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So geht es nicht weiter 

Einführung-1972

 

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Der Lebensstil unseres Industriezeitalters mit seinem Ethos ständigen Wachstums zeigt einen grundlegenden Fehler: Er kann nicht lange aufrechterhalten werden. Unvermeidlich endet er noch zu Lebzeiten eines heute Geborenen — und wenn er noch eine kleine Weile von einer rücksichtslosen Minderheit durchgesetzt werden sollte, dann nur unter größten Leiden für den Rest der Menschheit. 

Wir können aber sicher sein, daß dieser Lebensstil früher oder später zu Ende gehen wird — unsicher sind nur der genaue Zeitpunkt und die Begleit­umstände. Sicher ist auch, daß dies auf eine von zwei möglichen Arten geschehen wird: entweder gegen unseren Willen in einer Kette von Hungersnöten, Epidemien, sozialen Krisen und Kriegen oder — weil wir für unsere Kinder eine Gesellschaft ohne Grausamkeit und Härte schaffen wollen — in einer Reihe von durchdachten, humanen und wohlbemessenen Veränderungen. 

Wir glauben, daß immer mehr Menschen erkennen werden, daß wir tatsächlich vor dieser Wahl stehen. Wir sind mehr an unseren Vorschlägen zur Schaffung einer dauerhaften Gesellschaftsform interessiert als an wieder­holter Schilderung der Gründe, warum eine solche Gesellschaft geschaffen werden muß. Wir behandeln daher diese Gründe nur kurz. Eine weitergehende Analyse ist im Anhang zu dieser Dokumentation zu finden.

Eine grundsätzliche Änderung der Lebensform ist nicht nur notwendig, sondern auch unvermeidlich, weil die gegenwärtige Zunahme der Bevölkerungszahl und des Pro-Kopf-Verbrauchs durch die Zerstörung der Ökosysteme und die Ausbeutung der natürlichen Rohstoffvorräte die Grundlagen unserer Existenz unterminiert.

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Gegenwärtig beträgt die Weltbevölkerung 3.600 Millionen, sie nimmt jährlich um zwei Prozent oder um 72 Millionen zu. Aber hinter dieser globalen Angabe verbergen sich entscheidende Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern. Die Industrienationen besitzen ein Drittel der Weltbevölkerung und haben nur Wachstumsraten zwischen einem halben und einem Prozent; zwei Drittel der Menschheit leben in unterentwickelten Gebieten mit Wachstums­raten zwischen zwei und drei Prozent — und rund 40 bis 45 Prozent dieses größeren Teils der Weltbevölkerung sind Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren.

Meist wird völlig übersehen, daß in Ländern mit einer so unausgewogenen Altersstruktur die Bevölkerung auch dann noch Jahrzehnte weiter zunimmt, wenn die Fruchtbarkeit der Weltbevölkerung auf den Pegel gesunken wäre, der den Ersatz jedes Verstorbenen durch ein Neugeborenes garantieren würde. Der UNO-Ausschuß für Weltbevölkerung stellt hierzu fest: 

»Wenn das Gleichgewicht zwischen Geburten- und Sterberaten in dem entwickelten Teil der Erde bis zum Jahr 2000, im unterentwickelten Teil bis 2040 erreicht werden sollte, würde die Weltbevölkerung im Lauf des nächsten Jahrhunderts auf der Höhe von fast 15,5 Milliarden Menschen konstant bleiben, sie würde dann mehr als das Vierfache von heute betragen.«

Der Pro-Kopf-Verbrauch an Energie und Rohmaterialien ist in den entwickelten und den unterentwickelten Gebieten sehr unterschiedlich. Zwar steigt überall der Verbrauch, aber in den Industrienationen werden trotz ihres geringeren Anteils an der Weltbevölkerung über 80 Prozent der auf der Erde erzeugten Energie und Rohmaterialien verbraucht. Deshalb sind die Steigerungsraten in den Industrienationen von größerer Bedeutung als die der unterentwickelten Gebiete.

Hierzu ein Beispiel: In dem Jahrzehnt zwischen 1957 und 1967 stieg der Stahlverbrauch pro Kopf in den USA um zwölf Prozent, in Indien um 41 Prozent. In absoluten Zahlenwerten, in Kilogramm pro Kopf und Jahr, sieht diese Zunahme anders aus; in den USA stieg der Verbrauch von 568 Kilogramm/Jahr auf 624 Kilogramm/Jahr, in Indien von 9,2 Kilogramm/Jahr auf 13 Kilogramm/Jahr.

Es gibt auch keine Anzeichen dafür, daß eine allmähliche Beendigung der wirtschaftlichen Wachstumsspirale auch nur in Betracht gezogen wird. Im Gegenteil, die industriellen Wirtschaftssysteme tendieren dazu, zusammenzubrechen, wenn das Wachstum beendet würde oder sich auch nur verlangsamen sollte, gleichgültig, wie hoch der Stand des Verbrauchs bereits ist. Selbst die USA streben noch eine jährliche Zunahme des Bruttosozialprodukts um vier Prozent an. Die Wachstumsraten einzelner Industriezweige, wie zum Beispiel der Erdölindustrie, übersteigen diesen Durchschnittswert noch weit.

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Die ständig wachsende Bevölkerungszahl bei gleichzeitigem Ansteigen des Pro-Kopf-Verbrauchs belastet die Umwelt in zunehmendem Maß, sowohl durch die Rohstoffvorräte, die wir der Umwelt entnehmen, wie auch durch die Abfallstoffe, die wir der Umwelt aufbürden. Eine Gruppe von Wissenschaftlern, die unter der Schirmherrschaft des Massachusetts Institute of Technology (MIT) eine <Studie über kritische Umweltprobleme> ausgearbeitet hat, betont in ihrem Bericht die Notwendigkeit, Methoden zu entwickeln, diese Umweltbelastung genau zu erfassen. 

Sie haben den Begriff des »ökologischen Bedarfs« formuliert. Darunter verstehen sie »die Gesamtheit aller Bedürfnisse, welche die Menschheit ihrer Umwelt abverlangt, wie zum Beispiel die Gewinnung von Rohstoffen aus der Umwelt, die, in Abfälle umgewandelt, derselben Umwelt wieder aufgebürdet werden«. Eine Kennzahl, die sich ergibt, wenn man die Bevölkerungszahl mit dem materiellen Lebensstandard multipliziert. Dieser Faktor erscheint als das zuverlässigste Maß für den ökologischen Bedarf. 

Nach dem <Statistischen Jahrbuch> der UNO wächst diese Kennzahl jährlich um fünf bis sechs Prozent und verdoppelt sich alle 13,5 Jahre, steigt also wesentlich rascher als die rapid steigende Bevölkerungszahl. Wenn dies so weitergeht, wird sich dieser Faktor nach der nächsten Verdoppelungsperiode der Bevölkerung kurz nach dem Jahr 2000 nach übereinstimmenden Hochrechnungen versechsfacht haben. Nach dem erwähnten Bericht der Studiengruppe zeigen »Tätigkeitsbereiche, die diese Anforderung an das Ökosystem stellen, wie etwa die Landwirtschaft, der Bergbau und die Industrieproduktion, jährliche Zuwachsraten zwischen dreieinhalb und sieben Prozent. Es ergibt sich eine mittlere jährliche Zuwachsrate zwischen fünf und sechs Prozent, während der jährliche Bevölkerungszuwachs nur zwei Prozent beträgt«.

Es versteht sich, daß die Erde derartige ständige Anforderungen an das Ökosystem nicht lange ertragen kann. Wachstum auf unbegrenzte Zeit, welcher Art auch immer, ist bei begrenzten Vorräten unmöglich. Dies ist der entscheidende Punkt unserer Situation. Noch viel weniger kann exponentielles Wachstum unbegrenzt aufrechterhalten werden, und ausgerechnet das Wachstum des ökologischen Bedarfs verläuft exponentiell.

Die Wirkungen exponentiellen Wachstums werden vielfach unterschätzt, seine wahre Bedeutung wird meist nicht voll erkannt. In seinem Werk <Der teuflische Regelkreis>1) schreibt der Systemdynamiker Jay W. Forrester vom MIT: 

»Charakteristisch für rein exponentielles Wachstum ist die Existenz einer Verdoppelungszeit: Jeweils in einer bestimmten gleichbleibenden Zeitspanne verdoppelt sich die wachsende Größe. Dies ist irreführend und täuschend. Viele Verdoppelungszeiten können verstreichen, ohne daß die wachsende Größe einen Wert erreicht, der Aufmerksamkeit verdient. Dann aber, innerhalb einer oder zwei weiterer Verdoppelungszeitspannen, ufert sie aus, obwohl sie mathematisch exakt noch immer demselben exponentiellen Wachstumsgesetz folgt.«

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Nehmen wir als Beispiel den Verbrauch an Erdöl: Die Erdölvorräte betragen gegenwärtig etwa 300 Milliarden Tonnen. Der Erdölverbrauch nimmt jährlich um etwa 6,9 Prozent zu. Daraus ergeben sich die Kurven der jeweils noch verbleibenden Erdölvorräte und des Verbrauchs nach Abbildung 1: Der Bedarf übersteigt die Förderung am Ende dieses Jahrhunderts.

  

Abb. 1:  Weltreserven an Erdöl

1975 werden erst 12,5 Prozent der Reserven verbraucht sein. Dennoch überholt der Bedarf die Förderung schon 15 Jahre später.

Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang jedoch nicht, wie schnell diese riesigen Vorräte durch den steigenden Verbrauch erschöpft werden, sondern daß auch noch im Jahr 1975 die Reserven so hoch sind, daß sie für lange Zeit ausreichend zu sein scheinen. Dies kann sehr leicht ein trügerisches Gefühl der Sicherheit hervorrufen und zu dem Irrglauben führen, daß die Zunahmerate des Verbrauchs, wenn schon nicht für ewig, so doch sehr viel länger aufrechterhalten werden könnte, als sich bei genauer Analyse ergibt. 

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Dies gilt nicht allein für Erdöl, sondern für alle Arten von Vorräten, einschließlich der Reserven von nutzbaren Landflächen. Der trügerische Verlauf exponentiellen Wachstums erklärt auch, warum die Situation unserer Umwelt sich so schnell verschlechtert hat und warum diese mißliche Lage rasche und entscheidende Gegenmaßnahmen erfordert, die vielfach den Wertvorstellungen entgegenlaufen, die in unserer Industriegesellschaft als grundlegend und unumstößlich gelten.

Wenn man zuläßt, daß das Wachstum mit gleichen Raten wie bisher weitersteigt, wird sich in den nächsten 66 Jahren die ökologische Anforderung 32mal vergrößern. Kein ernsthaft denkender Mensch kann annehmen oder es als wünschenswert betrachten, daß sich die Menschheit den daraus entstehenden Belastungen anpaßt. Der Preis dieses Wachstums wären die Zerstörung des Ökosystems und die Erschöpfung aller Rohstoffvorräte. Dies müßte zu Hunger­katastrophen und zum Zusammenbruch der menschlichen Gesellschaft führen.

 

 

Zerstörung des Ökosystems  

 

Unsere Überlebenschance beruht seit jeher darauf, daß ökologische Prozesse vorhersagbar sind. Wären sie völlig willkürlich, könnten wir nicht einmal die Zeiten von Saat und Ernte vorherbestimmen; wir wären völlig den Launen unserer Umwelt ausgeliefert. Die Natur wäre eine undurchschaubare Erscheinung; wir könnten keine Hypothesen aufstellen und keine Naturgesetze formulieren.

Tatsächlich sind aber ökologische Vorgänge vorhersehbar. Obwohl die wissenschaftliche Ökologie noch eine junge Disziplin ist, haben die Ökologen eine Reihe wichtiger »Grundsätze« herausgefunden. Zwei zeigen besonders deutlich, warum ökologische Entwicklungen vorhersehbar sind: Alle ökologischen Systeme streben einem Zustand der Stabilität zu; ökologische Systeme sind um so stabiler, je komplexer ihr Aufbau ist und je vielfältiger sie beschaffen sind, das heißt, je mehr einzelne Arten von Lebewesen in ihnen existieren und je mehr diese gegenseitig aufeinander einwirken. Unter Stabilität wird hier die Fähigkeit eines Systems verstanden, Störungen selbst auszugleichen und wieder in den ursprünglichen Zustand selbständig überzugehen, statt in eine ganz andere Verhaltensweise zu kippen, die dann mehr oder weniger unvorhersagbar wäre.

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Unglücklicherweise benehmen wir uns aber so, als wäre uns überhaupt nichts über unsere biologischen Beziehungen zur Umwelt bekannt, und gehen wir mit ihr so brutal und geringschätzig um, als wäre sie ein empfindungsloser und völlig wehrloser Sklave. Es sieht fast so aus, als habe sich noch nie jemand vor Augen gehalten, daß ein tropischer Regenwald der Lebensraum unzähliger Arten von Insekten ist und er dennoch von ihnen nicht zerstört wird; und daß dieses üppige Wachstum nicht etwa davon herrührt, daß wir monatlich einmal darüber hinwegfliegen und alle möglichen Arten von Herbiziden, Insektiziden und Fungiziden versprühen. 

Dennoch verspritzen wir über unsere Getreidefelder und Gemüseplantagen ständig riesige Mengen synthetischer Chemikalien in dem verzweifelten Bemühen, das unveränderliche »Grundgesetz« der Ökologie daran zu hindern, sich auszuwirken — die Grunderscheinung, daß alle ökologischen Systeme sich selbsttätig in Richtung größerer Stabilität entwickeln und dabei immer komplexer werden und immer zahlreichere Pflanzen- und Tierarten hervorbringen, bis ein Optimalzustand erreicht ist. 

Wären wir wirklich klug, so würden wir anerkennen, daß eine auf lange Sicht erfolgreiche Landwirtschaft die Herstellung eines künstlichen ökologischen Optimal­zustandes voraussetzt, eine Nachahmung des ökologischen Systems, das zuvor bestand, so daß die Zahl der unerwünschten Arten durch natürliche Feinde niedriggehalten wird, die gleichzeitig die Nutzpflanzen nicht schädigen.

Statt dessen investieren wir unsere Mittel in Insektiziden, die sich zwar als wirksam erweisen, aber nur bis zu einem gewissen Grad und in abnehmendem Maß. Nach dem Bericht der Forschungsgruppe des MIT erforderte die Produktionserhöhung an Nahrungsmitteln um 34 Prozent von 1951 bis 1966 eine Erhöhung der Mittel für Stickstoffdünger um 146 Prozent und für chemische Schädlingsbekämpfungsmittel um 300 Prozent. Gleichzeitig haben sich schwerwiegende Probleme ergeben, vor allem Resistenzerscheinungen. Rund 250 wichtige Arten von Schädlingen sind heute gegenüber der einen oder anderen Gruppe von Bekämpfungsmitteln resistent. Gegen andere Arten müssen immer größere Mengen von Bekämpfungsmitteln eingesetzt werden, um sie niedrigzuhalten. Manche früher praktisch unschädliche Arten haben sich zu massenhaft auftretenden Schädlingen entwickelt, weil ihre natürlichen Feinde ausgerottet wurden. Die Verbreitung von DDT und anderen chlorierten Kohlenwasserstoffen hat dazu geführt, daß die Zahl der Raub- und Seevögel sowie viele Fischarten, besonders Seeforellen, in geradezu alarmierendem Maß zurückgingen.

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In dem MIT-Bericht heißt es hierzu: 

»Die Ozeane sind die endgültige Ablagerungsstätte für das DDT und seine Abkömmlinge. Rund 25 Prozent aller bis heute produzierten DDT-Mengen sind wahrscheinlich schon in die Weltmeere transportiert worden. Aber erst 0,1 Prozent der gesamten produzierten Menge hat sich in den Körpern aller Lebewesen der Weltmeere, sorgfältigen Schätzungen zufolge, angehäuft und dennoch bereits erkennbare schädliche Auswirkungen gezeigt... Die Abnahme der Fangergebnisse von Seefischen und eine DDT-Anreicherung in ihrem Zellgewebe auf Werte, die für den Menschen nicht mehr zuträglich sind, wird durch weitere DDT-Anwendung beschleunigt.«

Über eine halbe Million verschiedenartiger künstlicher chemischer Verbindungen werden heute eingesetzt. Von den meisten ist aber noch weitgehend unbekannt, in welchem Maß sie sich einzeln oder kombiniert in der Umwelt auswirken. Genau bekannt ist jedoch, daß die Wirkung von Umwelt­verschmutzung und Zerstörung des natürlichen Lebensraumes die Existenz von bereits 280 verschiedenen Arten von Säugetieren, 350 Vogelarten und rund 20.000 Pflanzenarten bedroht. 

Es gibt Leute, die dies zwar bedauern, diese Entwicklung aber mit der Bemerkung abtun, daß die Existenz der Gattung »homo sapiens« sicherlich wichtiger sei als die eines Adlers oder einer Primel. Ihnen kann man nur erwidern, daß auch die Existenz des »homo sapiens« von dem ununterbrochenen gegenseitigen Zusammenwirken der ökologischen Regelkreise abhängt, zu denen auch die Adler und Primeln gehören. 

Wir brauchen uns nicht besonders anzustrengen, um unsere Umwelt vollständig zu zerstören, um Katastrophen für die Menschheit herbeizuführen: Wir brauchen nur so weiterzumachen wie bis jetzt; Wälder niederzulegen, Niederungen zu entwässern und genügende Mengen von Schädlings­bekämpfungs­mitteln, radioaktiven Substanzen, Kunststoffen, Müll und Industrieabfällen zu verstreuen, abzulagern, in die Luft zu blasen und ins Wasser abzulassen. Unsere Umwelt wird dann allein unerträglich für die Arten von Lebewesen, auf deren Existenz ihre Stabilität beruht. 

Der Mensch des Industrie­zeitalters benimmt sich wie der Elefant im Porzellanladen, mit 

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