Klimabuch        Start    Weiter

4.8    Die Wälder weichen — das Meer steigt

(Klimakapitel)

Gruhl-1992

Die Wälder gehen den Völkern voran, die Wüsten folgen ihnen.

Der französische Politiker Francois René Chateaubriand
 wikipedia  Francois-Rene_de_Chateaubriand 
*1768 in Nordwestfrankreich

278-284

Als der Wald den Planeten erobert hatte, war das Leben auf dessen Oberfläche für längere Zeit gesichert. Vor 5000 Jahren, als die ersten Hochkulturen entstanden, dürfte der Wald 36 Prozent der Erdober­fläche ein­ge­nommen haben, also etwa 55 Millionen Quadratkilometer. Der Wald ist Humus­erzeuger, Nährstoff­sammler, Wasserspeicher und -filter, Luftfilter, Sauer­stoff­erzeuger, Klima­stabilisator, wirksamster Erosions­hemmer.

"An der Behandlung des Waldes schied sich in der Geschichte das Schicksal der Völker."84 Einige wußten das zu allen Zeiten; schon eine babylonische Keilinschrift lautet: "Weißt du nicht, daß die Wälder das Leben eines Landes sind?"85 Die menschlichen Kulturen hinterließen oft Wüsten, und einige gingen auch daran zugrunde.

Julius Cäsar schrieb: "Rom hat seine ganze Weltmacht mit dem Holz erst seiner Wälder und dann mit dem seiner eroberten Provinzen erkauft, nicht minder seine Kultur und seinen Luxus."86 Darin kommt schon der Gesichtspunkt der Vermarktung zum Vorschein. 

In der Tat haben die Kulturen um das Mittelmeer ganze Gebirgszüge kahl geschlagen, deren nackte Gerippe bis heute die Irrtümer der Menschen bezeugen. Charles Richet schrieb nach dem Ersten Weltkrieg in seinem Buch, das bezeichnender­weise den Titel trägt <Der Mensch ist dumm>: "Noch etwa einhundert Jahre, und es wird keine Wälder mehr in Europa geben."(87)

Mit dem Zeitpunkt dürfte er genau Recht behalten, wenn das Waldsterben im bisherigen Tempo weitergeht. Im 19. Jahrhundert führte die Bevölkerungs­zunahme in Europa zu umfangreichen Rodungen, aber auch in anderen Teilen der Welt, die von Europäern besiedelt wurden. Das war bereits ein gewaltiger Rückgriff auf die Oberflächenvorräte der Erde, der im 20. Jahrhundert mit der Ausbeutung unterirdischer Vorräte vervielfacht wurde. Infolgedessen wurde der Wald in den Haupt­industrie­ländern bis in dieses Jahrhundert noch im großen und ganzen erhalten, bis er nun an der Industrie stirbt.

Die zweite Gefahr, die Zerstörung der Tropenwälder, kam in den letzten Jahren zu Recht in die Schlagzeilen. Denn deren Rodung verspricht so gut wie keinen Nutzen für den landwirtschaftlichen Anbau, dagegen verheerende Folgen für die Natur. Der Tropenwald besitzt keine Humus- oder feste Lehmschicht, er lebt fast nur vom intensiven Kreislauf des Wassers. Man könnte ihn beinahe als Hydrokultur bezeichnen. Die dünne Schicht organischer Boden­bestand­teile wird sofort weggespült, wenn das Wurzelwerk der Vegetation fehlt. Schon nach zwei bis drei Ernten verkarstet der Boden, man spricht in diesem Fall von "Laterisation", mit der Folge, daß die Bauern ein neues Stück Wald niederbrennen. Darum ist die Rodung und Brandrodung der tropischen Urwälder identisch mit der Ausbreitung der Wüsten auf unserem Planeten.88

Die FAO errechnete 1976, daß von den ursprünglich 15 Millionen Quadratkilometern Tropenwälder der Erde noch knapp 60 Prozent vorhanden waren, also 9,3 Millionen. Da sie eine jährliche Kahlschlagfläche von 70.000 Quadratkilometern angibt, wäre in den vergangenen 14 Jahren bereits eine weitere Million verloren gegangen, so daß der derzeitige Weltbestand bei acht Millionen läge. Andere Institute kommen auf weit höhere Verluste, das Geographische Institut der Universität München gar auf jährlich 245.000 Quadrat­kilometer. (Nach Mitteilungen der Schweizer UNESCO-Kommission.) Das World Resources Institute gibt 204.000 Quadratkilometer an. Der Präsident des UNO-Umweltprogramms sprach am 3. Juli 1991 von 200.000 Quadrat­kilometern, die jährlich verlorengehen.

Die Diskussion konzentriert sich zumeist auf den größten Urwald der Erde im Einzugsbereich des Amazonas-Stromes. Die Regierung Brasiliens erklärte wiederholt, auf die "Nutzung" nicht verzichten zu können und verbat sich jede Einmischung. Der Gouverneur Mendes ließ 1989 Tausende von Motorsägen kostenlos an die Siedler verteilen.89) Nach brasilianischen Angaben wurden 1988 insgesamt 121.000 Quadrat­kilometer gerodet, ein USA-Satellit registrierte 8500 Brände an einem Tag. Die Brandrodung hat dazu geführt, daß Brasilien in den achtziger Jahren mit elf Prozent nach den USA mit 18 Prozent und der Sowjetunion mit zwölf Prozent der drittgrößte Kohlendioxydproduzent der Welt wurde, während China mit 1100 Millionen Einwohnern nur sieben Prozent beitrug.

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Seit 1989 soll die Rodung nach Angaben der Regierung Brasiliens stark zurückgegangen sein, während das brasilianische Welt­rauminstitut von immer noch 33.000 Quadratkilometern jährlich spricht.

Der waldärmste Kontinent ist Afrika mit sieben Prozent, wo wie in Indien (13 Prozent) und Pakistan (vier Prozent) der Raubbau schon früher begann. Die Folgen sind dementsprechend. In Südostasien, vor allem in Indonesien räumt Japan auf. Die kommerzielle Rodung vernichtet jährlich 20.000 Quadrat­kilometer. Die amerikanische Scott-Paper-Company will zum Beispiel in Indonesien 8000 Quadratkilometer Wald zu Klosett- und Taschentuchpapier verarbeiten. In Vietnam kamen die Schäden des Krieges dazu, aber auch in Thailand und Laos sowie auf den Philippinen schwinden die Wälder. Malaysia muß bald Hartholz einführen.

In Europa ist seit einigen Jahren eine andere Art des Waldverlusts auf dem Vormarsch, das sogenannte Waldsterben. Die jährliche Statistik der kranken Wälder ist insofern noch täuschend, weil die erkrankten Bäume ständig gefällt werden, der restliche Wald also dabei gesünder werden müßte. Die Ermittlungen für 1988 wiesen aus, daß von den 1,4 Millionen (ohne Sowjetunion) Quadratkilometern europäischen Waldes eine halbe Million Schäden zeigen.90) An der Spitze liegen: Tschecho­slowakei, Griechenland und Großbritannien, gefolgt von der Bundesrepublik Deutschland. Die Sowjetunion besitzt 1,9 Millionen Quadrat­kilometer Wald, wovon jetzt 35.000 durch Tschernobyl verseucht sind.91

Durch Waldbrände infolge Fahrlässigkeit und Brandstiftung wurden im Jahre 1989 Bestände in allen Kontinenten vernichtet. In Quadratkilometern: Europa 3600, China 9000, auf der sowjetischen Insel Sachalin 900, in den Vereinigten Staaten 2000. In Kolumbien fielen im Februar 1991 etwa 10.000 Quadrat­kilometer eines Naturschutzgebietes den Flammen zum Raube.

Die Waldverluste haben mehrfache Auswirkungen:

1. Die in ihrem Ausmaß unberechenbaren ökologischen Schäden.
2. Eine weitere Kohlendioxydbelastung der Atmosphäre.
3. Ökonomische Verluste. So wurden für die Schweiz 100 Milliarden sfr. allein für die Schäden errechnet, die in den nächsten 50 Jahren durch vermehrte Lawinen und die notwendigen Gegenmaßnahmen entstehen werden.
4. Der Erholungswert der Natur wird gemindert, was ebenfalls in Zahlen nicht zu ermitteln ist.  

"Die Bäume bilden die Poesie der Erde", schrieb Charles Richet vor 70 Jahren.92) 

"Nicht nur der Wald, die gesamte Biosphäre ist betroffen: also auch die Landwirtschaft mit dem Boden, den sie bebaut — und jenseits des Wirtschaftlichen Pflanzen, Tiere und Menschen insgesamt durch die Luft, die sie atmen."93) 

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Der Treibhauseffekt war neben den Wäldern das beherrschende Umweltthema der letzten Jahre. Er entsteht in erster Linie, weil das bei jeder Verbrennung in die Atmosphäre gewirbelte Kohlendioxyd die Abstrahlung von Wärme in den Weltraum vermindert. Ein für die USA-Regierung vor 20 Jahren erstelltes Gutachten besagte: "Morgen wird die Erde ein von einem Mantel aus Dampf und Kohlendioxyd umhülltes Treibhaus sein, riesige Landstriche werden unter den von den Polen abschmelzenden Wassermassen verschwinden."94

In den achtziger Jahren entstand erst einmal ein großer Streit um die Auswirkungen des Kohlendioxyds. Der ist zwar bis jetzt noch nicht beendet, doch die Meinung, daß eine große Gefahr heraufzieht, hat sich durchgesetzt. Es könnte allerdings sein, daß dies nur gelungen ist, weil die Atomindustrie im Treibhauseffekt einen guten Bundesgenossen im Kampf für die Atomkraftwerke sieht. In Deutschland warnte Anfang 1987 die "Deutsche Physikalische Gesellschaft" zusammen mit der "Deutschen Meteorologischen Gesellschaft" vor der kommenden Gefahr.

1988 stellte eine NASA-Studie fest, daß der Kohlendioxyd-Gehalt der Luft seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts von 270 auf 350 Teile pro Million gestiegen ist und die Temperatur um 0,3 bis 0,7 Grad Celsius, und diese werde in 15 Jahren selbst dann um ein halbes Grad ansteigen, wenn keine weiteren Gase hinzukämen. Um 2050 werde sich der Gehalt an Kohlendioxyd in der Atmosphäre voraussichtlich verdoppelt haben.

Inzwischen hatte man weitere Veränderungen entdeckt. Die Ozonschicht in der äußeren Lufthülle nahm ab, und am Südpol wuchs ein Ozonloch bis zur Flächengröße der USA. Der erste Verdacht fiel auf die Fluor­chlor­kohlen­wasser­stoffe (FCKW) aus den Spraydosen und Kühlaggregaten. Nach mehreren Konferenzen wurde 1987 schließlich das "Protokoll von Montreal" von 24 Staaten unterzeichnet, das eine Abnahme der Produktion bis 1993 um 20 Prozent und um weitere 30 Prozent bis 1998 vorsah.

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Im Jahre 1986 betrug die Weltproduktion 1,4 Millionen Tonnen; 440.000 in den EG-Ländern, 300.000 in den USA. Wegen der Dringlichkeit sah man sich im Mai 1989 in Helsinki wieder und begriff, daß die Produktion bis zum Jahre 1999 eingestellt werden müßte; doch die Entwicklungs­länder zogen nicht mit, in China war die Produktion gerade angelaufen.

Forschungen ergaben, daß sich auch der Methangehalt der Luft in den letzten 100 Jahren verdoppelt hatte. Methan entsteht zu 20 Prozent bei der Erdgas- und Erdölgewinnung sowie aus den FCKW. Weitere Mengen kommen aus dem Reisanbau und von den wiederkäuenden Haustieren, beide Produktionen haben mit der Bevölkerung stark zugenommen. Eine weitere Quelle ist das Lachgas, welches aus den Düsentriebwerken und auch von den Mikroorganismen abgeholzter Wälder herrührt. Ganz frisch ist die Erkenntnis amerikanischer Wissenschaftler, daß ein Zehntel des Lachgases, das sind 700.000 Tonnen, bei der Produktion von Nylonfasern entsteht.95 Lachgas wird erst in 150 Jahren vollständig abgebaut. — Das Ozon, dessen Abnahme in der äußeren Lufthülle gefährlich ist, nimmt in Bodennähe zu, was leider hier sehr unerwünscht ist, weil es im Zusammenwirken mit Stickoxyden und Kohlenwasserstoffen ebenfalls zum Treibhauseffekt beiträgt.

 

Wie ein Seminar der OECD 1989 in Paris feststellte, sind alle Tätigkeiten des Menschen an der Erzeugung des Treibhaus­effektes beteiligt. Jede Energie­erzeugung setzt mehr Abwärme frei, als sie Nutz­energie hervorbringt. Beim Auto beträgt der Verlust über 80 Prozent, bei den Kohle- und Atomkraft­werken mindestens 60 Prozent, in der Regel aber mehr. Darum benötigt ja jeder Verbrennungs­vorgang Kühlung, in der Regel mittels Wasser, womit die Abwärme in die Gewässer und an die Luft abgegeben wird.

Die Klimaveränderung durch Erwärmung wird auf jeden Fall beträchtlich werden, ist im einzelnen aber schwer vorauszusagen. Die bisherige Erwärmung ist nachweisbar. Und es ist kein Zufall, daß die sieben wärmsten Jahre seit 1880 in den soeben vergangenen achtziger Jahren lagen und daß 1990 die höchsten Temperaturen des ganzen gemessenen Zeitraums erreichte.96 Wetteränderungen sind schwer zu prognost­izieren. Aber die globale Erwärmung wird einen Teil der Eisgebirge unseres Planeten auftauen und in Wasser verwandeln.

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Da das Eis der Arktis im Wasser schwimmt, bewirkt sein Auftauen keine Erhöhung des Wasserspiegels, dafür aber das Grönlandeis mit 2,6 Millionen Kubikkilometern und das Kanadas und Rußlands. Der Hauptpunkt ist die Antarktis; denn auf diesem Kontinent ruhen 25 Millionen Kubikkilometer Eis mit einer durchschnittlichen Höhe von 1720 Meter. Sicher ist auch, daß die Erwärmung an den Polen stärker sein wird als am Äquator. Die geschätzte Differenz liegt am Äquator zwischen +1° und +3°, dagegen an den Polen +7° Celsius.

Das Abschmelzen aller Eisgebirge würden den Weltwasserspiegel um 70 Meter erhöhen. Jetzt muß mit dem Anstieg von einem Meter bis 2075 gerechnet werden.97 Das würde nach niederländischen Berechnungen schon alle Ländereien bis fünf Meter über Normalnull gefährden. Das sind fünf Millionen Quadratkilometer oder fünf Prozent der Vegetationsflächen der Erde, auf denen zur Zeit 1000 Millionen Menschen wohnen; aber noch wichtiger ist, daß darin ein Drittel der Ackerflächen der Erde liegen.98 

Im Worldwatch-Report 90/91 findet sich die schon makabere Bemerkung, die Küstenländer stünden dann vor der "Wahl": Rückzug aus diesen Gebieten oder Eindeichung — als ob sie eine Alternative hätten! Selbstverständlich müßten sie alle Deiche erhöhen und solche selbst dort bauen, wo bisher keine nötig waren. Richtig ist aber die Feststellung, daß heute mit der Planung begonnen werden müßte. Die USA-Umwelt­behörde rechnete schon 1985 damit, daß der Anstieg des Weltwasser­spiegels um 2100 mehr als zwei Meter betragen werde. Die Errichtung von Deichen in allen Kontinenten würde auf Grund der zu bewegenden Materialmassen auch weitere ökologische Schäden mit sich bringen.

Aber was tun die betroffenen Länder jetzt? Sie bauen weitere Wohnungen und Industrien an allen Küsten der Welt. Die großen Hafenstädte der Industrie­länder liegen an den Flußmündungen, sind also zuerst bedroht: London, Hamburg, Leningrad, Rotterdam, Amsterdam, New York, New Orleans, Sydney und viele andere. Am gefährdetsten sind aber zehn Entwicklungsländer: Bangladesch, Ägypten, Indonesien, die Malediven, Mocambique, Pakistan, Senegal, Surinam, Thailand und Gambia.(99) Dort werden die Riesen­städte Alexandria, Bangkok, Kalkutta, Dakka, Hanoi, Karatschi und Schanghai zuerst betroffen sein.

Die natürlichste und kostengünstigste Rettung wäre, die Ursachen der Erwärmung zu vermindern: in der Hauptsache den Einsatz von Kohle, Öl und Gas zur Energieerzeugung.

Eine erste Weltklimakonferenz im Juni 1988 in Toronto hat die Fakten anerkannt und eine Reduzierung des Kohlendioxydausstoßes um 20 Prozent bis zum Jahr 2000 und um 50 Prozent bis 2050 gefordert. Doch ein Jahr später tagte in Montreal die 14. Weltenergiekonferenz. Ihre Prognose: Der Energieverbrauch werde bis zum Jahr 2020 um 50 bis 75 Prozent steigen, zwei Drittel des Anstiegs müßten von den fossilen Brennstoffen gestellt werden. Folglich werde auch der Ausstoß von Kohlendioxyd bis 2020 um 40 bis 70 Prozent steigen! Das sind zwischen acht und 14 Milliarden Tonnen mehr als zur Zeit!

Die Belastungsspitze läge dann bei 35 Milliarden Tonnen jährlich, statt der geforderten 15 Milliarden Tonnen. In dieser klaffenden Lücke zwischen den beiden Kurven liegt die Entscheidung über das weitere Leben auf diesem Planeten! Und es besteht gar kein Zweifel, welcher Kurve die Entwicklung folgen wird. Der Ruf nach mehr hat noch immer gesiegt. Dement­sprechend ist der Weltverbrauch fossiler Brennstoffe von 1988 bis 1990 schon wieder um etwa 500 Millionen Tonnen Steinkohle­einheiten gestiegen.

Die folgende 2. Weltklimakonferenz im Oktober 1990 in Genf endete mit einer unverbindlichen Aufforderung, den Kohlendioxyd­ausstoß bereits bis 2010 um 20 Prozent zu senken. Vor allem die Vereinigten Staaten, die pro Kopf und Jahr mit 19 Tonnen die Weltspitze halten, wandten sich gegen konkrete Ziele, "weil dieses Vorgehen nicht ihrer Philosophie im Umweltbereich entspreche".100

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 Himmelfahrt ins Nichts von Herbert Gruhl 1992