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4   Staatsfinanzen, Währung und Kredit in Sowjetrußland  

  Von  Dr. W. Hoeffding  

  

 

  Ihre Eigenart  

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Man kann an eine Erforschung der Finanzwirtschaft, des Währungssystems und des Kreditsystems Sowjet­rußlands von zwei verschiedenen Seiten herantreten. Die erste Betrachtungsweise würde darin bestehen, daß man den formalen Aufbau dieses Abschnittes der Sowjetwirtschaft untersucht. Sie würde ergeben, daß das Finanz- und Währungssystem Sowjetrußlands eine große äußere Ähnlichkeit mit dem System der "kapital­ist­ischen" Staaten aufweist.

Wie bei diesen findet man in den Staats­haushalts­plänen der Sowjetunion als Einnahme­quellen eine Einkommensteuer, Verbrauchssteuern, ja sogar als bedeutenden und von Jahr zu Jahr zunehmenden Einnahmeposten — die Emission von inneren Anleihen. Deren Ertrag hat in den letzten Jahren Zahlen erreicht, auf die die Finanzminister anderer Staaten, die um die Deckung der Fehlbeträge ihrer Budgets besorgt sind, nur mit Verwunderung und Neid blicken dürften. 

Ebenso weisen die Statuten der Staatsbank der Sowjetunion eine große Ähnlichkeit mit denjenigen der Zentralnotenbanken europäischer Staaten auf. Wie bei diesen sollen zum Beispiel die von der Staatsbank emittierten Noten zu einem beträchtlichen Teil (75 v.H.) durch "Wechsel" gedeckt werden. Die regelmäßig zur Veröffentlichung gelangenden Bilanzen der anderen staatlichen Sowjetbanken (es gibt bekanntlich in Sowjetrußland keine einzige Privatbank) unterscheiden sich formell, d.h. durch die angeführten Posten gar nicht oder sehr wenig von der Bilanz einer deutschen Privatbank.

Eine derartige formale Betrachtungsweise würde aber an den Äußerlichkeiten des Finanz- und Währungs­systems hängen bleiben und keinen Einblick in die tieferen Zusammenhänge gewähren.(1) Da eine Beschreibung des äußeren Aufbaues dieses Systems schon aus Rücksicht auf den hier zur Verfügung stehenden Raum unmöglich wäre,(2) soll im folgenden nur der Versuch gemacht werden, diejenigen Merkmale des finanziellen Systems Sowjetrußlands hervorzuheben, durch welche es sich grundsätzlich von denjenigen jer "kapitalistischen" Staaten unterscheidet.

1)  Als Beispiel der Unzulänglichkeit einer solchen formalen Betrachtungsweise kann das Werk von Prof. Kuczynsky "Die Sowjetanleihen", Berlin, 1927, genannt werden, welches die äußeren Bedingungen der Sowjetanleihen ausführlich und systematisch darstellt, ohne auf die grund­sätzlichen Unterschiede derselben gegenüber Anleihen im gewöhnlichen Sinne einzugehen.

2)  Über den äußeren Aufbau des Finanz- und Währungssystems der Sowjetunion berichten in deutscher Sprache: Prof. Dr. Paul Haensel, Das Steuersystem Sowjetrußlands, Berlin, 1926.
Derselbe, Die Finanz- und Steuerverfassung der Union der sozialistischen Sowjet-Republiken, Jena (Fischer), 1928. Dr. Leo Jurowsky, Die Währungsprobleme Sowietrußlands, Berlin (Prager), 1925.

Diese Aufgabe ist aber um so wichtiger, als vielleicht auf keinem anderen Gebiete der Sowjetwirtschaft der Unterschied zwischen Schein" und "Sein" so groß ist wie hier. Ein Schul-exempel bieten in dieser Beziehung die Staats-"Anleihen" der Sowjetunion, auf die im folgenden etwas näher eingegangen werden soll.

Die äußere Entwicklung des sowjetrussischen Finanzwesens in den seit dem bolschewistischen Umsturz verflossenen dreizehn Jahren kann in drei Perioden eingeteilt werden, die den drei Phasen der Weltwirtschaftspolitik der kommunistischen Regierung Rußlands im allgemeinen entsprechen.

 

Drei Perioden

Die erste Periode - von November 1917 bis Anfang 1921 - wird durch den Versuch gekennzeichnet, die kommunistische Wirtschaftsordnung sofort einzuführen und aufzubauen, und — als Folge hiervon — durch den völligen Zusammenbruch der Wirtschaft selbst, der auf unserem Gebiete in einem völligen Verfall der Währung sowie in einem "Absterben" der Geldsteuern (eine Folge der physischen Zerstörung sowohl der Steuer­subjekte", wie auch der Steuersubjekte") zum Ausdruck kam.

Diese Entwicklung entsprach übrigens durchaus der Doktrin der Kommunistischen Partei; lehrte doch der Verfasser des "ABC des Kommunismus", Bucharin, damals: "das Geld verliert seine Bedeutung sogleich nach Beginn der kommunistischen Revolution".3) Auf der anderen Seite gab es innerhalb einer verstaatlichten Wirtschaft für eine besondere "Staatswirtschaft" im herkömmlichen Sinne, also auch für "Staatsfinanzen" — keinen Raum. Ganz konsequent war deshalb die eigenartige Erklärung, mit der der damalige Volkskommissar für Finanzen, Krestinskij, seine Rede auf dem ersten Allrussischen Kongreß der Volkswirtschaftsräte im Jahre 1918 einleitete:

"In der sozialistischen Gesellschaft darf es keine Finanzen geben. Deshalb bitte ich wegen der Existenz der Finanzen und ebenso wegen meines eigenen Auftretens um Entschuldigung."4

3) Siehe Bucharin, "Ekonomika perechodnago wremeni" (russ.) ("Die Ökonomie der Übergangsperiode"), Moskau, 1920.

4) Siehe Sokolnikoff, "Aufgaben der Finanzpolitik" (russ.), Moskau, 1922. In deutscher Sprache berichtet über diese Periode: Dr. W. Hessen, Das Staatsbudget Sowjetrußlands, Berlin, 1925 (Osteuropa-Institut in Breslau).

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Diese Periode des Zerfalls, in der, trotz der Theorie des "Geldabsterbens", die Emission von Papiergeld fast zur einzigen Quelle der Staatseinnahmen wurde, gipfelte im Dekret vom 3. Februar 1921 über die grundsätzliche Abschaffung aller Geldsteuern.5)

Die zweite Periode — von 1921 bis etwa 1924/1925 — kann, im Anschluß an die Proklamierung der Nöp (der Neuen Wirtschaftspolitik) als Periode der finanziellen "Restitution" bezeichnet werden, da man im formalen Anschluß an die Vergangenheit ein Steuersystem aufzubauen suchte, welches dem Sowjetstaate die notwendigen Mittel geben sollte. Hierbei wurden auch die einst verschmähten Verbrauchssteuern nicht nur "restituiert", sondern weiter ausgebaut, und auf Gegenstände wie Salz, Textilstoffe, Gummischuhe usw. ausgedehnt. Das im Jahre 1914 abgeschaffte Branntweinmonopol wird gleichfalls neu eingeführt. Einkommen- und Gewerbesteuer sorgten für die finanzielle Belastung der unter dem Regime der Nöp wiederauflebenden Privatwirtschaft, hauptsächlich des Handels.

Die dritte Periode — von 1925 bis zum heutigen Tage — wird durch die Wiederaufnahme der kommunistischen Offensive (nach Abschluß des taktischen Rückzugs und der Atempause der Nöp) gekennzeichnet. Die ephämeren privatwirtschaftlichen Gebilde der Nöp werden wieder vernichtet, und hiermit schwindet die Grundlage für die direkte Besteuerung der Einkommen (die Landwirtschaft ausgenommen). Die unaufhörliche Erweiterung des "sozialisierten Sektors" der Volkswirtschaft auf Kosten des "privatwirtschaftlichen" — in Industrie, Landwirtschaft und Handel ändert von Grund aus die Bedeutung und die Struktur der ganzen "Finanzwirtschaft" im engeren Sinne.

 

Zwei Funktionen des Staatsbudgets

In den "kapitalistischen" Staaten steht die Finanzwirtschaft des Staates der Masse der Privatwirtschaften gegenüber. Durch die von den Erträgen und Einkommen dieser letzteren erhobenen Steuern und sonstigen Einnahmen wird der öffentliche Bedarf des Staates gedeckt. Die staatlichen Unternehmungen (Eisenbahn, Industriebetriebe) spielen eine untergeordnete Rolle.

 

6) Vgl. das Rundschreiben des Finanzkommissariats vom 9. Februar 1921 "über die Einstellung der Erhebung aller staatlichen und lokalen Steuern". Siehe Haensel, Das Steuersystem Sowjetrußlands, S. 10.

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Die Stellung des Staatsbudgets in Sowjetrußland ist eine grundsätzlich andere. Die Staatsfinanzen im engeren Sinne, so wie sie sich in den alljährlichen Staatshaushaltsplänen der Sowjetunion abspiegeln, machen nur den kleineren Teil einer verstaatlichten Wirtschaft im weiteren Sinne aus; sie sind dem "sozialisierten Sektor" der Gesamtwirtschaft untergeordnet. Wohl erscheinen Post, Eisenbahnen und einige frühere staatliche Domänen (staatliches Forstwesen) infolge einer, jeder logischen Begründung entbehrenden Überlieferung mit ihren Bruttoumsätzen — sowohl auf der Einnahme- wie auf der Ausgabeseite des Sowjetbudgets. Der übrige, überwiegende Teil der verstaatlichten Wirtschaft, die ganze Industrie, die staatlichen Banken, der monopolisierte Außenhandel, der Binnenhandel, die staatlichen landwirtschaftlichen Güter erscheinen aber im Staatshaushalt nur insoweit, als sie Überschüsse an die zentrale Staatskasse abzugeben haben, beziehungsweise Zuschüsse von derselben erhalten.

Die Funktion des Sowjetbudgets ist somit eine zweifache:

1. das Beschaffen von Mitteln durch die Besteuerung der Privatwirtschaft — in der Gestalt der noch nicht kollektivierten Bauernwirtschaften und dann auch der Arbeiter und Angestellten (in Form indirekter Steuer); und

2. die Konzentrierung und Verteilung der Überschüsse, die etwa von den einzelnen Zweigen der Staatswirtschaft abgeworfen werden.

Im Einklang mit dieser fortschreitenden Sozialisierung der Gesamtwirtschaft, mit dem Wachstum des "verstaatlichten" Sektors auf Kosten des privatwirtschaftlichen, nimmt die zweite Funktion an Bedeutung ständig zu.

Aus der Tatsache, daß der Staatshaushalt im engeren Sinne in der Sowjetunion nur einen Teil des "sozialisierten" Sektors der Gesamtwirtschaft bildet, ergeben sich wichtige Folgerungen.

 

Steuer und Preise

Als monopolistischer Beherrscher der nationalisierten Industrie hat der kommunistische Staat die Möglichkeit, die für die Deckung des öffentlichen Bedarfs und für die Verwirklichung seiner Industrialisierungs- und Sozialisierungspläne erforderlichen kolossalen Mittel nicht nur durch den Mechanismus der Steuer, sondern auch durch denjenigen des Preises aufzubringen. Die Akkumulation des in den Preisen der Erzeugnisse der nationalisierten Industrie enthaltenen und absichtlich hoch gehaltenen Monopolgewinns, die Akkumulation "durch den Mechanismus des Preises" soll, wie an anderer Stelle ausführlicher gezeigt wird,6) die finanzielle Grundlage für die Verwirklichung des "Fünfjahrplanes" verschaffen.

 

6)  Siehe den Aufsatz "Der Fünfjahrplan und seine Voraussetzungen".

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Hieraus ergibt sich die weitere Folgerung, daß die Steuer nur einen Teil, in den meisten Fällen nur den k1eineren Teil derjenigen Last darstellt, die im Sowjetstaat der Wirtschaft und also der Bevölkerung auferlegt wird; sie tritt an Bedeutung hinter der Last, die aus "dem Mechanismus der Preise" entsteht, gänzlich zurück. Infolgedessen verwischt sich auch die Grenze zwischen der Verbrauchssteuer, der Akzise, auf der einen Seite und dem hinauf, geschraubten Monopolpreis des Staates — auf der anderen. Die Verbrauchssteuer bildet nur einen Teil manchmal nur den kleineren Teil der Abgabe, die von der Bevölkerung in Form des Monopolpreises abgefordert wird. Es steht dem Sowjetstaat immer frei, diese Abgabe entweder durch Erhöhung der Verbrauchssteuer oder durch die Erhöhung des Verkaufspreises abzufordern; der ganze Unterschied besteht darin, daß im ersten Falle der Erlös direkt, im zweiten Falle indirekt in die Finanzkassen des Staates fließt (durch die der zentralen Finanzverwaltung abzuführenden Reingewinne der Industrie).

Hieraus ergibt sich weiter die überaus wichtige praktische Folgerung, — die bei einer Untersuchung der Finanzen der Sowjetunion und bei der Beurteilung laufender Nachrichten finanzwirtschaftlicher Natur nie außer acht gelassen werden sollte, — daß nämlich bei dieser Sachlage jegliche Vergleiche der Steuerlast der Bevölkerung Rußlands (sei es in bezug auf die russische Vergangenheit oder die europäische Gegenwart) völlig gegenstandslos, ja irreführend sind, weil eben die Belastung durch den formalen Apparat der Steuer in Sowjetrußland nur einen Teil der Gesamtbelastung darstellt, dessen größerer Teil durch den Mechanismus des Preises in die Kassen des Staates fließt.

Es ist daher nur folgerichtig, wenn einige Finanzsachverständige in Sowjetrußland die Abschaffung der Akzisen im Staatshaushalt und ein Aufgehen derselben in der "Generalakzise", die in den Preisen der monopolistischen staatlichen Industrie bereits steckt, fordern. Ebenso logisch erscheint die Forderung, die willkürliche Zweiteilung: in den eigentlichen Staatshaushaltsplan einerseits und in den "Finanzplan" der nationalisierten Industrie (den sogenannten "Promfinplan ) andererseits — aufzugeben, und sie durch einen einheitlichen, den gesamten verstaatlichten Sektor der Volkswirtschaft umfassenden Finanzplan ("Finplan"), der auch den "Kreditplan mit umfassen soll, zu ersetzen.

 

Mechanismus der Preise

Es ist vor kurzem in der Sowjetliteratur von dem bekannten Finanzsachverständigen Professor Jurowsky der interessante Versuch unternommen worden: festzustellen, welchen Teil der Gesamteinnahmen des verstaatlichten Sektors der Sowjetwirtschaft die durch den Mechanismus der Preise erzielten Einnahmen, sowie die durch Steuern und durch andere direkte, "freiwillige" (Sowjetanleihen!) Beiträge der Bevölkerung repräsentierten Lasten ausmachen.

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 Diese Berechnung, die sich auf die Jahre 1928/29 und 1929/30 (Voranschlag) bezieht, ergibt folgendes Bild:7)

 

 

1928/29 

Millionen Rubel    

1928/29 

Prozente der Gesamtsumme

1929/30

Millionen Rubel  

1929/30

Prozente der Gesamtsumme

Mittel, die in Form von Warenpreisen akkumuliert werden

 8.540,0   

74,5

 10 805,3     

77,66

Mittel, die in Form von Zwangs beitragen oder freiwilligen 
Beiträgen der Bevölkerung akkumuliert werden

 1965,5   

17,15

 2 283,7    

  16,41

Gewinn bei der Emission von Banknoten und Papiergeld

 200,0     

1,74

 230,0     

1,65

Übrige Einnahmequellen 

757,4    

 6,61

 595,0   

4,28  

Gesamteinnahmen des sozialisierten Sektors

 11462,7   

100,0 

13 914,0   

 100,0  

 

An diese Tabelle knüpft Jurowsky folgende Bemerkungen:

"Der Preis übersteigt in seiner Bedeutung als Mittel der Akkumulation nicht nur jedes der anderen Mittel im einzelnen, sondern auch alle anderen Mittel zusammengenommen. Im Jahre 1929/30 wird diese Bedeutung im Vergleich zu 1928/29 noch gesteigert, was durchaus natürlich erscheint, wenn man berücksichtigt, daß das Vorhaben des Fünfjahrplanes auf finanziellem Gebiet darin besteht, — dem sozialistischen Sektor durch eine verlangsamte Senkung der Verkaufspreise bei einer möglichst intensiven Senkung der Selbstkosten einen Teil der gewaltigen Mittel zuzusichern, die für die Durchführung der geplanten neuen Kapitalinvestierungen notwendig sind."

Wie aus der obigen Zusammenstellung klar hervorgeht, stellen die eigentlichen Steuerlasten der russischen Bevölkerung nur einen kleinen Teil derjenigen Gesamtlasten dar, die ihr zwecks Durchführung des Planes der kom-

 

7) Siehe Prof. Jurowsky, "Jedinij finansowij plan i kontrolnija zytry na 1929—50 god" (russ.) "Der einheitliche Finanzplan und die K-ontrollzahlen für das Jahr 1929/30" (russ.) in dem Organ des Finanzkommissariats "Westnik Finansow" (Der Finanzbote), 1929, August, S. 13.

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munistischen Industrialisierung des Landes 1 auferlegt werden. Durch diese Tatsache werden irgendwelche Vergleiche der Steuerbelastung (im engeren Sinne) ia Sowjetrußland mit denjenigen in anderen Ländern oder itnM früheren Rußland selbst — vollständig illusorisch.

Der gewaltige Unterschied zwischen "Sein" und "Schein" in Bezug auf die Staatsfinanzen der Sowjetunion sowie auch die Notwendigkeit, die grundsätzliche Verschiedenheit des gegenwärtigen Finanzsystems von allen überlieferten Vorbildern und Gewohnheitsvorstellungen immer im Auge zu behalten, — kann am besten an der Funktion und dem Mechanismus der inneren Sowjetanleihen dargelegt werden.

 

Die Anleihen

Nachdem sämtliche Anleihen des früheren russischen Reiches annuliert worden waren, erschienen die Erlöse der neuen, von der Sowjetregierung begebenen, inneren Anleihen wieder im Staatshaushaltplan der Sowjetunion im Jahre 1923. Seitdem steigt die Bedeutung dieses Einnahmepostens von Jahr zu Jahr. Zum 1. Oktober 1928 erreicht die neue Staatsschuld der Sowjetunion 1.152 Millionen Rubel. Der Staatshaushaltplan für das Jahr 1928/29 hatte schon die Einnahmen aus inneren Anleihen mit dem soliden Betrag von 900 Millioneu Rubel veranschlagt. Im Herbst 1929 wurde die 3. Industrialisierungsanleihe im Betrage von 750 Mill. Rubel (1% Milliarden Mark!) begeben und im Laufe weniger Monate "erfolgreich" untergebracht. 

Zu einer Zeit, wo europäische Finanzminister die größten Schwierigkeiten bei der Begebung von Anleihen haben, die auch nur ein Viertel des obigen Betrages ausmachen, wird eine solche Anleihe gewissermaßen "spielend" in einem Lande untergebracht, wo die "Kapitalisten" längst ausgerottet sind, wo den breiten Massen der Bevölkerung jedes Sparen von noch so kleinen Beträgen durch eine expropria-torische Besteuerung unmöglich gemacht wird... Schon diese Gegenüberstellung der Tatsachen allein ergibt, daß es mit den Anleihen in Sowjetrußland eine besondere Bewandtnis haben muß.

Tatsächlich muß man, um dieses Paradoxon zu begreifen, sich die bei der Unterbringung der Sowjetanleihen angewandten Methoden vergegenwärtigen. Im Anfang waren diese Anleihen ausgesprochene Zwangsanleihen, die meistens zur Unterbringung unter den Bauern bestimmt «waren, und zum Teil, der Zeit entsprechend, naturalwirtschaftlichen Charakter trugen ("Getreideanleihen"). Die Ergiebigkeit der Zwangsanleihen ging aber ständig zurück — weil die Regierung, um eine völlige Entwertung der von der Bevölkerung abgestoßenen Obligationen zu vermeiden, den Kurs durch Aufkauf der Anleihestücke "stützen" und zu diesem Zweck immer größere Beträge verausgaben mußte.

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Die Sowjetregierung erklärte nunmehr in feierlicher Form, daß sie in Zu-f nft ausschließlich freiwillige Anleihen begeben und von jeg-rrhem Zwang bei der Unterbringung derselben Abstand hmen würde. Die Folge war, daß die neuen freiwilligen ^leihen in der Bevölkerung selbst so gut wie keine Käufer f nden, und daß sie nur dadurch untergebracht wurden, daß es jen staatlichen Industrie-, Handels- und Bankunternehmungen vorgeschrieben wurde, ihre Reserven und andere freie Mittel in Staatsanleihen zu investieren. 

Bei allem rechnungsmäßige11 "Erfolg" bedeutet eine Unterbringung der Sowjetanleihen auf dieser Basis keinen Zufluß von neuen Mitteln aus dem "privatwirtschaftlichen" Sektor, sondern lediglich eine Um-teilung der Mittel des "sozialisierten" Sektors zwischen den einzelnen Teilen desselben. Als daher die allgemeine Lage der Sowjetfinanzen immer gespannter wurde, mußten neue Mittel o-efunden werden, um die Obligationen der Sowjetanleihen doch in der Bevölkerung selbst, in den Kreisen der Arbeiter und Bauern, unterzubringen.

 

Freiwillige Zeichnung

Die neue Politik auf diesem Gebiete bestand darin, daß zwar formell die Anleihen "freiwillig" waren, daß aber die gesamten, gewaltigen, politischen und besonders die wirtschaftlichen Zwangsmittel des kommunistischen Staates angewandt wurden, um die breiten Massen der Bevölkerung zur Zeichnung von Sowjetanleihen zu bewegen. Da es vor allem die Arbeiter sind, die der wirtschaftlichen Gewalt des Sowjetstaates als des einzigen, monopolistischen Arbeitgebers hilflos gegenüberstehen, so werden jetzt die Sowjetanleihen zu weit überwiegendem Teil bei den städtischen Arbeitermassen untergebracht. Da andererseits die Bauern in wirtschaftlicher Hinsicht vom Sowjetstaate unabhängiger sind, so ist es bisher auch nicht gelungen, trotz der größten Bemühungen des Finanzkommissariats, die Bauern zur Zeichnung der Sowjetanleihen in nennenswertem Umfange zu bewegen.

In der Praxis spielt sich der Vorgang in der Weise ab, daß auf Vorschlag der kommunistischen "Zelle" die Arbeiter der einzelnen Betriebe in einer zu diesem Zweck einberufenen Versammlung "einstimmig" beschließen, die betreffende Anleihe in Höhe etwa ihres Monatslohnes zu zeichnen. Selbstverständlich gibt es hier kein "nein", und die betreffenden Beträge werden von der Verwaltung in mehreren Monatsraten bei Auszahlung des Lohnes in Abzug gebracht. So zeigen auch die Zeichnungsergebnisse der Sowjetanleihen, daß sie zu 90 Proz. oder mehr im Wege der ."k o 11 e k t i v e n Zeichnung" untergebracht werden, während die "individuelle" Zeichnung Meistens nur sehr kleine Beträge ergibt, die noch dazu immer hinter den Voranschlägen (denn merkwürdigerweise liegen auch der Zeichnung der Anleihen feste Pläne zugrunde!)

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zurückbleiben und im Laufe der Zeit eine rückgängige Ten. I denz aufweisen. So schrieb vor einiger Zeit die offizielle Wochenzeitschrift des Finanzkommissariats über die Ergeb-nisse der "individuellen" Zeichnungen für die zweite Industrialisierungsanleihe folgendes: "Mit dem individuellen Verkauf der Anleihe steht es sehr schlecht. In Moskau wurde gegen Kasse sowie gegen Abzahlung insgesamt für 8,3 Millionen Rubel verkauft." (Der Gesamtbetrag der Anleihe war 500 Mill Der Verf.) "Wenn man bedenkt, daß wir bei Begebung der ersten Industrialisierungsanleihe von individuellen Zeichnern in Moskau immerhin 32 Millionen Rubel erhielten, so muß die Lage als unbefriedigend bezeichnet werden. Ähnlich liegen die Dinge in Leningrad, und, anscheinend, in der ganzen Union."8)

Was die Unterbringung von 90 Prozent der Anleihebeträge durch faktische Zwangszeichnungen seitens der Masse der Arbeiter anbelangt, so wird in feierlichen Reden von Sowjetführern in der Regel darauf hingewiesen, daß die glänzenden Zeichnungsergebnisse im "revolutionären Herois-m u s" der Arbeiter ihren Grund haben, die bereit sind, e i n Zwölftel, — ja in manchen Fällen noch mehr — ihres Jahresverdienstes dem Sowjetstaate zu opfern. Dagegen weist die offizielle Finanzfachpresse in Sowjetrußland mit anerkennenswerter Offenheit darauf hin, daß sich die Sowjetanleihen prinzipiell und faktisch wenig von den Steuern unterscheiden:9)

"Die Unterbringung der Anleihen in der Form, wie das gegenwärtig geschieht, geht nach einem Plane vor sich, bei dem die Teilnehmer sich der Zeichnung nicht entziehen können oder sich auf jeden Fall nicht entziehen . . . Obwohl es Unterschiede in der Verteilung einer Anleihe und einer Steuer gibt, so sind doch die Grundsätze der Verteilung der einen wie der anderen, im Grunde genominen, dieselben.

 

Der Bauer und der Arbeiter  

Während in der Stadt der Mechanismus der Begebung der Sowjetanleihen, dank der wirtschaftlichen Übermacht der Regierung gegenüber den Lohnempfängern, ziemlich "reibungslos" funktioniert, ist es der Sowjetregierung bisher nicht gelungen, die Bauern, die, rein objektiv betrachtet, eher freie Mittel zur Verfügung haben dürften als die Industriearbeiter, zur Zeichnung der Anleihen zu zwingen. Von der bereits erwähnten dritten Industrialisierungsanleihe im Betrage von 750

 

8)  Siehe G. Wulf, "Pomensehe optimisma" "Etwas weniger Optimismus" (russ.). "Finansi i Narodnoje Choziastwo ("Finanzen und Volkswirtschaft"), 1928, Nr. 41, S. 9.
9)  Siehe Jurowsky, "K teorii i istorii naschich gosudarstvennycß saimof" "Zur Theorie und Geschichte unserer Staatsanleihen (russ.). "Westnik Finansow", 1929, Januar, S. 20.

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Millionen Rubel sollten 200 Millionen auf dem Lande unterbracht werden. Es gelang aber nur etwas über 30 Prozent jps vorgesehenen Betrages bei den Bauern zu placieren.10) Hierbei ergibt sich das merkwürdige Bild, daß der Erfolg der Unterbringung der Anleihen auf dem Lande im umgekehrten Verhältnis zu dem Wohlstande der Bauern der betreffenden Gegend steht,11) was wohl darin seine Erklärung finden dürfte, daß Je unabhängiger die Bauern in wirtschaftlicher Hinsicht sjnd, um so besser können sie auch in dieser Beziehung dem Drucke der Sowjetorgane widerstehen. Dagegen wird den ärmeren Bauern, die auf Kredite, Vorzugslieferungen von Inventar und Saatgut angewiesen sind, nicht selten die Forderung einer "Gegenleistung" gestellt, in dem sie aufgefordert werden, Sowjetanleihen zu zeichnen.

Sehr treffend faßt daher ein bekannter Finanzsachverständiger der Sowjetregierung die gegenwärtige Lage in folgenden Worten zusammen: "In den Städten haben wir ein festes Kontingent von Leuten, die Anleihen kaufen, aber niemanden, der die gekauften Anleihestücke in seinem Besitz behält; auf dem Lande haben wir weder die einen noch die anderen."13)

Die oben angeführten Worte enthalten eine Anspielung auf eine Erscheinung des sowjetrussischen "Staatskredits", die noch kurz erwähnt sei. Der Sowjetstaat zwingt die Arbeiter Anleiheobligationen zu erwerben. Da aber die Fiktion der "Freiwilligkeit" doch nicht ganz aufgegeben worden ist, so ist es schwer, die Arbeiter daran zu verhindern, die Anleihestücke, nachdem sie ihnen ausgehändigt worden sind, z u Spottpreisen wieder abzustoßen. Wiederum muß die Re gierung, um eine völlige Entwertung derselben durch dieses sogenannte "Abwerfen" ("Otbros") zu verhindern, die auf den Markt geworfenen Obligationen in gewissem Umfange aufkaufen, wodurch das finanzielle Ergebnis der ganzen Operation natürlich stark beeinträchtigt wird. Der "Fünfjahresplan" zieht im voraus in Betracht, daß in den kommenden Jahren nicht weniger als 35 Prozent der jeweils verkauften Obligationen noch im selben Jahre in die Kassen der Finanzkommissariats zurückwandern werden. Aber auch hier hat man es verstanden, für diese "Mißstände" Abhilfe zu schaffen. Im Wege der gleichen "freien Beschlußfassung", wie bei der Zeichnung der Anleihen selbst, werden von den Belegschaften ganzer Betriebe Beschlüsse angenommen, wonach die Arbeiter sich verpflichten, ihre Obligationen besonderen "Treuhändern" zwecks Verwaltung derselben zu übergeben. Durch diese Maßnahme soll auch die weitere Verfügung des Arbeiters über die erworbenen Obligationen unter behördliche Kontrolle gestellt werden.

 

10)  Siehe "Ekonomitscheskaja Shisn", vom 20. September 1929.
11)  Siehe "Iswestija", vom 17. September 1929.
12)  Vgl. Nagler in "Westnik Finanzow", 1929, März, S. 3.

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Die Erfahrungen, die die Sowjetregierung mit der letzten großen inneren Anleihe "Der Fünfjahrplan in 4 Jahren" ge_ macht hat, haben gezeigt, daß, während der Verkauf der Anleiheobligationen an die Arbeiter und Angestellten der staatlichen Betriebe nach der bewährten Methode mehr oder weniger "reibungslos" vor sich geht, die Unterbringung der Anleihen auf dem Lande immer auf große Widerstände stößt. So wurden bis zum September 1930, als der Verkauf der Anleihestücke in den Städten bereits beendet war, auf dem Lande nur 27,8 v. H. der durch den Plan vorgesehenen Quote untergebracht.13)

Nichts ist für den wahren Charakter der Sowjetanleihen bezeichnender, als daß der "Fünfjahrplan" die für die nächsten Jahre vorgesehenen jährlichen Einnahmen aus Anleihen — gewissermaßen als eine Funktion des monat liehen Lohnfonds der Industrie betrachtet.14) Mit anderen Worten, es soll von den Arbeitern verlangt werden, daß sie dauernd, jedes Jahr, Sowjetanleihen in Höhe ihres monatlichen Verdienstes zeichnen. Die "Anleihen" der Sowjetunion erscheinen hier unverhüllt als das, was sie in Wirklichkeit sind, nämlich eine Zusatzsteuer in Höhe von mindestens 8 Prozent des Einkommens des russischen Arbeiters.

 

Die Last

Das hier etwas ausführlicher behandelte Beispiel der Sowjetanleihen dürfte zur Genüge gezeigt haben, daß der, der die ihm aus der Theorie und Praxis anderer Länder geläufigen Begriffe der Finanzwirtschaft — sei es Steuer, Anleihe oder sonst etwas — kritiklos auf die Zustände im heutigen Rußland anwendet, — einen schweren Irrtum begeht. Hinter gleichlautenden Worten (des öfteren hinter einer "privatwirtschaftlichen" Verkleidung — z.B. die Sowjetbanken!) — findet man bei näherem Betrachten Tatsachen und Verhältnisse, die von denjenigen der "kapitalistischen" Ländern grundsätzlich abweichen.

So kann man auch die dem russischen Volke auferlegten Opfer und Lasten, die der Durchführung und Finanzierung des kommunistischen Experimentes dienen sollen, nicht durch das Verhältnis der Summe des Staatsbudgets zum Volkseinkommen ermessen, sondern lediglich durch denjenigen Teil dieses Einkommens, den der "sozialistische Sektor" im ganzen für sich in Anspruch nimmt.

 

13)  Siehe Prawda vom 28. September 1930. 
14)  Siehe "Pjatiletnij Plan narodnochosjajstwennago stroi'telstwa SSSR." "Der Fünfjahresplan des volkswirtschaftlichen Aufbaues der USSSR.'" (russ.). Herausgegeben vom "Gosplan" (Staatliche Kommission für Planwirtschaft), Moskau, 1929. B. II, Teil 2, S. 346.

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Nach dem "Fünfjahrplan", dessen Zahlen wir hier benutzen, ohne für die Richtigkeit derselben irgendwelche Gewähr zu übernehmen, nimmt der sozialisierte" Sektor im Jahre 1928/29 42 Prozent des Volkseinkommens für sich in Anspruch; am Ende des Jahrfünfts wird dieser Prozentsatz auf 48 Prozent15) steigen.

 

Das Kreditsystem

In ähnlicher Weise, wie es in den obigen Zeilen in bezug auf das Finanzsystem gemacht worden ist, läßt sich der Charakter der "Relativität" in bezug auf die Verhältnisse der sowjetrussischen Währung und des Kreditsystems nachweisen. Auch hier werden die einem grundsätzlich verschiedenen, privatwirtschaftlich organisierten System entnommenen Bezeichnungen (Bank, Banknote, Kredit, Wechsel) auf Verhältnisse angewandt, denen die Voraussetzungen für ein richtiges Funktionieren fehlen. 

Ein Beispiel wird das Gesagte gleich klarmachen. Nach den Statuten der Sowjetstaatsbank sollen, wie es bei den Zentralnotenbanken anderer Länder üblich ist, für einen gewissen Teil der ausgegebenen Noten (bis zu 75 Prozent) erstklassige kurzfristige Wechsel als Deckung dienen. Wenn aber bei der Sowjetstaatsbank Wechsel der staatlichen Betriebe — und zwar nur der staatlichen Betriebe — als solche Sicherheit dienen, so sind diese Wechsel etwas grundsätzlich anderes als die Wechsel, mit denen die Zentralnotenbanken in Europa und Amerika operieren. Denn, erstens, fehlt es, bei einer Kreditgewährung an die staatliche Industrie seitens der Staatsbank an einem sicheren, objektiven Maßstabe ihrer Kreditfähigkeit und ihres Kreditbedarfs, und, zweitens, was noch wichtiger ist, bleibt im Notfalle die ultima ratio jeder Kreditgewährung — die Exekution des Schuldners unmöglich, weil ein Staatstrust oder ein ähnliches staatliches Unternehmen in Sowjetrußland nicht veräußert werden kann und darf, da ja durch die Liquidation des betreffenden überschuldeten Unternehmens der Staat nur sich selbst ins eigene Fleisch schneiden würde. Die Sowjetregierung hat nunmehr, Anfang 1930, hieraus die logischen Konsequenzen gezogen, indem sie den Wechselkredit in dem Geschäftsverkehr der einzelnen Wirtschaftsorgane untereinander so gut wie ganz ausgeschaltet hat.

Seit 1924 besitzt die Sowjetunion eine "feste" Währung, bestehend aus Tscherwonetznoten, die von der Staatsbank emittiert werden, und aus Kassenscheinen, die vom Finanzkommissariat herausgegeben werden.

 

15)  Siehe "Der Fünf jahresplan", B. I, S. 106. 19

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Die Währung

Die Tscherwonetzwährung ist auf den alten Goldrubel (100 Rubel gleich 216 Mark) abgestimmt, indem ein Tscherwonetz im Nennwert 10 früheren Goldrubeln entspricht. Die Deckung der Tscherwonetznoten soll mindestens zu 25 Prozent aus Gold, Platin (neuerdings Silber) sowie aus Noten und Wechseln in ausländischer Währung bestehen, und zu 75 Prozent aus kurzfristigen Wechseln, die, wie bereits erwähnt, ausschließlich Wechsel der Staatsunternehmungen, also des Staates selbst, sind.

Die Kassenscheine des Finanzkommissariats, für die keine besondere Deckung vorgesehen ist, durften ursprünglich die Hälfte der jeweils in Umlauf befindlichen Tscherwonetznoten nicht übersteigen. Unter dem Drucke der finanziellen Schwierigkeiten wurden diese Bestimmungen gelockert, indem die Höchstnorm der Kassenscheine erst (August 1928) auf 75 Proz. und später (September 1930) auf 100 Prozent der umlaufenden Tscherwonetznoten erhöht wurde.16)

Von diesen auch formal erweiterten Emissionsmöglichkeiten hat die Sowjetregierung in der letzten Zeit ausgiebig Gebrauch gemacht, um so mehr als die wachsenden finanziellen Schwierigkeiten bei der Durchführung des Fünfjahrplanes das Beschreiten dieses Weges als einzige Möglichkeit noch offen ließ. Die Neuemission von Kassenscheinen allein in den beiden letzten Monaten, für die Angaben schon vorliegen — Juli und August 1930 —, betrug 408 Millionen Rubel neben einer Neuemission von Tscherwonetznoten in Höhe von 316 Millionen Rubel, so daß die Zunahme des gesamten Papiergeldumlaufes in den beiden Monaten 20 Prozent betrug (der gesamte Geldumlauf der Sowjetunion am 1. September 1930 hat 4234 Millionen Rubel erreicht). Dementsprechend ist auch die Deckung des umlaufenden Papiergeldes durch Gold und Platin — für Tscherwonetznoten und Kassenscheine zusammen — auch nach sowjetamtlichen Angaben auf 12 Prozent gesunken.

 

Die Inflation

Diese verstärkte Inanspruchnahme der Notenpresse im Laufe des Jahres 1930 hat auch zu dem Ausbruch einer offenen Inflation in Sowjetrußland geführt. Zwar werden die üblichen Inflationserscheinungen in der Sowjetwirtschaft durch das Fehlen eines freien Marktes und einer freien Preisbildung verschleiert; es konnte jedoch in den Sommer-und Herbstmonaten 1930 eine typische Inflationserscheinung beobachtet werden, nämlich das plötzliche Verschwinden des Silbergeldes aus dem Verkehr, auf welche Massenerschießungen von Sowjetbürgern — Privaten und Sowjetbeamten — folgten, die beschuldigt wurden, Silbermünzen "gehamstert" zu haben u. a.

Inwieweit die sowjetamtlichen Angaben über die als Deckung dienenden Reserven der Wirklichkeit entsprechen, läßt sich natürlich nicht genau feststellen. Es sei immerhin — mangels authentischer Angaben — das Urteil eines deutschen Beobachters wiedergegeben, der in einem Bericht über seine letzte Studienreise nach Moskau folgendes hierüber aussagt:

"Die Deckung des Rubels ist schwach geworden. Die Ausweise der Staatsbank scheinen irreführend zu sein, weil Edelmetall und Edelvalutabestände einfach oder mehrfach beliehen sind. . • • Die Deckung des Sowjetrubels, die Banknoten und die formell ungedeckten Staatskassenscheine zusammengerechnet, wurde mir mit etwa 8 Prozent genannt."17)

Die Aufrechterhaltung des Tscherwonetzrubelkurses auf der alten Goldparität entspricht nicht seiner inneren Kaufkraft (an den Warenpreisen gemessen), und wird nur künstlich durch eine Reihe Maßnahmen aufrechterhalten, wozu die Beherrschung des gesamten Außenhandels seitens des Sowjetstaates durch das System des Außenhandelsmonopols sowie die Regulierung der Preise für sämtliche Industrieprodukte reichlich Mittel und Gelegenheit geben. Eine offizielle Kursnotierung des Tscherwonetzrubels besteht auf keiner ausländischen Börse. Im sehr begrenzten Privatverkehr auf ausländischen Plätzen wird der Tscherwonetzrubel für die Hälfte des Nominalwertes gehandelt. Die offiziellen Notierungen des Tscherwonetzrubels durch die Moskauer Banken und Behörden auf Basis der Goldparität stellen keine "Wechselkurse" im üblichen Sinne dar, sondern lediglich Verrechnungskurse für den Verkehr der Sowjetbanken und Sowjetunternehmungen untereinander. Die Isolierung der Tscherwonetzrubel von jeglichem Kontakte mit der Außenwelt wird noch dadurch unterstrichen und aufrechterhalten, daß nicht nur die Ausfuhr, sondern auch die Einfuhr von Sowjetnoten aus dem Auslande verboten ist (Verordnung vom 21. März 1928).

Der Tscherwonetz, dessen Kaufkraft, an den Warenpreisen gemessen, kaum mehr als ein Fünftel seines Nominalwertes ausmacht, führt somit ein künstliches, von den Einwirkungen weltwirtschaftlicher Beziehungen isoliertes Dasein Jn der Treibhausluft der kommunistischen Planwirtschaft. Er ist daher in seinem Schicksal mit der letzteren auf Gedeih und Verderb verbunden.

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16)  Eine gute Schilderung der gegenwärtigen Währungsverhältnisse Sowjetrußlands findet man in deutscher Sprache in einem Artikel von Paul Czechowicz, "Währunsrssystem und Preissystem der Sowjetunion" im "Wirtschaftsdienst" (Hamburg), vom 12. April 1929, Heft 15.

17) Siehe Adolf Grabowsky, "Die russische Wirtschaftskrise" in "Der deutsche Volkswirt", 1929, Nr. 40, 5. Juli 1929.

 

 

 

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