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7  Das Außenhandelsmonopol und der auswärtige Handel Sowjetrußlands

Von  Dr. W. Höffding

 

 

   Außenhandelsmonopol als Kommandohöhe  

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Während auf dem Gebiete des Binnenhandels, sowie auf verschiedenen anderen Gebieten der Wirtschaft, die Politik der kommunistischen Regierung in Rußland in den letzten 13 Jahren verschiedenen Schwankungen unterworfen war, ist seit der Proklamierung des Außenhandelsmonopols am 18. April 1918 an diesem Prinzip nie gerüttelt worden.

Der Außenhandel des Riesenreiches, mit seiner Bevölkerung von 150 Millionen Menschen, untersteht in allen seinen Einzelheiten der allumfassenden Regelung einer Zentralgewalt. Ja, wenn man von einigen — im Vergleich zu dem Gesamtumsatz des Außenhandels der Sowjetunion unbedeutenden — Ausnahmen absieht, so fließt der gesamte Außenhandel durch die Kanäle eines gewaltigen staatlichen Handelsapparats. Dieser Apparat besteht in Rußland aus dem Volkskommissariat für Handel (Narkomtorg)1), sowie aus einer Reihe staatlicher Handelsorganisationen, und im Auslande — aus den Sowjethandelsvertretungen, welche in einer Reihe von Ländern aus taktischen Gründen die Rechtsform einer gewöhnlichen Aktiengesellschaft annehmen, deren Aktien sich zu 100 Prozent im Besitz von verschiedenen Sowjetorganen befinden (wie z.B. die Amtorg Corporation in New York). 

Von der Größe dieser Behörden kann man sich daraus eine Vorstellung machen, daß z.B. die Unterhaltungskosten der Berliner Handels­vertretung mit ihrem Riesenbeamten­apparat nach sowjetamtlichen Angaben noch vor kurzem nicht weniger als 15 Millionen Mark im Jahr betrugen.2)

Die Kommunistische Partei in Rußland hat immer das Außenhandelsmonopol als eine der Hauptstützen oder — um einen in der Sowjetpresse immer wiederkehrenden Ausdruck zu gebrauchen — als eine "Kommandohöhe" betrachtet, von der aus die gesamte Wirtschaft, vor allem die 25 Millionen Bauernwirtschaften, Rußlands erfaßt, kontrolliert, beherrscht und in den Dienst des "sozialistischen Sektors" des Sowjetstaates gestellt werden müssen.

 

1)  Die früher getrennten Volkskommissariate für Außen- und Binnenhandel wurden im Jahre 1926 in ein Kommissariat für den Handel zusammengeschmolzen.
2) Siehe die auf Veranlassung der Berliner Sowjethandelsvertretung herausgegebene Arbeit: "Der Handelsverkehr der UdSSR mit Deutsch­land", erläutert von Dr. Rudolf Anders, Berlin 1928, S. 97.


Unzählige Male ist es in den Reden von führenden Kommunisten, sowie in der Sowjetpresse betont und wiederholt worden, daß das Außenhandelsmonopol einen Eckpfeiler des gegenwärtigen, politischen und wirtschaftlichen Systems darstellt, an dem unter keinen Umständen gerüttelt werden darf. Es ist dabei immer darauf hingewiesen worden, daß kein noch so hoher Zollschutz das System des vollständigen staatlichen Außenhandelsmonopols ersetzen kann, und daß nur dieser starke Wall die verstaatlichte Sowjetindustrie gegen den Ansturm der Konkurrenz kapitalistischer Länder schützen kann. Es gibt kaum ein sowjetrussisches Buch über Fragen des Außenhandelsmonopols ersetzen kann, und daß nur dieser Schriften Lenins die Erörterung dieser Fragen eröffnet: "Keine Zollpolitik kann in der Epoche des Imperialismus und des ungeheueren Unterschiedes zwischen armen und unglaublich reichen Ländern wirksam genug sein. Unter diesen Verhältnissen kann jedes der reichen Industrieländer den Zollschutz zunichte machen. Zu diesem Zwecke braucht es nur eine Exportprämie für diejenigen Waren zu gewähren, für die wir Zölle eingeführt haben. Jeder Industriestaat hat hierfür mehr als genug Geld, und er kann auf diesem Wege unsere Industrie ohne weiteres zerstören."3)

Ähnlich, wenn auch der Form nach nicht so naiv, wie in den angeführten Worten Lenins, wird die Notwendigkeit des Außenhandelsmonopols für die Sowjetunion in einer anderen, auch vom Handelskommissariat in Moskau anläßlich des 10-jährigen Bestehens der Sowjetunion herausgegebenen Schrift begründet:

"Da es in der Welt nur zwei verschiedene Wirtschaftssysteme gibt: ein kapitalistisches und ein sozialistisches, sowie angesichts der Tatsache, daß überall — außer in der Sowjetunion — der Kapitalismus vorherrscht, kann das Sowjetsystem, als wirtschaftlich unabhängiges System, nur unter dem Schutze des Außenhandelsmonopols bestehen. Die XIV. Parteikonferenz hat die Unantastbarkeit des Außenhandelsmonopols bestätigt, da sie in ihr die Voraussetzung für unsere wirtschaftlichen Beziehungen zu den kapitalistischen Ländern und für die Entwicklung unseres Handels in einer den Grundaufgaben des sozialistischen Aufbaues am besten entsprechenden Richtung sieht. Das System des freien Außenhandels, oder ein System, bei dem die Ein- und Ausfuhr auf Grund von Lizenzen geschieht, sind mit der sozialistischen Wirtschaft in einer Periode des Kapitalismus unvereinbar, besonders in einer Zeit, in der die USSR. von kapitalistischen Staaten umzingelt ist. Die staatliche Planwirtschaft ist undurchführbar, wenn Waren frei ein- und ausgeführt werden können; die Wiederherstellung der Sowjetindustrie wäre unter diesen Verhältnissen unmöglich, oder wenigstens sehr erschwert."4)

 

3) Die Enzyklopädie des Sowjetimports (russ.), herausgegeben vom Handelskommissariat, Moskau 1929, B. I, Teil I.

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Es muß diesen Ausführungen insofern Recht gegeben werden, als bei den sprichwörtlich hohen Produktionskosten der nationalisierten Sowjetindustrie und dem chronischen Warenhunger, an dem das Land seit 12 Jahren leidet, kein Zoll hoch genug gewesen wäre, um das Hereinströmen von ausländischen Waren aufzuhalten. Auch würde die Herstellung einer direkten Verbindung zwischen dem russischen Bauerntum und ausländischen Importeuren und Exporteuren die Grundlagen des Sowjetsystems erschüttern, soweit dieses System in einer wirtschaftlichen Uebervorteilung des individualistisch wirtschaftenden Dorfes zugunsten der kommunistischen Stadt besteht.

Oder mit anderen Worten: das sozialistische (oder staatskapitalistische) Wirtschaftssystem in Sowjetrußland kann nur unter der Voraussetzung bestehen, daß es sich in so einer Isolierung von seiner "kapitalistischen Umgebung" entwickelt und erhält, die nur durch das System des lückenlosen Außenhandelsmonopols gewährleistet werden kann. Und tatsächlich: während sich die Wirtschaftspolitik der Sowjetregierung in den verflossenen Jahren auf den meisten Gebieten in einem Zickzackkurs bewegt hat, ist der Grundsatz des Außenhandelsmonopols innerhalb der Kommunistischen Partei (denn nur sie hatte hier überhaupt mitzureden) nie bekämpft oder angefochten worden. Der Außenhandel Sowjetrußlands hat nie eine "NÖP" (die sogenannte "Neue ökonomische Politik") gehabt. Die wenigen Ausnahmen, durch die an der ostasiatischen Grenze persischen, afghanischen und chinesischen Kaufleuten in gewissem Umfange das Recht der direkten Aus- und Einfuhr eingeräumt wurde, sowie die gleichen Privilegien der wenigen ausländischen Konzessionäre vermögen an dieser Gesamtlage nichts zu ändern.

 

Entwicklung des Außenhandels

Es ist weder möglich noch besonders interessant, im engen Kahmen dieses Aufsatzes auf irgendwelche Einzelheiten des organisatorischen Aufbaues des Außenhandelsmonopols der Sowjetunion einzugehen. Viel wichtiger ist die Frage, wie dieses System die tatsächliche Entwicklung des russischen Außenhandels in den letzten 8 Jahren beeinflußt hat, die seit der Aufhebung der Blokade Sowjetrußlands durch die früheren Alliierten im Jahre 1920 und der Wiederaufnahme der Handelsbeziehungen zur kapitalistischen Außenwelt verflossen sind.

 

4) Der Außenhandel der Sowjetunion in 10 Jahren (russ.), Moskau l928, S. 7. Siehe auch den Artikel des gegenwärtigen Volkskommissars für Handel, Mikojan: "Das Außenhandelsmonopol und der Import nach U. S. S. R." in der Enzyklopädie des Sowjetimports der

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Was zunächst die zahlenmäßige Entwicklung des Außen-1 handeis der Sowjetunion in diesen Jahren betrifft, so geben folgende Zahlen hierüber Aufschluß:5)

Wirtschafts-Jahre Ausfuhr Einfuhr Bilanz (beginnend am l.Oktob.) (in Millionen Rubel)

1924/25 578 723 —1.45

1925/26 703 756 — 53

1926/27 807 714 + 93

1927/28 788 946 —158

1928/29 890 837 + 54

1929/30 (9 Monate) 726 802 — 76

Kurz nach dem Weltkriege und dem bolschewistischen Umsturz hatte der gesamte Export Rußlands einen noch nie dagewesenen Tiefstand erreicht und sank im Jahre 1920/21 auf 10 Millionen Rubel — also 0,6 Prozent des Exports vom Jahre 1913. In den darauffolgenden Jahren stiegen die Umsätze nach und nach und zwar in dem Maße, in dem die privatwirtschaftliche Produktion des russischen Bauern infolge der von der NÖP (der neuen Wirtschaftspolitik) gewährten Erleichterungen wieder auflebte, Material für die Ausfuhr schaffte und somit die Aufnahmefähigkeit Sowjetrußlands für ausländische Waren steigerte. Trotz dieser Belebung machte nach einer vom Volkskommissar für Handel, Mikojan, aufgestellten Berechnung6) die Ausfuhr für das Jahr 1926/27 nur 766 Millionen Sowjetrubel aus, was 555 Millionen Rubeln in Vorkriegswerten entspricht und 42,6 Prozent der Vorkriegsausfuhr darstellt.

Diese Rückständigkeit des Außenhandels der Sowjetunion im Vergleich zur Entwicklung der wichtigsten Zweige der landwirtschaftlichen und industriellen Produktion im gleichen Zeitraum, — ist nur zum kleineren Teile auf die Gebietsverminderung Rußlands nach dem Kriege zurückzuführen. Nach Mikojan entfielen vom gesamten Außenhandel des früheren Russischen Reiches im Jahre 1913 auf die nunmehr abgetretenen Gebiete etwa 15 Prozent (was bei dem oben angeführten Vergleich bereits berücksichtigt zu sein scheint). Es fehlen die Unterlagen, um die Richtigkeit dieser Berechnung genau nachzuprüfen; der genannte Prozentsatz dürfte aber ungefähr der Wirklichkeit entsprechen.

Eine andere Vergleichsbasis bietet der pro Kopf der Bevölkerung entfallende Ausfuhrwert, der nach der Berechnung eines Sowjetwirtschaftlers im Jahre 1913 — 8,3 Rubel, und im Jahre 1927/28 nur 3,3 Rubel betrug.7)

 

5)  Sowjetskaja Torgowlja (Organ des Handelskommissariats) 1930, Nr. 1, S. 12-14.
6)  "Prawda" vom 3. November 1927.

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Aus diesen Zusammenstellungen, sowie aus den oben angeführten Zahlen geht auf jeden Fall folgendes einwandfrei hervor: erstens, beträgt der Sowjetexport gegenwärtig kaum mehr als die Hälfte der russischen Ausfuhr vor dem Kriege; und, zweitens, zeigt die Ausfuhr in den letzten Jahren die Tendenz, sich auf diesem niedrigen Stande zu stabilisieren.

 

Anteil Rußlands am Welthandel

Unter dem gegenwärtigen System hat sich der Anteil Rußlands am Wirtschaftsverkehr der Welt stark vermindert, was noch kurz durch folgende Zahlen illustriert sei.

Nach dem großen Tabellenwerk über den Außenhandel und über die Zahlungsbilanzen aller Staaten der Welt, das vom Sekretariat des Völkerbundes anläßlich der Weltwirtschaftskonferenz in Genf im Jahre 1927 veröffentlicht wurde, betrug der Anteil Rußlands am Welthandel im Jahre 1913 3,9 Prozent, wobei Rußland nach den Umsatzzahlen seines Außenhandels den sechsten Platz unter den Staaten der Erde einnahm.

Im Jahre 1925, also acht Jahre nach der kommunistischen Revolution und fünf Jahre nach der Aufhebung der Blockade, betrug dieser Anteil nur 1,06 Prozent des Welthandels, wobei Sowjetrußland den 23. Platz einnahm, dicht hinter dem kleinen Dänemark und der Schweiz und unmittelbar neben der Republik Kuba.

Von Sowjetstatistikern wurde der Anteil Rußlands am Welthandel im Jahre 1926 mit 1,14 Prozent errechnet.8) Für das Jahr 1927/28 gibt eine andere Sowjetquelle diesen Anteil mit 1,68 Prozent an.9) Da, wie oben bereits erwähnt, die durch die Gebietsverminderung des früheren Russischen Reiches verursachte Abnahme des Handelsumsatzes 15 Prozent nicht überschreiten dürfte, war das Zusammenschrumpfen des russischen Außenhandels von rund 4 Prozent auf 1,68 Prozent des Handelsverkehrs der Welt durch andere Ursachen bedingt.

 

7)  M. Kaufmann, "Der Außenhandel und die Volkswirtschaft im Jahre 1927/28" in Ekonomitscheskoje Obosrenije, Moskau, März 1929, S. 105 (russ.)
8)  Sowjetskaja Torgowlja, 1927, Nr. 43.
9)  Kaufmann in Ekonomitscheskoje Obosrenije, März 1929, S. 102.

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Ursachen des Exportrückganges

Worin bestanden nun die Ursachen des ungeheuren Rückganges des russischen Außenhandels überhaupt und der russischen Ausfuhr im besonderen? Wie ist

ferner die auffallende Tatsache zu erklären, daß nach einer verhältnismäßig schnellen Erholung während des Zeitraumes 1922—1926, der Außenhandel Sowjetrußlands in den darauffolgenden Jahren eine gewisse Stagnation aufweist, an der übrigens der gänzliche Ausfall des Getreideexportes nicht ohne Schuld ist?

Zunächst war natürlich dieser Rückgang teilweise durch die Zerstörungen der Kriegs- und Revolutionszeit bedingt. Vor allem versetzte die Agrarrevolution, — durch ihre Enteignung des gesamten privaten Grundbesitzes, — der Exportfähigkeit Rußlands einen schweren Stoß, da sie den Groß- und Mittelbetrieb der Landwirtschaft gänzlich zerstörte, Freilich war Rußland, wie an einer anderen Stelle dieses Werkes ausführlich dargetan wird, ein ausgesprochenes Bauernland, in dem den Bauern fast 80 Prozent des gesamten Ackerbodens gehörten. Diese Millionen von Bauernwirtschaften waren aber in ihrer Mehrzahl auf die Deckung des Eigenbedarfs eingestellt, und die Mengen von Getreide und anderen Produkten, die sie für den Markt und den Export abgeben konnten, waren beschränkt. Es waren dagegen vor allem die Groß-und Mittelbetriebe, die den überwiegenden Teil besonders für den Export lieferten.

Aber auch innerhalb der Bauernmasse selbst hat die Zerstückelung der Bauernwirtschaft, die allgemeine "Nivellierung nach unten", gerade diejenigen Bauernhöfe am schwersten getroffen, die immer noch Ueberschüsse für den Markt liefern konnten. Die Tatsache der Teilung und der Vermehrung der Gesamtzahl der Bauernhöfe innerhalb eines Dezenniums von 18 auf 27 Millionen kennzeichnet diesen Prozeß am besten, der, wie man auch seine sozialen Vorteile oder Nachteile einschätzen mag, vom Standpunkte der Produktivität der russischen Landwirtschaft und der Exportfähigkeit des Landes einen schweren Rückschlag bedeutete. Interessant ist, daß diese Feststellung neulich, im zwölften Jahre nach dem bolschewistischen Umsturz, von dem Präsidenten des Vollzugsausschusses der Sowjetunion, Kalinin, in einer in Iwanowo-Wosnessensk gehaltenen Rede gemacht wurde. Uebri-gens hat die russische Kommunistische Partei in der Erkenntnis, daß der Großbetrieb, und zwar sowohl in der Getreide- als auch in der Viehwirtschaft, in Rußland nicht nur für die Aufrechterhaltung des Exports, sondern auch für die Ernährung der Städte unentbehrlich ist, die praktischen Konsequenzen gezogen. Sie hat mit der ihr in solchen Fällen eigenen Energie und mit einem Aufwand von riesigen Mitteln die Schaffung von staatlichen Getreidewirtschaften, von "Getreidefabriken", wie sie in der Sowjetpresse mit Vorliebe genannt werden, in Angriff genommen. Inwieweit die

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staatlichen Riesengetreidefarmen imstande sein werden, Ge treide für den Export zu liefern, ist heute noch völlig un-gewiß- Die Tatsache der Wiederaufnahme des Getreideexports im Herbst 1930 (übrigens bei schärfster Rationierung des Verbrauchs im Lande selbst) besagt an sich noch sehr wenig, da die klimatischen Verhältnisse des Sommers 1930 ganz ungewöhnlich günstig waren.

Der Rückgang des landwirtschaftlichen und des Gesamtexports Rußlands kann aber keineswegs allein auf das Konto der Liquidation des privaten Grundbesitzes und der sozialen Umschichtung innerhalb der Bauernwirtschaft gesetzt werden. Denn der Rückgang der Ausfuhr von Getreide (von dem fetzigen gänzlichen Ausfall desselben gar nicht zu sprechen) überstieg den früheren Anteil des Groß- und Mittelbesitzes an der russischen Ausfuhr bedeutend. Außerdem ist der Rückgang bei solch ausgesprochen bäuerlichen Erzeugnissen wie Flachs und Eiern noch größer als bei Getreide. Es fällt in dieser Beziehung auf, daß die Erzeugung einiger Exportwaren in der Bauernwirtschaft in den letzten Jahren eine recht bedeutende Steigerung erfahren hat. Trotzdem bleibt die Ausfuhr hinter der Norm der Vorkriegsjahre weit zurück. So hat zum Beispiel die Anbaufläche von Flachs den Vorkriegsstand überschritten (mit den Erträgen ist das aber nicht der Fall!); und doch macht der Flachsexport kaum 20 Prozent (unter Berücksichtigung der Gebietsänderungen) der Vorkriegsausfuhr aus.

Die Ursache der auffallenden Diskrepanz zwischen der wiederhergestellten Produktion und der gegenwärtig geringen und in ihrem Wachstum gehemmten Ausfuhr besteht also nicht, oder nicht allein in der unzureichenden Produktion der betreffenden Waren. Die Hauptursache dieses Zustandes ist vielmehr in der Tatsache zu suchen, daß der russische Bauer in weitestem Umfange zur Naturalwirtschaft zurückgekehrt ist, und einen relativ geringen Teil seiner Produktion auf den Markt bringt.

Wir können hier nur kurz die Hauptgründe dieser naturalwirtschaftlichen Reaktion innerhalb der russischen Landwirtschaft, dieses Sichzurückziehens des russischen Bauern vom Markte aufzählen. An erster Stelle stehen die exorbitant hohen Preise der Erzeugnisse der nationalisierten Sowjetindustrie, die dem Bauern keinerlei Anreiz bieten, die Produktion der marktgängigen Produkte seiner Wirtschaft zu steigern, beziehungsweise einen größeren Teil dieser Produktion zu veräußern. Ferner werden durch die im Jahre 1927 proklamierte und 1929 mit besonderem Nachdruck verfolgte "Offensive gegen den Kulak",10) die mit Mitteln der

 

10) Siehe die entsprechende Analyse im Aufsatze von Kritsky.

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Steuer- und Agrarpolitik, sowie durch rücksichtslose Enteignung sämtlicher Getreideüberschüsse hei den reicheren Bauern vorgeht, und die auf dem Lande noch vorhandenen Ueherschußwirtschaften rücksichtslos zerstört. Die Wie"derein- j führung der Brotkarte in einem Lande, welches früher die Kornkammer Europas war, zeigt am besten, wohin diese Politik führt.

Der dritte Grund ist für das hier behandelte Thema von besonderer Bedeutung. Der "Narkomtorg" und die übrigen Handelsorganisationen, die die ausgeführten Waren zu Weltmarktpreisen verka u>^ e n, nutzen ihre Monopolstellung aus, um den an den Erzeuger zu zahlenden Preis herabzudrücken, was für sie um so notwendiger ist, als die Handlungsunkosten des schwerfälligen, bürokratischen Sowjetapparats diejenigen des früheren Privathandels um ein Mehrfaches übersteigen. Aus der Fülle des Materials, das die Sowjetliteratur und Sowjetpresse zu diesem Punkte bringt, seien nur einige Zahlen herausgegriffen.

Nach den Angaben von Kaufmann, der in Rußland als einer der besten Kenner des Sowjetaußenhandels gilt, kann das Verhältnis sämtlicher Handlungsunkosten (einschließlich der Fracht) zu den Durchschnittspreisen der betreffenden Waren am Einkaufsorte (also zu dem an den Erzeuger bezahlten Preise) in folgenden Zahlen ausgedrückt werden.11) Es machten die Handlungsunkosten folgende Prozentsätze der Erzeugerpreise aus.

            Vor dem Kriege    1925/26

Getreide 37,1                 % 69,6 %

Butter 16,5 %                 36,8 %

Eier 36,5 %                     74,6 %

Flachs 12,0 %                 44,5 %

Bei diesen hohen Handlungsunkosten, die diejenigen vor dem Kriege bei einzelnen Waren um das 3 fache und sogar um mehr übersteigen, darf es nicht wundernehmen, daß trotz der niedrigen an die Erzeuger gezahlten Einkaufpreise ein großer Teil der gegenwärtigen Ausfuhr mit Verlust abschließt, wovon noch im folgenden die Rede sein wird. Hier sei nur noch bemerkt, daß trotz der seit dem Jahre 1926 erzielten Verminderung der Unkosten auf einzelnen Gebieten die oben geschilderte Lage auch heute grundsätzlich die gleiche ist. 

 

11)  Eine vollständige Zusammenstellung der sich auf das Thema der Handlungsunkosten des Außenhandelsmonopols und die Rentabilität der Ausfuhr Sowjetrußlands beziehenden Materials findet man in dem Aufsatz von S. Cohn, "Die Außenhandelsbeziehungen der U.S.S.R. in den letzten Jahren", VIII. Heft der in Prag von Professor Prokopowitsch herausgegebenen Zeitschrift "Russkij Ekono-mitscheskij Sbornik", S. 122—149 (russisch).

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Die niedrigen Preise für Lebensmittel und Rohstoffe, die vom kommunistischen Staat unter voller Ausnutzung seiner auf das Außenhandelsmonopol gegründeten Machtstellung an die Erzeuger gezahlt werden, sind auch heute noch eine der Hauptursachen des Verhaltens der Bauern, die sich vom Markte zurückziehen und z.B. den durch seine Qualität weltberühmten russischen Weizen an ihre Schweine verfüttern, anstatt ihn zu Spottpreisen an den Sowjetstaat abzuliefern.12)

Trotzdem die kommunistische Regierung ihre Monopolstellung in Bezug auf die an den Erzeuger zu zahlenden Preise rücksichtslos ausnützt, schließt die Ausfuhr nicht selten mit einem Verlust ab. Die Unrentabilität ganzer Zweige des Sowjetexports ist zum Dauermerkmal dieses Handels geworden. Die Geschichte und die heutige Praxis des Außenhandels in anderen Ländern wissen von Fällen zu berichten, in denen Einzelfirmen, besonders aber Industriekartelle und Trusts zu "Schleuderpreisen", die unter dem Inlandspreis liegen, exportieren (was übrigens an sich noch nicht besagt, daß diese Preise Verlustpreise sind). 

Daß aber ein rechnerisch unrentabler Export dauernd und sozusagen systematisch betrieben wird, ist natürlich bei einer Privatfirma oder einem Privatkonzern ein Ding der Unmöglichkeit. Im heutigen Rußland findet diese eigenartige Tatsache lediglich in dem bestehenden Wirtschaftssystem seine Erklärung. Die im Verhältnis zu seiner künstlich aufrecht erhaltenen Goldparität niedrige Kaufkraft des T s ch e r w o n e t z r üb e 1 s auf dem inneren russischen Markt ist eine der tieferen Ursachen dieser Erscheinung. Ohne auf andere, gleichfalls wichtige Faktoren einzugehen, sei hier nur darauf hingewiesen, daß es der Sowjetregierung vor allem darauf ankommt, die von ihr so dringend benötigten Devisen zu erhalten, wobei es für sie von sekundärer Bedeutung ist, welche Verluste sie dabei in Papierrubeln erleidet. Dieser Mechanismus kann solange funktionieren, wie durch die Steuern und durch andere Mittel die für die Deckung des Fehlbetrages notwendigen Summen aufgebracht werden können.

Es fehlen vollständige Angaben über die Höhe der bei dem Export erlittenen Verluste. Man ist daher auf Mitteilungen angewiesen, die doch von Zeit zu Zeit in der Sowjetpresse durchsickern.

So wurde in den letzten Jahren verschiedentlich darauf hingewiesen, daß Getreide, Eier, Flachs, Butter, Holz mit Verlust exportiert werden. In einem Bericht des Volkskommissariats der Arbeiter- und Bauerninspektion über die Ausführung des Export- und Importplanes für das Jahr 1925/26 heißt es u. a.:

 

12)  Ekonomitscheskaja Shisn, 28. Juni 1929.

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Verlustexport

"In Bezug auf die Hauptausfuhrwaren war der Export inj Wirtschaftsjahr 1925/26 im allgemeinen unrentabel. Einige Exportartikel wurden mit Verlust verkauft."13)

Durch Zufall sind wir in der Lage, abschließende Zahlen für das Jahr 1926/27 anführen zu können. In dem Buche des bekannten russischen Kommunisten Larin (Lurje) "Das Privat-kapital in der USSR." (Moskau 1927) findet man Angaben des Volkskommissariats für Finanzen über die Ergebnisse des Außenhandels des Jahres 1926/27. Da diese Zahlen in der Sowjetpresse sonst nirgends veröffentlicht worden sind, ist anzunehmen, daß sie der Aufmerksamkeit des Parteizensors entgangen sind. Bei einer Gesamtausfuhr von 770 Millionen Rubeln, heißt es hier, wurden für 345 Millionen Rubel Waren mit Verlust ausgeführt (4 4 Prozent der Gesamtausfuhr). Hiervon wurden wiederum für 235 Millionen Rubel Waren "mit großen Verlusten" exportiert.

In den Jahren 1929 und 1930 hat der Schleuderexport der Sowjetregierung in aufsehenerregender Weise zugenommen. Er umfaßt sowohl Lebensmittel und Rohstoffe, als auch — was besonders auffällig erscheint — Fertigerzeugnisse der Sowjetindustrie, wie z. B. Textilwaren, Schuhe, Gummischuhe, Gummireifen, Seife, Streichhölzer usw. Es hat sich dabei gezeigt, daß kein Land sich auf die Dauer einer Stellungnahme zu diesem sogenannten "Sowjetdumping" entziehen kann. Einzelne Länder haben bereits Schutzmaßnahmen ergriffen, sei es in der Form eines Abwehrmonopols, wie es Deutschland getan hat, um sich gegen die Ueberflutung mit sowjetrussischen Streichhölzern zu schützen, sei es in Form von Einfuhrverboten oder der Einführung des Lizenzzwanges für Waren sowjetrussischer Provenienz, wie es während des Herbstes 1930 Frankreich, Belgien, Ungarn und Rumänien gemacht haben, sei es endlich in Form von Versuchen, die allgemeinen Bestimmungen der Zollgesetze über die Einfuhrverbote von Waren, die mit Zwangsarbeit hergestellt worden sind, auf die Einfuhr von Waren aus der Sowjetunion anzuwenden (Holz in den Vereinigten Staaten). Auf der Herbsttagung des Völkerbundes in Genf im Jahre 1930 wurde sogar eine gemeinsame Abwehraktion der Völkerbundsstaaten gegen das Sowjetdumping angeregt. Der Vorschlag fand aber keine einmütige Annahme. Es zeigte sich bei dieser Gelegenheit wieder, daß die Rivalität der kapitalistischen Staaten untereinander — in Zeiten einer schweren wirtschaftlichen Depression noch dazu besonders verschärft — einen

 

13)  Ekonomitscheskaja Shisn v. i. September 1929.

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Das Sowjet-Dumping

der größten Trümpfe des Moskauer Kommunismus gegen die bürgerliche Welt bildet.

Damit aber solche Aktionen — vereinzelte oder gemeinsame — gegen das Sowjetdumping die Wurzel des Uebels treffen und die drohende Gefahr richtig abschätzen, wird es notwendig, das Spezifische des Sowjetdumpings im Vergleich zu der gleichen Erscheinung in kapitalistischen Ländern zu erkennen, sowie die Möglichkeiten eines Schleuderexportes, die in der Struktur und der Organisation der Sowjetwirtschaft als Ganzem liegen, richtig zu erfassen.

In Bezug auf das "Sowjetdumping" muß mit ganz besonderem Nachdruck vor einer kritiklosen Uebertragung der aus einer freien kapitalistischen Wirtschaft stammenden Begriffe und termini technici auf die Verhältnisse der kommunistischen Sowjetwirtschaft gewarnt werden.

Das Dumping, wie es in der Praxis der kapitalistischen Truste und Syndikate Europas und Amerikas gang und gäbe ist, also der Export zu Preisen, die unter den Inlandspreisen und manchmal unter den Produktionskosten liegen, erfolgt mit dem Ziele, eine Ueberschußproduktion zu einem niedrigeren Preise ins Ausland abzuschieben, die Kapazität der Betriebe besser auszunützen und hierdurch die "fixen" Kosten des Unternehmens per Einheit des Produkts zu senken und seine Rentabilität zu heben. Hierin liegt auch die natürliche Beschränkung des kapitalistischen Dumpings. Ein kapitalistischer Trust wird nicht Waren "dumpen", die zu einem höheren Inlandspreise abgesetzt werden können, ebenso wenig wie er in dem Ausmaße des Dumpings über die Grenzen gehen wird, die durch Rücksicht auf die Rentabilität des Gesamtunternehmens oder des Industriezweiges (im Falle eines Syndikats) gezogen sind.

Im Gegensatz hierzu kennt der von der Sowjetregierung geübte Schleuderexport keine dieser Beschränkungen. Erstens werden Waren exportiert, an denen im Lande selbst der größte Mangel herrscht, ja deren Verbrauch aufs schärfste durch die Regierung rationiert ist. Zweitens spielt die Frage des auf die Einzelware oder Warengruppe entfallenden Verlustes eine nur nebensächliche Rolle, vielmehr befindet sich die Sowjetregierung, als Beherrscherin einer zentralisierten verstaatlichten Wirtschaft in der "glücklichen" Lage, den Gesamtexport mit Verlust treiben zu können, soweit dieser Verlust an anderer Stelle innerhalb der Sowjetwirtschaft, sei es durch Steuern oder erhöhte Inlandspreise der monopolistischen staatlichen Industrie, gedeckt wird. Somit kennt die Sowjetregierung nicht die natürlichen wirtschaftlichen Schranken, die dem kapitalisti-

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schen Dumping gesetzt sind; sie besitzt in dieser Beziehung fast unbegrenzte Möglichkeiten, besonders wenn man bedenkt, daß sie über die größten politischen und vor allem wirtschaftlichen Machtmittel verfügt, über die eine Regierung jemals verfügt hat. Motive des Fragt man nach den Motiven des Sowjetdumpings, das

Dumpings unter so großen finanziellen Opfern und unter Preisgabe der wichtigsten Belange der geknechteten Bevölkerung stattfindet, so findet man, daß es sich bisher um ein ausgesprochenes Valutadumping handelt, d. h. daß es durch die bittere, in Zunahme begriffene finanzielle Not der Sowjetregierung verursacht wurde, — durch die Notwendigkeit, um jeden Preis ausländische Devisen zur Bezahlung der Einfuhr zu beschaffen. Neben diesem finanziellen Hauptmotiv hat das Bestreben, durch Desorganisierung der kapitalistischen Wirtschaft Arbeitslosigkeit, Unruhe und, als Folge, Verbreitung des Kommunismus herbeizuführen, bisher eine untergeordnete Rolle gespielt. Damit sei aber durchaus nicht gesagt, daß die Kommunisten in Rußland diese Absicht nicht haben und nicht in größerem Maße zu diesem Mittel greifen würden, wenn ihnen nicht die eigene wirtschaftliche und finanzielle Misere dies verböte. Sie haben nie verheimlicht,, daß eines der Endziele des Fünfjahresplanes nicht nur in der "Verselbständigung" der Sowjetwirtschaft, sondern auch in der wirtschaftlichen Unterminierung der kapitalistischen Welt liegt. Von diesem Standpunkte aus bedeutet die unter technischer und finanzieller Unterstützung des Auslandes auch nur teilweise gelungene Durchführung des IndustrialisierungS' planes eine große Gefahr für die kapitalistische Umwelt. Nach den bisherigen Erfahrungen erscheint es durchaus möglich, daß die neuen Werke und Fabriken zu einer Ueberflutung ausländischer Märkte mit billigen Waren unter gleichzeitiger dauernder' Niederhaltung des Verbrauchs des russischen Volkes benutzt werden können.

Es wäre unter diesen Umständen ein großer Fehler, die ganze Angelegenheit des Sowjetdumpings unter Hinweis darauf zu bagatellisieren, daß die trotz aller angeblichen Errungenschaften des Fünfjahresplanes rückständige Sowjet-Industrie niemals imstande sein wird, mit der starken Industrie Europas und Amerikas zu konkurrieren. Das wäre nur dann unbedingt richtig, wenn dieser Konkurrent lediglich nach normalen wirtschaftlichen Gesichtspunkten handelte. Das ist aber nicht der Fall. Die mit ausländischer Hilfe erfolgende technische Erstarkung der Sowjetindustrie gibt den Kommunisten in Rußland ungeahnte Machtmittel in die Hand, die sie fraglos zu gegebener Zeit mit der ihnen eigenen Rücksichtslosigkeit im Kampfe gegen die feindliche, innerlich zersplitterte bürgerliche Welt einsetzen werden.

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Sowohl die Ausfuhr als auch die Einfuhr der Sowjetunion weisen in ihrer Entwicklung Strukturänderungen auf, auf die hier noch eingegangen werden muß, weil sie eine Folge der eigenartigen Wirtschaftsverfassung dieses Landes und speziell des Außenhandelsmonopols sind, und weil sie die wirtschaftlichen Beziehungen der Sowjetunion zu den Staaten ihrer kapitalistischen Umgebung in bestimmter Weise beeinflussen.

An erster Stelle sei auf eine in der Sowjetpresse des Öfteren hervorgehobene Tendenz in der Struktur der Sowjetausfuhr hingewiesen, die darin besteht, daß der Anteil der landwirtschaftlichen Produkte an der Gesamtausfuhr langsam aber stetig zugunsten des zunehmenden Anteils des industriellen Exports zurückgeht.

Diese Strukturwandlung des Sowjetexports geht aus folgenden Zahlen hervor, die auch einen Vergleich mit der Vorkriegszeit (im Durchschnitt der Jahre 1909—13) bieten:14)

Landwirtschaf tlicher Export Industrieexport Anteil am Anteil am

Mill. Gesamtexport Mill. Gesamtexport

Rubel in % Rubel in %

1909/13 1050 70 451 30

1924/25 312 54 266 46

1925/26 405 58 298 42

1926/27 446 55 361 45

1927/28 360 45 428 55

1928/29 346 39 544 61

Man könnte auf den ersten Blick geneigt sein, in dieser Erscheinung des absolut und relativ zunehmenden industriellen Exports ein Ergebnis der fortschreitenden "kommunistischen Industrialisierung" Sowjetrußlands zu erblicken. In Wirklichkeit ist das nicht so sehr eine Auswirkung des positiven Faktums der Industrialisierung, als vielmehr eine Folge des gänzlichen Versagens der Getreideausfuhr und des Rückganges verschiedener anderer Zweige des landwirtschaftlichen Exports. Diese Tatsache bedeutet eine ernste Bedrohung für die bereits chronisch gewordene passive Handelsbilanz der Sowjetunion und die ebenso prekäre Lage der Tscherwonetzwährung, die durch die Abnahme der Goldbestände und die wieder stärker einsetzende Inflation den Führern der Sowjetwirtschaft die größten Sorgen bereitet. Außerdem konnte die Einfuhr nicht über ein' gewisses Maß gedrosselt werden, ohne die bereits in Angriff genommenen

 

14) Sowjetskaja Torgowlja, 1930, Nr. 1, S. 12—i 4.

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Strukturänderungen der Sowjetausfuhr

Bauteil von neuen Werken und Fabriken (die mit ausländischen Maschinen ausgerüstet werden sollten) in Frage zu stellen, und ohne die Produktion, infolge Mangels an Importstoffen, einschränken und die Millionenschar der Arbeitslosen weiter vergrößern zu müssen.

Es blieb unter diesen Umständen für die Sowjetregierung keine andere Möglichkeit, als eben die Ausfuhr der Industrieerzeugnisse mit allen Mitteln zu forcieren. Und wenn man von verschiedenen feierlichea Kundgebungen \und für "die Galerie" bestimmten Auslassungen der Sowjetführer absieht, so wird auch z. B. von der ernsten Moskauer Wirtschaftspresse gar nicht bestritten, daß dieser Notexport auf Kosten der Versorgung des Binnenmarktes geschieht, und daher am wenigsten als eine Auswirkung der erfolgreichen "Industrialisierung" Rußlands angesehen werden kann.

So schreibt zum Beispiel ein gewisser Schuschkoff im amtlichen Moskauer Organ, der "Ekonomitscheskoje Obos-renije":

"Es darf nicht vergessen werden, daß die Mehrzahl der Artikel unseres industriellen Exports Waren sind, die mit Erfolg im Inlande verbraucht werden könnten. Wenn wir ihre Ausfuhr forcieren, so geschieht dies aus denselben Erwägungen, aus denen wir im vergangenen Jahre den Export von Butter, Eiern und anderen Lebensmitteln forcierten. Das Ergebnis ist eine eigenartige Diskrepanz zwischen dem gegenwärtigen Stand der Industrialisierung des Landes und der Struktur unserer Ausfuhr."15)

Viel ist in der Sowjet- und Auslandspresse über die Entwicklung der Ausfuhr von Naphta und Oelprodukten aus der Sowjetunion geschrieben worden. Die Steigerung dieser Ausfuhr, die das Dreifache der Vorkriegsausfuhr überstiegen hat, ist aber nicht nur das Ergebnis der Tatsache, daß keine Ausgaben gescheut werden, um diese in erster Linie "valutaproduzierende" Industrie zu entwickeln, sondern auch ein Resultat dessen, daß die Ausfuhr auf Kosten der notwendigsten Versorgung des Inlandmarktes geschieht. In einer Sitzung des Präsidiums der staatlichen Planwirtschaftskommission zu Anfang September 1929 wurde darauf hingewiesen, daß infolge der forcierten Ausfuhr sämtliche Petroleumvorräte im Innern Rußlands erschöpft sind. Dabei muß berücksichtigt werden, daß Petroleum das Volksbeleuchtungsmittel für vier Fünftel der russischen Bevölkerung darstellt.

 

15) "Die Mobilisierung der Industrie für den Export", "Ekonomitscheskoje Obosrenije", September 1928, S. 68—69 (russ.).

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Bei der oben in ihren allgemeinsten Zügen skizzierten Strukturwandlung der sowjetrussischen Ausfuhr während der letzten Jahre handelt es sich nicht einfach um ein teilweises jrrSetzen der landwirtschaftlichen Ausfuhr durch den industriellen Export, sondern um viel tiefer greifende Veränderungen, die von ausschlaggebender Bedeutung für die weitere Entwicklung der gesamten Sowjetwirtschaft sein dürften.

Bisher schöpfte die staatliche Handelsorganisation das ihr notwendige Exportmaterial im wesentlichen aus dem "privatwirtschaftlichen Sektor", vor allem aus der Bauernwirtschaft. Das so gewonnene Material, beziehungsweise der Erlös aus dem Verkauf desselben im Auslande, wurde im Interesse des "sozialistischen Sektors" verwendet. Das grundsätzlich wichtige in der Entwicklung des Außenhandels der Sowjetunion ist nun, daß diese "Exportquelle" infolge der mit neuer und erhöhter Energie fortschreitenden Erdrosselung der Privatwirtschaft, und ganz besonders der die Ueber-schüsse produzierenden Bauernwirtschaften, versagte. Wenn die Produkte auch da sind — so fehlt es doch dem kommunistischen Staate an Mitteln, um diese — sei es durch freien Einkauf oder durch Zwang — zu erfassen. Notgedrungen muß der Staat das Material für den Export dort suchen, wo die Waren der Sowjetregierung unmittelbar zur Verfügung stehen — also in der nationalisierten Industrie.

Das sensationelle Wiedererscheinen der Sowjetregierung als Getreideexporteur auf dem Weltmarkte im Herbst 1930 stellt in dieser Beziehung keine grundlegende Wandlung dar. Zwar führt die Sowjetregierung nunmehr auch Getreide aus, das in ihren eigenen Betrieben ("Sowchosy") oder ihrer direkten Kontrolle unterstehenden Kollektiven ("Kolchosy") erzeugt worden ist. Diese Ausfuhr, die übrigens die anfangs im Auslande verbreiteten Zahlen nicht erreichen und kaum längere Zeit andauern wird, war erstens durch die außerordentlich günstige Witterung des Sommers 1930 ermöglicht, und, zweitens, erfolgt sie unter einer solchen Niederhaltung des Inlandsverbrauches, die auf die Dauer sogar in Sowjetrußland kaum tragbar ist. Die im Oktober 1930 vorliegenden offiziellen Zahlen sowohl über den unbefriedigenden Gang der Getreidebereitstellungen, wie über einen scharfen Rückgang der Winteraussaat, berechtigen zur größten Skepsis über die Möglichkeit einer dauernden Wiederaufnahme des Getreideexports aus Rußland unter dem gegenwärtigen Wirtschaftssystem.

Betrachtet man die Strukturwandlungen des Sowjet-1 m p o r t s unter dem gegenwärtigen System, so muß man auch hier eine wichtige Aenderung feststellen.

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Veränderte Struktur der Einfuhr

Vor dem Kriege (1911—1913) bestand die russische Ein. fuhr zu 44 Prozent aus dem Import von Verbrauchsgegenständen, — Lebensmitteln und Fertigwaren, — und zu 56 Pro-zent aus dem sogenannten "produktiven Import", der industrielle Rohstoffe und Maschinen umfaßte.18)

Unter dem gegenwärtigen System hat sich dieses Verhältnis von Grund auf geändert. Diese Verschiebung war durch die Politik der Sowjetregierung. bedingt, die auch vor Entbehrungen und Hunger der Bevölkerung nicht haltmachte wenn es galt, die Industrialisierung Rußlands zu beschleunigen und sich von der Abhängigkeit den imperialistischen Ländern gegenüber zu befreien. In Verfolg dieser Politik wird die Einfuhr immer mehr auf den Import von industriellen Rohstoffen und Maschinen beschränkt.

Diese Tendenz hat besonders im Laufe der letzten Jahre eine Verschärfung erfahren. Während noch im Jahre 1925/26 auf diesen produktiven Import 78,6 Prozent der gesamten Einfuhr entfielen, ist dieser Anteil im folgenden Jahre auf 89 Prozent gestiegen. Parallel hiermit findet eine Einschränkung oder, richtiger gesagt, eine Einstellung der Einfuhr sämtlicher Gegenstände des allgemeinen Verbrauches statt, seien es Industrieerzeugnisse, oder Lebensmittel wie Reis, Tee, Zitronen usw., die im kommunistischen Staate zu unzulässigen Luxusartikeln geworden sind. Wie weit diese "Selbstblockade" des Sowjet-Landes — denn anders kann man schwerlich diesen Zustand bezeichnen — getrieben wird, sei durch ein Beispiel illustriert.

Im Jahre 1926/27 wurde die Einfuhr von sämtlichen Fertigwaren, ausgenommen Maschinen, Apparate und Werkzeuge, durch rigoroseste Einschränkung des Einfuhrplanes auf ein Niveau von 19 Millionen Rubel, also 2,7 Prozent der Gesamteinfuhr, herabgedrückt. — Nur 19 Millionen Rubel im Jahre für Industrieerzeugnisse wie Textil-, Schuh-, Eisenwaren und dergleichen mehr, bei einer Bevölkerungszahl von 150 Millionen, — dieser Satz kennzeichnet zur Genüge das Maß an Opfern, welches dem Volke zugunsten einer beschleunigten Industrialisierung des Landes auferlegt wird.

Wie man auch die Aussichten dieser Industrialisierungspolitik auf längere Sicht beurteilen mag, für die Gegenwart steht auf jeden Fall fest, daß die Politik der vollständigen Sperre der Einfuhr von Fertigwaren für den unmittelbaren Verbrauch bei dem im Lande herrschenden Warenhunger nur dazu führen kann, daß die Bauern auch weiterhin kein Interesse daran haben werden, für den Markt und also für den Export zu produzieren, und daß infolgedessen vom russischen

 

18)  S. Kaufmann, Planowoje Chosajstwo, April 1929, S. 78 (russ.).

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Selbstblockade

Standpunkte aus diese Politik nicht exportfördernd, sondern exporthemmend wirkt.

Vom Standpunkte der wirtschaftlichen Weiterentwicklung Sowjetrußlands ist das Schicksal und die Verwendung der Maschinen, auf die sich der sowjetrussische Import mehr und mehr konzentriert, natürlich von bedeutendem Interesse. Und für die Länder, die diese Maschinen — zum Teil auf Kredit __ liefern, ist es nicht gleichgültig, ob mit ihrer Hilfe neue Werte geschaffen werden, die geeignet sind, die Kaufkraft der Bevölkerung zu heben; oder ob diese Maschinen etwa als altes Eisen verrosten und verkauft werden. So unglaublich es auch klingen mag: die Berichte der Arbeiter- und Bauerninspektion weisen immer wieder darauf hin, daß ein großer Teil der eingeführten Maschinen (von denen wohl über drei Viertel aus Deutschland stammen) keine Verwendung findet und auf den Lagern verrostet. Diese Tatsache ist auf folgenden Sachverhalt zurückzuführen. Während die Auslandsaufträge auf diese Maschinen vergeben und durchgeführt werden, werden die Bauprojekte der Betriebe, für die sie bestimmt sind, von den zuständigen Behörden geändert und umgearbeitet. Ist der Bau schließlich vollendet, so finden die vor Jahren bestellten Maschinen keine Verwendung mehr.

Besonders lehrreich sind in dieser Beziehung die Revisionsberichte über die Erweiterungsbauten der beiden größten Metallwerke des alten Rußland — der Kolomnawerke und des "Roten Prof intern" (der ehemaligen Brjanskwerke).17)

Über die Verwendung der aus dem Auslande importierten Maschinen bei den Kolomnawerken wird hier folgendes berichtet:

"Von allen ausländischen Maschinen im Gesamtwerte von 1660 000 Rubeln, die die Werke erhalten haben, sind nur Maschinen im Werte von ca. 1 Million Rubel installiert worden. Ein Teil der Werkzeugmaschinen lagert bereits über 2% Jahre ohne Verwendung, weil diese seinerzeit für eine andere Produktion bestellt wurden, und teilweise von den Werken überhaupt nicht angefordert worden waren."

Ähnlich liegen die Verhältnisse bei dem "Roten Pro-fintern" :

"Die aus dem Auslande eingeführten Maschinen wurden zu einem Zeitpunkte bestellt, als das Bauprogramm noch nicht bestätigt worden war. Infolgedessen hat sich ein großer Teil der eingeführten Maschinen als "überflüssig" erwiesen. Von den-in den Jahren 1926/27 und 1927/28 auf den Werken eingetroffenen 288 Maschinen im Gesamtwerte von 1 656 000 Rubeln

 

") S. Ekonomitscheskaja Shisn, 22. Februar 1929.

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Maschinen zum Alteisen

waren 136 im Werte von 575 000 Rubel im verwendbar; 9 Maschinen im Werte von 31 600 Rubel sind aufmontiert worden, arbeiten aber nicht. Mehr oder weniger normal arbeiten 143 Einheiten im Werte von 1 088 700 Rubeln. Es konnten somit nur 63 Prozent (dem Werte nach) der eingeführten Maschinen in der Produktion verwendet werden."

Es handelt sich liier keineswegs um Ausnahmeerscheinungen. Die Zahl der Beispiele könnte nach Belieben vergrößert werden. Daß sich die Verhältnisse auch in den letzten zwei Jahren grundsätzlich nicht geändert haben, geht aus den weiteren Meldungen der Sowjetpresse hervor.18) Es kann danach als festgestellt angenommen werden, daß ein sehr bedeutender Teil der von der ausländischen Industrie gelieferten Maschinen unter dem bestehenden System aus verschiedenen Gründen für den Zweck, für den sie bestimmt waren, keine Verwendung findet, — und dies nicht etwa infolge bösen Willens einzelner Personen, sondern lediglich durch die allgemeine UnWirtschaftlichkeit und Planlosigkeit der "kommunistischen Planwirtschaf t".

Die Frage nach der rechtlichen Grundlage, auf der sich der Handelsverkehr der Sowjetunion mit den kapitalistischen Ländern vollzieht, kann in diesem Zusammenhange nur gestreift werden. Dieser Verkehr beruht auf den seit 1920 von verschiedenen Staaten mit der Sowjetunion abgeschlossenen Handelsverträgen. Ein vom Volkskommissariat für Handel herausgegebenes Werk über den Importhandel der Sowjetunion enthält eine Aufstellung von 53 Handelsverträgen, die in den Jahren 1921—1928 mit fremden Staaten abgeschlossen worden waren.19) Zwischen dem Deutschen Reich und der U.S.S.R. gilt auch gegenwärtig der am 12. Oktober 1925 abgeschlossene Rechts- und Wirtschaftsvertrag.

Im allgemeinen gilt für alle diese Verträge der Grundsatz, daß die ausländischen Vertragspartner der Sowjetunion das Außenhandelsmonopol, und die Handelsvertretungen als die einzig bevollmächtigten (zum Teil das Recht der Exterritorialität genießenden) Repräsentanten dieses Monopols anerkennen. Im übrigen weichen diese Handelsverträge nur

 

18) Am 6. Sept. 1929 erließ der Vorsitzende des Obersten Wirtschaftsrates der Union, Kuibyschew, ein Zirkular, in dem er nochmals die in dieser Beziehung herrschenden Mißstände geißelt. Immer noch finden für Millionen von Rubeln eingeführte ausländische Maschinen in den Sowjetbetrieben keine Verwendung. S. Ekono-mitscheskaja Shisn vom 19. September 1929 usw.

") Sonnenstrahl-Piskorskij, "Die handelspolitischen Bestimmungen der Internationalen Verträge der Sowjetunion" (russ.) in der Enzyklopädie des Sowjetimports, S. 59—83. S. auch B. Stein, "Die Handelspolitik und die Handelsverträge Sowjetrußlands 191? bis 1922." Moskau 1923 (russ.).

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Handelsverträge

vvenig oder gar nicht von dem üblichen Inhalt moderner Handelsverträge mit ihrer gegenseitigen Gewährung von Meistbegünstigung, Zollkonzessionen usw. ab.

Während der kurzen Wirkungsdauer dieser Verträge hat es sich aber bereits gezeigt, daß die Anwendung der, zwischen den Partnern mit gleicher, "kapitalistischer" Wirtschaftsverfassung, bewährten Normen sich bei der in diesem Falle bestehenden Verschiedenheit der Außenhandelssysteme für die Kontrahenten der Sowjetunion als nachteilig erweist.

Was nützt, zum Beispiel, dem kapitalistischen Partner das ihm von der Sowjetunion gewährte Recht der Meistbegünstigung, wenn unter dem Regime des Außenhandelsmonopols, wie es von Sowjetrußland gehandhabt wird, normale kaufmännische Gesichtspunkte bei der Verteilung der Auslandsaufträge keine entscheidende Rolle spielen? Es ist eine bekannte Tatsache, daß in dieser Hinsicht die Leiter des Sowjethandels in geschickter Weise sich der Mittel einer verkappten Bestechung und der Einschüchterung ihrer Kontrahenten bedienen. Unter "Bestechung" ist hier gemeint, daß durch die ausgesprochene Bevorzugung der Industrie und des Exporthandels eines bestimmten Landes versucht wird, eine für die Sowjetunion günstige Stimmung in der öffentlichen Meinung dieses Landes hervorzurufen, um dann diese Stimmung für bestimmte politische Zwecke auszunutzen. Als Beispiel diene die auffallende Bevorzugung Amerikas bei der Bestellung von Ausrüstungen für industrielle Anlagen in den letzten Jahren. Freilich sind die erhofften politischen Resultate bisher ausgeblieben.

Ebenfalls sind irgendwelche Konzessionen auf dem Gebiete des Zollwesens für die kapitalistischen Vertragskontrahenten der Sowjetunion nur von äußerst zweifelhaftem Werte, da die an sich sehr hohen Zölle Sowjetrußlands neben dem System des zentralisierten Einkaufs für die Richtung und den Umfang des Einfuhrhandels von sekundärer Bedeutung sind. Folgendes Beispiel mag diesen Umstand illustrieren. Am 7. März 1924 wurde zwischen Italien und der U. S. S. R. ein Handelsvertrag abgeschlossen, der u. a. eine beträchtliche Herabsetzung der Zölle für Zitronen und Orangen seitens Sowjetrußlands vorsah. Die große Genugtuung der italienischen öffentlichen Meinung über diesen "vorteilhaften" Handelsvertrag mußte aber sehr bald einer ebenso großen Enttäuschung Platz machen, als es sich herausstellte, daß die Sowjetregierung gar nicht die Absicht hatte, Aufträge für die Einfuhr von Orangen und Zitronen zu vergeben, da diese Artikel im Lande des Kommunismus als "unzulässiger Luxus" angesehen werden.

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Kein Wunder, daß auch in Deutschland (obwohl es hier bisher noch nicht zu einer Zollkonvention mit der Sowjet-Union gekommen ist), die praktische Auswirkung des Vertrages von 1925 die Wirtschaftskreise nicht befriedigen konnte. Noch vor einem Jahre, anläßlich des vierten Jahrestages des Vertrages am 12. Oktober 1929, stellte die deutsche Presse ohne Unterschied der Parteirichtung "eine offensichtliche Diskrepanz" zwischen dem Inhalt des Vertrages und den tatsächlichen, zwischen Deutschland und Sowjetrußland bestehenden Beziehungen fest.20)

Auf jeden Fall ist das Außenhandelsmonopol in der Hand der kommunistischen Regierung eine starke Waffe sowohl gegen die eigene Bevölkerung, als auch gegen die sogenannten kapitalistischen Staaten. Sind doch trotz des starken absoluten Rückganges der russischen Einfuhr im Vergleich zur Vorkriegszeit die Sowjethandelsvertretungen im Auslande, die Repräsentanten der konzentrierten Kaufkraft eines Landes von über 150 Millionen Menschen, für manche Produkte sogar die größten Einkäufer und Besteller auf dem Weltmarkt. Sie haben es mit großem taktischen Geschick verstanden, diese Machtposition zu benutzen, um nicht nur die kapitalistischen Staaten als solche, sondern auch die Industriellen und Kaufleute innerhalb der einzelnen Staaten g e g e n e i na nder auszuspielen.

Die Tatsache, daß die privilegierten und teilweise das Recht der Exterritorialität genießenden Handelsvertretungen im Auslande dauernd für Zwecke der politischen Propaganda mißbraucht werden, ist von der Sowjetregierung und der Sowjetpresse immer in Abrede gestellt worden. Es genügt aber hier, abgesehen von dem bekannten, bei der Haussuchung der "Arkos" (der Sowjethandelsvertretung in London), vorgefundenen und von der englischen Regierung veröffentlichten Material, auf zwei Mitteilungen hinzuweisen, welche in der deutschen Presse ungefähr zu gleicher Zeit erschienen.

Die "Deutsche Allgemeine Zeitung" meldete unter dem 11. Mai 1929 aus Kairo: "Der russische Handelsvertreter Wassiljew, dessen Gesuch um Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung vom Aegyptischen Ministerium abgelehnt wurde, wurde aufgefordert, Aegypten zu verlassen. Der Ausweisung Wassiljews war die seines Gehilfen vorausgegangen. Beide hatten der Aegyptischen Regierung gegenüber behauptet, Baumwollankäufe für die Sowjetregierung zu betreiben. Als sich herausstellte, daß "die Russen" vom Baumwollgeschäft keine Ahnung hatten, und ihre Handelstätigkeit

30) "Rußland und wir" im "Berliner Tageblatt" (Morgenausgabe) vom 12. Oktober 1929. Die "Berliner Börsenzeitung" wies in einem Artikel vom gleichen Datum "Deutsch-russische Bilanz — ein Jubiläum", darauf hin, daß "zwischen den vertraglichen und wirklichen Beziehungen eine starke Diskrepanz besteht".

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Handelsvertretungen als Propaganda Zentralen

nUr als Deckmantel für ihre propagandistische Arbeit benutzten, erfolgte die Ausweisung."

Und am 15. Mai 1929 meldete das "Berliner Tageblatt" (Abendausgabe) in einem Eigenbericht aus Wien: "Montag wurden hier vier ungarische Kommunisten verhaftet, die vor einem halben Jahr nach Wien gekommen sind. Sie haben hier ebenso wie seinerzeit Bela Kun ein Bureau unterhalten, das nach außen hin kaufmännischen Zwecken, in Wirklichkeit aber der kommunistischen Propaganda diente. Aus den Papieren, die in diesem Bureau beschlagnahmt wurden, geht hervor, daß sie mit Bela Kun in Briefwechsel standen, und daß sie eine Verbindung zwischen den Kommunisten in Ungarn und in Moskau darstellten." Weitere Beispiele können wir uns sparen.

Zusammenfassend muß gesagt werden, daß das Außenhandelsmonopol, als wesentlicher und unentbehrlicher Bestandteil des Wirtschaftssystems des Sowjetstaates, an der Riickständigkeit des russischen Außenhandels und vor allem an dem Zusammenbruch des Getreideexports und der Verwandlung dieser einstigen Kornkammer Europas in ein Land mit Brotkarte und Getreideeinfuhr die größte Schuld trägt. Durch die Unterbindung der freienEntwicklung der mächtigen produktiven Kräfte Rußlands hindert es die natürliche Entwicklung des Landes zu einem der kaufkräftigsten natürlichen Absatzgebiete für die europäische, und in erster Linie für die deutsche Industrie. Die, wenn auch stark verminderte, Kaufkraft des Riesenreiches gewährleistet dank ihrer Konzentration durch das Außenhandelsmonopol eine Machtstellung, die von der heute in Rußland regierenden Partei geschickt ausgenutzt wird, um ihre kapitalistischen Gegner und Kontrahenten gegeneinander auszuspielen. Diese Taktik soll dazu dienen, eine Zersplitterung der Interessen und Kräfte bei den Gegnern der "geschlossenen kommunistischen Wirtschaftsfront" herbeizuführen — ein Kampf, der zum Schaden einerseits der darniederliegenden russischen Wirtschaft, und andererseits der nach neuen Absatzmärkten hungernden europäischen Industrie immer weitergeführt wird.

Zusammenfassung

 

 

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