"Mein Ziel ist, Armee lächerlich zu machen"

Leander Haußmann über seinen neuen Film "NVA"

dradio.de // kulturinterview/423416  

28.09.2005 · Moderation: Maja Ellmenreich

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Der Filmemacher Leander Haußmann ("Sonnenallee") hat mit "NVA" einen Armeefilm über die DDR gedreht, den er als "romantische Komödie" bezeichnet. Über Schauspieler wie Detlev Buck mit dem sprechenden Namen Oberst Kalt darf gelacht werden. Mit dem Streifen wolle er sowohl Erinnerung an die DDR aufarbeiten als auch die Wehrpflicht an sich kritisieren, sagte er.

 

Ellmenreich: Herr Haussmann, Sie haben gesagt, dass Sie sich mit dem Film "NVA" rächen wollen, das ist der Ausdruck persönlicher Rache. An wem rächen Sie sich für was?

Haussmann: Also das habe ich sicherlich so nicht gesagt und sicherlich habe ich es auch wieder differenziert dargestellt und relativiert, so'n Satz. Also Rache ist überhaupt nicht mein Grundgestus, wenn ich einen Film mache. Ich habe schon lange geplant, einen Film über die Armee in der DDR zu machen, und dass dann meine Biografie mit reinspielt, das kam eigentlich erst später aus der Notwendigkeit, dass man etwas erzählt, was Substanz hat. Ich kann ja nur das mit Substanz erzählen, was ich selbst erlebt habe oder von dem ich Bescheid weiß. Rache ist das falsche Wort, und wenn ich das gesagt habe, nehme ich es hiermit zurück. Das ist eher eine Rückschau, es ist eher das Benutzen eines Genres, in dem Fall Armeefilm, um Dinge zu erzählen, die, glaube ich, bis in die heutige Zeit hineinspielen. Dazu gehört Machtmissbrauch, dazu gehört Kleingeist, der das Interesse daran hat, das Außerordentliche, das Schöne, das Zerbrechliche in die Knie zu zwingen auf das Gartenzwergmaß, was die Vorgabe ja sicherlich in der DDR war, die Schrebergartenmentalität der Deutschen. Gleichzeitig will ich natürlich unterhalten, auch etwas über die Zeit erzählen, die es nicht mehr gibt, über eine Armee, die am Ende die Uniform ihres Feindes angezogen hat, und es ist mein Beitrag zur Diskussion - von der ich hoffe, dass sie sich verschärft - über die Abschaffung der Wehrpflicht, Wehrpflicht, deren entschiedener Gegner ich übrigens bin.

Ellmenreich: Ein Armeefilm, haben Sie vorhin gesagt. Ein Armeefilm an allererster Stelle und nicht eine Komödie an allererster Stelle?

Haussmann: Na ja, Armeegenre, Armeefilm kann beides sein, es kann Tragödie sein, mit den Mitteln der Tragödie erzählt, es kann aber auch Tragödie sein, mit den Mitteln der Komödie erzählt. Es ist eben meine Art, etwas komödiantisch zu erzählen, komisch zu erzählen. Ich selbst, der es ja erlebt hat, der ich ja dabei war, habe es damals schon als sehr komisch in Erinnerung und auch damals schon als komisch empfunden, mich als einen Spieler in einer großangelegten Komödie, das hat nichts damit zu tun, dass es dort angenehm war oder nicht angenehm war, sondern es war einfach teilweise sehr absurd und viele, die dort gedient haben, die werden das Gleiche berichten.

Ellmenreich: Sie wollen also nicht sagen, dass Sie 18 Monate lang, als Sie bei der NVA gedient haben, 18 Monate lang nur gelacht haben?

Haussmann: Na, nicht nur, aber doch viel. Es ist wie ein großes Lotteriespiel, also du gehst da hin, du wirst irgendwo hingeschickt, dann triffst du Leute, Bauern, Arbeiter, Intellektuelle, Schwachmaten, starke Leute, Verräter, Arschlöcher, gute Leute usw., und das ist ein Kreislauf von Merkwürdigkeiten, in den du da gerätst. Das hat ja nicht nur etwas damit zu tun, dass da die bösen Offiziere sind und die bösen Soldaten, sondern du triffst genauso auf böse Soldaten und du triffst auch auf gute Offiziere. Das ist das Fairplay, was ich auch betreibe, also ich versuche das nicht schwarz-weiß zu malen, der brüllende Spieß, der den armen Soldaten in den Selbstmord treibt, sondern Soldaten, die am Ende nicht sagen, man hat uns kaputtgemacht, sondern sie sagen, wir haben es geschafft.

Ellmenreich: Komödie und Tragödie haben Sie vorhin aufgerollt, dieses Gegensatzpaar beziehungsweise ein Paar, das sich ergänzt und das einander auch bedingt. Heißt das, dass man jedes noch so ernste Thema zum Beispiel der DDR-Geschichte aufgreifen kann und das mit der Distanz einer Komödie, mit der Distanz des Humors aufarbeiten kann?

Haussmann: Ja, selbstverständlich. Kunst darf das, Kunst kann das und muss das auch. Das ist subjektiv. Das heißt aber nicht, dass man eine Zeit oder eine Gesellschaft verharmlost, sondern wir erzählen die Komödie ja aus der Perspektive von Soldaten, also von denen praktisch, die das erlitten haben, die durch ihr menschliches Verhalten komische Situationen auslösen. Das andere ist, wenn man überhaupt von Rache sprechen kann, dann ist meine späte Rache die, dass ich die Lächerlichkeit dieser Leute, also sprich der Offiziere, jetzt deutlich machen kann, was ich damals natürlich nicht durfte. Ich musste sie ja ernst nehmen, natürlich mit der entsprechenden Ironie, die mir schon immer gegeben war, mit dem entsprechenden Gesichtsausdruck, der das Gegenteil sagt von dem, was er tut, der Mensch, dem dieses Gesicht gehört.

Ellmenreich: Aber bei dem Stichwort Rache muss ich noch mal nachhaken, Rache an einer Institution oder an einer Regierung, die es seit anderthalb Jahrzehnten gar nicht mehr gibt?

Haussmann: Würde ich nicht sagen. Die Menschen gibt es ja noch, und die Menschen, nicht unbedingt jetzt die, die in der "NVA" gedient haben, sondern auch die da gedient hätten, wenn sie im Osten gelebt hätten, die gibt es ja heute noch. Es gibt ja auch noch Offiziere bei der Bundeswehr. Die Truppe ist ja nicht ausschließlich kämpfend, sondern sie ist wartend. Sie warten auf ihre Fahrzeuge und ihre Technik. Sie sind die großen Putzer der Nation, sie putzen ja die ganze Zeit ihre Fahrzeuge, lernen marschieren und bewegen sich in einer Hierarchie, die sich, wenn man so will, fast außerhalb dieser Gesellschaft bewegt, das ist eine ganz eigene Welt, und einige, die in der Bundeswehr, das sind ja nicht so viele, wie man immer wieder merkt, gedient haben, sagen, hey, das ist ja wie bei uns in der Bundeswehr. Ich denke aber, man kann das dennoch so nicht vergleichen. Als NVA-Soldat da durfte man kaum nach Hause, man hatte keinen Urlaub, kam kaum raus usw. Man war auch außerordentlich schlecht motiviert. Aber was das betrifft, ob man jedes und alles komisch erzählen kann, noch mal ein klares Ja. Da stehen mir größere Filme bei wie "Der große Diktator" oder "To be or not to be" von Lubic, jüngstes Beispiel, "Das Leben ist schön". Man darf nur nicht die Dinge verharmlosen, also ich denke, wir sind in einer Zeit, wo wir begriffen haben, dass die ernsten Dinge nicht nur traurig sind, sondern durchaus auch sehr komisch sein können.

Ellmenreich: Sie erwarten Erfolg verständlicherweise. Sie hoffen auf Erfolg. Die Ostalgiewelle, wie sie nun beschrieben wurde und wie sie sicherlich nicht zuletzt durch "Sonnenallee" in Gang gesetzt wurde, ist dieser Bedarf wirklich noch da, wollen wir das alles noch hören, wollen wir immer die DDR als Kuriosum im Rückblick betrachten?

Haussmann: Also dazu muss ich auch mal generell etwas sagen: Ich finde es natürlich wahnsinnig diskriminierend, da überhaupt nachzudenken. Ostalgie ist ja auch ein diskriminierendes Wort, das ist ja letzten Endes auch erfunden worden von Altwestdeutschen, die es nicht wahrhaben wollen, dass nun mal 17 Millionen Menschen durchaus eine Erinnerung haben und auch das Recht haben auf Nostalgie, damit auch dieses Wort. Das ist unsere Geschichte, und wenn man die 68er verfilmt oder wenn man den Häuserkampf verfilmt oder wenn man die Atomkraftwerkaussteiger zeigt, dann sagt ja auch keiner, ist das jetzt nicht mal langsam erschöpft im Film. Das ist eben genau das, was ich meine, dass es ein falsches Denken ist, sondern wir müssen uns endlich angewöhnen, das zu akzeptieren, dass diese beiden Teile ein Land sind und dass das Thema noch lange nicht erschöpft ist.

Ellmenreich: Ich glaube, dass man sich in Ost und West darüber einig ist, dass das Thema noch lange nicht erschöpft ist, aber die Darstellungsart und Weise, ob wir nun von Komödien sprechen oder von TV-Shows, in denen Katharina Witt herumhüpft und an lustige DDR-Zeiten erinnert, das ist doch die Frage der Darstellung.

Haussmann: Da sind wir ja total d'accord, dass das eine Pervertierung des Themas ist, zumal dort Leute zu Wort kommen, die lieber schweigen sollten und zumal das ja wirklich nicht den Kern des Problems trifft. Ich mache ja Filme über Menschen, die in diesem Land gelebt haben und die in irgendeiner Form unauffälligen Heldenmut gezeigt haben und die auch das System dadurch stürzten, indem sie eben eine Form von indirekter, inaktiver Verweigerungshaltung hatten. Das sind Geschichten, die ich erzähle. Das ist keine Show, das ist ein Film, der im Übrigen auch filmisch mal zu betrachten ist, der ja auch cineastische Momente hat, übrigens auch metaphorische Momente über die Vergänglichkeit von Zeit, was war das System, also wenn der Waffenwart da seine Munition verbuddelt praktisch unter den eigenen Boden und das alles mit roten Fahnen kennzeichnet, dann ist das für mich die DDR von oben gesehen. Da verwerte ich nicht etwas in einer billigen Show mit Leuten, die keine Ahnung hatten. Ich bin auch immer auf der richtigen Seite, ich bin auf der Seite der Leute, die eigentlich unmittelbar betroffen waren, und nicht auf der Seite, die diese Leute gequält haben, behindert haben, und die Schuld daran waren, dass es so gelaufen ist, wie es eben jetzt gelaufen ist.

Ellmenreich: Dann würden Sie mir zustimmen, dass Kritiker, die jetzt schon über den Film "NVA" von einer Militärklamotte schreiben, dass Sie völlig falsch verstehen?

Haussmann: Nein, das sind meines Erachtens vorgefertigte Kritiken, weil es erstens keine Klamotte ist, weil sie wirklich nicht holzhammermäßig mit Humor arbeitet, weil sie eigentlich versucht - bis auf Uniform, marschieren usw., das ist ja klar, dass das in einer Armee vorkommt - Klischees zu vermeiden. Das ist ja eigentlich eine romantische Komödie innerhalb dieses Genres. Das Klischee wäre gewesen, ein brutaler faschistoider Hauptfeldwebel macht einen sensiblen Jungen zur Sau, und der muss dann mit Hilfe seiner Kameraden sich wieder aufbauen und mit deren Solidarität geht er als Sieger aus der Sache hervor à la "Club der toten Dichter" beispielsweise. Das ist ja alles in diesem Film nicht drin, das ist ein Film, der total den Sinn von Armee negiert mit Mitteln des Lächerlichmachens, und ich muss nicht irgendetwas hier als gefährlich, ernst und bedrohlich schildern, was a) in dem Sinne, so wie wir es uns vorstellen, es sowieso nicht war, und b) was es ja nicht mehr gibt, sondern mein Ziel ist, Armee lächerlich zu machen, weil Armee lächerlich ist, auch heute noch.

Ellmenreich: Wenn die Armee auf der gesamten Welt lächerlich ist und unnütz ist, wie gehen wir dann mit kriegerischen Auseinandersetzungen um, wie gehen wir dann mit Unrechtssituationen in Ländern um, die de facto existieren und die nicht von selbst gelöst werden können?

Haussmann: Also ich muss mich da ein bisschen korrigieren, die Armee, so wie sie dargestellt wird in ihrer Sinnfälligkeit, erfüllt so keinen Sinn. Wehrpflicht ist meines Erachtens Quatsch, weil so wird man der Situation, von der Sie gerade sprechen, nicht Herr. Wir befinden uns in einem Guerilla-Krieg, wir befinden uns ja nicht in einem offenen Krieg gegen Länder, außer jetzt in dem Fall USA. Wir wissen natürlich auch vom Gefühl her, dass es sich hier um einen Kulturkampf handelt, der mit Mitteln ausgeführt wird, den wir nicht mit einem Frontenkrieg bekämpfen können. Ich bin der Meinung, dass eine Berufsarmee mit hochmotivierten Leuten - es gibt genügend Leute, die das gerne machen -, und einen Sinn darin sehen, hochqualifizierte, technologisch hochgerüstete Armee mit weniger Leuten das durchaus bewältigen kann. Und meine Meinung ist, dass eine Armee ist die eigentliche patriotische Grundlage eines Systems. Sie - und das jetzt mal Ihnen auch als Frau gegeben - stabilisiert immer noch die Welt als Männerwelt, die von Männern verteidigt wird. Eine Armee ist dazu da, 18-jährige, junge, unfertige Menschen zu erziehen, sie praktisch auf diesen Staat einzuschwören, denn wo wäre der Staat, wenn man nicht wenigstens da irgendwo eine Grundlage hätte, in diesem chaotischen Hin und Her, was eine Demokratie und eine Freiheit ja mit sich bringt. Die Armee ist das unfreiheitlichste Instrument, welches sich einer Demokratie bedient, und deswegen bin ich eben gegen die Wehrpflicht.

 

 

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