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 Karl Kollmann

Die Einbahnstraße des Fortschritts - Teil 1

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29. Dezember 2018

Fortschritt - das war mehr Effizienz beim Töten

 

Mit dem Anbrechen der Aufklärung ist auch die Idee des Fortschritts in die Welt gekommen. Wirtschaftliches Wachstum und Fortschritt zivilisatorischer (etwa Kant: Gebrauche Deinen eigenen Verstand, Lasse Dich nicht von anderen missbrauchen, Behandle Andere so, wie Du behandelt werden willst) sowie wissenschaftlicher und technischer Art werden die Welt besser machen. Es geht stetig aufwärts, jedoch vielfach mit Umwegen, wie Hegel meinte, oder eben ziemlich zwangsläufig und geradlinig, wie Karl Marx sich das vorstellte.

Wachstum und Fortschritt sind heute noch - knapp zwei Jahrhunderte später - die zentralen Vorstellungen in unseren Gesellschaften, wobei allerdings kaum jemand mehr weiß, was dabei das Ziel sein soll. Besonders im linken Spektrum, momentan wäre das der multikulturelle Teil der Bevölkerung, aber ebenso bei neoliberalen Marktradikalen, ist man infiltriert von einer Art von kontinuierlichem Fortschrittsdenken, während es bei den Traditionalisten, also dem mittigen und rechten Spektrum, durchaus andere Grundvorstellungen vom Gang der Geschichte gibt.

Erinnert sei etwa an Oswald Spenglers Blüte- und Niedergangs-Verständnis von Kulturen (Der Untergang des Abendlandes). Neben solchen Zyklustheorien gibt es noch die Wunschvorstellung eines eher stabilen Stillstands.

Dieser ist jedoch unrealistisch, gibt es doch zu viele "Motoren" in unseren Gesellschaften, die eigensinnig selbständig, autopoietisch (wie das biologisch sowie systemtheoretisch genannt wurde) ihren Weg gehen. Einer dieser "Motoren" ist die Technik, heute insbesondere Militärtechnik und Biotechnologie. Man hat noch nie in der bekannten Geschichte solchen technischen Fortschritt aufhalten, einbremsen oder sistieren können.

Fortschrittsmotor Kriegstechnik

Fortschritt, also Verbesserung des alten Zustands, hatte stets zwei Seiten. Der Urmensch erfand Werkzeuge, die das Alltagsleben leichter machten, und sie dienten ihm als Waffen, um Feinde umzubringen und sich ihrer Habseligkeiten zu bemächtigen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die Militärausgaben betragen gegenwärtig weltweit 1750 Milliarden US-Dollar wobei hier zweifellos nicht alle militärisch intendierten Ausgaben des "militärisch-industriellen Komplexes" enthalten sind. In Anbetracht eines solchen komprimierten Gewaltpotentials erscheinen alle drögen alltagspolitischen Auseinandersetzungen nur noch als Unterhaltungsmüll zur Belustigung der Massen.

Tatsächlich war seit Urzeiten bis heute die Kriegstechnik stets die treibende Kraft von Fortschritt - und niemand hat das bislang verändern oder nur abschwächen können. Bei einer substantiellen Kritik des militärisch-industriellen Komplexes haben Linke wie Konservative (unter denen gibt es natürlich weiterhin Pazifisten) versagt, das mussten früher einmal ein paar Hochschulprofessoren übernehmen. Erst mit den Ostermärschen wurde das zu einem Thema für alternative Gruppen, die Fortschritt und eine bessere Welt anders sahen als die Mehrheit.

Jagdwaffen waren immer ebenso als Kriegswaffen begehrt: Lanzen, Speere, Bogen und Messer. Ein "Fortschritt" im Nahkampf Mensch gegen Mensch stellte vor 6000 Jahren die Entwicklung des Schwerts dar, das war effizienter, eine Jagdwaffe war es nie. Phantasiereich entwickelten unsere Vorfahren als Fernwaffe gegen Menschen und Tiere die Schleuder, die zur Großform geworden, dann schon als Belagerungsmaschine gegen (vorchristliche Zeit) Stadtmauern eingesetzt wurde. Die später entwickelte Armbrust war dual verwendbar. Die moderne Form der Belagerungsmaschine, die Kanone, kam im 13. Jahrhundert mit dem aus China importierten Schießpulver auf, die Menschen waren da durchaus erfinderisch und stets auf Zerstörung der Feinde aus. Dann folgten relativ schnell das dual verwendbare Gewehr und die Pistole. Für militärische Zwecke wurden Bomben und Granaten entwickelt, während Sprengstoffe für militärische und zivile (Tiefbau, Untertagebau usw.) Zwecke eingesetzt wurden.

Der Erste Weltkrieg brachte neben dem Maschinengewehrkrieg Giftgas als neues militärisches Kampfmittel, der Zweite Weltkrieg dann die Flächenbombardierung von Städten und schließlich die Atombombe. Zehntausende Flugzeuge, die der Kapitalismus in den kriegsführenden Nationen blitzschnell bereitstellen konnte, wurden als Kampfwerkzeug mit der Zerstörungskraft ihrer mitgeführten Bomben eingesetzt - es ging dann allen Kriegs­parteien einfach nur mehr um das umfassende Töten von Zivilisten.

Danach wurden Raketen und mit ihnen der Weltraum als Spielfeld für den nächsten Krieg entwickelt, Drohnen folgten später, ebenso militärische Robotik oder das Lasergewehr. In den Arsenalen gibt es genügend chemische und vermutlich ebenso biologische Waffen. Die Menschen dieser Welt sind offensichtlich unbefriedbar - das muss man zur Kenntnis nehmen.

Zivile Technik, Bautechnik

Auch die Bautechnik hat eine duale Ausprägung, eine zivile und eine militärische. Befestigungsanlagen gibt es seit der Vorzeit: Palisaden, Wälle, Mauern. Dezidierte militärische Wehranlagen existieren zumindest seit den Römern bis hinauf in die jüngeren Zeiten. Heute ist das nicht mehr so aktuell, da Luftangriffe alles zertrümmern können. Lange Zeit war Stadtplanung auch von militärischen Überlegungen in Hinblick auf nationale Verteidigung beeinflusst. Das spielt heute keine Rolle mehr, mit ein paar Atombomben ist Mitteleuropa zuverlässig ausgelöscht, oder mit einem Cyberangriff auf die Stromversorgung, da steht dann ebenso alles und die Menschen werden wohl damit anfangen, sich gegenseitig umzubringen, um ihr eigenes Leben zu sichern.(1)

Die großen Genies unserer Geschichte, paradigmatisch dafür Leonardo da Vinci, waren Meister der schönen, aber auch der schrecklichen Künste (techne = Kunstfertigkeit). Sie haben sich ganz gern mit Technik im heutigen Verständnis (und die ist stets militärisch verwendbar) und dabei ebenso mit Waffentechnik beschäftigt. Hatte da Vinci schon Leichen seziert, so folgte der medizinische Fortschritt dann erst im neunzehnten Jahrhundert, vor allem durch die Militärärzte. Ihre Aufgabe war nicht praktische Humanität, sondern die Erhaltung des Soldatenmaterials (um das zynisch auszudrücken) für den Herrscher.(2) Um das ging es nebenbei auch bei den sozialpolitischen Fortschritten dieser Zeit: um halbwegs gesunde Männer, tauglich dafür, jederzeit als Soldaten genutzt zu werden.

Für die Entwicklung der Eisenbahn später dann des Straßensystems, spielte die wirtschaftliche, jedoch ebenso die militärische Nutzbarkeit (Truppenbewegungen, Nachschub) eine Rolle; die Stahlindustrie produzierte natürlich neben Schienen auch Kanonen, die unendlichen vielen anderen Beispiele sparen wir uns hier und an dieser Stelle, nur eines noch: Die industrielle Fließbandproduktion, einer der Fortschritte der Wirtschaft, wird gern mit Henry Ford und dem Auto, sowie dem "Taylorismus" (Arbeitszerlegung) verbunden. Das ist falsch. Das erste Fließbandprodukt war eine Waffe, nämlich der sechsschüssige Revolver von Samuel Colt, mehr als ein halbes Jahrhundert vorher hergestellt.

Digitalisierung der Wirtschaft

Digitalisierung ist heute das große Schlagwort, vor ein paar Jahren waren es "Disruption", danach "Resilienz" davor "Diversity" und "Nachhaltigkeit", eine Schlagwortproduktion der Berater- und PR-Industrie, auftragshoffend von vielen Wissenschaftern gefügig apportiert. Allerdings ist alles Elektrische ohnehin schon längst digitalisiert, gemeint ist also nur eine weitere "Automatisierung", die, wie vorhin erwähnt, mit dem Colt-Revolver begann und von der Karl Marx, ebenso wie Herbert Marcuse leider als Befreiungsraum geträumt haben: als ein großer Schritt in das Reich der menschlichen Freiheit, da die Arbeit nicht mehr die Menschen, sondern die Maschinen machen.

Allerdings, Rationalisierung ist immer schon die Essenz des Kapitalismus gewesen, Automatisierung in der Massenproduktion, wo es sich auszahlt, und wenn sich die Herstellung nicht kalkulatorisch automatisieren lässt, eben Verlagerung der Arbeit in Billiglohnländer. Wegrationalisieren, da kleine Preise den Menschen wichtig sind, solange es nicht den eigenen Arbeitsplatz, das eigene Einkommen betrifft. Und als schon lang andauernder Schritt, seit den 1960er Jahren, die Leistungsausdünnung, etwa in Form der Selbstbedienung - das haben die Menschen begeistert genutzt, von der Tankstelle über den Geldausgabeautomaten bis zur Selfcheckout-Kasse im Supermarkt, der ohnedies das zentrale Beispiel für Selbstbedienung ist, sieht man von den Feinkosttheken ab, die zur Hebung des Lebensgefühls der lieben Kunden (Trading-up) wieder eingeführt wurden. Dienstleistungen sind demgegenüber für die große Mehrheit zu teuer, da bleibt den Menschen nur Mehrarbeit, eben Selbstbedienung.(3)

Dazu kommt die PR-Gehirnwäsche. Elektronische Verkaufsplattformen sind, selbst wenn sie Amazon heißen, nichts anderes als der seit der zweiten Hälfte des 19. Jahr­hunderts in Frankreich bekannte Versandhandel. Das war mit Briefbestellung halt langsamer als heute und der alte Papierkatalog stellt sich elektronisch dar, das aber war es schon.

Hinter dem Schlagwort der Digitalisierung steckt genau das: noch mehr Selbstbedienung und Automatisierung. Mehr Konsumarbeit, wenn man so mag. Auch das Fanal der "Smart Cities" ist nichts anderes. Noch mehr Elektronisierung, alles wird erfasst und der Stadtbewohner vollends gläsern, vom Stromverbrauch in der Wohnung (Smart Home), dem Aufwachen, den Essgewohnheiten, der Verkehrsmittelwahl, den heimlichen Konsum­vorlieben, den Arbeitsverhältnissen, den Ordonnanzverhältnissen des "Menschenmaterials" gewissermaßen, das die Stadt bevölkert. Dafür aber automatisierte Selbstbedienung - das eingesteckte Handy erledigt mitsamt den Sensoren in der Wohnung alles selbsttätig.

Daten lassen sich zusammenführen, und wo das möglich ist, werden sie es auch. Das war schon immer so. Was früher Geheimdienste im Verdachtsfall zusammenpuzzelten, geschieht in der Smart City für alle und automatisch. Technisch möglich gemachte Prädiktion ist das von allen Bürokratien gewünschte Delphi-Orakel der Moderne.

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Die Einbahnstraße des Fortschritts - Teil 2

heise  Wissenschaft-Helfer-fuer-Wirtschaft-und-Machteliten-4236528.html 

 Von Karl Kollmann, 7.1.2019

 

Wissenschaft: Helfer für Wirtschaft und Machteliten

Die akademische Wissenschaft ist längst schon zur Entwicklungsstube der Industrie geworden (Missbrauchte Wissenschaft). In den Naturwissenschaften werden - ohne jegliche ethische Erdung und soziale Kontrolle - immer abenteuerlichere und monströsere Projekte (Biotechnologie, Genetik, Künstliche Intelligenz, Waffenrobotik, Quantenphysik, Large Hadron Collider (Teilchenbeschleuniger), Kernfusionsreaktor, Marskolonisierung) mit Milliardenaufwand und meist zugunsten des globalen militärisch-industriellen Komplexes gefördert.

In den Sozialwissenschaften verödet Forschung zu kleinstteiligen Arbeitsaufgaben, die empirisch durchkonjugiert werden und - im Fall der Verhaltens­ökonomie - behavioristische Psychologie der 1950er Jahre in unter­komplexer Form wieder entdecken.

Dazu kommt, wissenschaftliche Ideenproduktion wurde ein gesellschaftlich irrelevantes Selbstmarketing.

Die großen Einfälle und widerständigen Entwürfe sind wie weggeblasen, belanglose Selbstgefälligkeiten haben die authentische und für die Politik unbequeme Beschäftigung mit den großen Fragen von Gesellschaft weitgehend abgelöst. In die Wissenschaften fließt immer mehr Geld, die revanchieren sich dann mit Forschungsergebnissen wie "Kleine Hunde heben ihr Bein höher".

Und Politik ist, selbst wenn heute reichlich Geld für dienliche Studien und exorbitant viele Steuergelder sowie von den kalifornischen Internetgiganten viel Anschubgeld für die Wissenschaften ausgegeben, ziemlich wissen­schafts­resistent, was kritische Sozialforschungsergebnisse, die es in Nischen noch gibt, anlangt. Gerne hingegen werden die Ergebnisse der Meinungsforschung angenommen, wenn sie sich nutzbringend publizistisch verwenden lassen, ist dies nicht der Fall, landen auch sie in Schubladen.

Biotechnologie

Die Biologie ist heute zur "synthetischen Biologie", zum Bioengineering, aufgerückt. Dabei geht es um die ingenieurmäßige Umgestaltung der existierenden DNA, des Genoms. Im wesentlichen sollen damit technische Vorstellungen in das existentielle Dasein von Lebewesen implementiert werden. Ziel ist, eine ökonomische Anwendung, eine industrielle Verwertung dieser Eingriffe zu schaffen. Nicht mehr wie bei der alten Gentechnik, die "Ausmerzung" (ja, der Begriff mag belastet sein) von ausgemachten Fehlern der Natur, sondern die Natur nunmehr als Baustein für menschlich ausgeknobelte Technik. Das ist Frankenstein-Biologie, die jedoch nicht verdammt oder geächtet, sondern befürwortet und selbstverständlich - im Sinn des Fortschritts - finanziell gefördert wird.

Kritisch gesehen: Bioingenieure sehen sich als moderne Götter, die die Natur beherrschen und völlig Neues schaffen wollen - nicht zur Erbauung, wie Kunst, sondern zur industriellen Verwertung, also als Geldmaschine (Technologische Allmachtphantasien). Das gesellschaftliche Publikum schaut im Zuschauerraum gelangweilt, interessiert bis begeistert zu, es geht ja um "den Fortschritt", wie immer schon. Die technologische Kontrolle von Zellen der Lebewesen ist aus mildtätigen Gründen für die traditionellen, besonders katholischen oder sensiblen Bürger bislang teilweise gesetzlich verboten, beim Menschen selbst etwa. Aber Moral ist eine flexible, ziemlich zeitelastische Größe. Und diese transhumanistische Cyborg-Technik bzw. Cyborg-Biologie existiert schon seit mehr als einem halben Jahrhundert recht erfolgreich. Natürlich spielt im Transhumanismus, ähnlich wie im Nationalsozialismus und nicht nur dort (auch in der Sozialdemokratie der Zwischenkriegszeit oder im Großbritannien des John Maynard Keynes) Eugenik eine große Rolle.

Die Cyborgs

Der Ersatz der menschlichen Herzklappe funktioniert seit den 1950er Jahren, Herzschrittmacher wurden Anfang der 1960er Jahre implantiert. Beides sind heute chirurgische Routineeingriffe und ihre Träger kann man zu Recht als erste Cyborgs, nämlich als technisch verbesserte Lebewesen bezeichnen. Genau besehen wäre ebenso die Transplantationsmedizin eine Cyborg-Technik, da statt neuen Geräten alte menschliche Organe als Ersatzteil eingebaut werden. Sie funktioniert ebenfalls seit den 1960er Jahren und dürfte sich über die letzten Jahrzehnte zu einem lukrativen Milliardengeschäft für den medizinischen Sektor entwickelt haben.

Übrigens ist das natürlich Spätkapitalismus par excellence, wie sich in der kürzlich öffentlich geführten Diskussion in Deutschland gezeigt hat: Fehlen die Organe für das Transplantationsgeschäft, braucht es eben mehr Geld für die Organentnehmer und eben mehr Organe. Den Geschäftszweig weiter ankurbeln soll der Staat. Es geht immer nur um das gute Geschäft. Und Medizin ist praktisch immer auf der guten Seite.

Transhumanismus ist längst schon rund um und in uns

Human Enhancement durch gentechnische Modifikation (bei nichtmenschlichen Lebewesen, Auswahl bei Embryos), eine breite pharmakologische Wirkung auf den Menschen (die wirksamen chemischen Arzneimittel, nicht etwa Pseudopharmaka wie Homöopathie), Cyborg-Techniken (Herzschrittmacher, Herzklappen, Transplantationschirurgie, Prothetik), morphologisches Enhancement (die ganze Bandbreite der kosmetischen bzw. ästhetischen Chirurgie).

Wenn es gut mit den Menschen weitergehen soll, dann muss sich der Mensch der Evolution bemächtigen und ihr seine Vorstellungen aufzwingen, meint einer der transhumanistischen Wortführer, Stefan Lorenz Sorgner.

Der Transhumanismus mit seinem unreflektierten, besessenen Fortschrittsdenken hatte einen ebenso blindwütigen Vorläufer, den Futurismus, der sich zuerst als italienische Kunstströmung seit 1909 entwickelte und in 1920er Jahren dann im italienischen Faschismus aufging. Im Futurismus wurden Gewalt, Krieg, Geschwindigkeit, Jugend und Technik verherrlicht und alles Traditionelle vehement abgelehnt.

 wikipedia  Stefan_Lorenz_Sorgner *1973 in Wetzlar

 Therapeutisierung der Gesellschaft

So fremd und unverständlich Sozialwissenschaften oft für den Alltag der Lebenswirklichkeit bleiben (in der Wissenschaft sollte man eher nicht so auf gute Lesbarkeit Wert legen, sonst handelt man sich schnell Vorwürfe der "Unwissenschaftlichkeit" ein), sie haben längst schon nachhaltig diesen Alltag umgestaltet.

Eine Folge sozialwissenschaftlicher Studien- und Absolventenproduktion war die Entstehung einer umfassende Therapieindustrie in den Wohlfahrtsstaaten westlicher Prägung. Ohne die vielen sozialwissenschaftlichen Uni-Absolventen gäbe es die heutige NGO-Industrie nicht.

Wie es sich gehört, landen heute Deviante bzw. Abweichler nicht im Gefängnis oder werden erschossen, sondern sie werden in modernen Wohlfahrtsstaaten einer entsprechenden Therapie zugeführt. Diese wird von staatlichen Stellen befürwortet oder angeordnet und heute meist von gemeinnützigen Organisationen, von NGOs, durchgeführt.

Es ist in den letzten Jahrzehnten eine staatlich alimentierte und von vielen Menschen ebenso privat bespendete, unüberblickbare NGO-Industrie entstanden, die von "Seenotrettung" afrikanischer Migranten bis hin zur Betreuung computerspielsüchtiger Kinder alles versorgt, wo sich mit staatlicher Förderung Geld verdienen lässt. Die Leiterin einer Duisburger Behindertenwerkstatt findet etwa 370.000 Euro Jahreseinkommen für passend - na Prost, kann man da nur sagen, sie haben es geschafft.

Diese Therapeutisierung und kontinuierliche Erziehung von Menschen hat sich in den letzten Jahren auch in vielen Medien ziemlich breit gemacht. In den Werbeteilen der Medien wird zur richtigen Konsumwahl erzogen, in den redaktionellen Teilen zum richtigen Denken als Staatsbürger. Erziehung ging dabei einher mit einem Diskursverbot für andere, abweichende Meinungen.

In einer Demokratie, in einer offenen Gesellschaft ist das allerdings ein unhaltbarer, ein skandalöser Zustand, wie Konrad Paul Lissmann kommentierte.

Allerdings ist das eine in unseren Demokratien seit jeher übliche Angelegenheit, wie es Noam Chomsky etwa schon 2002 und Walter Lippmann bereits 1922 für die Zeitungen beschrieb.

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Die Einbahnstraße des Fortschritts - Teil 3

Hineingetrieben in die Entfremdung 

23. Januar 2019 Karl Kollmann

heise  Hineingetrieben-in-die-Entfremdung-4236630.html 

 

 

Städte verändern die Menschen, die sie bewohnen. Und die bekommen das gar nicht mit. Georg Simmel hat es in seinem kleinen Essay: <Die Großstädte und das Geistesleben> bereits 1903 eindrucksvoll beschrieben. Großstädte - das ist eine Entwicklung der Industrialisierung, des verdichteten Handels, des Verkehrs und vor allem der Geldwirtschaft; dazu der Bildung, der Wissenschaften, auch der Medizin, einschließlich des Spitalwesens, sowie der Staatsverwaltung. Hier verhungert man nicht, da es Arbeitsplätze gibt und ein breites Feld an kriminellen Möglichkeiten.

Das Wachstum dieser Großstädte ging schnell vor sich, in eineinhalb Jahrhunderten explodierten die Einwohnerzahlen in europäischen Städten auf das rund Siebenfache. Der erwähnte Georg Simmel hat nun den Existenzmodus dargestellt, wie er in der Großstadt, anders als auf dem Land oder in der Kleinstadt, funktioniert. Die kontinuierliche und enorme Reizüberflutung, etwa wenn einer sich am Gehsteig unter lauter Fremden bewegt, führt zur Reserviertheit in der Haltung all diesen Eindrücken gegenüber. Die Stadt macht zwar frei, da man selbst Fremder bleibt und mehr oder weniger tun und lassen kann, was man will, andererseits führt das jedoch zu einer abwehrenden, gelangweilten Blasiertheit.

Dazu kommt, dass die Fülle der Entwicklungen der materiellen Kultur (heute würde man dazu Zivilisation sagen), welche gerade in der Großstadt immerfort präsent sind, die jedoch der Einzelne überhaupt nicht mehr überblicken, geschweige denn kennen kann, zu einer Atomisierung der Person in dieser Kultur führt. Die Menschen sind nicht mehr Herren der Wirklichkeit, der Geschichte, die sie eigentlich - mit der Entlassung aus Unmündigkeit und der starren Gegebenheiten der Vergangenheit - hätten werden können.

Trotzdem wollen alle diese Menschen auffallen, Sich-Herausheben, Hervortreten aus der anonymen Masse, da das für die Selbstschätzung und das eigene Bewusstsein notwendig ist. Für Mode, Marotten und Allüren braucht es jedoch Geld, wer zu wenig davon hat, bleibt außen vor, verfällt in Frustration oder Aggression. Wohlgemerkt, das wurde bereits 1903 beschrieben und wird heute in ähnlicher Form von den zeitgenössischen Sozial­wissen­schaften weitergeschrieben.

An Alternativen braucht man gar nicht zu denken, wer großstädtisch sozialisiert ist, wird sich mit dem Landleben meist nicht mehr wirklich anfreunden können, es sei denn, das bleibt eine temporäre Phase (kleine Kinder) oder man hat Zugang zu einer passenden alternativen Gruppe oder einer Sekte.

Für die Großstadt typisch ist auch die Normalisierung des Verruchten, also die Liberalisierung der Sexualität. Lange vor der spätkapi­tal­istischen Entsublimierung der Libido, des Trieblebens der Menschen in den 1960er Jahren(1), gab es in den großen Städten der Welt ansehnliche Nischen, in denen das Obszöne und Verbotene, Sex und Drogen, normalisiert wurden. Dort - nicht im mauretanischen Spanien oder in anderen bikulturellen Regionen - liegt auch der Ursprungsort für das, was man heute kosmopolitisch, multikulturell oder neuerdings "weltoffen" nennt.

 

   Fortschrittsmotor industrielles Essen  

 

Es ist ziemlich unwirtschaftlich und zeitraubend, wenn im Zeitalter der Industrie die vielen kleinen Familien sich ihr Essen selbst zubereiten. Die alten Linken entwickelten deshalb schon früh, Anfang des 20. Jahrhunderts, die Idee vom Einküchenhaus, also einer Gemeinschaftsküche in den Wohnanlagen, die aber keinen Anklang bei den Menschen fand. Die wollten lieber eine pseudoindividuelle Schrebergarten- und Kleingartenkultur, wenn sie sich das leisten konnten.

Die Industrie hat die Idee der vorbereiteten Nahrungsmittel an sich ziemlich langsam und träge, störrisch gewissermaßen, aufgegriffen. Da bedurfte es immer schon militärischer Impulse. Jedenfalls ist heute das Essen der Menschen durch Vorfertigungsschritte ziemlich bequem geworden. Convenience-Food individuell konsumieren zu können, das entspricht den Vorstellungen der großen Mehrheit. Tatsächlich hat sich hier hygienisch viel verbessert. Vor fünfzig Jahren wurde schimmeliges Brot einfach oberflächlich "entschimmelt", muffig schmeckte es nach wie vor, die Kartoffeln waren die meiste Zeit schon ausgetrieben, die Bauern löffelten aus dem Suppentopf stets den Mundschleim der Sitznachbarn mit, marodes Fleisch oder angestochene Wurst kamen auf den Teller statt in den Mistkübel, und beim seltenen konsumierten Obst durfte man ebenfalls nicht heikel sein.

Linke und Rechte schimpfen heute massiv gegen Convenience Food und sind schlecht auf die Lebensmittelindustrie zu sprechen; Bio, Öko, Regional sind zu teuren Preisen angesagt, aber den Menschen am besten zur modernen Lebensführung verholfen hat die Lebensmittelindustrie, denn sie hat Kochen und Essen in den Haushalten radikal vereinfacht und erst damit die schönen finanziellen Errungenschaften der "Zweiverdiener-Haushalte" ermöglicht.

Auch wenn Linke, Ökos und Rechte noch so sehr auf natürlichem Essen beharren mögen, leisten könnte sich das heute niemand mehr in den eigenen vier Wänden, das geht sich alles schon zeitmäßig nicht aus, und im Restaurant zahlt man sich für so ein essentielles und schickes Erlebnis zu Tode. Natürlich hat bei dieser Haltbarmachung von Lebensmitteln stets der militärische Aspekt eine Rolle gespielt, Nahrungslogistik hatte im Militär­wesen eine ganz zentrale Bedeutung.

Zurück aber zum Alltag.

Mit Industrieessen müssen - sagen wir das doch auch einmal sarkastisch - Unterschichtmenschen wenigstens nicht verhungern. Das einzig Problematische am industriellen Essen ist weniger die Chemie, denn die ist beim Essen ohnedies immer dabei, sondern das Tierleid bei der Schlachtung - hier sündigt die Gesellschaft massiv und das muslimen- und judenfreundliche Schächten ist ohnedies eine völlig unverständliche und unzivilisierte Kapitulation vor dem Mittelalter, die längst hätte abgestellt gehört. In diesem Fall entschuldigen das manche unserer multikulturellen Genossen aus mitterechtem und mittelinkem Lager - hüstel, hüstel - mit generöser Toleranz fürs archaische Abschlachten.

Natürlich wissen wir über die sich kumulierenden Folgen des fröhlichen Chemieeinsatzes und der industriellen Produktion des Essens nicht wirklich gut Bescheid. Aber das ist bspw. bei der Strahlung der Handys und der WLANs nicht anders, ähnlich bei der Atomindustrie. Langfristige Folgen haben nun nie wirklich interessiert, Technikfolgenabschätzung heute ist eher eine marketingmäßig ausschlachtbare Augenauswischerei, die nach ein paar Tagen in den Medien wiederum vergessen ist. Einwände und Bedenken sind immer schon hinderlich für den Fortschritt gewesen. Ziemlich unbestritten dürfte aber sein, dass wir heute mit der Convenience-Industrie wesentlich hygienischer leben als zu früheren Zeiten.

 wikipedia  Convenience_Food       wikipedia  Schächten  

   Verfettung braucht immer zwei  

Die Verfettung der westlichen Bevölkerung (ebenso wie der Mittelschichten in den sogenannten Entwicklungsländern) durch exzessiven oder unbedachten Konsum trifft nicht allein die Industrie. Auch ein Drogenkonsument ist in erster Linie selbstverantwortlich, wenn er seine Grenzen überspannt. Verantwortung da an andere zu delegieren, ist ein eher etwas zu primitives Ablenkungsmuster: Die Mammi oder der Pappi sind nicht an allem schuld. Für Adipositas braucht es zwei: den Anbieter und den Verzehrer von Nahrung.

Komfortabel und reichlich zu essen, scheint heute ein informelles bürgerliches Grundrecht für alle, ähnlich wie die Eheschließung. Dabei war sie "als individuelles Grundrecht bis in das 20. Jahrhundert unbekannt und die Ehe damit quasi ein Privileg. Von den Ehebeschränkungen waren vor allem sozio-ökonomisch benachteiligte Schichten betroffen." Das änderte sich erst mit der Industrialisierung des Militärs; die Fürsten und Kaiser benötigten Nachschub für ihre Armeen. Da sollen dann die unteren Klassen ungebremst Soldaten fürs Vaterland produzieren.

 

Mit der Verwaltung kamen die Grenzen

Erste Vorformen von Staaten waren Stämme, Stadtstaaten und Großreiche der Frühzeit. Grenzen waren hier eher diffus und nur wenig festgelegt. Der jeweilige Herrscher schuf eine lose Klammer aus Infrastruktur und Tributpflicht sowie Recht vor allem in der Kernregion seines Herrschaftsgebiets, die räumliche Abgrenzung war instabil und veränderte sich mitunter rasch. In Europa ergab sich zu Ende des Mittelalters übrigens eine immer größere Zersplitterung.(2)

Der Staat als Begriff und Verständnis kommt erst mit der Neuzeit in die Welt, da erfolgte nämlich eine Vereinnahmung dieser zersplitterten Herrschaftsräume durch die Landesfürsten, es schloss sich dann vergleichsweise schnell die Etablierung einer Verwaltungsstruktur an, die Ausbildung eines einheitlichen Rechts und Steuersystems, ebenso einer einheitlichen Amtssprache und die penible Festlegung der territorialen Grenzen. Hauptinteresse der Verwaltung war dabei, die Kassen des Staates, also des Fürsten, für Kriege, Landnahmen und aristokratischen Luxus zu füllen.

Langsam bildete sich damit das heraus, was man Nation zu nennen begann; ein Beiprodukt war, dass Verwaltung und Territorialität den Landesbürgern Sicherheit gab und Dauer versprach. In den vornationalen Zeiten gab es eminent chaotische Zustände, und dort wo sich Staaten bzw. Nationen auflösten, entwickelten sich in der Folge wieder chaotische Zustände. Multikulturalisten und "Grenzenlos"-Fans begreifen das nicht oder wollen es nicht wahrhaben.

Bürokratie 

Jede staatliche Herrschaft funktioniert heute als Verwaltung, wie schon Max Weber feststellte. Es ist nicht mehr der Fürst, der seinem missliebigen Untertan das Schwert zornentbrannt in den Körper jagt, sondern die Polizei nimmt fest und die Richter verurteilen zu lebenslanger Haft (die politologische Unterscheidung in legislative, exekutive und judikative Formen und deren parteipolitische Infiltration schenken wir uns der Einfachheit halber).

Bürokratie, also Verwaltung wird auf Grund von Gesetzen tätig und soll durch ihre Gesetzesgebundenheit ein gleiches Recht für alle sichern - in der Alltagspraxis gibt es natürlich viel an Wahrnehmungs­verzerrungen und oft unterschiedliche Strafen oder Schulnoten, wie jedermann aus eigener Erfahrung weiß.

 

Die Parkinsonschen Gesetze 

Der britische Soziologe Northcote Parkinson hat ab den 1960er Jahren eine Reihe von Büchern zu den von ihm entdeckten Gesetzen des unaufhaltbaren Bürokratiewachstums verfasst, die damals sehr populär waren, da sie nicht nur stimmig, sondern ebenso unterhaltsam geschrieben sind.    wikipedia  Cyril_Northcote_Parkinson  1909-1993

Der durchgängige Zug von Verwaltungen wäre, dass sie unaufhaltsam wachsen. Nun, 2016 gab es in Deutschland 5,888 Millionen vom Staat beschäftigte Menschen. Geht man tiefer in diese sehr kunstvoll und detailreich aufgefächerte Statistik hinein, zeigt sich seit 2000, der Personalstand wurde offenbar etwas kleiner, trotz mehr Teilzeitbeschäftigung. Nun, es wurde viel ausgelagert.

Bemühungen um Bürokratieabbau gibt es ja seit langem, übrigens schon viele Jahre vor der neoliberalen Wende, Stichwort: Parkinson. Aber das war dann ein Schwerpunkt in den 1990er Jahren. Bürokratie hat wie jedes Unternehmen, jede NGO, jeder Verein - und viele Menschen denken für sich selbst ebenfalls so - das Bestreben zu wachsen, an Bedeutung zu gewinnen, damit eigene Macht und Einflüsse zu vermehren.

Wenn es jedoch um die Frage der Herrschaft der Subsysteme (Wirtschaft versus Staat) geht, hat mittlerweile die Bürokratie das Nachsehen. Zeitgenössische Berliner Verhältnisse, wo man wochenlang auf Aktivitäten einer Behörden warten muss, mögen weder Menschen als Bürger noch Unternehmen. Deshalb ist Bürokratieabbau eine allgemein wichtige und gerne akklamierte Angelegenheit, nur mitunter benötigte man paradoxerweise eben mehr Beamte dafür.

  NGOs: Man kann sich helfen (Geld verdienen), und sich mitunter sogar helfen lassen 

Was nirgendwo verbucht ist: Viele Aufgaben, die früher von der öffentlichen Hand selbst durchgeführt wurden (genauer: durchgeführt worden wären), sind mittlerweile an viele abertausende NGOs abgewandert bzw. ausgelagert. Damit mutierten sie, das hat man sich von den rationalisierungswütigen Unternehmen abgeschaut, vom Personalaufwand zum Sachaufwand, auf den die Kritiker der staatlichen Verwaltung, also der Bürokratie, etwas weniger achten.

Zudem gelten NGOs als nett, als "zivilgesellschaftliche Errungenschaft", da sind die betroffenen Menschen stets milder mit ihren Urteilen. Wenn Bürokraten, also Behörden, das, was heute NGOs machen und sich zu sagen erlauben, wäre der Teufel los. Jedoch bei der Caritas, Diakonie oder den Ärzten ohne Grenzen, der Umwelthilfe oder Tierschützern sieht man das als besonders lobenswertes gesellschafts­politisches Engagement. Und es ist nebenbei ein wunderbares Milliardengeschäft geworden, das tunlichst weiterlaufen soll. NGOs sind de facto kapitalistische Unternehmen, in ihrer Gesamtheit eine Dienst­leistungs­industrie.

 

Alles ist relativ 

In Anbetracht der vielen Billionen und Aberbillionen an Geld (aus dem Geld der vielen kleinen dummen, konservativen oder weltoffenen mittelschichtigen Bürger, nämlich ihrem Steuergeld), die für Militärtechnik geflossen sind (Panzer, Kampfjets, Bomben, Minen usw.) müsste man beim ersten Nachdenken darüber sofort nachhaltig verzweifeln oder sich aus Verzweiflung umbringen. Ein Ende ist nicht in Sicht.

 

Dazu kommt dann natürlich die Esoterik

Dennoch kommt in den Zeiten dieser modernen Unübersichtlichkeit gerne Esoterik, eine Art wieder modern gewordene Alchemie, für die ja bereits unsere naturwissenschaftlichen Größen wie Newton anfällig waren, ins Spiel. Eigentlich sind es esoterische "Low-level"-Verschwörungs­theorien. Egal ob bei einem Krankenhausneubau in Wien nun ein "energetischer Schutzkreis" um 95.000 Euro verbraten wird oder die Autobahn A2 bei Hannover von einer "Elfenexpertin" energetisch versiegelt werden soll.

In einer durchrationalisierten Welt mit gewaltigen Ermüdungserscheinungen gegenüber der Politik, sowie einem - zu Recht (Stichwort: Noam Chomsky) - steigenden Misstrauen gegenüber den Medien, erleben narzisstische Selbstinszenierungen ebenso Aufschwung wie die Metarealität eines alten, geheimen Wissens, also das okkulte Axiom einer wirkmächtigeren Realität, als der des banalen Alltags.

Natürlich ist das nichts anderes als eine neue Art von Religiosität und Sektierertum und nebenher eine skandalöse Schande für das Bildungssystem. 68 Prozent der Deutschen sind in irgendeiner Form abergläubisch, deutlich mehr als es fünfundzwanzig Jahre früher waren, stellte das Institut für Demoskopie Allensbach schon 2005 fest.

Esoterik, Aberglaube und Mystifizierung gesellschaftlicher Grundannahmen begleiten paradoxerweise die kaufbaren körperlichen Materialisierungen von Schönheit, Kleidung, Accessoires, und ihre körperliche Ausprägung, wie Schlankheit, Tattoos, Piercings und kosmetische Operationen. Übrigens, die meisten Graffitis in unseren Städten sind, bleiben wir ehrlich, einfach nur abgrundtief hässliche, frustrierte Schmierereien stumpf­sinniger Menschen.

Der Ersatz des Religiösen durch soziale und rechtliche Normen war eine andere Art von Fortschritt, sie findet sich bereits im Alten Testament der Zehn Gebote, wo sieben davon keine metaphysischen, sondern soziale Regeln sind. Die moderne Entfernung des christlichen Religiösen in der westlichen Welt durch Aufklärung, Demokratisierung, Ökonomisierung, sowie wissenschaftlich und technischem Fortschritt hat zu einer Privatisierung des Metaphysischen geführt: Aberglaube, Esoterik und eine Anfälligkeit für Verschwörungstheorien, also Wirklichkeitserklärungen und Weltanschauungen aller möglicher Arten.

 

Schlussendlich, Menschenverachtung als Fortschritt 

Jedenfalls sind Veränderungen im Fortschritt, ist ein Verzicht auf erst einmal entdeckte oder entwickelte Technik oder Wissensbestände, bislang nicht möglich gewesen. Esoterik, Aberglauben, was als "Geheimwissen" einmal da war, bleibt und setzt sich ungebrochen, verdeckt oder unterirdisch fort, und kommt immer wieder hervor. Esoterik, Halbwissen und Naturwissenschaftliches vermischen sin in der Wahrnehmung vieler, derweilen setzt die verwertbare Technik ihren "Fortschritt" unaufhaltsam fort. Sei es bei der Atomkraft, sofern man sich keiner "deutschen Illusion" hingibt, oder bei der Gentechnik, beim militärischen "Fortschritt", der Digitalisierung, der ökonomisch angetriebenen Wissenschaft. 

Eine Wendung zum "Guten", zu mehr Humanität, Gerechtigkeit, zur Versöhnung von Mensch und Natur, oder wie immer man das nun einkreisen will, kann man sich wohl abschminken.

Die Gier nach Geld, Macht, Sex und Aufmerksamkeit bleibt ebenso wie der Alltagsfaschismus, von dem die ethnisch zentrierten Rechten und die multikulturalistischen Linken längst schon heftig infiziert sind.

Einen einmal eingeschlagenen Entwicklungspfad geben Wissenschaft, Technik, Militär, Unternehmen und die gesellschaftlichen Eliten nicht mehr auf.

Das können weder einzelne Menschen, noch Gruppen mit ihrem mitunter tödlichen Gruppendruck, schon gar nicht Gesellschaften, sofern es keinen ganz großen Crash gibt.

(Karl Kollmann, Jan. 2019)

 

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