Spuren im Gehirn — 

Stress hinterläßt Narben  

Frau Prof. Katharina Braun

2003 by Österreichischer Rundfunk TV

  

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Web:  
Univ. Magdeburg, Institut für Biologie  

Sendung vom 14.02.2003 von Patricia Pawlicki  

   Janov Start

 

Hirnforschung für jedermann Uni-Magdeburg.de/bio/hirnforschung.htm    Prof. Anna Katharina Braun  

 

Familiäre Eintracht ist für Strauchratten wichtig. Die hamsterähnlichen Nager mit den großen Ohren sind perfekte Tiermodelle für soziales Verhalten. Die Eltern leben monogam und ziehen die Jungen gemeinsam auf.

Kaum (aber) sind die Jungen auf der Welt (an der Uni Magdeburg), werden sie  drei Mal am Tag von ihren Eltern getrennt. Sie sehen ihre Geschwister nicht mehr, können auch die Eltern nicht mehr wahrnehmen. Die unterbrochene Beziehung sorgt bei den Tieren für großen Stress. Sie laufen völlig orientierungslos umher und schreien, bis sie letztlich resignieren. Und genau da setzt der Versuch am Institut für Entwicklungsbiologie an der Magdeburger Universität an. Welche Spuren hinterlässt dieser Prägungsvorgang im Gehirn?

Prof. Katharina Braun, Entwicklungsbiologin: "Wir waren wirklich auch am Anfang etwas erschüttert, dass man mit solchen ja doch relativ harmlosen Manipulationen, die wir da im Labor induzieren, schon solche traumatischen Veränderungen messen kann."

Diese frühen traumatischen Erlebnisse haben starken Einfluss auf die sogenannten Synapsen - also die Verschaltungen im Gehirn. Die Forscherin will beweisen, was der Alltagsverstand bereits zu wissen glaubt: Dass frühe traumatische Erfahrungen auch das Verhalten eines Menschen das ganze Leben lang beeinflussen. Nach einer Stunde dürfen die Jungen wieder zur ihren Eltern und suchen sofort Wärme und Schutz.

Prof. Katharina Braun, Entwicklungsbiologin: 

"In unserem Beispiel, das wir Ihnen heute gezeigt haben, ist ganz klar deutlich, dass die negativen Erfahrungen oder traumatischen Erlebnisse tatsächlich in die Hirnentwicklung eingreifen können. Und genau in den Hirnzellen, die für das emotionale Verhalten auch beim erwachsenen Tier verantwortlich sind, dort die synaptische Entwicklung verändern, sodass wir davon ausgehen, dass diese veränderte Synapsenentwicklung dann auch das Verhalten des Tieres, wenn es dann erwachsen ist, deutlich verändern sollte. Und wir haben auch erste Hinweise darauf, dass das Verhalten dieser Tiere verändert ist."

Diese Veränderungen hinterlassen Narben im Gehirn. Bei dem Versuch zeigt sich deutlich: die isolierten Tierchen haben andere Synapsen ausgebildet als die Ratten, die bei ihren Eltern bleiben durften. Bei den vernachlässigten Tieren gibt es eine andere Entwicklung in jenen Gehirnregionen, die für Emotionen, Lernen und Gedächtnis zuständig sind.

Prof. Katharina Braun, Entwicklungsbiologin: 

"Man erkennt hier im vorderen Bereich des Gehirnes, dass insbesondere im Präfrontalcortex, dem Gebiet, welches die emotionale Verhaltenssteuerung bewerkstelligt, dass die neuronale Aktivität heruntergesenkt wird und auch in einem anderen limbischen Gebiet, dem Hypocampus, der für räumliches Lernen verantwortlich ist, und in der Amygdala, einem Kerngebiet, welches bei Angst und Furchtverhalten eine sehr große Rolle spielt."

Nicht nur die Synapsenzahl gerät bei den gestressten Rattenkindern aus dem Gleichgewicht, auch die Chemie zwischen den Zellen im Gehirn ist gestört, der Stoffwechsel durcheinander.

Jetzt wird untersucht, wie weit diese Störungen im Gehirn durch Stressvermeidung wieder rückgängig gemacht werden können und ob sich daraus auch Rückschlüsse auf das menschliche Gehirn ziehen lassen.

Prof. Katharina Braun, Entwicklungsbiologin: 

"Das ist in der Tat zu hoffen. Denn das Gebiet, das wir untersuchen, ist der Präfrontalcortex, das ist die Struktur, die sich beim Menschen als letztes und auch besonders langsam entwickelt. Bis zur Pubertät sind da ganz dramatische Entwicklungs­veränderungen sichtbar. Das heißt also, wenn man noch in diesem ganz frühen Zeitfenster regulierend eingreift, dann hat man wirklich noch die Chance, Defizite aufzuholen."

Als nächstes wollen die Magdeburger Forscher klären, ob die Schaltkreise im Gehirn auch nach der Pubertät noch umgebaut werden können. Psychologen und Psychiater interessieren sich inzwischen schon sehr für die kleinen Tierchen aus Magdeburg. Denn sie könnten bald zu einem besseren Verständnis über die Ursache von Depressionen und Neurosen beitragen. 

 

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