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Die dünne Akte

 

 

 

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Dies ist ein Bericht, es geht um Akten, ein Ministerium, eine Behörde und allerlei Menschen, ihr Tun und Lassen, ihr Zögern und Zappeln, das Wort Ja kommt vor und das Wort Nein.

Peinlich, aber wahr: der Berichterstatter wollte sich drücken. Zuerst viel Recherche, Papierberge und Notizen, er tappte herum im Verbrechen und im Wechsel der Zeiten. Der Berg hat ihn fast erdrückt. Der Einzelne erschien als Wicht, Kopien breiteten sich aus, Hemmschwellen wurden installiert. Der aktuelle Augenblick zeigte seinen Größenwahn: Ich ich ich.

Schon der gestrige Tag hat vielleicht gar nicht existiert. Erinnerung ist Krankheit, Empfindsamkeit Pathologie. Wichtig sind Organisation, Ordnung, Effizienz, Abwicklung, Aufbau, Umbau, Aufarbeitung, Schulung, Dienstdurchführung, Auswertung ... Sie haben schon alles aufgeschrieben, sieh nur ihre Archive, Fabrikhallen voller Vorgänge ...

Als ich in den «Vernehmungsprotokollen» das Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen schilderte, die Zellen, die Verhöre, die leisen Methoden der Quälerei von Gefangenen, das Widerstehen und die Augenblicke der Schwäche, des Zusammenbruchs, des Wieder-hoch-Rappelns, hatte ich kein einziges Dokument «von ihnen». Keinen Aktenschnipsel, nur das eigene Erleben, nur die nackte, antastbare Erinnerung.

Jetzt triumphiert das Besserwissen. Unschuldsmienen sitzen in Talkrunden und «reden mal darüber», bezeichnen sich als Insider und Sachverständige, veröffentlichen Rezepte, wollen die letzten Beweise sehen, tragen Gesetzbücher unter dem Arm, juristische Kommentare und Grundbucheintragungen ...

Was denn? Was war denn, es wurden Fehler gemacht wie überall, aber ansonsten ... So viele Mitläufer, Funktionäre und verspitzelte Schreibtischtäter kommen selten zusammen auf so wenigen Quadratkilometern.

Ein halber Sieg ist einzugestehen und eine neue Niederlage. Das sich fortsetzende Kapitulieren vor vernichteten Akten und vergebenen Registriernummern, das Wegtauchen der Täter, das Versacken der Vergangenheit und der Fakten in einem merkwürdigen Macht- und Meinungsmorast. Der Häftling Nummer «Zwo» aus Hohenschönhausen – bei der Stasi werden aus Namen Zahlen – und die Frauen aus der «Strafvollzugsanstalt» Hoheneck sind schon wieder die angeschissenen kaputten Störenfriede, die wohl nur mehr Entschädigung herausschinden wollen aus ihrer Knastzeit.

Die alte Nomenklatura trauert nach und gründet neu, noch eine Firma, noch eine Kneipe, noch ein Menschen­rechtsverein, noch eine Rentenberatung, noch ein Leserbrief ans «Neue Deutschland» und die «Frankfurter Rundschau» ... Inoffizielle Mitarbeiter, Operative Vorgänge und Maßnahmepläne? Konspiration? Nie gehört! Keine Ahnung! Davon haben wir gar nichts gewußt!

Diese Unwissenheit nach den vielen Diktaturjahren ... Ein Wiederholungseffekt? Haben wir uns geirrt? War die Diktatur nur eine Erfindung irgendwelcher Opfer, die nichts beweisen können? Die Mauer eine Attrappe? Die Stasi ein Organ der Rechtspflege? Gulag-Opfer? Was ist mit den Verkehrstoten, den Verhungerten in der Dritten Welt?

Freche Rechnungen und Vergleiche werden aufgemacht. Sie sind bekannt, und doch klingen sie frisch, auftrumpfend. Der Gefangene zuckt zusammen, sie haben wieder Oberwasser ...

Und dann die Rücksichten: das Erreichte nicht madig machen, Beifall von der falschen Seite vermeiden. Es gibt auch Pflichten und Schweigepflichten, Loyalität ist ein wichtiges Wort. Wollen Sie Joachim Gauck in den Rücken fallen? Das nicht.

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Aber ich will auch keine Rücksichten nehmen. Ich will frei sein und beschreiben, was ich erlebt habe. Ich kann mir keine neue Leine um den Hals knoten. Falls ich das hier veröffentlichen sollte, werde ich weder das «Büro für Urheberrechte» noch das «Büro der Behördenleitung» vorab informieren. Sie informierten mich auch nicht über ihre Dienstschreiben und Abstimmungen mit dem Innenministerium in Bonn am Rhein.

Dr. Geiger, der Gauck-«Vertreter», wurde Geheimdienstmitarbeiter und sagte vorher kein einziges Wort darüber. «Ich bin Datenschützer», «ich bin Anwalt der bespitzelten und zersetzten Opfer» — der hohe Ton eines klugen, geschickten Juristen und Karrieristen.

Worauf soll ich Rücksicht nehmen? Auf die Familie, auf mich?

Ein Druck ist da, Bangigkeit. Bei Veröffentlichung kann ich mir vorstellen, was «behördenintern» abläuft: Der Abteilungsleiter von «BF» bekommt einen Anruf «von drüben», aus der Glinkastraße, dem Hauptgebäude. Er zitiert sofort seinen Stellvertreter her, sie schließen die Türe zum Vorzimmer. Der Stellvertreter befragt anschließend mit spitzem Mündchen — «ich bin eigentlich Wissenschaftler» — mehrere Referenten und zwei denkbare Vertraute des mutmaßlichen Verfassers. Nichts. Das Manuskript ist unbekannt und «liegt im Hause nicht ein». Was soll schon drinstehen, sagt Dr. Suckut aus Mannheim, jetzt Berlin am Molkenmarkt, an der Stasifront, zu Dr. Henke, seinem Vorgänger, der aus München kam, vom Zeitgeschichtlichen Institut. Seine Bauchschmerzen, vermutet Henke. 

Er ist ja ein Opfer, ein Betroffener und kein «Grüß-Gott-Historiker» aus Bayern, er hat alles selbst erlebt, ergänzt Suckut, leicht und prompt wird es ihm über die Lippen kommen: der Staatsfeind, der Oberdissident, so doll war seine Zersetzungs­analyse in der Info-Reihe der Behörde nun auch wieder nicht, er wird sich wohl etwas aufgespart haben, wer weiß, wohin die vielen Kopien ge-

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gangen sind, jedes Mal konnte der Pförtner nicht kontrollieren ... Er hatte einen Vertrag, da stehen Bedingungen und Pflichten drin, holt Suckut aus seinem amtlichen Gedächtnis. Plus Honorar, sagt Dr. Henke. Plus Honorar, echot Suckut, gut, so viel war es nicht, Geld ist nicht der Punkt, aber solche Leute, das haben wir immer gesagt, lassen sich einfach nicht einbinden. Beide wollen sich in Zukunft auf dem Laufenden halten.

Suckut eilt den Gang hinunter und verschwindet im Zimmer des Abteilungsleiters, der er, dienend und bescheiden, nunmehr selbst ist. Vikar Auerbach, in der Abteilung für die Aufdeckung von Internierungsplänen zuständig, steht am Fenster seines kleinen Zimmers, raucht und lacht. Dr. Suckut legt eine rote Mappe an, auf Blatt eins die erste Eintragung: «betr. sog. <Bericht> - Anruf von BBL. Habe Mitarbeiter befragt, auch ehem. AL, ohne Ergebnis. BF war nicht informiert, AU und AR fragen? Rechtl. Schritte?» Datum, Unterschrift.

Der geneigte Leser benötigt Aufklärung über Abkürzungen und Begriffe? Schon nach den ersten Zeilen stellen sich also Irritationen ein ... Diese hängen einem zum Hals heraus, nicht wahr? In Büros und Hinterzimmern kann das vorkommen, aber hier? Pfui! Oder wie Enzensberger neulich genervt fragte: Soll ich etwa eine neue Sprache lernen?

Ja. Aber es ist fast die alte Sprache.

«BBL» ist das Büro der Behördenleitung, Dr. Suckut ist «AL», Abteilungsleiter, ein ziemlich hoher Posten, ihm nachgeordnet einige Referatsleiter, dann die Arbeitsgruppenleiter, dann die sonstigen Beschäftigten, fest oder auf Zeit, die meisten auf Zeit, vielerlei Abstufungen ...

Und was «BF» heißt? «Bildung und Forschung zum Zwecke der politischen und historischen Aufarbeitung», das klingt doch enorm. Hinter den beiden Buchstaben «AU» verbirgt sich Auskunft und Akteneinsicht. «AR» ist das Archiv.

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Weitere Abkürzungen und ausgewählte spezifische Begriffe bei Victor Klemperer und in der Broschüre «Abkürzungsverzeichnis» des «Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheits­dienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik» nachlesen: links oben der schwarze, krallige Adler, wider Erwarten klein gehalten, so daß er von weitem fast wie ein präparierter Käfer aussieht. Knapp über der Mitte der Broschüre ein durchgezogener roter Strich, nicht dick, nicht dünn, ein Schlußstrich für die grauen Linien, die als fahle, schnurgerade Furchen die untere Hälfte der Umschlagblätter solcher Veröffentlichungen zieren und einen rechteckigen, kleinen Raum lassen für Titel und Unterzeilen.

Brodskij fand in den sowjetischen Amtsstuben den blauen Strich an der Wand, «der gnadenlos durchs ganze Land lief wie ein unendlicher gemeinsamer Nenner». Hierzulande wird schwarz, rot und gelb bevorzugt.

Mitarbeiter der Gauckbehörde wurde ich, um einiges herauszufinden und das Archiv in Berlin von innen zu sehen. Biermann und Sarah Kirsch drängten mich, sie selbst hätten dazu weder Zeit noch Nerven. Ich sollte die Sauereien herausfinden, was Zersetzung, was Liquidierung von feindlich-negativen Personenzusammenschlüssen wirklich bedeutet hat. Und wer IM «Hölderlin» ist. Und ob Sascha Anderson lügt oder nicht. Auch einige Tote schwammen neben uns, man konnte sie wegdrücken, aber sie kamen immer wieder hoch. Katjas Schwester Eva, Lilos Mutter, Matthias Domaschk, Peter Beitlich ... Ich dachte auch an Häftlinge, die sie mißhandelt hatten und die nichts beweisen konnten.

Ende einundneunzig, im Dezember, lud uns Gauck in sein großes Zimmer im zweiten Stock in die Behrenstraße ein, Vorzimmer, versteht sich, Sekretärin, Kaffeemaschinengeruch, zuckrige Plätzchen. Jochen Schädlich war dabei, Sarah Kirsch, Katja Havemann, Ulrich Schacht, Bärbel Bohley. Gauck sprach freundlich wie immer, fast ein wenig übertrieben, fast ein ganz klein wenig schwülstig würdigte er die Verdienste der anwesenden Damen und Herren.

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Beim Namen Sarah Kirsch schmolz seine Stimme wie Himbeereis auf der warmen Heizung. Die Erwähnte nickte artig und senkte das Haupt, was sollte sie machen. Aber kein schlechter Kerl, flüsterte Biermann mir zu, eben Kirche, er soll die Akten öffnen und dich reinlassen.

Die Akten, soweit noch vorhanden, sind offen, flüsterte ich zurück, aber was das Gesetz will, das wird sich zeigen. Einsichtsrechte für alle oder zunehmender Verwaltungszirkus und ein Ausbremsen der Bürgerkomitees ...

Als ich von einer Arbeitsgruppe sprach, weil es allein nicht zu schaffen sei, zusammengesetzt aus guten Leuten, die durchblicken, Besetzern der ersten Stunde aus Gera, Erfurt, Suhl, vielleicht noch mit dem DDR-Experten Karl Wilhelm Fricke, der selbst in Haft saß, mit Reiner Kunze, Lutz Rathenow, nickte der künftige Bundesbeauftragte und verwies auf Vorschriften und Paragraphen eines «Stasi-Unterlagen-Gesetzes», großes S, kleines t, «StUG» ... Er wolle das mit Dr. Geiger besprechen. Reiner Kunze als Lyriker habe womöglich andere Prioritäten und wohne außerdem in Oberbayern. Gera, Erfurt und Suhl seien wichtig, aber man möchte keine Provinzfürstentümer. Wie bitte, fragte ich. Mit mir wolle er einen Termin machen. Die Runde nickte. So hat es angefangen.

Nach längerem Hin und Her bekomme ich Monate später einen grünen Ausweis mit Paßbild: den Dienstausweis. Ich soll mich in der Normannenstraße in Haus 6 bei Dr. Rolle melden, dem «Referatsleiter AU II.4». Als ich den graumelierten, schlanken Dr. Rolle und kurz darauf die MfS-Offiziere Bäcker und Hopfer als Mitarbeiter der «Spezialrecherche» der allerneuesten Behörde der Bundesrepublik Deutschland in ihren renovierten Dienstzimmern sitzen sehe, weiß ich, daß nun wieder ein fast aussichtsloser Tanz begonnen hat in amtlichen, geheimen Räumen.

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Noch sieht es nach Sieg aus: Der Rekrut, der Häftling, der schriftstellernde Dissident betritt ihren Innenhof der Macht, zeigt einen Ausweis vor und hat Vollmachten und Möglichkeiten, wie es scheint ... Als ich Hopfers nervöses Lächeln bemerke, das leicht Krampfige in den eher sportlichen Bewegungen, seinen Griff zur Zigarette, und hinter Bäckers Brille diesen harten, verwüsteten, umgänglichen Blick, melden sich alte Gefühle.

Ich habe keine Schwierigkeiten, mit Ihnen zu sprechen, höre ich mich sagen. Welchen Dienstgrad hatten Sie? Oberstleutnant, sagt Bäcker. Und Sie sind der Einzelkämpfer, fragt er. Was habe ich ihm geantwortet? Das Gedächtnis des Einzelkämpfers läßt nach. In der Haft, in der Not, in der Niederlage frißt sich alles ein, jeder Ölsockel, jedes miese Grün oder Grau, jedes Grinsen, auch jedes eigene Wort und das Gestammel dazu ... Aber danach, nach der «Wende», in der neuen Zeit? Beim Dialog mit kooperations­bereiten ehemaligen Offizieren?

Ich wohne im Neubaublock gegenüber, sagt Bäcker. Ich auch, sagt Hopfer, zwei Minuten zur Arbeit...

Was ist mit dir, denke ich, hast du Angst vor ihnen?

Und das wollen wir Ihnen gleich sagen, teilt Bäcker mit, wir haben keinen Befehl, diese Tätigkeit hier auszuführen, wir haben ständig Ärger mit bestimmten Kreisen ehemaliger Mitarbeiter. Ach so, sage ich. Wer ist Ihr Vorgesetzter, fragt Bäcker, Dr. Rolle? Ich nicke. Vielleicht sind Sie meine Vorgesetzten, sage ich. Aber aber, Bäcker und Hopfer lachen ihr Lachen.

Es ist recht leicht, mit ihnen zu plaudern und zu lachen. Unsere Feinde verlassen die Hölle, und wir betreten sie. Berater bleiben zurück und begrüßen uns.

 

 

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DIE GRAU-STUMPFEN HÄUSERWÄNDE der alten Mielke-Zentrale haben ihre abweisend-herrische Geducktheit und Kraft behalten. Dazu die vielen kleinen äugenden Fenster der sich hoch hinauf reckenden Etagen des HVA-Baus, Plattenbauweise ... Was willst du hier? Markus Wolf treffen oder einen Vernehmer von damals, heute Rechtsanwalt, Finanzberater, Immobilienhändler, Abteilungsleiter im Arbeitsamt?

Auf dem Flachdach ihres Hochhauses an der Ecke Frankfurter Allee/Ruschestraße rotiert langsam der neu installierte «Mond», gut sichtbar bis zum Frankfurter Tor hinunter, bis zu den vietnamesischen Zigarettenhändlern, den Obstständen und Kebab-Buden: «DR» ist zu lesen, Deutsche Reichsbahn, dann «DB», Deutsche Bahn ... Nur ein Buchstabe muß geändert werden! Deutsche Beamte wollt ihr sein und bleiben, Deutsche Wärter, Deutsche Dienstgrade, Deutsche Vorgesetzte und Vorzimmerdamen ... Korrekt gekleidet, gesichert und anerkannt vom jeweiligen Staat, ihm zu treuen Diensten, brav und scharf oder milde, wenn die Zeiten so sind ... Is was ? Nee! Immer noch nich! Nie ... Was soll die Fragerei... Wir sind Menschen, und das sind unsere Arbeitsstellen, damals so, heute so, wir sind anpassungsfähig ... Im Sektor Technik gibt es Werkstätten und neue Firmen, auch im Bereich Gastronomie und Tagungswesen, da herrscht Organisation, Ordnung und Sauberkeit, das wird nach wie vor gebraucht, wir sind nicht aus Dummsdorf. Das Archiv wird von Dilettanten und einigen Fanatikern oder Spinnern durcheinander gebracht, wir nehmen das zur Kenntnis und tun unser Möglichstes. Die Zahl der Inoffiziellen Mitarbeiter war beträchtlich, gut, jetzt werden sie gesellschaftlich geächtet, was wir bedauern und eigentlich verhindern wollten. Andererseits zeigt sich, daß dieses Ministerium breit im Volk verankert war. Das will man jetzt noch nicht wahrhaben, aber die Bekämpfung der politischen Opposition war nur ein Arbeitsfeld neben vielen anderen. Soll alles falsch gewesen sein?

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Das schnappst du auf, hörst ihren Ton, erkennst ihren Sound, siehst die bewachten Türen, die neuen blauen Uniformen, man grüßt, erklärt den Weg ... Haus 6? Im hinteren Objektbereich, wie ein Altberliner Wohnhaus sieht es aus, Hinterhof Magdalenenstraße ... Ein Lächeln, ein Zucken in den Augenwinkeln. Sie sind noch da und im Dienst, sie wohnen hier, leben hier, wo sollen sie auch hin, es sind viele ... Essen in der großen Kantine, im Speiseraum, die Frauen an den Kassen sind Ehefrauen, der Küchenmanager war vielleicht Feldwebel oder Leutnant, er scherzt mit dem Personal, trägt ein Bärtchen, gut ausrasiertes Haar, braungebrannt ... So schlecht geht es nicht ... Sparda-Bank, Rusche-Apotheke, Bücherladen, Gysi, Karl-Eduard Schnitzler und Lothar de Maiziere neben dem Schäuble-Buch. Was ist denn? 

Der Paternoster ist nicht mehr da, wie werden sie ihn genannt haben, Personenbeförderungsvorrichtung? Statt dessen ein geräumiger Fahrstuhl. Eine zierliche Frau mit Brille, in Jeans und Pullover neben einem schwer atmenden Mann in Jogginganzug und mit zuständig-beleidigter Betroffenen- und Opfermiene. Er drückt das gewünschte Stockwerk und sagt zu ihr: Neuer Fahrstuhl wäre auch nicht nötig gewesen ... Sie nickt, die beiden steigen aus, Gewichtheber und Frau verschwinden langsam im neu eingerichteten Lebensmittelsupermarkt. Im Zeitschriftenladen neben dem Eingang alte erfahrene Genossen, man kann nachfragen, sie geben leise Antwort, wenn man dazugehört. BILD-Zeitung, ND und Super-Illu, Lotto, Kataloge und Werbung ... Am Ecktisch im Speisesaal Wanderer, ein ganzer Wanderverein, wer kann etwas gegen einen Wanderverein haben? Wache, rüstige Rentner bei einer Dienstbesprechung unter veränderten Lagebedingungen, wir sagen, was wir denken, was denken denn Sie? Warten-wirs-ab ... Das-werden-wir-noch-sehen!

Was willst du hier? Sie sind viele, irgendwie stärker nach wie vor. Du stellst dein Auto auf ihre Parkplätze. Du erkennst sie, und sie erkennen dich. Du bist einer von denen, die gefährlich waren und es vielleicht noch sind, jedenfalls ein wenig.

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Verwahrraum 117, 333, 332, 306, 307, erinnert ihr euch? Wer hatte denn die Verantwortung? «In einem gewissen Sinn gibt es für die Verantwortung überhaupt keine Vergangenheit», sagt Emmanuel Levinas. Wer das ist? Später. Wenn noch Zeit ist.

 

DR. ROLLE, WAS HABEN SIE VORHER GEMACHT? Ich war in der Akademie, Akademie der Wissenschaften, von dort kenne ich auch Klaus Richter aus dem anderen Referat, er war ja vorher Geschäftsführer bei Bündnis 90, stimmt doch? Richtig informiert? Neue Begriffe ... Wir waren Kollegen in der Akademie ... Warum fragen Sie, sind Sie mißtrauisch? Mißtrauisch ist nicht das richtige Wort, sage ich.

Frau Schüler, meine Stellvertreterin, war in einem Verlag, sagt Rolle, wir lebten halt hier, jeder bewohnte seine Nische. Möchten Sie einen Kaffee, fragt er, schwarz? Mit Milch ... In der Behrenstraße, als die «Akteneinsicht» begann im Januar, habe ich Sie schon einmal gesehen, erinnern Sie sich?

Wir haben uns gestritten, sage ich. War das Streit, fragt Rolle. Ja, sage ich, mir war das sofort zu bürokratisch, «Anträge», «Registriernummern», «Wachpersonal»: Kisten auf... ich wollte keine neue Geheimniskrämerei... es standen ja diese großen Blechkisten herum mit Akten von hier, vorgelesen, vorsortiert... Sie schüttelten den Kopf, hatten ein Täschchen unter dem Arm ... «es hat wenig Sinn das alles», so ist meine Erinnerung ... Wirklich, fragt Rolle und fügt hinzu, daß andererseits minimal geordnete Verhältnisse schon sein müßten.

Die Konspiration muß weg, erwidere ich, wir sind schon wieder zugeriegelte Spezialisten in einem Versteck. So, fragt Rolle, sehen Sie das so kraß? Die Räume in Haus 6 sind dunkel, zugegeben, da drüben das Gefängnis, Magdalenenstraße ... stimmt doch? Ja, sage ich. Waren Sie dort inhaftiert? Nur teilweise ... wenn «Sprecher» war und meine Frau kam oder der Rechtsanwalt ... in einem kleinen Lieferwagen, in einem Schließfach,

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wurde ich mit Handschellen aus Hohenschönhausen hergebracht, es ist nicht sehr weit ... schon eine merkwürdige Gegend hier.

Und was wollen Sie genau untersuchen, fragt Rolle. OVs ... und ZOVs ... Zersetzung, aktive Maßnahmen, Kooperation der Abteilungen XX und HVA beziehungsweise mit den Abteilungen XV der Bezirksverwaltungen des M/S, es wurde ja viel vernichtet... Interessant, sagt Rolle, die Abkürzungen beherrschen Sie ... Er lächelt fein. Ich war in den Bürgerkomitees zur Stasiauflösung in Thüringen, habe mich ein wenig eingearbeitet, sage ich. Und wem arbeiten Sie zu, fragt er. Hat Ihnen die Behördenleitung nichts übermittelt ? Wenig, sagt er. Wem arbeite ich zu ... das ist die Frage, sage ich, wem arbeite ich zu ... behördlich ist es «BF», dann der Behördenleitung ... Dr. Geiger ... Gauck hat mir grünes Licht gegeben ... Haben Sie eine Registriernummer, fragt er. Ist beantragt, sage ich, wenn ich mich nicht einigermaßen frei bewegen kann, ist es sinnlos. Ohne Karteirecherche und Zugang zu dem ungeordneten Material geht es nicht, das dauert sonst Jahre ... Natürlich, erwidert Rolle. Haben Sie einen Sonderrechercheausweis? Nein, sage ich, wer hat denn den? Wieder Rolles Lächeln: Na die Richter-Truppe, Stephan Wolf, Bäcker, Hopfer ... Er nennt Namen ... Und Sie machen ZM-«Bescheide», frage ich. Ja, sagt Rolle, dieses ganze Referat ... Ministerien, öffentlicher Dienst, Überprüfungen ... ich zeige Ihnen Ihr Zimmer, wir haben den Kopierer rausgeräumt, er kann auch woanders stehen.

Wir gehen über den dunklen, schmalen Gang. Das Zimmer im ersten Stock ist wie ein Küchenhandtuch, fast enger als eine Einzelzelle. Vor den Fenstern im Erdgeschoß Gitter. An der Decke Neonbeleuchtung, ein Schreibtisch, ein Stuhl, zwei trostlose Reiseprospekte an der Wand. Bißchen eng, sagt Rolle. Macht nichts, ist meine Antwort. Büromaterial wird Ihnen gebracht, Frau Schüler, Sie haben ihr vorhin beim Raus-

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gehen die Hand gegeben, wird sich um Sie kümmern ... Übersichtsmaterial bringen, Richtlinien, die Anleitung für Rechercheure, die vorläufige ... Danke, sage ich. Bis gleich, sagt Rolle. In der Tür dreht er sich noch einmal um: Ach so, im Nebenraum ist noch jemand vom Verwaltungsamt, ein Herr Kramer, Sie werden ihm bestimmt über den Weg laufen ... Verwaltungsamt, frage ich. Rolle grinst und schließt behutsam die Tür.

Ich ersticke, muß sofort raus hier! Rolle, der freundlich und halblaut, beinahe unsicher redet, läßt nicht den Vorgesetzten heraushängen; aber er ist gepanzert mit Wohlverhalten und Toleranz.

Was ist ein «Verwaltungsamt»? Bund? Länderebene? Geheimdienst? Der Dissident setzt sich auf den harten Drehstuhl seiner Vorgänger, auf den Schleudersitz eines mickrigen Hinterhausbüros in der Zentrale, horcht auf Schritte im Flur, das Klappern der Absätze auf der schmalen Treppe. Nebenan ein Herr Kramer. Du bist in der Falle, denke ich, aber du wolltest ja her, hast dich bequatschen lassen von Wolf und Sarah, die währenddessen Lieder und Gedichte schreiben, hast Gauck gesprochen, bist hier gelandet. Jetzt hast du deine Arbeitsgruppe, jetzt kannst du alle Schweinereien herausfinden oder selber mitmachen! Welche Schweinereien denn? Die Heimlichtuerei zum Beispiel. Der Schriftsteller in der Falle der Schweigepflicht. An der Leine von Dr. Geiger, Dr. Henke, Dr. Suckut, Dr. Rolle und mit einer grauen Maus aus München oder Köln im Nachbarzimmer.

 

DIENSTBEGINN ist am fünfzehnten April zweiundneunzig. Acht Uhr bei einem Herrn Kuhnke melden in der Glinkastraße, im Hauptgebäude der Behörde, bei «ZV». Zivilverteidigung? Falsch! «Zentrale Verwaltung»! Steht nicht im «Abkürzungs­verzeichnis» für DDR- und Stasibegriffe, ein neuer Begriff, eine neue Abkürzung, das Gebäude hingegen ehrwürdig und

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alt, die Wilhelmstraße nicht weit, Verwaltungen hat es hier schon immer gegeben, Ministerien, Ämter, Beamte, hohe Flure, breite, geschwungene Treppenaufgänge, Portale und bewachte Tore zum Hof, Regelwerke, Telefonverzeichnisse, hier die Poststelle, dort die Anmeldung, Aktenkarren bewegen sich auf gebohnerten Gängen, die Nummerierung der Zimmer geht so herum oder so? Zunehmend? Abnehmend? Abnehmend, dreistellig. Leise ist es hier, kühl.

Herr Kuhnke ist ein Bürschchen mit dunklen, schlauen Augen, wendig, formal-freundlich, dunkle Haare, unscheinbar-elegante Brille. Sie wollen länger bleiben, fragt er. Ein Jahr, sage ich, erst einmal ein Jahr, so ist es abgesprochen ... Das schon, sagt er, aber Herr Beleites zum Beispiel ist nach vierzehn Tagen nicht mehr erschienen, hat sich abgemeldet, das schon, abgemeldet hat er sich, Sie kennen ihn? Ja, sage ich, er hat im Dezember neunundachtzig in Gera die Besetzung der Bezirksverwaltung mitorganisiert, mutiger Mann, hat die angefeindete «Pechblende» über Uranabbau im Erzgebirge geschrieben ... Aufsätze veröffentlicht... 

Das schon, sagt Herr Kuhnke, aber mit einer Behörde hatte er wohl seine Probleme ... Kennen Sie Frau Dr. Schwarzenberger? Nein, sage ich, nicht persönlich. Kuhnke feixt, er ahnt, daß ich die Klagegesänge des kurzzeitigen Mitarbeiters, Bürgerrechtlers und Stasiauflösers B. über eine Frau Dr. S. gehört habe ... Dissertationsthema ... irgend etwas über den Gütertransitverkehr durch die DDR ins NSW... oder war es die promovierte Militärhistorikerin ... oder die Dame aus der Kaderabteilung der Mitropa ... einiges ging durcheinander... Die schrieb angepaßte akademische Arbeiten, hatte ich gehört ... mein Bruder hat extra in der Deutschen Bücherei nachgesehen, mich ließen sie nicht mal Abitur machen, so B. im Zorn ... dumm, feige und hinterhältig ... ich sollte Anträge sortieren ... solche wie sie kommandieren uns jetzt rum, stell dir das vor... die Kader sind unsere Vorgesetzten

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in Fragen der Stasiauflösung ... Beleites hatte mich zu Hause besucht, er war fassungslos ... zu denen schicken sie uns ... Geiger lächelte, zeigte Verständnis, B. hatte ihn sofort angerufen, sie trafen sich in der Stadt, nicht in der Behörde, er zeigte Verständnis ... Die neue Strategie, fragte mich B., ich wollte hier in Berlin mit dir zusammenarbeiten ... aber unter diesen Umständen ... das halte ich nicht aus, nicht mit diesen Leuten ... Wollen sie uns etwa verarschen, neutralisieren ... Wir tranken Tee, Michael Beleites aß zwei Äpfel aus biologischem Anbau, die Eltern seiner Freundin haben eine Gärtnerei in der Nähe von Dresden ... Ich konnte ihm nicht helfen ... Kuhnke sieht mich prüfend und amüsiert an, ich weiche ihm aus.

Länger als vierzehn Tage werde ich schon bleiben, sage ich. Das ist Ihre Entscheidung, Kuhnke erhebt sich rasch, Sie haben das hier nicht nötig, finanziell, meine ich, im Thema selber stehen Sie ja drin, siehe «Spiegelserie» ... Kuhnke lauert. Das schon, sage ich, aber man lernt nie aus ... und möchte auch nützlich sein für andere. Alles Gute für Ihre Tätigkeit, Kuhnke gibt mir rasch die Hand: Formal sind Sie bei BF angebunden, Dr. Knabe, glaube ich, die Referatsleiterstellen sind noch nicht ganz klar ... Wieder Kuhnkes fixes, wissendes Lächeln. Vielen Dank, sage ich, und Sie sind für Neueinstellungen zuständig? Auch das, antwortet er, aber es gibt selbstverständlich Vorgesetzte ... warum? Ich kenne einige Bewerbungen, sage ich, gute Leute, die erhielten nicht mal eine Bestätigung, daß ihre Unterlagen eingetroffen sind ... Es gibt viele Bewerbungen, sagt Kuhnke mit einem versonnenen, distanzierten Gesichtsausdruck, Verzögerungen im Schriftverkehr können vorkommen, wir sind noch immer in der Aufbauphase, dafür bitte ich ganz herzlich auch um Ihr Verständnis ...

Herr Kuhnke von «ZV» will, daß ich verschwinde. Sie bevorzugen Pflegeleichte, frage ich. Nun, wie soll ich sagen, damit keine Mißverständnisse entstehen und morgen wieder die-

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ses und jenes in der Zeitung steht... ich meine Sie nicht persönlich, Herr ... aber über die Schweige­verpflichtung wurden Sie belehrt, ja? Kuhnke wartet. Ja, sage ich. Menschen wie Herr Beleites haben sicher viele Verdienste, redet er. Ich gehe, Kuhnke läßt die Tür seines Büros offen, vielleicht sieht er mir nach. Vielleicht auch nicht. Kuhnke hat meine Frage beantwortet. Er gibt mir drei Tage oder drei Wochen. Auf der Straße schwöre ich, nicht aufzugeben.

 

ALS ICH IM HANDTUCHZIMMER SITZE und auf den Hof hinaussehe, auf die gestapelten, ausrangierten Lada-Autoreifen, auf die einzelnen Leute, die das Gebäude verlassen oder betreten, grüne oder rote Behördenmappen unterm Arm oder mit prall gefüllten Einkaufstüten, frage ich mich, ob die Gardine durchsichtig ist, ob sie mich sehen können ...

Wie ich starre und leer bin, ausgeleert, angeschissen, ganz und gar dabei, mich zu verlieren. Die Gitter unten werden sie abmontieren, es gibt Fenster, die völlig zivil aussehen und dennoch «sicher» sind. Die farbigen Behördenmappen werden in Kürze die Hauspost transportieren, in speziellen Behältern, dann ist auch das geregelt. In deinem Rücken, hinter dem dämmrigen Gang, direkt vor den Zimmer von Rolle und Frau Schüler, das Gefängnis. Gut, es handelt sich halt um ein Gefängnis. Aber nach einer gewissen Zeit, Umbauten müssen selbstverständlich vorgenommen werden, kann man schon überlegen, ob eine Weiternutzung nicht sinnvoll ist... Solche Reden hörst du. Geiger spricht, Uwe Wesel, dann ein Senatsangestellter, vielleicht auch Diepgen, der immer bereit scheint, die passenden Beschwichtigungen von sich zu geben. Die Bürgerrechtler? O ja, die Bürgerrechtler, natürlich, wichtig, ganz, ganz wichtig, ihre Stimme zu hören, die Verdienste zu würdigen! Große, hohle Reden ... Was kann die Bundesrepublik mit diesen seltsamen Bürgerkomitees anfangen? Gar nichts.

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Diese Leute muß man freundlich, aber bestimmt in rechtsstaatliche Bahnen lenken. Das Unternehmen Stasi, alle Beteiligten Inbegriffen, gehört auf Sand gesetzt... Welches Gesicht dazu auftaucht beim Sitzen im Zimmerchen? Das von Geiger. Schäuble gesellt sich dazu und Bahr. Auch Gauck, langsam gesellt sich auch Gauck dazu. An einem bestimmten Punkt ist er weich. Und dem gehobenen Parkett nicht abgeneigt...

Ein Plakat bringst du mit von Wolf Biermann, hängst es an die Wand. Dazu das kleine Radio, Musik hören und Nachrichten. Den Tag einteilen, die Woche. Das Leise, Stille hier überwinden. Das Dienende, Buckelnde, Eifrige, Erfüllende ... das «Sachliche», Verwaltungs­technische, Weiter­funktionierende ... Niemand hilft, aber du hilfst dir. Vielleicht finden sich noch Verbündete. Es gibt immer Überraschungen, solche und solche. Aufgeben kann jeder ... Die Knaststimme gibt ihre Befehle, im Ton stets ein wenig ironisch. Als ob es mir zu gut geht. Ich habe das schmale Zimmer mit einer Zelle verglichen, das scheint sie geärgert zu haben.

Frau Schüler bringt Richtlinien und «Merkblätter». Besser ein Zimmer als kein Zimmer. Sie werden Akten bestellen, fragt Frau Schüler, die eher wie eine Lehrerin oder stellvertretende Direktorin einer Betriebs­berufsschule aussieht, nett, gepflegt, wissend und resolut. Ich nicke. Dann benötigen Sie einen Stahlschrank, ich werde Bescheid sagen ... im übrigen bin ich Ihre Ansprech­partnerin, wenn Sie Fragen haben. Ich soll Ihnen beibringen, wie ein IM-Bescheid zustande kommt, Recherche, Auswertung, worauf zu achten ist... Sie haben Vorkenntnisse, fragt sie. Einige schon, sage ich. Und Sie waren Lektorin? Dr. Rolle hat angedeutet... Ja, sagt sie, Belletristik, Sachbücher.

Ich fragte nicht nach dem Verlag, vielleicht habe ich ihn auch überhört... Bohre nicht in Biografien, die Zimmertüren sind geschlossen und ein Staat ist zusammengebrochen, man braucht Stahlschränke und bewachte Pforten ...

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Gewöhnen Sie sich erst mal ein, sagt sie, leider habe ich noch nichts von Ihnen gelesen. Gehört allerdings umso mehr, auch im Fernsehen. Ja, sage ich. Der bekannte leere, verlegene Punkt ist erreicht. Danke für die Unterlagen, sage ich.

Sie hat einen energischen Gang und trägt braune Absatzschuhe. Auf den Holzdielen des Flurs werde ich sie gleich erkennen. Wie gut das Ohr des Häftlings noch funktioniert ... Einige Wärter schlichen sich an, Frau Schüler wird sich nicht anschleichen, sie wird ankommen, tak tak, klopfen und die Klinke drücken. Schnell wird sie wissen, was wichtig ist und wie man einen behandelt, der mit einem neuen Dienstausweis in besagtem Handtuch­zimmer Platz genommen hat, was er darf und was nicht, was er will, und was er kann.

Dr. Rolle hört sie gut zu, dem Neuankömmling auch, man muß die Zwischentöne sondieren: Nein, ich komme nicht aus einem Bürger­komitee, ja, ich habe einen Arbeitsplatz gesucht, gewiß, jede Tätigkeit muß korrekt erledigt werden, natürlich, wer unter ganz normalen Verhältnissen in der DDR lebte, hat mein Verständnis, wir wollen doch nicht übertreiben, stimmt, mich bewegen vielleicht andere Motive als Sie ... Habe ich es einigermaßen getroffen, Frau Schüler? Ist er überheblich, fragen Sie sich, unsereiner saß nicht im Knast, sind das Minuspunkte heutzutage? Andererseits hat Dr. Rolle einen Anruf von oben erhalten, eine gewisse Aufmerksamkeit wäre angezeigt, naja, die Helden ... richtig, Frau Schüler? Und was folgt daraus?

Frau Schüler geht draußen vorbei, tak tak, in ein anderes Zimmer.

Hoch vom Drehstuhl, nicht «simpelieren», das ist Vogtländisch, wie kriegst du hier was raus? Erkunden, acht Tage Zeit, dann ein Vorschlag zur Güte. Nicht einschlafen, depressiv werden kannst du zu Hause ... ein innerer Dialog, leicht belustigt ...

Und Rolle? Ich weiß nicht. Dr. Rolle, Dr. Geiger, Dr. Henke

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