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2.4 - Der Faktor Arbeit

Es ist für den Menschen an der Zeit, sich selbst neu einzuschätzen. 
Philip Wylie  wikipedia  Philip_Wylie 1902-1971

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    Die neue Dimension der Arbeit 

Nachdem wir alle Faktoren des künstlichen Produktionskreises zusammengetragen haben, wenden wir uns nochmals dem Faktor Arbeit zu. Da die Arbeit vom Menschen verrichtet wird, ist der Mensch das Bindeglied zwischen dem natürlichen Regelkreis und dem künstlichen Produktionskreis. Als Lebewesen ist er von der Natur total abhängig; vom künstlichen Produktionskreis hat er sich in steigendem Maße abhängig gemacht, je mehr er ihn ausweitete.

Wenn der Mensch auch die Quelle aller Arbeit ist, so ist er doch keineswegs die alleinige Quelle der Produktion. Um überhaupt produzieren zu können, muß die Natur vorhanden sein. Einmal als Objekt der Arbeit, zum anderen aber auch als Lebensgrundlage des tätigen Menschen selbst. Erst auf dieser Grundlage wird er in die Lage versetzt, seine Arbeitskraft einzusetzen und sie schließlich mittels technischer Energie­erzeugung zu verstärken und auf immer mehr Objekte zu richten: die Rohstoffe. Hat er diese Objekte nicht, ist auch kein Arbeitseinsatz möglich. Karl Jaspers sagt: »Technik ist jeweils gebunden an Stoffe und Kräfte, die begrenzt sind: Die Technik braucht Stoffe und Kräfte, mit denen sie operiert.«1

     Die unvollständige Lehre vom Arbeitswert    

Die Größe des Faktors A ergab sich im natürlichen Regelkreis fast ausschließlich aus der Zahl der Menschen, die jeweils die Erde bewohnten. Wollte man die Arbeitskraft erhöhen, dann mußte man die Zahl der Menschen vermehren.

Wo die natürliche Vermehrung zu langsam ging, dort importierte man Sklaven. Dafür ist der Handel der Nordamerikaner mit den Negern das letzte und abscheulichste Beispiel. All die Jahrtausende vorher »hatte es keine andere Quelle des Reichtums gegeben als die Ausbeutung anderer (Menschen). Die eigene Arbeit konnte stets nur zu einer notdürftigen Befriedigung der eigenen Bedürfnisse hinreichen«.2

Auch in den ersten organisierten Gesellschaften mit etwas höherer Kultur gab es nur menschliche Arbeitskraft und darum die Verwendung von Sklaven. Eine Notwendigkeit, die selbst Marx und Engels in diesem historischen Stadium anerkennen.3 Denn die menschliche Energie konnte nur durch die tierische (Zug- und Reittiere) ein wenig erweitert werden. Soweit man schon damals die Natur ausbeutete, ging das nur mit diesen beschränkten Kräften. Wie begrenzt die Kräfte waren, geht daraus hervor, daß der Mensch 1600 Kalorien zur Selbsterhaltung des Körpers nötig hat; erst die Kalorien, die er darüber verbraucht, lassen sich in Arbeitskraft umsetzen.4

Wer größere Leistungen erbringen wollte, mußte also eine Menge Menschen dafür einsetzen. Dies geschah nicht nur in der Antike, sondern auch noch in den ersten Jahrzehnten des Bestehens der Sowjetunion und jetzt in China, zum Teil mit größter Rücksichtslosigkeit. Erst als die künstliche Energie im riesigen Ausmaß zur Verfügung stand, brauchte die Ausbeutung der Natur nicht mehr mit Hilfe ausgebeuteter Menschen zu erfolgen.

Aber gerade bevor noch diese Entwicklung große Ausmaße annahm, wurden die wirtschaftspolitischen Theorien entwickelt, die ausschließlich von der Arbeit und von dem schon damals bekannten Geld ausgingen. Diese Theorien stimmten sehr bald nicht mehr – aber fast niemand hat's gemerkt.

Damals war die Arbeit zum alleinigen Bewertungsmaßstab der Ware erhoben worden. Das war der Fehler, den Karl Marx übernahm und auf dem er ein ganzes Gedankengebäude errichtete: seine Lehre vom Mehrwert. Ganz zweifellos war eine Ware schon immer mehr wert als die darauf verwendete Arbeit. Warum, dies haben wir in den vorangegangenen Kapiteln dargestellt: Weil es freie Güter gibt, die »umsonst« zu haben sind! Berücksichtigen will es jedoch bis heute kaum jemand. Worüber hätte man sich die 200 Jahre auch streiten sollen, wenn die Fehler dieser Theorie sofort erkannt worden wären? Statt dessen gab es unzählige mühevolle Definitionen, was Arbeit und was Kapital eigentlich sei.

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Daß der Arbeiter nicht den vollen Warenwert für seine Arbeit bekam, lag nach Karl Marx allein an den Kapitalisten, die den »Mehrwert« unberechtigt in ihre Tasche fließen ließen. Mit diesem Postulat ist Marx' Wirtschaftstheorie genauso auf dem Faktor »Arbeit« aufgebaut wie die von Adam Smith.

In Wirklichkeit lassen sich zu keiner Zeit der Geschichte alle Werte auf die Arbeit zurückführen. 

Zu der Zeit, als die Zahl der Menschen noch klein und die Natur unerschöpflich war, hätte man erst recht nicht alle Werte nach der aufgewendeten Arbeit bemessen können. Denn es gab damals Landstriche auf der Erde, wo der Mensch fast ohne Arbeit sein Auskommen hatte – und es gab andere, wo er eine beträchtliche Arbeits­leistung hinzufügen mußte, um sich am Leben zu erhalten. Aber von seiner Arbeitskraft allein – isoliert von aller Umwelt – hat noch nie ein Mensch gelebt. Der Mensch richtet seine Arbeitskraft auf die Natur, erzielt daraus ein Produkt, das er selbst verbraucht oder für neue Arbeit anwendet. Die Obergrenze der Produktmenge wird sowohl von der Natur als auch von seiner Arbeitskraft bestimmt.

Die Menschen brauchten damals viel Land zu ihrer Ernährung. Infolgedessen war ihrer Zahl eine Grenze gesetzt und damit auch der Zahl der Arbeitskräfte, die in einem Land eingesetzt werden konnten. Für Arbeitstiere galt das gleiche. Erst als das angehäufte Wissen zu neuen Dimensionen durchbrach und diese in der Technik verwirklicht wurden, brach ein völlig neues Zeitalter für den Menschen an.

Das umwälzende Ergebnis des technischen Zeitalters war, daß man nicht mehr allein auf die langsamen Umsetzungsprozesse der Natur angewiesen blieb. Somit gelang es, neben dem natürlichen Kreislauf einen völlig neuen aufzubauen, den wir den künstlichen Produktionskreis nennen. Künstlich, weil er vom Menschen gemacht und in Gang gehalten wird; ohne den Menschen würde er sofort zusammen­brechen.

 

    Die beiden Produktionskreise    

Die beiden Produktionskreise, die der Mensch mit seiner Arbeit und mit seinen inzwischen enorm gestiegenen Kenntnissen betreibt, unterscheiden sich in ihren Grundlagen völlig. Da sie aber ineinander verzahnt sind, und weil heute auch die Land­wirtschaft weitestgehend industriell arbeitet, ist diese grundlegende Verschiedenheit bisher von keiner Lehre erfaßt worden.

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Der natürliche Regelkreis läuft nach der Formel:

   P = N + A  

Er wird gespeist durch die unendliche Quelle der Sonnenenergie, die von der Natur (N) umgewandelt wird. Das durch menschlicher Hände Arbeit (A) vergrößtere Produkt (P) der Natur wird vom Menschen verzehrt. Was er nicht braucht (Blätter, Stroh, Schalen), geht sofort an die Natur zurück, ebenso der vom Menschen erzeugte Abfall (...); diese organischen Substanzen belasten die Natur nicht, da sie wieder umgewandelt werden.

Von den Bewohnern der ganzen Erde fanden 1970 noch 51 % ihre Existenzgrundlage im landwirtschaft­lichen Bereich.5 Sie arbeiten dort allerdings zum Teil mit industriellen Methoden. Inzwischen dürfte ihr Anteil die 50 %-Grenze leicht unterschritten haben. Darum nehmen wir zur Zeit an, daß von den etwa 4 Milliarden Menschen 2 Mrd. im natürlichen Kreislauf und 2 Mrd. im künstlichen Produktionskreis arbeiten. Der Mensch als das zur Natur gehörende Wesen ist das Bindeglied zwischen beiden Kreisläufen. »Leben« kann er nur im natürlichen Kreislauf – »arbeiten« kann er in dem einen oder dem anderen.

Der künstliche Produktionskreis arbeitet nach der Formel:

   P = N / (1+Uv)  +  A * Us * (E/Z1 + R/Z2 + W) 

Da dieser Kreislauf mit den erschöpflichen Energie- und Rohstoffvorräten des Planeten (E + R) in Betrieb gehalten wird, liefert er ein Mehrfaches an Gütern als durch Bearbeitung der Natur zu erzielen sind. Die wertmäßigen Relationen werden ganz grob durch das Verhältnis der Pfeilstärken ausgedrückt. Die menschliche Arbeitskraft läßt sich durch gute Organisation rationeller und wirksamer einsetzen, aber entscheidend erst durch künstliche Energie vervielfachen und durch Rohstoffe zu einer gewaltigen industriellen Produktion (P) steigern. Der weitaus größte Teil dieser Produktion bleibt in den industrialisierten Zonen. Die landwirtschaftlich tätige Bevölkerung, zum allergrößten Teil in den Entwicklungsländern, bekommt nur wenig davon ab. Entsprechend gering ist ihr Beitrag zu den anorganischen Abfallstoffen (— — —), während er vom zweiten Kreis her groß ist. Letztgenannte fallen auch schon während der Energieerzeugung und Rohstoffverarbeitung an.

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Alle zusammen belasten sie die Natur, wie auch ein Teil der künstlichen Düngemittel und Chemikalien. (Die Umweltverderbnis, also Naturminderung, steigt an.) Nur ein geringer Teil der Rohstoffe wird bisher der Wiederverwendung (W) zugeführt.

Der künstliche Produktionskreis bezieht einen geringen Teil der Energie aus der Natur (Wind- und Wasserkraft sowie Brennholz). Der zweite Kreis ist der reiche, der sich selbst verzehrt. Der erste Kreis ist der arme, der sich selbst erhält, soweit er nicht jetzt durch die Zufuhren aus dem zweiten künstlich aufgebläht ist und durch Uv geschädigt wird.

Erst die Direktumwandlung der Sonnenenergie würde unbegrenzt natürliche Energie, die gelungene Kernfusion unbegrenzt künstliche Energie verfügbar machen. Begrenzt bleiben aber auch dann die Rohstoff vorkommen.

Der künstliche Produktionskreis liefert an den natürlichen Regelkreis Düngemittel, Maschinen und Energien zur Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktion. Ohne diese Zufuhren wäre die Rücklieferung an die 2 Milliarden Menschen des künstlichen Kreises unmöglich. Diese Rücklieferung ist bedeutend größer als der Eigenverbrauch der landwirtschaftlichen Weltbevölkerung. Die zivilisierte, hochentwickelte und städtisch lebende Bevölkerung verbraucht nämlich vorwiegend veredelte Nahrungsmittel, wie Fleisch, Eier, Milch; sie verbraucht auch einen größeren Anteil der Genußmittel, wie Kaffee, Tee, Tabak und einen größeren Anteil an Baumwolle, Kautschuk, Häuten und Fellen, Holz und Faserstoffen.

Seit zwei Jahrhunderten findet eine unaufhörliche Wanderung von Arbeitskräften aus dem alten Regelkreis in den neuen Produktionskreis statt. Der natürliche Regelkreis mußte in den Industrieländern sehr bald durch verschiedene staatliche Maßnahmen gestützt werden, damit er nicht zusammenbrach. Vor allem fiel es der Landwirtschaft in allen Ländern schwer, die Zufuhren aus dem künstlichen Produktionskreis zu bezahlen, die von dort angeboten wurden.

Der natürliche Regelkreis erhält ganz neuartige Importe aus dem künstlichen Produktionskreis, die ständig zunehmen: Kunstdünger (seit etwa 1850), Landmaschinen (seit dem Ende des 19. Jahrhunderts), Traktoren (seit dem I. Weltkrieg), Chemikalien (seit dem II. Weltkrieg) – und die dafür benötigte Energie. Die Landwirtschaft arbeitet – regional sehr unterschiedlich – immer stärker nach den Methoden des zweiten Kreises, es kommt zur industrialisierten Landwirtschaft, der sogenannten »Grünen Revolution«.

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Wo diese erfolgt, erhöht sich auch die Produktivität derjenigen Arbeitskräfte, die im natürlichen Regelkreis verblieben sind. Diese Erhöhung ist aber auch für beide Kreise existenznotwendig geworden; denn die Arbeitskräfte (= Menschen) des künstlichen Regelkreises müssen ebenfalls aus dem natürlichen Kreis ernährt werden. Dafür liefern sie die genannten Betriebsmittel, aber auch die übrigen Produkte des künstlichen Produktionskreises, die der Erhöhung des Lebensstandards dienen. Von diesen möchte schließlich die landwirtschaftlich tätige Bevölkerung, die im gleichen Land wohnt, ihren Pro-Kopf-Anteil haben. Der Streit um den gerechten Austausch läßt die Industrieländer nicht zur Ruhe kommen; denn die Landwirtschaft hinkt fast immer hinterher, weil die Industrie das Tempo bestimmt. Diese Differenz war in den kommunistischen Ländern jeweils noch größer als in den demokratisch regierten.

In der heutigen Welt bestehen zwischen den beiden Regelkreisen alle denkbaren Beziehungen. Der im I. Teil dargestellte unangetastete natürliche Regelkreis ist nur noch in einigen letzten Inseln der Welt erhalten. Überwiegend natürliche Regelkreise finden sich in den Staaten der dritten Welt; überwiegend künstliche Produktionskreise besitzen die Industrieländer. An der Spitze steht Nordamerika (USA und Kanada), wo die landwirtschaftliche Bevölkerung rund 10 Millionen und die industrielle Bevölkerung 216 Millionen beträgt.6 Dies ist ein Verhältnis von 4:96%. Dagegen ist in Nepal das Verhältnis fast genau umgekehrt: 92:8%.

Nur der zehnte Teil der 2 Mrd. Landbevölkerung ist in den Industrieländern zu finden. Diese rund 200 Mill. Menschen betreiben dort die Art von Landbau, die man schon zur Industrie rechnen könnte. Dieses Zehntel produziert aber etwa genauso viel Nahrungsmittel wie die übrigen 9/10 zusammen. Daß mit dieser Hälfte nur wenig mehr als 1/3 der Menschheit ernährt wird, liegt daran, daß dieses Drittel nur Nahrungsmittel mit einem hohen Veredelungsgrad zu sich nimmt.

Der zweite künstliche Kreis ist das Ergebnis der großen Arbeitsteilung, die das technische Zeitalter mit sich brachte. In diesem Produktionskreis hat sich dann die Arbeitsteilung unendlich weiter aufgefächert und der Mensch so spezialisiert, daß das Ganze zu einem kunstvollen Gebilde geworden ist. Die Teilung der Arbeitsgänge im industriellen Produktionskreis wurde sowohl von den Maschinen erzwungen, wie sie auch wieder den Einsatz der Maschinen förderte.7

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Unsere Darstellung der Kreisläufe bietet die gute Gelegenheit, ein Phänomen ökonomisch zu erklären, was bisher nur sozial oder psychologisch erklärt wurde:8) die Befriedigung des Menschen an seiner Arbeit. Es stellt sich heraus, daß diese eng mit dem Anteil der menschlichen Arbeit an dem von ihm gefertigten Produkt korrespondiert.

Im natürlichen Regelkreis ist der Anteil der Arbeit an einem Produkt nicht groß, er steigt dann bei den Kultur­völkern so, daß er bei vielen Fertigkeiten in die Nähe von 100% kommt. Dies trifft etwa für die Handwerker des Mittelalters zu. Aber auch die Landwirte hatten damals fast alles mit ihrer Hände Arbeit bis zur Vollendung zu bringen, woran sich bis zum 20. Jahrhundert nicht viel änderte. Mit der Zunahme der Industrialisierung nahm dann der Anteil der Arbeit eines Menschen an dem Produkt, das er herstellt, enorm ab.

Im natürlichen Stadium ist der menschliche Arbeitsanteil gering. Da die Natur das meiste tut, ist die Bedeutung der Arbeit für den Menschen nicht groß. Daher bestand auch kein Bedürfnis, die Arbeit durch Verbesserungen und Erfindungen zu verringern; es gibt keine technische Fortentwicklung oder sie verläuft sehr langsam. Die größere Befriedigung geht von der Jagd oder vom Krieg aus.

Im handwerklichen Stadium ist der Anteil der Arbeit sehr groß. Ein Erzeugnis wird zum Beispiel von einem Schmied vom Rohmaterial bis zum endgültigen Erzeugnis eigenhändig gefertigt. Die direkte Beziehung zum Produkt führt zu einer optimalen Befriedigung am eigenen Werk. Dies ist die Zeit der kulturellen und künstlerischen Blüte der Völker und zugleich die Zeit der Erfindungen, die eine Entlastung von der Arbeit bringen sollen.

Im industriellen Produktionskreis wird der Anteil der Arbeit des einzelnen Menschen am Produkt immer geringer. Durch die radikale Spezialisierung und die Verwendung von Maschinen und Energien sinkt der Beitrag des einzelnen immer weiter. Der Tiefpunkt ist heute erreicht; denn was der Fließbandarbeiter zu einem Produkt beiträgt, ist vielfach nicht einmal ein Tausendstel der für dieses Produkt insgesamt notwendigen Arbeit. Allein die Bezahlung verlockt noch zur Leistung; die Aussicht darauf, was man alles mit dem Geld wird kaufen können, liefert das Antriebsmotiv. Damit ist die Beziehung zur Arbeit nur noch eine indirekte.

Dies hat noch eine andere Folge, die Schumacher beschreibt: »Wir behaupten, nie zuvor in der Geschichte seien so viele Menschen so hochgradig ausgebildet gewesen; doch diese Menschen können selber nichts hervorbringen, da sie völlig abhängig geworden sind von riesigen und unglaublich teuren Maschinen und Organisationen.«9

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An anderer Stelle sagt Schumacher:

»Direkt-produktive Arbeit, ohne Hast und Sorge sachgemäß verrichtet, schöpferisch, indem sie aus Nutzlosem etwas Nützliches und vielleicht sogar Schönes hervorbringt; Arbeit, die den Menschen erfüllen und befriedigen kann, ist in der modernen Industriegesellschaft zu einem Gut geworden, an das nur die wenigsten herankommen. Der Mensch, wie Thomas von Aquin sagt, ein Wesen mit Vernunft und Händen, braucht eine solche Arbeit mehr als das meiste, was er sonst noch braucht. Ist sie ihm verwehrt, so kommt er auf die verrücktesten Ideen und wird in der einen oder anderen Weise – krank. Jeder erfahrene Arzt weiß von der therapeutischen Kraft der echten Arbeit. Die Hoffnung, daß man sich für freudlose Arbeit – oder Arbeitslosigkeit! – durch <Freizeitgestaltung> entschädigen könne, ist unerfüllbar; denn alle Erfahrung bestätigt die Verallgemeinerung: Die Qualität der Arbeitszeit bestimmt die Qualität der Freizeit. – Echte, direkt schöpferische Arbeit ist in der modernen Industriegesellschaft zu der seltensten aller Mangelwaren geworden. Man muß schon sehr wohlhabend sein, um sie sich leisten zu können ...«10

Während das Ergebnis der Arbeit an Masse immer mehr zugenommen hat, ist der Wert der Arbeit an sich, gerade für den noch handarbeitenden Menschen, auf nahe Null gesunken. Kaum jemand macht sich klar, mit welcher Geschwindigkeit diese Änderung in wenigen Jahrzehnten eingetreten ist.

 

     Die Sage vor der Verkürzung der Arbeitszeit    

 

Aufgrund des hohen Ausstoßes an Gütern und der Produktivitätssteigerung durch maschinelle Rationalisierung hatte man befürchtet, daß die Maschinen die Arbeiter brotlos machen würden. Eines der bekannten Beispiele formulierte Bertrand Russell:

»Nehmen wir an, daß gegenwärtig eine bestimmte Anzahl von Menschen mit der Herstellung von Nadeln beschäftigt ist. Sie machen so viele Nadeln, wie die Weltbevölkerung braucht, und arbeiten acht Stunden täglich. Nun macht jemand eine Erfindung, die es ermöglicht, daß dieselbe Zahl von Menschen doppelt so viele Nadeln herstellen kann. Aber die Menschheit braucht nicht doppelt so viele Nadeln. Sie sind bereits so billig, daß kaum eine zusätzlich verkauft würde, wenn sie noch billiger werden. In einer vernünftigen Welt würde jeder, der mit der Herstellung von Nadeln beschäftigt ist, jetzt eben vier statt acht Stunden täglich arbeiten, und alles ginge weiter wie zuvor.

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Aber in unserer realen Welt betrachtet man so etwas als demoralisierend. Die Nadelmacher arbeiten noch immer acht Stunden, es gibt zu viele Nadeln. Einige Nadelfabrikanten machen bankrott, und die Hälfte der Leute, die Nadeln machen, verlieren ihre Arbeitsplätze. Es gibt jetzt, genau betrachtet, genausoviel Freizeit wie bei halber Arbeitszeit; denn jetzt hat die Hälfte der Leute überhaupt nichts mehr zu tun, und die andere überarbeitet sich. Auf diese Weise ist sichergestellt, daß die unvermeidliche Freizeit Elend hervorruft, statt daß sie eine Quelle des Wohlbefindens werden kann. Kann man sich noch etwas Irrsinnigeres vorstellen?« 11)

Daraus entstand ein weiterer Irrtum der Wirtschaftswissenschaften, daß der Mensch im zunehmenden Maße Freizeit haben werde. Man kann noch heute fast keine Zeitung aufschlagen, ohne dieser Mär in irgendeiner Form zu begegnen.

Die Theorien von der drohenden Arbeitslosigkeit oder wachsenden Freizeit – was auf die gleiche Ursache hinausläuft – sind nicht totzukriegen. Selbst ein so intelligenter Mensch wie Norbert Wiener, den man den »Vater der Kybernetik« nennt, verkündete noch 1950: »Die Arbeit der Maschinen ..... wird eine Arbeitslosigkeit zur Folge haben, mit der verglichen die Krise der dreißiger Jahre als ein harmloser Witz erscheinen wird.«12 Obwohl jedoch im Laufe der jüngsten zwei Jahrhunderte mehrere Millionen Maschinen in Betrieb genommen wurden und die gesamte Menschheit im Jahre 1972 über 72 Billionen (!) Kilowatt an Energie verfügte, ist gerade in den Ländern der Mangel an Arbeitskräften am fühlbarsten geworden, wo diese Maschinen in Benutzung sind.

Arbeitslosigkeit herrscht statt dessen in der Welt da, wo es keine Maschinen gibt, nämlich in den Entwicklungsländern. Man schätzt, daß dort ein Viertel der arbeitsfähigen Bevölkerung arbeitslos ist. In der Bundesrepublik Deutschland wurden dagegen Anfang der siebziger Jahre 2,5 Mill. Gastarbeiter beschäftigt, obwohl allein die Landwirtschaft von 1951 bis 1973 fast 2,7 Mill. Arbeitskräfte abgab und einige Millionen Arbeitskräfte aus den deutschen Ostgebieten und aus Mitteldeutschland gekommen waren.

Nun wird behauptet, das komme von der Verkürzung der Arbeitszeit. Doch inwiefern ist die Arbeitszeit wirklich verkürzt worden?

In den Vereinigten Staaten dürfte die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit im letzten Teil des 19. Jahr­hunderts gut 60 Stunden betragen haben. 1909 lag die Durchschnittszeit in der verarbeitenden Industrie bei 51 Stunden, 1929 bei 44 Stunden.

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Nach den Schwankungen der Weltwirtschaftskrise und des II. Weltkriegs blieb die Arbeitszeit immer knapp über 40 Stunden. Da die kurzarbeitenden Frauen und Jugendlichen, die beide an Zahl zugenommen haben, in die Rechnung mit eingegangen sind, liegt die echte Arbeitszeit in den Vereinigten Staaten eher höher als niedriger. Staffan Linder kommt zu dem Ergebnis, daß das Durchschnittsniveau in der Nachkriegszeit bei etwa 45 Stunden liegt.13 Die Zahl der Bürger, die mehr als 48 Stunden wöchentlich arbeiten, sei aber von 13% im Jahre 1948 auf 20 % im Jahre 1965 gestiegen! Darüber hinaus sprechen Schätzungen davon, daß sich die Mehrfachtätigkeit seit 1950 verdoppelt habe, was in der Statistik die Durchschnittsarbeitszeit drückt.14

In der Bundesrepublik Deutschland betrug 1952 die durchschnittlich tatsächlich geleistete Arbeitszeit eines männlichen Arbeiters 48,8 und die einer Arbeiterin 43,7 Stunden. Diese war 1962 auf 45,6 bzw. 41,7 Stunden und bis 1972 auf 43,7 bzw. 40,2 Stunden gesunken. Da die Männer den größeren Anteil stellen, sank die Durchschnittszeit aller Beschäftigten von 1952 bis 1972 in der Industrie von 47,6 über 44,6 bis auf 42,8 Stunden.15 Wenn man bedenkt, daß in diesen zwanzig Jahren die höchsten Rationalisierungs­erfolge der Geschichte zu verzeichnen waren, dann ist die Arbeitszeitverkürzung um 10% höchst bescheiden. Auch das Tempo der Verkürzung hat sich in den letzten Jahren nicht beschleunigt, sondern stark verlangsamt. (Die Verkürzung der tariflichen Arbeitszeit ist etwas stärker; doch sie dient nur dem Zweck, den Anteil der besser bezahlten Überstunden zu erhöhen.)

Dabei muß man noch die Fahrzeiten zum und vom Arbeitsplatz hinzurechnen, die in den letzten Jahren mit Sicherheit zugenommen haben. Bertrand de Jouvenel schreibt: »In Frankreich und Großbritannien hat es in jüngster Zeit kaum Arbeitszeitverkürzungen gegeben, obwohl die Entfernungen zum Arbeitsplatz ständig gewachsen sind.«16 Die meisten benötigen über fünf Stunden wöchentlich, viele sogar zwischen zehn und fünfzehn Stunden für die Wege zur Arbeit. Dies ist eine Folge der zunehmenden Spezialisierung der Arbeitsplätze. Um im eigenen »Fach« bleiben zu können, dürfen Arbeitnehmer einen weiteren Weg nicht scheuen. Alexander Rüstow meinte bereits 1951: »Auch rein quantitativ ist es sehr fraglich, ob die jährliche Arbeitszeit eines modernen Industriearbeiters (die Anmarschzeiten eingerechnet) im Durchschnitt kürzer ist als die eines Bauern oder Handwerkers früherer Zeiten.«17

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Mit amerikanischen und deutschen Statistiken läßt sich belegen, daß es nach dem II. Weltkrieg in den Industrie­ländern keine erheblichen Verkürzungen der Arbeitszeit gegeben hat. Und das immerhin in der Zeit der stürmischsten Produktivitätssteigerung, die es je gab, in der also Verkürzungen am ehesten möglich gewesen wären.18 Dabei ist noch zu berücksichtigen, welchen zusätzlichen nervlichen und gesundheitlichen Belastungen die Menschen heute nicht nur im Verkehr und am Arbeitsplatz, sondern auch noch in ihrer Freizeit bis in ihre Wohnungen (durch Lärm und Abgase) ausgesetzt sind.19

Dennoch bleibt der Mythos von der laufenden Verringerung der Arbeitszeit weiter am Leben. Und die Futurologen werden nicht müde, eine 30-Stunden-Woche, eine 3tägige Arbeitswoche und mindestens zweimal im Jahr Urlaub anzukündigen. Selbst wenn der leichte Rückgang der Arbeitszeit in Deutschland so weiter verliefe wie im letzten Jahrzehnt (minus 1,8 Stunden), dann würden die bewußten dreißig Stunden erst in 71 Jahren erreicht werden. Doch wir sahen, der Rückgang verlangsamt sich bereits.

Es bleibt also gültig, was Alexander Rüstow schon 1951 schrieb: »Auf einem kaum weniger naiven Irrtum beruht auch die landläufige Meinung, der technische Fortschritt habe den Menschen eine außerordentliche Arbeitsentlastung gebracht. Zum Beweis pflegt angeführt zu werden, daß ein Gebrauchsgegenstand heute maschinell in einem Bruchteil der Zeit hergestellt wird, die früher zu seiner handwerklichen Erzeugung notwendig war. Eine Arbeitszeitverkürzung per saldo würde das aber doch nur dann bedeuten, wenn wir bei unsern alten bescheidenen Bedürfnissen geblieben wären und diese jetzt in soviel kürzerer Arbeitszeit befriedigen würden. Wir wissen aber alle, daß das keineswegs der Fall ist.«20)

Das ist des Rätsels Lösung! Jede Steigerung der Arbeitsproduktivität brachte neue Bedürfnisse hervor, deren Befriedigung neue Produktionen erforderte, in denen die freigesetzten Arbeitskräfte sofort unterkamen. Es gehört auch zur Methode aller modernen Wirtschaftssysteme, die auf Vermehrung bedacht sind, mit Zukunftsversprechungen die gegenwärtige Leistung zu erhöhen. Und nichts läßt sich so leicht mobilisieren wie die menschliche Hoffnung. Auch die Annahme Joseph Schumpeters: »Je mehr man in der Bedürfnisbefriedigung fortschreitet, desto mehr sinkt der Antrieb zur Arbeit und um so mehr steigt die Größe, die mit ihm jedesmal verglichen wird, nämlich die Arbeitsunlust ...«, ist durch die Tatsachen widerlegt worden.21) 

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Mit dem Aufbau der Industrie hätten die betreffenden Völker die Entscheidung frei gehabt. Nach dem »Prinzip des geringsten Aufwands«, das der französische Naturwissenschaftler Pierre de Maupertius formuliert hatte, stand zur Wahl: die gleiche Leistung mit einem geringeren Arbeitsaufwand zu erreichen oder mit gleichem Aufwand eine höhere Leistung zu erzielen. Doch wie meistens in der Geschichte: die Frage wurde nicht entschieden, wahrscheinlich nicht einmal gestellt. Die Menschen und die Völker gerieten vielmehr in einen Wettbewerb hinein. Inzwischen beherrscht das »Leistungsprinzip« beinahe die ganze Welt22). Der Wettkampf um die Verbesserung der »Produktivität« ist daher genauso scharf wie der um die Märkte.

 

     Die Menschen haben nie genug !    

 

Der entscheidende Grund, warum es in den Industrieländern weder zu nennenswerter Arbeitslosigkeit noch zu bedeutender zusätzlicher Freizeit gekommen ist, liegt in der grenzenlosen Begehrlichkeit des Menschen, der von Freizeit redet, aber immer mehr Güter will. Diese inzwischen hinlänglich erwiesene Tatsache hat westliche Voraussagen und östliche Heilsvorstellungen über ein Zeitalter der Glückseligkeit und Zufriedenheit gleichermaßen überholt.

Daß die Kommunisten einmal allen Ernstes als Ziel proklamierten, der Menschheit soviel Waren zur Verfügung zu stellen, daß kein Geld mehr benötigt werde, wirkt heute nur noch als Witz. Jeder würde sich soviel nehmen können, wie er brauche, hieß es damals. Hatten die eine Ahnung, was der Mensch alles brauchen kann! Und was er nicht brauchen kann, das nimmt er dennoch mit, um es zu verkaufen, damit er etwas anderes dafür erwerben kann, was er zu brauchen meint.

Das Bedürfnis nach neuen Gütern wuchs im allgemeinen immer schneller als die Produktion; denn die Erfüllung eines Wunsches weckt mehrere neue und so fort. Auch hier erfolgt eine Entwicklung von der Einfachheit zur komplizierten Vielfalt: gegen die natürliche Entropie also. Da die Möglichkeiten der Variation und Kombination exponentiell zunehmen, sind dem Erstrebbaren auf dem gegenwärtigen Produktionsstand keine Grenzen gesetzt. Früher wurde nicht vorausgesehen, daß des Menschen Wünsche keine Grenzen kennen. Es besteht gar keine Schwierigkeit, jedwede Mehrproduktion abzusetzen; ja die Nachfrage ist meistens größer als das Angebot. Heute können die Maschinen gar nicht so viel produzieren, wie ein jeder gern haben möchte. Nirgendwo trat bisher eine Sättigung ein, es sei denn, an billigen Waren; dafür verlangte man luxuriösere, raffiniertere.

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Einerseits stimuliert die Mode die Anschaffung der jeweils neuesten Ausführung und damit das Wegwerfen der alten Waren. Andererseits werden die Produkte in einer – im Vergleich zu ihrem Zweck – »zwecklosen« und aufwendigen Aufmachung auf den Markt gebracht. Das Renommierbedürfnis des Menschen ist noch immer seine schwächste Stelle. Tag für Tag schuftet er für Dinge, zu deren Genuß er kaum Zeit haben wird. Klaus Müller sagt zugespitzt: »Das Subjekt wird dazu überwältigt, glücklich zu werden durch objektiv kontrollierbare Befriedigung objektiv zu erhebender Bedürfnisse. In Erfüllung dieses Programms wird die objektiv ausweisbare Leistung zum beherrschenden Maß: Leistung in der Produktion bedingt Leistung im Konsum, Leistung im Konsum bedingt Leistung in der Produktion. Damit schließt sich der totalitäre Kreis: Die Leistungsmonomanie läßt die Subjektivität der Subjekte verdampfen ...«23

Der »Konsum« wird immer wieder angekurbelt. Da er zahlenmäßig nur über den Verkaufspreis erfaßt wird, sagen die Zahlen nichts über den Nutzen oder Genuß aus, den der Kauf nachher bewirkt hat. Der Grenznutzen des Verbrauchs nähert sich bei vielen Gütern bereits Null. »Immer neue Höhen des Konsums werden erreicht, und trotzdem wagen es die Menschen - gottlob - ihre Ansprüche noch weiter zu steigern. Ob Werbung oder nicht, man kann sich immer darauf verlassen, daß der Appetit des Massenverbrauchers zu reizen ist. Eine Abnahme des Grenznutzens kann vielleicht einzelne Gebrauchsgüter, nicht aber den gesamten Konsum in Mitleidenschaft ziehen.«24 Die Mittel sind zum Zweck geworden, die Menschen wünschen eine Erhöhung ihres Verbrauchs selbst dann noch, wenn der Nutzwert bei Null liegt. (Tun sie es plötzlich nicht mehr unkritisch, dann kommt es zu Störungen in der Wirtschaft wie 1974/75.)

Das ist auch die Erkenntnis von Bertrand de Jouvenel: »Die Unzahl von Untersuchungen zur Verbesserung der Produktion steht in krassem Gegensatz zum Fehlen jeglicher Reflexion, was die Art der zu produzierenden Güter angeht. Es kann nicht nur darum gehen, so viel wie möglich zu produzieren; auch der Nutzen, den wir dem Menschen mit unseren Produkten verschaffen wollen, muß uns interessieren.«25

Wie denn nun der Durchschnittsverdiener in den reichen Ländern all die Güter genießen könne, die er sich mit seiner rastlosen Arbeit verdient hat, darüber hat sich der schwedische Parlamentarier Staffan Linder gründlich Gedanken gemacht, in seinem Buch: <Das Linder-Axiom oder Warum wir keine Zeit mehr haben> (1970).

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Auch hier hat die Wirtschaftswissenschaft nicht wahrgenommen, daß Zeit »faktisch zu einem immer knapper werdenden Gut geworden« ist.26 »Es überrascht kaum, daß beispielsweise Soziologen die Verwendung der Zeit bisher noch nicht als das Problem sehen, mit einem zunehmend knappen Gut hauszuhalten. Ein solcher Standpunkt wäre jedoch natürlich für eine Disziplin, die sich mit den Grundfragen der Zeiteinteilung beschäftigt, nämlich die Wirtschaftswissenschaft. Trotzdem fehlt in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur eine angemessene Zeitanalyse.«27) Zu dem Faktor »Zeit«, soweit es sich nicht um Produktionszeit handelt, haben die Wirtschaftswissenschaftler noch nie ein vertrautes Verhältnis gehabt, sonst hätten sie viele ihrer Irrtümer vermieden.

Der ruhelose Wohlstandsmensch unserer Tage leidet unter »Zeit-Hunger«28, er lebt unter der Tyrannei der Uhr, und »diese Tyrannei hat sich im Gleichschritt mit unserer erfolgreichen Revolution gegen die Diktatur materieller Armut entwickelt«.29) Früher starben die Leute hier und da an Warenknappheit — heute sterben sie einen frühen Tod durch Überlastung und Zeitmangel. »Die Todesursache ist nun hohe, nicht niedrige Produktivität.«30)

Daran trägt nicht allein die Arbeitszeit plus Fahrzeit schuld. Die Menschen führen inzwischen einen großen Haushalt, in dem es soviel zu tun, wofür es aber keine Bediensteten gibt. Damit eine Familie bei der Jagd nach Gütern mithalten kann, muß meistens auch die Frau »berufstätig« sein. In ihrem Haus hat dann die amerikanische Frau und neuerdings auch die europäische allerdings so viele technische Hilfskräfte und Energien zur Verfügung, daß ihre Leistung der ganzer Sklavenbatallione gleichkommt. All diese Apparate bis hin zum Kraftwagen wollen bedient sein, und es dürfen keine Fehler dabei gemacht werden. Also übernimmt der technisch meist versiertere Mann Hausfrauenpflichten.

Trotz dieses Mißverhältnisses zwischen Freizeit und Güterangebot gibt es Menschen, die sich angeblich ernste Sorgen machen, was denn die anderen mit der »wachsenden Freizeit« anfangen sollen, obgleich sie diese heute nicht haben und nach dem jetzigen Wirtschaftssystem auch in Zukunft nicht bekommen werden. So gibt es bereits eine »Freizeitindustrie«. Auch mit ihr werden neue Wünsche nach Gütern geweckt, zu deren Gebrauch nachher die Zeit fehlt.

Anspruchsvoll ist der Mensch allerdings auch in seiner Freizeit geworden. Das zeigt zum Beispiel der Sport. »In einer natürlichen Gesellschaft übt sich der Mensch durch schwimmen, tanzen oder im Verlaufs einer Arbeit.

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Heute braucht er ein Auto, einen Sack mit Golfschlägern oder ein Segelboot. In einer natürlichen Gesell­schaft gewinnt er den Status durch seine Geschicklichkeit — heute muß er Statussymbole kaufen.«31 Die einfache Betätigung des Körpers, die äußerst wichtig ist, wäre heute viel zu simpel — so verfuhr man bei Turnvater Jahn. Wer jetzt viel verdient, »kann es sich gewissermaßen nicht leisten, schlicht spazierenzugehen — er ist es seiner Stellung schuldig, statt dessen Golf zu spielen«.32 Wer Golf spielt, legt immerhin sein reichliches Geld noch zur Pflege der Natur an. 

Sonst aber braucht man für den Sportbetrieb heute beheizte Schwimmbäder, Sporthallen, Stadien. Zum Skifahren benötigt man Lifte — auf jedem Hang mehrere —, und riesige Planierraupen wühlen im Sommer die Berge um, damit freie Pisten ohne Hindernisse für die Schußfahrt entstehen. Nehmen wir die Motorboote auf den Gewässern hinzu, und überhaupt den riesigen Verkehr, der durch all dies in Bewegung — oder besser: in Stauung — gesetzt wird, und die Abfälle, die zurückbleiben, dann ist kein weiterer Nachweis nötig: Hier sind tatsächlich unter dem Vorwand des Sports ganze Industrien entstanden, deren Umweltschäden den gesund­heit­lichen Nutzen der sportlichen Betätigung bei weitem übertreffen.

In der Vorgeschichte haben die Menschen ihre ganze Kraft und Zeit dafür verwenden müssen, um ihr materielles Leben zu sichern. Dann kam die geschichtliche Periode, in der interessierte Menschen soviel Zeit erübrigten, um sich der Pflege der Kultur und des Geistes zu widmen. Heute leben wir in der dritten Periode, die im Grunde eine Wiederholung der ersten ist. Die Menschen verwenden wieder die gesamte Zeit und Kraft für ihr materielles Leben auf einer viel höheren Basis, die sich durch wirtschaftliche und technische Vielfalt und Differenziertheit von allen anderen Epochen unterscheidet und jeden so in Anspruch nimmt, daß für Geist und Kultur wiederum wenig Zeit und Sinn übrigbleibt. Entsprechend der radikalen Arbeitsteilung hat man einige Menschen zur »Produktion« von Kultur abgestellt. Diese genießen jedoch bei ihren Völkern weniger Ansehen und empfangen meist einen geringeren Lohn als Sportskanonen. 

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     Das Märchen von der Dienstleistungsgesellschaft    

 

Eine weitere falsche Prognose vieler Wirtschaftstheoretiker und Futurologen ist die von der »Dienstleistungs­gesell­schaft«, auf die hin wir uns angeblich entwickeln.

Bei der Zunahme der Arbeitskräfte, die im Dienstleistungsbereich verzeichnet wird, ist der industrielle vom persönlichen Bereich zu unterscheiden. Die Industrie selbst hat einen steigenden Bedarf an Dienstleistungen. Sie braucht Wissenschaftler, Techniker, Juristen, Psychologen und Steuerfachleute als Berater. Außerdem gibt es in der komplizierten Wirtschaft den Sektor der Dienstleistungen, die mit dem Handel und Geldverkehr zunehmen. Diese Dienstleistungen werden ebenfalls industriell abgewickelt. In Banken und Versicherungen arbeiten die Angestellten wie an Fließbändern, sie bedienen Schreibund Rechen­maschinen und Daten­verarbeitungs­anlagen. In einem Staat mit einer hochentwickelten Wirtschaft muß auch der Behörden­apparat zwangsläufig zunehmen. Mit dem Ausbau des Schulwesens und der Verwaltung all der Berge gespeicherten Wissens wird ebenfalls die ständige Erweiterung unumgänglich.

Woran man jedoch zuerst denkt, wenn man von Dienstleistungen reden hört, das sind die persönlichen Dienst­leistungen. Und die bekommt man nirgendwo so schwer und so mangelhaft wie in einer sog. Dienstleistungs­gesellschaft. Je höher das Brutto­sozialprodukt steigt, um so schlechter sind die Dienstleistungen. Staffan Linder urteilt zutreffend, »daß die relative Zahl der Beschäftigten im kommerziellen Dienstleistungssektor zunimmt. Daraus hat man den Schluß gezogen, daß sich die Dienstleistungen schlechthin verbesserten. Man hat übersehen, daß für ein hohes Dienstleistungsniveau die einzelne Dienstleistung entscheidend ist, nicht das Gesamtvolumen der Dienstleistungen. Eine Verschlechterung der Dienstleistungsqualität beschreibt die Situation in den reichen Ländern besser als die steigende Dienstleistungsquantität. Wir haben allen Grund, von einer <Verschlechterung der Dienstleistung in der Dienstleistungswirtschaft> zu sprechen.«33)

Wer persönliche Dienstleistungen schätzt, der muß in ein Entwicklungsland reisen – dort bekommt er sie! Wer dagegen in Deutschland als Tourist Dienstleistungen sucht, der bekommt entweder eine lustlose deutsche Bedienung oder eine solche durch Ausländer, denen er nicht einmal seine Wünsche ganz verständlich machen kann. Der Bedarf an Dienstleistungen ist sehr groß, aber es findet sich kaum jemand, der sie noch verrichten will, es sei denn eben ungelernte Ausländer. Auch die Krankenhäuser und Pflegeheime wissen ein Lied zu singen, wie schwer jemand für Dienstleistungen zu gewinnen ist.

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Warum aber sind keine Arbeitskräfte für die Dienstleistungsbereiche zu finden? Weil der Verdienst in den rohstoffverarbeitenden Industrien höher liegt, da dort unvergleichlich höhere Gewinne erzielt werden. Das ist auch gar nicht verwunderlich, denn dort wird nach den Theorien der Ökonomen aus Nichts ein wertvolles Etwas hergestellt. Das kann der Dienstleistende bekanntlich nicht, er schafft nur das, was er mit seiner Hände Arbeit leisten kann. Zwar haben auch hier Maschinen und Energien Eingang gefunden, aber die Dienstleistungen sind einer Automation weitgehend unzugänglich. Darum können hier die Leistungs­steigerungen der Industrie nicht erzielt werden. Hier muß immer noch der größere Teil der Arbeit von Hand getan werden, während sich der Anteil der Hände in der Industrie laufend vermindern ließ; denn Mengen und Werte der Produktion steigen in der Industrie durch den Einsatz von Energien und Rohstoffen.

Die höhere Produktivität der Arbeit in der Industrie hat zu absurden Folgen für den natürlichen Regelkreis geführt. Es lohnt sich verschiedentlich nicht einmal mehr, das zu ernten, was die Natur uns liefert. Man fahre in Deutschland im Herbst durch die Landschaft und man wird unzählige Obstbäume finden, die niemand aberntet. Wieso auch! Das Pflückergebnis einer Stunde (einschließlich Wegezeit und Transport) bringt einen geringeren Erlös als beinahe jeder Stundenlohn in irgendeinem Betrieb. Wer dort arbeitet, kauft infolgedessen das Obst billiger, als wenn er es sich umsonst vom Baum holte! Nur der industriell betriebene Obstbau, nur die industriell betriebene Landwirtschaft kann die Ware noch entsprechend preiswert liefern – wobei die Preise allerdings zusätzlich herunter manipuliert sind.

Infolge der viel höheren Einkommen aller Schichten ist in den Industrieländern die Nachfrage nach Dienstleistungen sehr groß; viele wollen solche haben, aber nur wenige dergleichen leisten.

Damit ist auch schon die Frage beantwortet, warum so viele Hausfrauen einen Beruf ausüben, statt im Hause Dienstleistungen zu verrichten. Weil sie dort viel mehr verdienen als daheim. Hier liegt auch der Hauptgrund für die Kinderarmut in den Industrie­ländern. Jedes Kind kostet die Frau einige Jahre guter Verdienst­möglichkeiten — und Arbeit hat sie dennoch: mit dem Kind. Und nicht nur dieser Ausfall ist zu verzeichnen. Darüber hinaus kostet jedes Kind, bis es selbst berufstätig wird, noch enorme Summen. Es muß ja in Wohnung, Kleidung, Ausbildung und Ausstattung dem hiesigen Standard entsprechend bedient werden.

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Nach Angaben von Dimitris N. Chorafas kostet in den Vereinigten Staaten ein Sprößling bis zum Alter des College-Eintritts seine Eltern durchschnittlich 30.000 Dollar.34 Hat man schon einmal berechnet, den wievielten Teil davon das Aufziehen eines Kindes z.B. in der Türkei kostet? Man wird auf ganz erstaunliche Größenunterschiede kommen. Überdies hat dort die Mutter eines Kindes gar keine Möglichkeit – wie auch in anderen Entwicklungsländern – einen Arbeitsplatz zu bekommen oder höchstens einen sehr schlecht bezahlten. Darum ist nicht nur das Kind billig, sondern auch die Mutter. Was ist die Folge? Da sich die »Produktion« von menschlichen Arbeitskräften in Nichtindustrieländern unerhört billig – bei uns dagegen unerhört teuer stellt, ist es wirtschaftlich sehr viel rationeller geworden, die Arbeitskräfte in jenen Ländern »erzeugen« zu lassen, um sie dann, wenn sie fertiggestellt sind, als Gastarbeiter zu »importieren«. Und das tun wir ja auch ausgiebig.

Die Zeit unserer Erwachsenen ist dagegen viel zu wertvoll, als daß sie diese damit »vergeuden« könnten, sich »nur« um ihre Kinder oder um andere Mitmenschen zu kümmern. Die heutige Frau kann, wenn sie »modern« sein und »mit der Zeit gehen« will, auch nicht ihre alten Eltern versorgen. Letztere werden deshalb schnellstmöglich in ein Altersheim gebracht, wo sie dann in einer hygienisch einwandfreien Umgebung auf ihren Tod warten dürfen.35 Deren Betreuung durch fremde Menschen führt, wie die der Kinder im Kindergarten, zu einer Erhöhung der Dienstleistungen in der Statistik, während sich die privaten Dienstleistungen in der Familie ebenfalls vermindert haben, ohne daß dies registriert wird. So sieht es auch Bertrand de Jouvenel:

»Die Berechnung des Wachstums einer Volkswirtschaft wird insbesondere dadurch verfälscht, daß man nicht nur eine zu geringe Einschätzung zum Ausgangspunkt nimmt (die unbezahlten Dienstleistungen sind ausgeschlossen), sondern zum Zuwachs auch noch die früher schon vorhandenen, jedoch noch nicht kommerzialisierten Arbeitsprodukte und Dienstleistungen rechnet.«36

Wenn die Statistiker wirklich herausbekommen haben, daß die Zahl der im Dienstleistungsbereich Beschäftigten zunimmt, dann sollten sie auch einmal gegenrechnen, wie viele Hausfrauen heute zur Arbeit gehen, anstatt Dienstleistungen für ihre Familien zu verrichten. (Da die Hausarbeiten noch nie erfaßt wurden, tauchen sie auch im Bruttosozialprodukt nicht auf.) Dafür essen diese Hausfrauen nun wie der Mann in der Kantine oder im Restaurant, und ihre Kinder benötigen einen Kindergarten. (Das sind nun wieder Dienstleistungen, die bei der Errechnung des Bruttosozialprodukts erfaßt werden.) Diese Einrichtungen waren so lange gar nicht nötig, wie die Hausfrauen den Haushalt, die Kinder und die eigenen Eltern versorgten.

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Die in den Industrieländern herrschende Tendenz, die Erziehung und Pflege der Menschen in immer ausgedehnterem Maße den öffentlichen Einrichtungen zu übertragen, macht die Angelegenheit keineswegs billiger. Aber das wird vergessen; die höheren Aufwendungen gehen ja zu Lasten der öffentlichen Haushalte. Darum die große Nachfrage nach solchen Einrichtungen, deren Nutzen jeder einzelne natürlich sucht, weil sie zu einem großen Teil von der Allgemeinheit bezahlt werden. Der einzelne wundert sich dann nur, daß er immer höhere Steuern und Versicherungen zu bezahlen hat. Diese Erfahrung veranlaßt ihn erst recht, die öffentlichen Einrichtungen so ausgedehnt wie möglich in Anspruch zu nehmen, damit er womöglich seinen Anteil wieder »heraus­bekommt«. Dieser Sachverhalt ist zugleich ein berechtigter Einwand gegen jede Art von Sozialismus. Hier stoßen wir wieder auf das »Gesetz der Allmende«. Auf dem Gebiet der Krankenversicherung sind die Folgen schon heute sichtbar; sie wird so teuer, daß die Gesunden die Beiträge bald nicht mehr aufbringen können.37

Wenn man all die aufgeführten Gesichtspunkte in die Untersuchungen einbezöge, käme man zum Ergebnis, daß die Zahl der Dienstleistenden insgesamt nur insoweit gestiegen ist, als die Industrialisierung neue Dienstleistungen benötigte und sofern die weggefallenen unberechneten Familienleistungen sich auf berechnete öffentliche Leistungen verlagert haben. Würde man die Kostenberechnungen bereinigen, dann käme man zu dem Ergebnis, daß die persönlichen Dienstleistungen um so tiefer sinken, je stärker die Industrialisierung voranschreitet.

Viele Dienstleistungen reichen immer nur für einige Wenige. Je mehr Menschen aber Dienstleistungen haben wollen, um so mehr müssen sie zur Selbstbedienung übergehen. Genau das ist heute der Fall. Da eine Familie jetzt zwar Geld, aber keine Zeit hat, möchte sie gern Dienstleistungen kaufen; doch andere Familien möchten das auch. Darum ist die Nachfrage groß — das Angebot klein. Ein hohes Angebot an Dienstleistungen ist immer das Kennzeichen armer Gesellschaften. Feudalherren hatten immer Diener, auch wenn sie sonst nichts hatten.

Auf der Basis der falschen Berechnungen der bisherigen Entwicklung werden nun fröhliche Voraussagen über die »nach­industrielle Gesellschaft« gemacht, die eine Dienstleistungsgesellschaft sein werde. Und ein jeder freut sich schon darauf, daß er dann nur noch bedient werden wird.

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Man redet heute von einer nachindustriellen Gesellschaft in einer Art und Weise, als ob dann die Industrie ohne menschliche Arbeitskraft, so von ganz alleine laufen werde. So behauptete Jean Fourastie, daß sich in Zukunft nur noch 10 % der Erwerbstätigen mit der Güterproduktion beschäftigen und 80 % im Dienst­leistungs­sektor tätig sein würden.38 Nach anderen Propheten dieser Richtung werden diese 10% dann auch noch mehr als das Doppelte dessen produzieren, was heute produziert wird.

Soviel steht fest: Zu dieser Art nachindustrieller Dienstleistungsgesellschaft wird es nie kommen. Erstens ist die Industrie zum größten Teil am Ende ihrer Rationalisierungsmöglichkeiten angelangt; und es ist naiv, die Kurve der Produktivitätssteigerung je Kopf einfach weiter zu verlängern. Zweitens wird die Rohstoffgewinnung schwieriger und damit arbeitsintensiver werden; weil entlegenere und minderwertige Vorkommen einen höheren Aufwand jeder Art – also auch an Arbeit – erfordern werden. Dafür gibt es bereits eine Menge konkreter Beispiele, wie die Erdölgewinnung aus der See oder aus Teersand und Ölschiefer. Dies beginnt schon mit dem höheren Aufwand an Menschen und Geräten (Bau ganzer Bohrinseln mit Hilfe einer umfangreichen Zulieferindustrie) und endet bei den immer weiteren Transportwegen der Rohstoffe. Dabei bleibt es gleich, ob ein Land die betreffenden Rohstoffe selbst fördert oder zu hohen Kosten importieren muß. Neue Technologien erfordern einen früher unvorstellbaren Entwicklungsaufwand – man denke an die Weltraumfahrt.

Klaus Müller urteilt, »daß der Gedanke, wir gingen einer Freizeitgesellschaft entgegen, in der unser Leben hauptsächlich aus Zerstreuung besteht, eine fahrlässige Illusion ist, die von einer verantwortungslosen Reklame suggeriert wird, deren Urheber nur zu gern selbst glauben, was sie propagieren. Nichts dergleichen wird sich erfüllen lassen ...«39

Die postindustrielle Dienst­leistungs­gesellschaft ist genau so weit von einer Verwirklichung entfernt wie das Märchen vom »Tischlein deck dich!« Daß dort die Speisen nicht serviert zu werden brauchen, ist das kleinere Wunder — das größere ist, daß sie sich auch von selbst produzieren! Und genau das malen uns die Propagandisten der Dienstleistungsgesellschaft an die Wand. Solche Utopien haben eine fatale Ähnlichkeit mit den seit Adam Smith herrschenden Wirtschaftstheorien, die nur aufgrund geschickter Arbeitseinteilung und Organisation aus Nichts heraus Etwas zu machen vorgeben.

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    Arbeit ist Akt der Vernichtung geworden   

 

Der Ruf nach Arbeit ertönt schon lange laut und er wird immer lauter werden. Das klingt zunächst seltsam. Sind nicht nur die Mittel, welche die Menschen unserer Tage zur angeblichen Verbesserung des Lebens einsetzen, zum Selbstzweck geworden, sondern auch die Arbeit? Wie sonst wäre es denkbar, daß nicht nur die Regierungen, die Unternehmen, die Gewerkschaften, sondern praktisch die gesamte Bevölkerung ständig das Recht auf »Arbeitsplätze« im Munde führt? Welch totale Perversion!

Arbeiten zu müssen, war gerade die Strafe, die der biblische Gott über den Menschen verhängt hatte. Er verwies auf den Erdboden mit den Worten: »Mit Mühsal sollst du dich von ihm ernähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen und das Kraut des Feldes sollst du essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen ...«40)

Jahrtausende haben die Menschen es als Mühsal und Plage empfunden, arbeiten zu müssen. Und es war gerade ein Privileg, nicht arbeiten zu brauchen.41 Und heute verlangen die Menschen Arbeitsplätze!41 Ist das nicht absurd? Warum verlangen sie nicht gutes Essen und Trinken und was sie sonst zum Leben nötig haben (die Römer verlangten »Brot und Spiele«) — wieso aber Arbeit?

Natürlich ist Arbeit nur eine schamhafte Umschreibung des Umstands, daß die Menschen Geld verdienen wollen, möglichst viel Geld, mit dem sie dann beim Konsum-Wettbewerb mithalten können. Mit anderen Worten: sie wollen nicht bloß einen Arbeits­platz, sie wollen einen gut bezahlten, so gut, wie er nur unter Einsatz bedeutender Mengen von Energien und Rohstoffen bereitgestellt werden kann. Für einen Arbeitsplatz, wie ihn noch ein deutscher Landarbeiter um 1930 innehatte, würden sich die heutigen Bundesrepublikaner — und die Amerikaner schon lange — bestens bedanken. Der Anspruch auf einen Arbeits­platz ist also gleichbedeutend mit der Forderung auf einen hohen Lebensstandard.

Die Arbeit hat wahrscheinlich in den letzten Jahren gerade darum so viel an Wertschätzung hinzugewonnen, weil man heute mit ihr ein Vielfaches der materiellen Güter erwerben kann, als das jemals in der Geschichte möglich war. Dieser große Ertrag ist es, der die Arbeit so attraktiv macht, daß viele tatsächlich sogar gern arbeiten mögen. Das ist sicher auch ein Grund, warum man heute Eingeborene in allen Erdteilen für die industrielle Arbeit begeistern kann.

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Aber wenn sie schon eben so arbeiten, dann wollen sie natürlich bald auch soviel verdienen wie der weiße Mann; d.h. aber auch, daß sie soviel produzieren müssen. Dies bedeutet aber nun nicht mehr und nicht weniger, als daß anstelle von zur Zeit 1,2 Milliarden noch 2,8 Milliarden Menschen zusätzlich – und nach dem Jahre 2000 über 5 Mrd. Menschen zusätzlich – die gleiche Menge an Rohstoffen und Energien pro Kopf und nicht zuletzt an Nahrungsmitteln verbrauchen wollen, wie sie bei uns bereits verbraucht werden.42

Nach einem Bericht des Population Reference Bureaus in Washington werden pro Kopf der amerikanischen Bevölkerung jährlich dreieinhalb Tonnen Stein, Sand und Kies gefördert und über fünfhundert Pfund Zement verbraucht. Verbrannt werden jährlich fast vier Tonnen Erdöl, 2,6 Tonnen Kohle und 3100 Kubikmeter Erdgas. Verarbeitet werden 0,3 Tonnen Eisen und andere Mineralien. Dazu kommen 0,25 Tonnen Düngemittel und 0,6 Tonnen landwirt­schaftlicher Endprodukte, der Verbrauch von 1,6 Kubikmeter Holz und die Entnahme einer beträchtlichen Menge Wasser. Insgesamt werden für jeden einzelnen Bewohner somit jährlich über zwanzig Tonnen Rohstoffe der Erde unter zum Teil großer Schädigung entnommen und verarbeitet.43 Dies ist das Ergebnis der menschlichen Arbeit bei Anwendung der »fortschrittlichsten« Methoden.

Der Kapitaleinsatz verfolgt heute zwei entgegengesetzte Ziele gleichzeitig: »Wir sagen, wir brauchen Kapital, um Arbeitsplätze zu schaffen, und gleichzeitig nutzen wir Kapital in erster Linie, um Arbeitsplätze einzusparen.«44 Daher muß die Expansion so gewaltig sein, weil nicht nur neue Arbeitsplätze geschaffen werden, sondern Arbeitsplätze mit einem enormen Energie- und Rohstoffeinsatz; und weil auch die alten, die wegrationalisiert wurden, ersetzt werden müssen — ersetzt durch Arbeitsplätze von ebenfalls höherer Produktivität, also mit höherem Energie- und Rohstoffeinsatz. Bei wachsender Bevölkerung ist dieses Problem genausowenig lösbar wie die Quadratur des Kreises. »Um die sozialen Folgen der Automatisierung, vor allem die Freisetzung von Arbeitskräften, auffangen zu können, muß die Produktion Jahr um Jahr um x Prozente wachsen. Das fortgesetzte jährliche Wachstum um x Prozent ist aber systemtheoretisch ein explosiver Vorgang, der nicht unbegrenzt weitergehen kann, ohne daß das System zerstört wird.«45

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Heute sind in den Entwicklungsländern schon bis zu 25 % der arbeitsfähigen Menschen arbeitslos. Durch die Zunahme der Menschen müßten aber in den nächsten 25 Jahren mindestens 750 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden — mehr als doppelt soviel, wie heute in den Entwicklungsländern vorhanden sind. Wenn nur 500 Millionen dieser neuen Arbeitskräfte in Industriestädten angesiedelt würden, dann wären es mit Angehörigen 1500 Mill. Menschen. Man müßte 150 Riesenstädte für je 10 Mill. Einwohner bauen, um diese zusätzlichen Massen unterzubringen.46 In der Landwirtschaft sind diese Menschenmassen nicht unterzubringen; denn die Flächen lassen sich nur unwesentlich vermehren und die Entwicklung der modernen Landwirtschaft verläuft ebenfalls in Richtung der Einsparung von Arbeitskräften.

Würde man den Versuch machen, die gesamte Weltbevölkerung auf den Lebensstandard der USA zu heben, dann hieße das schon heute: Eine Verdreifachung der Ausbeutungspotenz,47 und wenn die proklamierten Pläne der Industriestaaten bis zum Jahre 2000 realisiert werden könnten, nochmals eine Vervierfachung für diese selbst und die bis dahin entwickelten Länder. Das würde mehr als eine Verzehnfachung des heutigen Weltdurchschnitts-Verbrauchs bedeuten. Jeder begreift sofort, daß dies Wahnsinn ist. Aber dieselben Leute, die beruhigend versichern, daß Gegenkräfte eine solche Entwicklung ohnehin nicht zulassen würden, arbeiten intensiv an solchen Planungen, die genau das, zumindest für die heutigen Industriestaaten, zum Ziel haben.

Wir kommen — ob wir es wollen oder nicht — zu dem Ergebnis: Könnte der Anspruch jedes Menschen auf einen Arbeitsplatz nach heutigen Produktivitätsmaßstäben erfüllt werden, dann nur um den Preis der totalen Zerstörung aller Lebensgrundlagen auf diesem Erdball innerhalb weniger Jahrzehnte. Wenn zwei Mrd. Menschen zusätzlich Arbeitsplätze von der Effektivität innehätten, wie sie heute in den Vereinigten Staaten üblich ist, dann würden sie kein Jahrhundert brauchen — und die Erde wäre total ausgeplündert.

Darum ist es völlig absurd, einen solchen »Anspruch auf Arbeit« auf diesem Planeten konstruieren zu wollen, wie das die Vereinten Nationen in ihrer »Erklärung der Menschenrechte« am 10. Dezember 1948 getan haben. Dort heißt es im Artikel 23: »Jeder hat das Recht auf Arbeit, freie Wahl seiner Beschäftigung, angemessene und befriedigende Arbeitsbedingung und Schutz gegen Arbeitslosigkeit.« 

Ein solcher Anspruch auf Arbeit läßt sich ganz gewiß nicht einmal für die 1,7 Mrd. der heute lebenden arbeitsfähigen Erdenbewohner, ja für längere Zeit noch nicht einmal für die halbe Milliarde arbeitsfähiger Menschen der Industrieländer realisieren — von den hinzukommenden Milliarden ganz zu schweigen.

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Wenn das in der Menschenrechtserklärung der UNO enthaltene Recht jedes Menschen auf Arbeit realisiert würde — dann hätte dies nichts anderes zur Folge als die Umwandlung der Erde in eine Wüste. Was nützen dem Menschen Rechte, deren Ausübung ihm selbst die Lebensgrundlage entzieht? Bei wem sollen die Bewohner dieser Erde — und das sind jährlich über 70 Millionen mehr, Jahr für Jahr also soviel zusätzlich wie die gesamte deutsche Bevölkerung — diese Rechte einklagen? Bei den Delegierten der UNO-Versammlung von 1948? Die werden dann bereits gestorben oder in alle Winde zerstoben sein! Und was hülfe es auch, wenn jemand sie zur Verantwortung zöge für den Unsinn, den sie beschlossen haben?

Unser Planet hat eine Inflation an Arbeitskräften zu verkraften. Diese konnten bisher ihre Arbeit nur darum teuer verkaufen, weil die Unternehmer (gleich ob privat oder staatlich) immer mehr Arbeitskräfte zur Ausbeutung der Erde einsetzten. Dies geht aber nur so lange, wie es etwas auszubeuten gibt!

Mit Arbeitskraft allein läßt sich eben keine Produktion aufbauen. Auch das »Wissen« um die vielfältigen Möglichkeiten, wie Arbeitskräfte eingesetzt werden könnten, schafft noch keinen einzigen Arbeitsplatz. Auch Kapital ist wertlos, wenn keine Böden und keine Rohstoffe mehr vorhanden sind, die damit gekauft werden könnten. Die Grundlagen der gesamten Wirtschaft, die von Menschenhand auf diesem Planeten aufgebaut wurde, sind: Natur, Rohstoffe und Energien. Wenn nur einer dieser drei Faktoren sich entscheidend vermindert, dann wird der künstliche Produktionskreis ganz schnell in eine Krise geraten. Und diese Krise wird um so katastrophaler werden, je mehr Menschen auf diesem Erdball Arbeitsplätze für sich suchen. Und die Katastrophe wird noch schneller und gründlicher eintreten, je mehr Menschen Arbeitsplätze nach dem Produktivitätsmaßstab der Industrie­länder innehaben, und je mehr sie noch zusätzlich haben wollen.

Der gesamte künstliche Produktionskreis kann, so wie er heute strukturiert ist, nur eine vorübergehende Erscheinung der Erdgeschichte sein! Bei näherer Überlegung ist das auch gar nicht anders denkbar. Denn hier wird in den natürlichen Regelkreis etwas einmalig »von draußen« importiert (Rohstoffe, Energien). Auf etwas Einmaliges läßt sich aber kein dauerhaftes Wirtschaftssystem gründen. Der ganze künstliche Produktions­kreis ist innerhalb jeder natürlichen planetarischen Wirtschaft ein Fremdkörper! Ein planetarisches Wirtschaftssystem muß einem sich selbst erhaltenden Kreislauf folgen.

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Solange die Sonne ihre gleichbleibende Energie zu uns herüberschickt, hält sich der natürliche Kreislauf im Gleichgewicht. Diese Sonnen­energie ist wirklich »geschenkt« und fließt unaufhörlich, so daß sie der Mensch mit gutem Gewissen annehmen darf. Oder, wie man es auch erklären kann: hier ist ein Kapital, das Jahr für Jahr Zinsen bringt.

Was der Mensch sich darüber hinaus aus einem »metaökonomischen Bereich« aneignet, ist dem Kapital entnommen und kann daher nur einmal verwertet werden. Zum Metaökonomischen rechnet E.F. Schumacher: die Erde einschließlich der Bodenschätze, Luft, Wasser und Feuer.

»Diese vier Begriffe umreißen den Rahmen, innerhalb dessen sich das wirtschaftliche Leben abspielt. Ohne diesen Rahmen gäbe es keine Wirtschaft; und ginge der Rahmen kaputt, so ginge damit auch alle Wirtschaft kaputt. Der Mensch hat diesen Rahmen nicht selbst geschaffen; für ihn ist er unersetzlich und darum metaökonomisch. Er darf keine Berechnungen darüber anstellen, ob es wirtschaftlich ist, diesen Rahmen zu verbrauchen, zu zerstören oder ob es sich vielleicht <lohnt>, ihn zu pflegen und zu bewahren. Und wenn er doch solche Berechnungen anstellt, ganz gleich zu welchem Resultat er dabei kommt, dann macht er sich damit zutiefst schuldig ...«48) 

Der Mensch hat diese Grenze mißachtet, er hat das Metaökonomische in seine erdachte Ökonomie einbezogen und damit kalkuliert, als handele es sich um etwas immer und beliebig Verfügbares. Das ist der verheerendste Irrtum der Menschheitsgeschichte. Das ist die Fehlleistung des menschlichen Großhirns, wie Theo Löbsack sagen würde.49)

Schumacher fährt fort:

»Der modernen Volkswirtschaftslehre ist der Vorwurf zu machen, daß sie von dieser Unterscheidung nichts weiß und unter allen Umständen nichts wissen will. Dadurch wird sie zur Stifterin unabsehbaren Unheils. Kein politischer Imperialismus hat je so viel Zerstörung angerichtet wie der Imperialismus der ökonomischen Denkweise, die sich unbedenklich die meta-ökonomischen Regionen Untertan macht. Den Nationalökonomen als solchen daraus einen besonderen Vorwurf zu machen, wäre vielleicht ungerecht; denn sie folgen dabei nur dem Zuge der Zeit. Diese steht unter der Herrschaft des quantitativen Denkens und damit des Materialismus profanster Art, und das ist die <metaphysische Erkrankung> die zwangsläufig zum Ende der modernen Epoche führen muß. Trotzdem läßt sich nicht leugnen, daß die Volkswirtschaftler eine ganz besonders große Verantwortung trifft, denn sie haben sich zu den Gralshütern und Hohen Priestern der Wirtschaftsreligion gemacht.«50

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Die Ökonomen haben das Startsignal gegeben und den Völkern zugerufen: Greift zu! Bedient euch! Es ist euer Schade, wenn ihr es nicht tut! Wenn ihr es aber tut, dann habt ihr stolze Leistungen vollbracht, ja dann habt ihr eigentlich erst eure Bestimmung als Menschen erfüllt!

Indem die Ökonomen die Arbeit zum alleinigen Wertmaßstab erhoben haben, ist auch die gesamte Produktion zu einem ausschließlichen Werk des Menschen erklärt worden, und dieser durfte sich daraufhin als der Schöpfer aller Dinge fühlen, die er um sich hat. Wie sollte er jemandem Dank dafür schuldig sein? Infolgedessen ist jede Wirtschaftslehre, die sich allein auf die Arbeit stützt, atheistisch. Die Menschen, die überzeugt waren, etwas von der Natur geschenkt zu bekommen, waren gottgläubig. Sie wußten oder fühlten zumindest, daß ihnen etwas gegeben wurde, was nicht ihr Verdienst war, worauf sie keinen Einfluß hatten. Darum waren auch bäuerliche Gesellschaften die Reservate aller Religionen, wogegen sich alle städtischen Gesellschaften zum Atheismus hin entwickeln. Heute können sich allerdings in den Industrieländern selbst die Landwirte damit begnügen, im Falle von Hagelschlag an die Versicherung und im Falle einer Viehseuche an die Hilfe des Staates zu glauben. Aber auch sie werden sich eines Tages getäuscht sehen.

Denn der künstliche Produktionskreis arbeitet nicht mit der unendlichen Quelle des Sonnenlichts, sondern mit den knappen Vorräten dieser Erde. Es sind einmalige Geschenke oder Kapitalentnahmen, die nur ein einziges Mal möglich sind. Die Tragik ist, daß sie zu einer Lebensweise verführten, die auf die Dauer nicht vorhalten kann. Je mehr sich aber die Menschheit von diesen einmaligen Geschenken blenden und verführen läßt, ein um so furchtbareres Ende wird sie nehmen.

Der künstliche Produktionskreis zehrt sich selbst auf. Je gigantischer dieser Kreis ausgebaut wird, um so schneller vernichtet er seine eigene Grundlage: die einmaligen Grundstoffe. Dieser künstliche Kreislauf ist eine vorübergehende Erscheinung der Erdgeschichte, die früher oder später mangels Nachschub in sich zusammenfällt.

Dies wäre nicht weiter schlimm, wenn der künstliche Produktionskreis völlig isoliert vom natürlichen abliefe. Das ist aber nicht der Fall! Im künstlichen Kreis arbeiten heute 50% aller arbeitsfähigen Menschen, und ihr Anteil nimmt ständig zu. Aber schlimmer: Der künstliche Kreis stellt die Mittel zur Verfügung, damit der natürliche Kreis, der Landbau, heute global mehr als dreimal soviel Nahrungsmittel produziert, als er das ohne Zufuhr aus dem künstlichen Produktionskreis (darunter »Kunstdünger«) könnte.

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Damit ernährt der Landbau statt der 1,26 Mrd. Menschen um 1850 gegenwärtig 4 Milliarden. Bricht nun der künstliche Produktionskreis zusammen, dann verlieren nicht nur die dort Beschäftigten ihre Arbeitsplätze, es entfallen auch all die Lieferungen an die Landwirtschaft, die diese heute aus dem künstlichen Produktionskreis bezieht: Düngemittel, Maschinen, Energien. Daraufhin sinken die Ernteerträge, so daß die zwei Milliarden im künstlichen Produktionskreis auch die gesamte Rücklieferung an Nahrungsmitteln verlieren. Dies läßt sich an unserem Kreislaufschema nebenstehend leicht darstellen: der rechte Kreis fällt einfach weg.

Wie wir sahen, betragen die Zufuhren an die Landwirtschaft mindestens eine Kalorie Energie für eine Kalorie Nahrung. Fallen die industriellen Zufuhren weg, dann wird der Landbau auf die Produktionsstufe vor Justus Liebig zurückgeworfen. Er wird dann in kurzer Frist nicht einmal mehr die zwei Milliarden Menschen ernähren können, die heute noch im landwirtschaftlichen Bereich leben.

Da im natürlichen Kreis wieder fast alles mit der Hand gemacht werden müßte, könnte dieser Kreis (in den Industrieländern) zwar zusätzliche Arbeitskräfte aufnehmen, aber nur einen Bruchteil derer, die der künstliche Produktionskreis beschäftigt. Wir schätzen, daß der natürliche Regelkreis dieses Planeten bestenfalls für 1,5 Mrd. Menschen eine Ernährungsbasis bieten kann. Aber wohlgemerkt: auf dem Lebensstandard, der in Europa vor 1850 herrschte.

Daraus ergibt sich eine bittere Lehre. Die Menschheit hätte mit der plötzlichen »Sonderzuwendung«, dem Import aus dem metaökonomischen Bereich, alles mögliche anstellen können — nur zu einem hätte sie sich nicht verleiten lassen dürfen: menschliches Leben zu vermehren.

Sie hat es getan. Sie hat bereits 4 Milliarden auf einen Planeten gesetzt, der auf die Dauer höchstens 1,5 Mill­iarden Menschen tragen kann. Sie hat die Grenzen mißachtet und mißachtet sie weiterhin: »Die Zahl der von <industrieller Nahrungsproduktion> lebenden Menschen wächst jährlich um 70 bis 80 Millionen und entsprechend die Zahl derer, die das unmittelbare Opfer eines industriellen Zusammenbruchs würden.«51 Die Menschheit hat die Naturgesetze durchbrochen und geglaubt, daß sie für den Menschen nicht mehr gültig seien. Die Menschen haben sozusagen ihr Schicksal selbst in die Hand genommen. Sie wollten zeigen, wie man so etwas richtig »macht«.

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Nun sind sie dabei, jämmerlich zu scheitern; denn sie haben nicht einmal das Grundgesetz der Welt begriffen: daß alles nur Verwandlung ist — daß niemals Etwas aus Nichts entsteht. Die Arbeit der Menschen bestand aber in den letzten 200 Jahren darin, immer riesigere Mengen wertvollen Materials in wertloses Material zu verwandeln, nur um vorübergehend »brauchbare« Güter für sich zu gewinnen. Damit das immer schneller lief, konnte man gar nicht genug Arbeitskräfte, also Menschen, bekommen. Und als man zuviel Menschen hatte, wurde behauptet, man müsse immer mehr »Arbeitsplätze schaffen«, wie man so schön sagt.

Diesen Leichtsinn werden die Menschen nach den strengen Gesetzen der Natur büßen müssen. Sie werden ihre Schulden (nicht moralisch gesehen, sondern im Sinne der »Weltbilanz«) bezahlen müssen. 

Die einzige Währung aber, die hier gilt und in der Verstöße gegen die Naturgesetze beglichen werden können, ist der Tod. Der Tod bringt den Ausgleich, er schneidet alles Leben, das auf diesem Planeten auswuchert, wieder zurück, damit der Planet wieder ins Gleichgewicht kommt.

Der Mensch kann zwar vorher noch in seiner Panik — und es ist wahrscheinlich, daß dies so kommen wird — sehr viel anderes Leben vernichten — Pflanzen, Tiere und fruchtbaren Boden. Mit den Wäldern wird schon seit Jahrhunderten so verfahren, die Meere werden zur Zeit ausgeplündert. Aber auch diese Rechnung wird beglichen: um so verheerender wird seine eigene Vernichtung ausfallen. Die Erde wird dann nämlich auch keine 1,5 Mrd. Menschen mehr ernähren können, sondern nur einige hundert Millionen oder noch weniger, die in ökologischen Nischen der Erde, die noch nicht kahlgefressen wurden, ihr Leben fristen werden.

Diese ausweglose Lage ist das Ergebnis des gewaltigen Fortschritts in der »Arbeitsproduktivität«, die Folge des Einsatzes riesiger Armeen von Menschen im Ausbeutungs­krieg gegen die Erde. Ihr totaler Sieg besiegelt automatisch ihr eigenes Ende. Zur Zeit aber lebt die Menschheit noch im Siegesrausch. Erst seit dem Jahre 1973 nehmen die Zweifel zu. Der Mensch ist der Erfinder der Produktion und damit letzten Endes auch der Verursacher der Selbstzerstörung.

»Immer schneller drückt steigender Bevölkerungszuwachs immer schwerer auf die Naturschätze und Naturprodukte«,52 warnt Aldous Huxley

Die Heere der Arbeitssuchenden werden immer größer. Die Vernichtungs­kapazität wächst so gewaltig, daß es keiner Atombombe bedarf, um die Erde unbewohn­bar zu machen.

Darum wäre eine wirksame Entlastung der Erde nur dann zu erzielen, wenn die Zahl der Menschen vermindert würde. Dadurch könnte der Rohstoff- und Naturverbrauch auch ohne Verbrauchs­beschränkungen verringert werden. Dies würde gerade in den Ländern hoher Arbeitsproduktivität am meisten ins Gewicht fallen. Die Zahl der Arbeitskräfte reduzieren zu wollen, bedeutet demnach: die Zahl der Geburten reduzieren zu müssen.

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Ein Planet wird geplündert. Die Schreckensbilanz unserer Politik