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Nachruf zum Tod von Jürgen Fuchs

von Manfred Jäger  DLF 10.5.1999

 

 

Jürgen Fuchs wurde in die DDR "hineingeboren", als der "Arbeiter- und Bauernstaat" gerade ein gutes Jahr lang existierte. Er stammte aus einer Arbeiterfamilie - bot also die besten Voraussetzungen, von Anfang an gefördert zu werden. Der Vater war Elektriker, die Mutter arbeitete bei der HO, der staatlichen Handelsorganisation. Kein Mißtrauen gegenüber den Schlacken einer falschen bürgerlichen Herkunft, so durfte man vermuten, konnte den Weg des begabten und früh gesellschaftlich aktiven Jungen aufhalten. Er wollte auch ein "guter Sozialist" werden. Aber das Abitur an der Erweiterten Oberschule in seiner vogtländischen Geburtsstadt Reichenbach fiel ins Jahr 1968. Da war das Denken und Fühlen junger Leute aufgewühlt von den Ideen des "Prager Frühlings". Erfüllt von den im Nachbarland umlaufenden enthusiastischen Vorstellungen eines "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" engagierten sich Fuchs und seine Freunde gegen die sturen DDR-Bürokraten. Die Schüler verbreiteten Texte von Reiner Kunze und von Wolf Biermann, der später zu einem engen, stets bewunderten Freund und Mentor werden sollte.

Zum Abitur wurde Fuchs zwar noch zugelassen, aber ein Studium kam zunächst nicht in Frage. Er absolvierte eine Lehre bei der Reichsbahn - erst danach wurde er zum Psychologiestudium in Jena zugelassen. Die Schulleitung in Reichenbach versuchte jedoch noch zu verhindern, daß der "mißratene Zögling" Aufstiegschancen bekam. Erst eine sogenannte Eingabe an Erich Honecker ermöglichte es ihm, 1971 immatrikuliert zu werden. Unter dem Titel "Dummgeschult?" hat Fuchs über zwei Jahrzehnte später Gespräche mit seinem einstigen Deutschlehrer Gerhard Hieke geführt, der 1968 wegen seiner Kritik an der Intervention der Warschauer-Pakt-Staaten aus dem Schuldienst geflogen war.

1973 trat Jürgen Fuchs in die SED ein, immer noch befangen in der Illusion, die guten Sozialisten könnten den dogmatischen Beton von innen aufbrechen. 1975 wurde er aus der Partei wieder ausgeschlossen, und zwei Monate später, wie es hieß, "wegen Schädigung des Ansehens der Universität in der Öffentlichkeit" kurz vor dem Abschlußexamen exmatrikuliert. Robert Havemann, der beherzte Regimekritiker, der ihm zum väterlichen Freund geworden war, nahm ihn und die junge Familie in seinem Haus in Grünheide auf. Fuchs fand Arbeit in einem von der Kirche betreuten Heim für geistig behinderte Kinder.

Nachdem er die von prominenten Schriftstellern der DDR entworfene Protesterklärung gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns unterzeichnet hatte, wurde er im November 1976 verhaftet. Es kam zu einer Solidaritätskampagne in der Bundesrepublik, gestützt durch die erste Buchveröffentlichung: Bei Rowohlt erschien der Band "Gedächtnisprotokolle", der die Dokumente und die Verhöre enthielt, die zu seiner Entfernung aus der Universität Jena geführt hatten. Im August 1977 wurde Fuchs mit seiner Familie ausgebürgert und nach Westberlin abgeschoben. Das Bändchen "Vernehmungsprotokolle" von 1978 schilderte aus dem Gedächtnis die Hafterlebnisse. Stets war die Genauigkeit des Chronisten für den Schriftsteller Fuchs wichtiger als die ästhetische, gar spielerische Umsetzung der Wirklichkeitserfahrung. Aber sein Lakonismus und die verfremdete Beobachtung der eigenen Bewußtseinslage verliehen den Texten dennoch eine ästhetische Qualität, die den autobiographischen Zeugnissen Wirkungen sicherte, die Sachbücher nie hätten erreichen können.

Das gilt auch für die beiden Bücher über die "Nationale Volksarmee", mit denen Fuchs einen in der zeitgenössischen deutschen Literatur nur wenig beachteten Gegenstand sensibel und kritisch aufnahm. Der Roman "Fassonschnitt" berichtete 1984 aus einem Abstand von fast 15 Jahren vor allem von den ersten beiden Wochen der Grundausbildung, der zweite Roman "Das Ende einer Feigheit" beschrieb 1988 eine Wehrübung, zu der der Student einberufen worden war. Aufzuschreiben, was ihm widerfuhr, gehörte zur Überlebensstrategie des Jürgen Fuchs. Aber er wollte damit auch immer Lebenshilfe für andere geben. Seit 1979 hat er als Psychologe in verschiedenen Beratungsstellen in Berlin gearbeitet. Seine schriftstellerische Tätigkeit mochte er von dieser helfenden Zuwendung nie als ein ganz anderes trennen. Politik und Literatur waren ihm keine "Sachgebiete", die auf unterschiedliche Weise behandelt werden müßten.

Als die DDR untergegangen war, färbten sich seine anfänglichen Befreiungsgefühle rasch wieder dunkel ein, weil er überall Verdrängung und Vergeßlichkeit sehen mußte. Er litt darunter, daß den uneinsichtigen Tätern oft mehr Aufmerksamkeit galt als den nach wie vor als lästige Zeugen eingestuften Opfern. Zu seinen grotesken Lebenserfahrungen gehörte es, daß er 1987 den Thomas-Dehler-Preis mit Sascha Anderson teilen mußte, der 1991 als inoffizieller Mitarbeiter der Stasi enttarnt wurde. Seine bemerkenswerte literarische Recherche in den Irrgärten und Aktenlagern, die von dem unrühmlichen DDR-Ministerium für Verfolgung und Zersetzung hinterlassen wurden, trägt den Titel "Magdalena. MfS Memfisblues-Stasi - Die Firma VEB Horch & Gauck". Die Chance des unerschrockenen und unabhängigen Schriftstellers Fuchs lag darin, sich mit dem freien Blick eines von außen kommenden Beobachters umzusehen, ohne sich durch die herrschenden Regeln der Administration eingrenzen zu lassen. Ein produktiver Kunstgriff war die Erfindung der sogenannten Knaststimme, die als innerer Widerpart Einreden vorbrachte. Sie nahm kritische Einwände vorweg und gab Gelegenheit, sie ernst zu nehmen, anzunehmen oder zurückzuweisen. Dabei stilisierte Fuchs sich nicht zum geradlinigen Helden. Er beschrieb die Mischung aus Mut und Nachgiebigkeit in seinem Leben, die Versuche, Konflikte nicht eskalieren zu lassen, die Zufälle, die ihn dazu ermunterten, ein Grundgesetz des Systems nicht mehr zu beachten: Anpassung wird honoriert, und dafür reicht es, nicht durch "falsche Bewegungen" aufzufallen.

Wenn man den jetzt so früh und überraschend verstorbenen Jürgen Fuchs mit einem Wort charakterisieren sollte, fiele einem als erstes wohl "Aufrichtigkeit" ein. Er hätte gern jedermann vertraut, aber er mußte zu viele Enttäuschungen auf sich nehmen. Er hat es dennoch geschafft, nicht verbittert zu werden. Weil er seine eigenen Erfahrungen nicht verdrängen konnte, blieb er stets auf der Hut. Er konnte sich den Luxus nicht leisten, entspannt zu reagieren. Der Wachsame hat sich nicht "verbraven" lassen und vor allem mit seinem letzten Werk "Magdalena" kraftvoll eine heutzutage als außenseiterisch geltende moralische Existenz bezeugt. Er nahm in Kauf, anstößig sein zu müssen und folglich nicht jedermanns Freund sein zu können.

(Manfred Jäger)

 


       

Wolfgang Müller

Zum Tod vom Jürgen Fuchs

 

Jürgen Fuchs ist tot; mit 48 Jahren im Mai dieses Jahres an den Folgen eines seltenen Blutkrebses gestorben; ähnlich wie Rudolf Bahro und Gerulf Pannach vor ihm. Es bleibt der Verdacht, dass die Krankheit durch radioaktive Bestrahlungen der Stasi hervorgerufen wurde. Mit ihm verlor Deutschland einen seiner bedeutendsten Autoren, einen besonnenen, aufrechten, unbestechlichen und unermüdlichen Streiter für Wahrheit und Gerechtigkeit.

Wie der ältere Freund Hans Joachim Schädlich im vogtländischen Reichenbach geboren, studierte er in Jena Sozialpsychologie, “diente” als Soldat der NVA, wurde 1975 von der Uni Jena relegiert, 1976/77 neun Monate lang als Staatsfeind im Hohenschönhauser Stasiknast drangsaliert und schliesslich 1977 in den westlichen Teil Berlins abgeschoben. Doch vor allem schrieb er: Gedächtnisprotokolle (1977), Vernehmungsprotokolle (1978) zu seiner Haftzeit; dann seine Armeeromane Fassonschnitt (1984) und Das Ende einer Feigheit (1988); weiterhin Gedichte und Essays, insgesamt als Einmischung in eigene Angelegenheiten zu verstehen, wie sein Essayband aus dem Jahre 1984 betitelt war, und schließlich seinen letzten, der schweren Krankheit abgerungenen Roman Magdalena (1998), der rund ein Jahr vor seinem Tode erschien war.

Wenn man einen Autor beurteilen will, müsse man mindestens drei Ebenen beachten, bemerkte er 1990 auf einer Tagung in Vlotho: den Text, die Person und seine Kollegialität, seine Arbeit in Organisationen. Er verlangte sich auf all diesen Ebenen alles ab. Er hatte etwas Unbedingtes und etwas Unermüdliches. Er spornte an, ermutigte und tröstete. Seinen Gegnern gegenüber — es waren derer viele; die Anzahl seiner Stasiakten belegt es — war er mutig und unerbittlich. Und doch war er einer der Verständigsten, ein sanfter Mensch. Seinen Freunden machte er es durch sein Beispiel schwer. Er hat sich gesorgt, wenn sie in Not waren; er hat versucht, dort Öffentlichkeit zu schaffen, wo junge Autoren Öffentlichkeit brauchten; er hat organisiert und Verbindungen hergestellt, hat zahllose Faxe mit Informationen verschickt, von denen er annahm, dass andere sie gebrauchen konnten. Und dann war da noch seine psychologische Praxis, seine Arbeit für ausgegrenzte Jugendlichen. Wann hat er nur geschlafen? Nie hat er bei all seinen sich selbst gestellten Aufgaben Vorteil und Aufwand abgewogen. Immer handelte er mit ganzem Einsatz und immer ging es um die Sache: Um den Kampf gegen Diktatur und Unterdrückung, für Menschlichkeit und Gerechtigkeit. Und es war ihm ernst mit diesen Wörtern.

Jürgen Fuchs war ein Revolutionär, dessen Kräfte sich aus vielen Quellen speisten. Sowohl aus dem bekennenden Christentum als auch aus dem Kommunistischen Manifest, aus der Denkweise Manès Sperbers, Arthur Koestlers wie Primo Levi's.

Das sogenannte sozialistische Deutschland warf ihn ins Gefängnis, das westliche Deutschland tat sich schwer mit ihm. Das vereinte Deutschland bemühte sich, oft mit Erfolg, ihn zu überhören. Doch seine Bücher, sein menschliches Beispiel werden bleiben. Vielleicht wird sich einmal eine Bürgerinitiative bilden, die eine deutsche Strasse in "Fuchsstrasse" umbenennt, oder ein Literaturpreiskomitee, das seinen Werken den gebührenden Rang einräumt — bis jetzt hat ihm nur der Autorenkreis Deutschlands posthum den Hans-Sahl-Preis verliehen. Möglicherweise wird sich sogar einmal eine Bundesregierung finden, die diesem leidenschaftlichen und überzeugten Demokraten in angemessener Form ihren Respekt bezeugt.

(Wolfgang Müller)

 


 

Hubertus Knabe

Zum Tod von Jürgen Fuchs

(zuerst im Deutschlandarchiv erschienen)

 

Er galt als unerbittlich, obwohl er sanft war. Man warf ihm vor, auf die Stasi fixiert zu sein, obwohl er hauptberuflich damit beschäftigt war, Berliner Straßenjugendlichen als Ersatzvater beizustehen. Journalisten nannten ihn gar traumatisiert, obwohl er sich wie kein anderer darum bemühte, den Traumatisierten der SED-Diktatur zu neuem Selbstbewußtsein zu verhelfen. Kein anderer deutscher Schriftsteller ist so gründlich mißverstanden worden wie Jürgen Fuchs, der am Nachmittag des 9. Mai 1999 im Berliner Rudolf-Virchow-Krankenhaus starb.

Jürgen Fuchs wurde 1950 in Reichenbach im Vogtland geboren. Nach seinem Wehrdienst begann er in Jena Psychologie zu studieren, nebenbei veröffentlichte er kleinere literarisch Arbeiten. Weil seine Texte den Machthabern in der DDR nicht paßten, wurde er 1975 wegen »Schädigung des Ansehens der Universität in der Öffentlichkeit« kurz vor dem Examen exmatrikuliert und obendrein aus SED und FDJ ausgeschlossen.

Mit seiner Frau und der gerade geborenen Tochter Lilli fand er damals Unterschlupf im Gartenhaus des Dissidenten Robert Havemann. Doch nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns und den darauffolgenden Protesten wurde er noch im November 1976 verhaftet und nach monatelanger Untersuchungshaft vor die Alternative gestellt, entweder in den Westen zu gehen oder zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt zu werden. Im August 1977 schob ihn der Staatssicherheitsdienst nach West-Berlin ab, nicht ohne vorher die eindeutige Drohung auszusprechen: »Legen Sie sich später nicht mit uns an. Wir finden Sie überall. Auch im Westen. Autounfälle gibt es überall.«

Beim Rausschmiß von der Universität und später in der Haft hatte sich Jürgen Fuchs der wahre Charakter der SED-Herrschaft offenbart: Die Vernehmer, die die sozialistische Utopie im Munde führten, entlarvten sich als gnadenlose Vollstrecker der Diktatur. Seine literarischen Arbeiten werteten sie als »staatsfeindliche Hetze«, die in der DDR mit zwei bis zehn Jahren Gefängnis bestraft wurde. Mit zynischem Lächeln und den ausgeklügelten Demütigungen der Untersuchungshaft wollten sie den Widerstandswillen des 26jährigen brechen.

Jürgen Fuchs hatte in diesem ungleichen Kampf nur eine Waffe - die Literatur. Er machte sich selbst zum Beobachter des Geschehens und verkehrte damit auf unsichtbare Weise die Rollen. Mit geradezu wissenschaftlichem Interesse schaute er seinen Widersachern bei ihrer »Arbeit« zu und protokollierte das Erlebte erst im Kopf und dann in seinen Büchern Gedächtnisprotokolle (1977), Vernehmungs­protokolle (1978), Fassonschnitt (1984), oder Das Ende einer Feigheit (1988). Daß er die Mechanismen der Machtausübung auf solche Art sezierte, trug ihm den ewigen Haß der Obrigkeit in der DDR ein, oder, wie Wolf Biermann 1977 schrieb: »Er nimmt alles auf, offen wie ein Kind. Und das macht seine Position mit denen, die ihn das Fürchten lehren wollen, so sehr zum Fürchten.« 

Jürgen Fuchs’ Bücher waren damit mehr als dokumentarische Aufzeichnungen eines einzelnen - sie wurden zu Lehrstücken über das »Phänomen« der Diktatur. Als Ralph Giordano, der die Verhörmethoden der Gestapo über sich hatte ergehen lassen müssen, bei Dreharbeiten in Irland die Vernehmungsprotokolle in die Hände bekam, war er so überwältigt, daß daraus eine lebenslange Freundschaft zu Jürgen Fuchs erwuchs. Wie Biermann hatte auch er dabei immer das Gefühl, daß der Jahrzehnte jüngere Fuchs der »Ältere« in der Beziehung sei. Die sanfte Klarheit, mit der Jürgen Fuchs seine Beobachtungen mitteilte, entrückte ihn schon zu Lebzeiten seiner Umgebung.

Gerade dies setzte ihn aber auch zeitlebens heftigen Angriffen aus. Nicht nur der Stasi, die ihn bis nach West-Berlin verfolgte und jahrelang mit dem ganzen widerlichen Arsenal sogenannter »Zersetzungsmaßnahmen« überzog, sondern auch derjenigen Zeitgenossen, für die jedes Problem »zwei Seiten« hat, die die »Zwischentöne« vermißten und auf die Jürgen Fuchs’ »Eindeutigkeit« altmodisch und pathetisch wirkte. Sie wollten seine bohrenden Fragen nicht hören, von denen sie meinten, daß sie einer geradezu krankhaften Fixierung auf seine einstigen Gegner entsprangen.

Dieser Vorwurf wurde vor allem laut, nachdem er in seinem letzten Buch Magdalena (1998) seine Spurensuche nach den Stasi-Machenschaften in den Fluren der Gauck Behörde zum Thema machte. Ähnlich den früheren Büchern, schildert Fuchs darin leise und unaufdringlich seine Beobachtungen, wie ein deutsches »Amt« das Erbe der Diktatur verwaltet. Er berichtet von behördlichen Hierarchien, Formularen. Vorschriften und übernommenen Stasi-Mitarbeitern - und problematisiert damit zugleich das seit Kafka virulente Thema der Verlorenheit des einzelnen in der modernen Bürokratie. Wie Wolfgang Koeppen und andere Schriftsteller dieses Jahrhunderts montierte er in den Roman die Selbstzeugnisse seiner Zeit, vor allem die sich selbst entlarvenden Dokumente der Stasi, die als literarische Stilmittel die untergegangene Diktatur wieder auferstehen lassen und von der bohrenden »tak-tak-tak« der Schritte auf den Fluren gebrochen werden.

Dieses Buch wie überhaupt die Unbeirrbarkeit des Jürgen Fuchs erschien manchen als Zumutung und wurde von den großen Feuilletons nicht goutiert. Dabei sprach er nur Dinge aus, die jedem unvoreingenommenen Beobachter ebenso ins Auge fallen müssen und die nach dem Zusammenbruch einer Diktatur durchaus auf die Tagesordnung gehören. Weil die Gesellschaft ihren Frieden mit der Vergangenheit schließen wollte, erschien Jürgen Fuchs als Störenfried, dessen wahre Bedeutung erst spätere Generationen erkennen werden.

Vielleicht war es diese Situation, die viele dazu veranlaßte, Jürgen Fuchs wenigstens im Tode demonstrativ zu ehren. Als er am 15. Mai auf dem Berliner Heidefriedhof beigesetzt wurde, waren mehr als 400 Verwandte, Freunde, Schriftsteller und Bürgerrechtler gekommen, um sich mit Blumen, Kränzen und persönlichen Ansprachen von ihm zu verabschieden.

Schockiert waren sie besonders von seinem frühen Tod, der, wie der einst in der DDR inhaftierte Pfarrer Matthias Storck bei der Trauerfeier sagte, »nicht gottgewollt« war. Jürgen Fuchs starb im Alter von 48 Jahren an einer seltenen Form von Blutkrebs. Seit dem Ausbruch der Krankheit hegte er den Verdacht, daß sie womöglich vom Staatssicherheitsdienst der DDR ausgelöst worden war, um den unbelehrbaren und gefährlichen Kritiker auf unsichtbare Weise zu beseitigen. Der Verdacht wurde dadurch bestärkt, daß auch andere Regimekritiker wie Rudolf Bahro oder Gerulf Pannach in jüngster Zeit an Krebs starben. Hinzu kamen Indizien wie der merkwürdige Fund einer »Röntgenkanone« im Fotoraum der Untersuchungs­haftanstalt in Gera oder Aufzeichnungen der Staatssicherheit, wie man Menschen durch radioaktive Verstrahlung unbemerkt zu Tode bringen kann.

 

Jürgen Fuchs hat sich bei diesem Thema in der Öffentlichkeit immer größte Zurückhaltung auferlegt; erst nach seinem Tod erschien ein Interview, in dem er offen über seine Beobachtungen und Befürchtungen spricht. Er wußte, daß man ihm auch diesen ungeheuerlichen Verdacht als »Beweis« einer Traumatisierung auslegen würde, obwohl bereits in der Wendezeit entsprechende Strafanzeigen erstattet worden waren. Erst durch seinen Tod hat jetzt die Staatsanwaltschaft der Frage nachzugehen, ob Jürgen Fuchs’ tödliche Krankheit menschengemacht war.

(Hubertus Knabe)

Mit besonderem Dank an den Autor und an das Deutschlandarchiv, in dem obiger Beitrag zuerst erschienen ist.

 

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