Hubertus Knabe

Die unterwanderte
Republik

Stasi im Westen

Jürgen Fuchs gewidmet 

 

1999 bei Propyläen, Berlin

2001 bei Ullstein in München

 Hubertus Knabe -1999- Die unterwanderte Republik - Stasi im Westen - Jürgen Fuchs gewidmet 

1999     440 (590) Seiten

 

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Knabe-2007

Schwarzbuch KGB, Kapitel 24 

Pfister.1999.Romeo 

Jürgen.Fuchs 

 

Inhalt

Vorwort  (9)

13. Epilog  (440-441) 

Anmerkungen (442)    Literatur (549)  

Abkürzungen (571)    Personenregister  (577-590)

Hubertus Knabe :  Die unterwanderte Republik  (1999)  Stasi im Westen   -


Muß die Geschichte der alten Bundesrepublik neu geschrieben werden?

Gestützt auf die Akten des Ministeriums für Staatssicherheit stellt der Berliner Historiker Hubertus Knabe, Mitarbeiter der Gauck-Behörde, erstmals umfassend dar, wie das DDR-Regime die Nervenzentren der westdeutschen Gesell­schaft systematisch unterwandert hat. Ein beklemmendes, nach wie vor brisantes Kapitel unserer jüngsten Vergangenheit.

Der Berliner Historiker und Mitarbeiter der Gauck-Behörde Hubertus Knabe entlarvt in seinem Buch Die unterwanderte Republik die Machenschaften des DDR-Geheimdienstes im Westen Deutschlands. Die von ihm präsentierten Verratsfälle zeigen exemplarisch, wie groß das Ausmaß der geheimdienstlichen Durchdringung der alten Bundesrepublik wirklich war, und werfen erneut die Frage auf, in welchem Maße politische Entscheidungen und Entwicklungen von der Stasi beeinflusst werden konnten.

Die Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit wird gemeinhin als Problem der Ostdeutschen betrachtet. Tatsächlich war die Tätigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) aber in erheblichem Maße auch auf die westdeutsche Gesellschaft gerichtet. Nur wenigen ist bewußt, wie groß das Ausmaß geheimdienstlicher Durchdringung der alten Bundesrepublik war.

Der Historiker Hubertus Knabe hat in den ehemaligen Stasi-Archiven systematisch die West-Arbeit des MfS erforscht. Obwohl die Stasi in großem Maße Spurenbeseitigung betrieb, kann er erstmals im Detail zeigen, wie sie den Westen infiltrierte.

Mehr als 20.000 Westdeutsche lieferten regelmäßig Informationen aus Parteien, Verbänden, Unternehmen, Kirchen, Medien, Universitäten, Geheimdiensten und der Bundeswehr. Vom vorzeitigen Amtsverzicht des Bundespräsidenten Heinrich Lübke bis zum Scheitern des Mißtrauensvotums gegen Bundeskanzler Willy Brandt, von der Studentenbewegung des Jahres 1968 bis zu den Anti-Raketen-Protesten der achtziger Jahre — die Stasi war immer dabei.

Knabes Buch macht auf beklemmende Weise deutlich, wie sehr die Stasi letztlich ein gesamtdeutsches Problem ist. Keine Darstellung der deutschen Nachkriegsgeschichte wird künftig dieses nach wie vor brisante Kapitel aussparen können.

Hubertus Knabe, geboren 1959 in Unna, studierte Geschichte und Germanistik in Bremen und promovierte in Berlin. Er war Studien­leiter der Westberliner Evangelischen Akademie und ist seit 1992 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Knabe hat mehrere Untersuchungen über Oppositionsbewegungen in der DDR und in Osteuropa veröffentlicht. Die West-Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit hat er im Auftrag des Deutschen Bundestages untersucht. 

1. Das Schattenkabinett des MfS – Die Stasi und die hohe Politik  (15)  Die Kollegiumssitzungen (18)  Kampf gegen die West­integration (24)  Nach dem Mauerbau (29)  Der Fall Hermann von Berg (31)  Stärkung »realistischer« Kräfte (38) 

2. Die Durchdringung der Parteien – Eine Flurbegehung  (42)  Die Bearbeitung der SPD (47)  Das Agentennetz in der Union (54)  Die Romeo-Methode (57) Beeinflussung der FDP (65) Der Fall William Borm (67)  Inoffizielle Mitarbeiter bei den Grünen (71)  *Einfluß­nahme auf die Bundestagsfraktion (73)  Die Europaabgeordnete Brigitte Heinrich (79)  Das Beispiel Westberlin (88)  Die CDU als »Bearbeitungsobjekt« (91)  »Konservative« IMs (96)  Quellen in der Alternativen Liste (100)  Der Output der Agenten (104)

3. Die Affärenmacher – Politische Einflußnahme im »Operationsgebiet«  (106)  Das Prinzip »aktiver« Maßnahmen (107)  Die Arbeit der Abteilung X (110)  Zusammenarbeit mit dem KGB (113)  Praktische »Aktionen« (116)

4. Vergangenheitsbewältigung per Stasi-Dossier – Der Fall Heinrich Lübke  (121)  Kampagnen aus Ostberlin (122)  Fingierter Anti­semitismus (126)  Das NS-Archiv des MfS (132)  Der Beginn der Lübke-Kampagne (135)  »Arbeit nach dem Ausland« (139)  *Verfälschte Dokumente (140)  »Spezielle Maßnahmen« in Westdeutschland (143)  Die Rolle der Zeitschrift Konkret (147)  Das Ende der Kampagne (150) 

5. Wie Verräter gemacht werden – Die Akte Wehner  (153)  Frühe Denunziationen (154)  Deckname »Wotan« (156)  Der Beginn der Kampagne (161)  Stärkung der »oppositionellen Kräfte« (164)  »Keine direkten Beweise« (167)  Wehner wird Minister (170)  Stahlmanns Falschaussage (173)  Das Anti-Wehner-Buch (175)  Honeckers Veto (178) 

6. Mythos und Wirklichkeit – Die Studentenbewegung  (182)  Unterwanderung des SDS (184)  Ein IM im Bundesvorstand (187) *Der Berliner Landessekretär (191)  Das Zusammenspiel zwischen FDJ und Stasi (193)  Eine Quelle im Landesvorstand (197) Förderung einer linken Opposition (202)
Rudi Dutschke (204)  November-Gesellschaft und Republikanischer Club (207)  Extrablatt und Extra-Dienst (210)  Konzepte für den Umsturz (216)  Das Attentat (220)  Die Proteste gegen die Bundesversammlung (221)  Das Ende des SDS (227)  IMs in der APO (231) 

7. Strategien einer Unterwanderung – Die Friedensbewegung  (234)  Anleitung durch die SED (235)  Zusammenspiel mit dem MfS (238)  Aktion »Verwüstung« (241)  Die »neue« Friedensbewegung (243)  Förderung der Anti-Raketen-Proteste (248)  Die »Hand­akte« Niemöller (255)  Zurückdrängung »feindlicher« Kräfte (258)  

8. Stasi in den Kirchen – Eine Aktenlese  (261)  Zweigleisige Bearbeitung (262)  Das IM-Netz in den Kirchen (265)  Enttarnungen nach 1989 (271)  Spionageobjekt Vatikan (276)  Weitere Ausforschungsobjekte (281)  Die Evangelische Akademie Westberlin (287)  Die Auf­lösung des antitotalitären Konsenses (294)  Das Verhältnis zur Demokratie (299) 

9. Der lange Arm der Stasi – Die Verfolgung von SED-Kritikern im Westen  (305)  Die »Agentenbande Fuchs« (308)  Zersetzungs­maßnahmen in Westberlin (312)  Wolf Biermann und sein Manager (318)  Bundesbürger als Stasi-Opfer  (326)  Ein MfS-Mann als Rechtsbeistand (330)  Die Stasi in Frankfurt am Main (335)  »Feindobjekt« Amnesty International (337) 

10. Die Hochschulen – Kaderschmieden des MfS  (340)  Die Rekrutierung von »Perspektivagenten« (343)  Werbeerfolge in den sieb­ziger Jahren (348)  Das Beispiel Technische Universität Berlin (351)  Das System der »Stützpunkt-IMs« (354)  Ideologische Anknüpf­ungspunkte und quantitative Dimensionen (357)  Vorschläge für eine »konzentriertere Bearbeitung« (361)  Agentengewinnung aus Gera (366) 

11. Eine Wissenschaft als Feindobjekt – Die DDR- und Osteuropaforschung  (371)  Kampf gegen »Agentenzentralen« (373)  Das Phantom der »Diversion« (376)  Strategien der Bekämpfung (381)  »Linke« gegen »rechte« Forscher (385)  Ein Lehrbuch zur »Feind­bekämpfung« (390)  Ausforschung der Institute (394)  Die »Bearbeitung« des Gesamtdeutschen Institutes (396)  Überwachung der Forscher (401)  Die Inoffiziellen Mitarbeiter (404)

12. Wirtschaftsspionage – Die Stasi als kriminelle Vereinigung  (412)  
Das Agentennetz des Werner Stiller (414) 
Spionage als Planfaktor (417)  Der Sektor Wissenschaft und Technik (SWT) (423)  »Beschaffungsaufträge« und »Informations­schwerpunkte« (427)  Auswertung und Implementierung (432)  Umfang der Spionage (434) 

     

Vorwort

Muß die Geschichte der alten Bundesrepublik neu geschrieben werden? 

9-13

Diese Frage, die ich vor zwei Jahren nach der Lektüre von Akten des ehemaligen Ministeriums für Staats­sicherheit (MfS) aufgeworfen habe, hat heftige Reaktionen ausgelöst.1) Professoren und Politiker, Gewerkschafter und Studenten meldeten sich bei mir zu Wort und berichteten von halb vergessenen Erfahrungen aus der Bonner Republik: Der ehemalige Vorsitzende des SPD-Unterbezirks in Frankfurt am Main schrieb, wie er in den sechziger Jahren einer Diffamierungs­kampagne zum Opfer fiel – und Günter Guillaume statt seiner die Karriereleiter hochstieg. 

Der frühere Direktor des Berliner Wissenschafts­zentrums erzählte von einem Kesseltreiben in den siebziger Jahren, weil er DDR-kritische Positionen vertrat. Ein Gewerkschafter, der seinen Namen nicht nennen wollte, gab sich als abgesprungener HVA-Agent zu erkennen und bombardierte mich mit Interna über die Unterwanderung der Gewerkschaften.

Andere wiesen die These von einer »zweiten«, geheimdienstlichen Dimension der westdeutschen Nachkriegs­geschichte verständnislos zurück. Sie bezweifelten, daß es überhaupt einen nennenswerten Einfluß der Stasi im Westen gegeben haben könnte. Die Stasi habe zwar ehrgeizige Pläne geschmiedet, doch herausgekommen sei letztlich wenig oder nichts.

Seit dieser Zeit hat mich die Frage nach den Wirkungen des Staatssicherheitsdienstes in der alten Bundes­republik nicht mehr losgelassen. Wie die meisten Westdeutschen betrachtete auch ich den Staats­sicher­heits­dienst der DDR anfangs als ein in erster Linie nach innen gerichtetes Unterdrückungs­organ, dessen Agenten in der Bundesrepublik im Grunde nichts anderes taten als die Spione eines jeden anderen Geheimdienstes auch. 

Dieses Urteil mußte ich jedoch bald revidieren. Ich stellte fest, daß die Arbeit im und nach dem »Operations­gebiet«, wie die Stasi den Westen nannte, im MfS als sogenannte Hauptaufgabe betrachtet wurde und ihre »Lösung« mit enormem Aufwand betrieben wurde. Entgegen der weitverbreiteten Vorstellung war es auch nicht allein die jahrzehntelang von Markus Wolf geleitete Hauptverwaltung A (HVA), die in der alten Bundes­republik operierte, sondern das gesamte Ministerium war auf die eine oder andere Weise daran beteiligt.


Umgekehrt wirkte die HVA – im Gegensatz zu den von Wolf verbreiteten Legenden – genauso selbst­ver­ständlich an der Bekämpfung von SED-Kritikern mit. Die Verzahnung von Geheimpolizei und Nachrichten­dienst in einem einzigen Apparat ist das, was die Stasi von den meisten anderen Geheimdiensten unterschied.

Daraus ergibt sich fast zwangsläufig eine weitere Besonderheit: Dem Staatssicherheitsdienst ging es im Westen nicht um bloße Informationsbeschaffung zur Beratung der Regierung, sondern er folgte einem politischen Kampfauftrag. Dieser bestand – wie im Innern der DDR – darin, als »Schild und Schwert« der Partei die Diktatur der SED mit geheimdienstlichen Mitteln zu sichern und zu stärken. Zu diesem Zweck sollten die Bundesrepublik geschwächt, die Kritiker der DDR zurückgedrängt und letztlich die Bedingungen für den weltweiten Sieg des Sozialismus geschaffen werden.

Aus diesem Grund waren auch die schätzungsweise 20.000 bis 30.000 Inoffiziellen Mitarbeiter, die seit Gründung des MfS in der Bundesrepublik tätig waren, nicht einfach Spione oder gar »Kundschafter des Friedens«, wie es die Stasi ihnen weiszumachen versuchte, sondern Zuträger und oftmals auch praktische Unterstützer eines diktatorischen Regimes. Ebensowenig wie die annähernd 500.000 Informanten in Ostdeutschland konnten die im Westen beeinflussen, was die mächtige DDR-Geheimpolizei mit ihren Informationen machte.

Allerdings hatte ein großer Teil der Inoffiziellen Mitarbeiter in der Bundesrepublik das Glück, daß die über sie geführten Akten 1989/90 vernichtet wurden. Mit Zustimmung des Zentralen Runden Tisches wurde insbesondere das gigantische Archiv der HVA fast restlos beseitigt. Alle Politiker, Wissenschaftler oder Journalisten, die im Westen für die »Aufklärung« – das Stasi-Synonym für Spionage – gearbeitet haben, sind aus der zentralen Personenkartei der Staatssicherheit herausgesäubert worden.

Die Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit hat dadurch ein merkwürdiges Ungleichgewicht erhalten – als hätte es Verrat und Bespitzelung nur im Osten Deutschlands gegeben. Während in den neuen Bundesländern ein schmerzhafter Prozeß der Wahrheitsfindung vonstatten geht, wähnen sich die alten Länder in der Rolle von unbeteiligten Zuschauern. Die erhalten gebliebenen Akten der »Abwehr« – also der für die innere Repression zuständigen Abteilungen – zeigen indes, daß die Bereitschaft zur Denunziation keine Frage des Wohnortes ist und auch nicht des politischen Systems. Denn die hier geführten westdeutschen Zuträger des Staats­sicher­heits­dienstes arbeiteten in den meisten Fällen freiwillig und ohne den Druck einer allgegenwärtigen, bedrohlichen Diktatur.

10


Die Aktenbeseitigung zwingt den Historiker allerdings zu einer geradezu detektivischen Arbeit, um das Vorgehen der Staatssicherheit im Westen zu rekonstruieren. Wie einem Archäologen stehen ihm oftmals nur winzige Bruchstücke zur Verfügung, die Aufschluß über das Vergangene geben und nun mühsam zu einem Gesamtbild zusammengesetzt werden müssen. Dabei bleibt der Vorbehalt, daß »wir nicht wissen, was wir nicht wissen« oder – anders ausgedrückt – daß nur das beschrieben werden kann, was durch Akten oder andere Quellen belegt ist.

Die für Spionagedelikte zuständige Bundesanwaltschaft behauptet zwar, daß sie das Netz der inoffiziellen Stasi-Mitarbeiter vollständig enttarnt hätte, doch überprüfen läßt sich diese Aussage nicht. Tatsächlich wurden, den amtlichen Zahlen zufolge, nach der Wende knapp 3000 Ermittlungsverfahren gegen Bundesbürger wegen Spionage eingeleitet, von denen freilich nur 253 mit einer Verurteilung endeten – in den meisten Fällen zu einer Bewährungsstrafe. Zur historischen Aufarbeitung haben diese Verfahren nur selten beigetragen, da die Betroffenen in der Regel den Schutz der Anonymität genossen.

Viele ehemalige Zuträger im Westen haben inzwischen zudem von ihren ostdeutschen »Kollegen« gelernt, daß bei strikter Leugnung und offensiver Ausnutzung der Möglichkeiten, die der einst bekämpfte Rechtsstaat bietet, ein Nachweis der Stasi-Tätigkeit schwierig ist. Statt die Chance zu ergreifen, das Leben in der Lüge zu beenden und damit selber wieder frei zu werden, bestreiten viele schlichtweg den Wahrheitsgehalt der überlieferten Unterlagen. Zwar ist es richtig, daß auch im Staats­sicherheitsdienst der DDR in Plänen und Berichten Schönfärberei durchaus dazugehörte, doch die Fakten selbst ließen sich im für die Überwachung der SED-Herrschaft geschaffenen Apparat am allerwenigstens vertuschen.

Da die Aufarbeitung dieser jüngsten deutschen Vergangenheit kein exotisches Hobby eines einzelnen ist, sondern eine hohe Bedeutung für die gegenwärtige und zukünftige politische Kultur unseres Landes besitzt, muß es um so mehr befremden, wie die Spurenverwischung der Stasi zehn Jahre nach ihrem Untergang ausgerechnet von ihren einstigen Gegnern fortgesetzt wird. Mehr als einmal habe ich mich jedenfalls bei der schwierigen Arbeit an diesem Thema gefragt, warum die amerikanische Regierung, die im Besitz wesentlicher Teile des HVA-Archivs sein soll, diese nicht nach Deutschland zurückführt – so wie nach dem Krieg die Akten des Nazi-Regimes. Eine Verdrängung dieser zweiten Diktaturgeschichte, das lehren die Erfahrungen der alten Bundes­republik, kann nur dazu führen, daß die nachwachsende Generation dem demokratischen System insgesamt mit Zweifeln und Ablehnung gegenübertritt.

11


Dabei mag, neben der professionellen Geheimniskrämerei der Nachrichtendienste, eine Rolle spielen, daß bisher bei den Demokraten Amerikas nicht nachhaltig genug auf die Herausgabe der Unter­lagen gedrängt wurde, die nach bundesdeutschem Recht nur an einer Stelle gelagert werden dürfen: im Archiv des Bundes­beauftragten für die Stasi-Unterlagen. Das Interesse der westdeutschen Gesellschaft an der Aufarbeitung der eigenen Stasi-Vergangenheit ist, so scheint es, nicht eben übermäßig groß. Schon die Offenlegung der von Bürgerrechtlern vor der Vernichtung geretteten Akten konnte nur gegen starke Widerstände des politischen Establishments in Westdeutschland durch­gesetzt werden. Und auch danach fand sich kaum eine Institution in der alten Bundesrepublik, die den ernsthaften Versuch unternommen hätte, die Infiltration der Staatssicherheit und ihre Wirkungen im eigenen Haus aufzuarbeiten.

Bei gründlicher Suche findet man dabei am Ende doch mehr Material, als nach der Aktenvernichtung zu erwarten gewesen ist. Vor allem in dem großen Bestand der »Abwehr« finden sich zahllose Unterlagen, die detailliert über das Vorgehen der Staats­sicherheit Aufschluß geben. Hier hat auch das eine oder andere Dokument überlebt, das aus dem Anleitungsbereich von Markus Wolf stammt. So steht man bald, wenn man vierzig Jahre MfS-Geschichte mit den zuletzt rund zweihundert im Westen operierenden Diensteinheiten »multipliziert«, vor der Aufgabe, das umfangreiche Aktengut bändigen und Schwerpunkte setzen zu müssen.

In diesem Buch geht es deshalb nicht um die »ganze« West-Arbeit des MfS, sondern um exemplarische Vorgänge, an denen das allgemeine Problem illustriert werden soll. Dabei stehen solche Themen im Vordergrund, die für die Geschichte und das Selbst­verständnis der alten Bundesrepublik von herausgehobener Bedeutung sind oder die das Besondere der DDR-Staats­sicherheit hervortreten lassen. Nicht militärische Spionage oder der Kampf der Geheimdienste untereinander – die, in unterschiedlichem Maße, von jedem Staat der Welt praktiziert werden – sollen hier behandelt werden, sondern jene unsichtbare Infiltration und Fremdsteuerung, ohne deren Betrachtung die Historiographie zur Bonner Republik nicht vollständig wäre.

Zu diesem Zweck habe ich – neben einem im Auftrag des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen erstellten Bericht für die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages – Material gesammelt, welches das Vorgehen der Staatssicherheit im Westen exemplarisch veranschaulicht. Anhand wichtiger Wirkungsfelder wollte ich zeigen, wie die Unterwanderung im Detail funktioniert hat. Mit diesen Feldstudien sollte nicht zuletzt der zeithistorischen Forschung ein Anstoß gegeben werden, sich, entgegen der bisherigen Praxis, den geheimdienstlichen Dimensionen der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte stärker zuzuwenden.

Aus dem Vorgesagten ergibt sich, daß dieses Buch nicht die Meinung des Bundesbeauftragten zum Ausdruck bringt, sondern meine ganz persönliche Sicht auf ein politisches und historisches Problem. Daß ich mit diesem Vorhaben auf unerwartete Schwierig­keiten gestoßen bin, zeigt die Brisanz, die dem Thema bis heute innewohnt. Das Buch hätte nicht erscheinen können ohne die große Unterstützung von Freunden, Kollegen und Archivaren, die mir in den letzten Wochen und Monaten mit Rat und Tat beiseite standen. Vor allem aber danke ich meiner Frau Annette, die mich immer wieder ermuntert hat, die Aufarbeitung dieses Teils der Stasi-Vergangenheit nicht sich selbst zu überlassen.

12-13

Berlin, im September 1999,
Hubertus Knabe 

 

 

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