ist ihr Schicksal noch lange nicht besiegelt. Die kommenden Jahrzehnte werden entscheidend sein für das Sein oder Nichtsein der tropischen Regenwälder auf unserem Planeten.

 


 

KAPITEL 1

Ein destruktives 20. Jahrhundert: Das Erwachen des Problembewusstseins

 

Es ist kein Zufall, dass man sich Ende der 1960er- und Anfang der 1970er-Jahre allmählich bewusst wurde, dass tropische Regenwälder keine unbegrenzte Ressource darstellen. Es war die Zeit, als sich der Bericht an den Club of Rome Die Grenzen des Wachstums in Vorbereitung befand.1

Während des Wirtschaftsaufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg hielt man die tropischen Regenwälder noch für »üppig, widerstandsfähig und unzerstörbar«.2 Erste zaghafte Warnhinweise in früheren Publikationen waren vorübergegangen, ohne dass die Öffentlichkeit - geschweige denn Politiker und Ökonomen - irgendeine Notiz davon genommen hätten.

Erst ein paar Jahrzehnte später begann man das Paradigma des grenzenlosen Wachstums zu hinterfragen, zumindest in einigen Akademikerkreisen. Auch wenn es in Die Grenzen des Wachstums bei den Modellierungen vielleicht Unge-wissheiten gegeben hat, so sandte der Bericht doch zur rechten Zeit eine Botschaft aus, und die lautete unmissverständlich, dass wir uns von der absurden Vorstellung, die Menschheit könne weiterhin völlig unkritisch die Ressourcen des Planeten aufbrauchen, verabschieden müssen.

Tropische Entwaldung in früheren Jahrhunderten

Als man in den Nachkriegsjahren begann, sich um das Schicksal der tropischen Regenwälder zu sorgen, blieb weitgehend unerwähnt, dass bereits vorher tropische Gebiete abgeholzt worden waren. In Wirklichkeit war der größte Teil der tropischen Regenwälder schon seit

Monitoring von Regenwaldtrends: Eine Übung voller Irrungen und Wirrungen 49

BOX 2.2

FRA 2010: Begriffe und Definitionen

Die FAO unterscheidet zwischen »Waldland« (forest land) und »Nichtwaldland« (non-forest land), wobei Waldland vorübergehend auch waldlos sein kann. Folglich unterscheidet die FAO auch zwischen »Wiederaufforstung« (reforestation), das heißt einer Wiederbestockung von Waldland, und »Aufforstung« (afforestation), die auf Flächen stattfindet, die bis dato nicht als Waldland klassifiziert waren. Weil die FAO-Walddefinition unabhängig ist von der tatsächlich vorhandenen Bewaldung, stimmen die FAO-Daten oft nicht mit Fernerkundungsdaten überein. Die meisten Autoren, die sich mit der Veränderung der Waldbedeckung beschäftigen, klassifizieren Wald deshalb gemäß der tatsächlichen Bewaldung, statt die FAO-Definition zu verwenden. Dies bedeutet denn auch, dass der englische Begriff »reforestation« für jede Art der Wiederbewaldung und Waldausbreitung verwendet wird.

Aufforstung (afforestation): Schaffung von Wald durch Anpflanzung oder Aussaat auf Flächen, die bis dato nicht als Waldland galten (auch Erstaufforstung genannt). Entwaldung (deforestation): Umwandlung von Wald in eine andere Landnutzung (Agrarflächen, Weideland, Stauseen, Urbanisierung) oder eine lang währende Absenkung des Über-schirmungsgrades unter zehn Prozent. Anreicherungspflanzungen (Enrichment planting): Pflanzen von Baumarten in Naturwäldern mit der Zielsetzung, einen Hochwald zu entwickeln, der von bestimmten, »gewünschten« Baumarten dominiert wird.

Wald (forest): Eine Fläche von mehr als einem halben Hektar, die mit Bäumen von mehr als fünf Meter Höhe bedeckt ist und die einen Überschirmungsgrad von mehr als zehn Prozent aufweisen oder mit Bäumen, die eine solche Bedeckung erreichen können. Sowohl Naturwälder wie gepflanzte Wäl-

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