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8 - Die Toten ausgraben  (Flannery-2005)

Wir gehen über die Erde, wir passen auf, wie der Regenbogen oben.
Aber etwas ist da unten, unter dem Boden.
Wir kennen es nicht. Du kennst es nicht. Was willst du tun?

Wenn du es berührst, bewirkst du vielleicht einen Wirbelsturm, 
heftigen Regen oder eine Flut. Nicht bloß hier,
du könntest jemanden an einem anderen Ort töten. 
Du tötest ihn vielleicht in einem anderen Land. 
Ihn kannst du nicht berühren.

Big Bill Neidjie, Gagadju Man, 2001 

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Australiens Aborigines leben mit dem Land, und sie sehen die Welt mit anderen Augen. Statt so etwas wie Bergbau, das Wetter und die Biodiversität isoliert zu betrachten, sehen sie das Gesamtbild. Big Bill Neidjie war ein wahrhaft weiser Alter, der in seiner Jugend das Stammesleben im intimen Kontakt mit dem Land kennen lernte. Wenn er uns von den Auswirkungen des Bergbaus in seinem Kakadu-Land erzählt, spricht er nicht von den Gruben, den Halden und der vergifteten Erde. Mit nur einer Hand voll Worten beschreibt er einen Zusammenhang, der sich von der Störung der ewigen Traumzeit der Ahnen bis zur Katastrophe für ungeborene Generationen erstreckt. Die Aufforderung, die er an uns richtet — »Was willst du tun?« —, ist beunruhigend, denn indem wir die Erde profanisiert und »berührt« haben, was darunter liegt, haben wir ihm die Antwort schon gegeben.

Mein Heimatland - Bills Heimatland - ist von Gruben aller Art gründlich durchlöchert, aus seinem Boden wird mehr Kohle geholt und nach Übersee verschifft als sonst wo auf dem Planeten. Weil in einem Teil von Big Bills Land, der reich an Mythen und Traditionen ist, Uranminen angelegt wurden, dachte er vermutlich eher an Uran als an Kohle, als er sein Gedicht verfasste. Aber intuitiv hat er dabei die verborgenen Zusammenhänge zwischen Bergbau, Klimawandel und menschlichem Wohlergehen erfasst, zu denen sich die Wissenschaftler hintasten, die den Treibhauseffekt zu verstehen versuchen. Bills Frage ist noch offen, denn wir haben noch immer die Chance, unsere Zukunft zu bestimmen. Aber erst müssen wir noch mehr über die Geschichte, die Natur und die Macht jenes schwarzen Steins, der Kohle, und seines glitschigen Alliierten, des Öls, in Erfahrung bringen.

Fossile Brennstoffe - Öl, Kohle und Gas - sind Überreste von Organismen, die vor vielen Millionen Jahren der Atmosphäre Kohlenstoff entzogen. Wenn wir Holz verbrennen, setzen wir Kohlenstoff frei, der dem atmo­sphärischen Kreislauf vor ein paar Jahrzehnten entnommen wurde; wenn wir aber fossile Energieträger verbrennen, setzen wir Kohlenstoff frei, der dem Kreislauf seit Äonen entzogen war. Derart die Toten auszugraben ist für die Lebenden eine besonders üble Angelegenheit.

Im Jahr 2002 beförderte das Verheizen fossiler Brennstoffe insgesamt 21 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre. Dazu trug Kohle 41 Prozent bei, Öl 39 Prozent und Gas 20 Prozent.65 Diese Zahlen spiegeln jedoch nicht die verheizten Tonnagen wider, denn einige Brennstoffe enthalten mehr Kohlenstoff als andere. Die bei ihrer Verbrennung freigesetzte Energie resultiert aus Kohlenstoff und Wasserstoff. Weil der Kohlenstoff zum Klimawandel führt, bedroht ein Brennstoff, der kohlenstoffhaltiger ist, die Zukunft der Menschheit noch stärker. Abgesehen von Verunreinigungen, von denen manche (etwa Schwefel und Quecksilber) potente Schadstoffe sind, besteht beste schwarze Kohle fast aus nichts als Kohlenstoff. Verbrennt man eine Tonne davon, produziert man 3,7 Tonnen CO2. Auf Erdöl basierende Brennstoffe sind weniger kohlenstoffreich, sie haben zwei Wasserstoffatome pro Kohlenstoffatom. 

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Weil Wasserstoff ein Energielieferant ist, der bei der Verbrennung mehr Hitze produziert als Kohlenstoff (und dabei nur Wasser zurücklässt), setzt die Verbrennung von Öl pro Einheit weniger CO2 frei als die von Kohle. Der fossile Energieträger mit dem geringsten Kohlenstoffgehalt ist Methangas, bei dem nur ein Kohlenstoffatom auf vier Wasserstoffatome kommt. Diese Energielieferanten stellen insgesamt so etwas wie eine Stufenleiter weg vom Kohlenstoff als dem Treibstoff unserer Wirtschaft dar.

Die Effizienz, mit der Energie per Verbrennung gewonnen wird, ist ebenfalls ein wichtiger Faktor für die Bestimmung, wie viel CO2 produziert wird. Selbst mit den fortschrittlichsten Verfahren (und die meisten mit Kohle betriebenen Kraftwerke kommen diesem Wert bei weitem nicht nahe) verursacht die Verbrennung von Anthrazit zur Stromerzeugung 67 Prozent mehr CO2-Emissionen als die von Methan, und Braunkohle (die jünger und feuchter ist und mehr Verunreinigungen aufweist) produziert sogar 130 Prozent mehr.66 Im Hinblick auf den Klimawandel liegen also Welten zwischen Gas und Kohle als treibende Kraft unserer Wirtschaft.

 

Kohle ist derjenige Energieträger, der auf unserem Planeten am weitesten verbreitet und am häufigsten ist. Die Kohleindustrie bezeichnet sie oft als »vergrabenen Sonnenschein«, und in gewisser Hinsicht ist das eine akkurate Umschreibung, denn bei Kohlen handelt es sich um die fossilisierten Überreste von Pflanzen, die vor Millionen Jahren in Sümpfen wuchsen. Auf Borneo beispielsweise kann man die Anfangsphasen der Kohlebildung sehen. Dort stürzen riesige Bäume um und versinken im Morast, wo Sauerstoffmangel die weitere Verrottung verhindert. Immer mehr tote Vegetation häuft sich an, bis sich eine dicke Schicht durchnässten Pflanzenmaterials gebildet hat. Dann spülen Flüsse Sand und Schlick in den Sumpf, die die Vegetationsreste komprimieren und die Feuchtigkeit und andere Verunreinigungen hinausdrücken. Während der Sumpf immer tiefer in der Erde versinkt, verändern Wärme und Zeit die Chemie des Holzes, der Blätter und sonstiger organischer Materie. Zunächst wird der Torf zu Braunkohle und dann, nach Millionen Jahren, wird die Braunkohle zu Steinkohle. Unter weiterem Druck und weiterer Hitze kann diese, wenn noch mehr Unreinheiten entfernt werden, schließlich zu Anthrazit werden, und der edelste Anthrazit — in Form des Jett (Gagat) — ist ein Juwel, ein Stückchen reiner Kohlenstoff wie ein Diamant.

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Bestimmte Abschnitte der Erdgeschichte waren für die Kohlebildung günstiger als andere. Einer davon war das Eozän vor rund 50 Millionen Jahren. Damals bedeckten riesige Sümpfe Teile von Europa und Australien, und deren begrabene Überreste sind die Braunkohlelagerstätten, die man heute dort findet. Weil Braunkohle stark verunreinigt ist und oft so feucht, dass man schon einen Teil davon verbrennen muss, um allein den anderen Teil zu trocknen, der in den Ofen kommt, ist sie der umweltschädlichste aller fossilen Energieträger. Sie wirft auch für den Handel nicht genügend Profit ab: Sollen Kohlen ihre Transport­kosten wieder einspielen, kommen nur Steinkohle oder Anthrazit infrage. Die Vegetation, die zu Anthrazit wurde, wuchs größtenteils vor 360 bis 290 Millionen Jahren, im Karbon. Benannt ist die Formation nach den unermesslichen Kohlelagerstätten, die damals in weiten Teilen der Welt angelegt wurden (carbo ist Lateinisch für Kohle), und die Welt des Karbons unterschied sich sehr von heutigen Feuchtgebieten.

Könnte man mit einem Kahn durch die Sümpfe jener längst vergangenen Ära stochern, würde man statt Sumpfzypressen und Ähnlichem gigantische Verwandte von Bärlapp und anderen Lycopodien sehen und noch viel merkwürdigere, längst ausgestorbene Pflanzen. Die schuppigen, säulenartigen Stämme des Lepidodendron wuchsen in dichten Wäldern, jeder hatte zwei Meter Durchmesser und ragte 45 Meter in die Höhe. Erst weit oben an der Spitze verzweigten sie sich, und dort trugen ein paar kurze unregelmäßige Auswüchse meterlange grasartige Blätter. An anderen Orten wuchs die zapfenförmige Sigillaria, eine sechs Meter hohe, sich gabelnde Pflanze, während gigantische Schachtelhalme und Samenfarne den Rest der baumähnlichen Flora ausmachten.67)

In jenen fernen Zeiten gab es keine Reptilien, Säugetiere oder Vögel. Stattdessen wimmelte es in der feucht-schwülen Vegetation vor Insekten und ihresgleichen. Die Atmosphäre war sauerstoffreich, weshalb Kreaturen mit ineffizientem Atemapparat zu unglaublicher Größe heranwachsen konnten. Tausendfüßler wurden zwei Meter lang, und Spinnen erreichten einen Meter Durchmesser. 30 Zentimeter lange Kakerlaken teilten sich das Grün mit Libellen, deren Spannweite einen Meter erreichte, während im Wasser darunter Amphibien von Krokodilgröße mit riesigen Köpfen, breiten Mäulern und wachsamen Augen lauerten. Indem wir uns die vergrabenen Schätze dieser fremden Welt aneigneten, befreiten wir uns von den Grenzen, die eine gegenwärtige biologische Produktion setzt.

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Der Weg in eine von fossilen Brennstoffen abhängige Zukunft begann in England zur Zeit von Edward I. auch wenn sich seine Untertanen nur zögernd vom angenehmen Duft des Brennholzes verabschiedeten, das jahrhundertelang ihre Herde befeuert hatte. Auch der König selbst fand den Geruch von Kohle so abstoßend, dass er 1306 ihre Verbrennung in seinem Königreich verbot und Gesetzesübertretern mit »hohen Geld- und Sachstrafen« drohte. Es gibt Berichte, dass Kohleverbrenner sogar gefoltert, aufgehängt oder enthauptet wurden (die Quellen sind sich nicht einig, welche dieser Strafen zur Anwendung kamen - möglicherweise alle drei). Aber Englands Wälder waren langsam erschöpft, und während der Preis für Holz immer weiter stieg, wurden die Engländer zu den ersten Europäern, die in großem Umfang Kohle verheizten. Jahrhundertelang war der Handel mit dem stinkenden Zeug ein Monopol des Bischofs von Durham und des Priors von Tynemouth, deren Arbeiter es aus Flözen holten, die entlang des Tyne zutage traten.

Zu jener Zeit hatten die Menschen keine Ahnung, was Kohle war. Viele Bergleute glaubten, es sei eine lebendige, unter der Erde wachsende Substanz und nichts könne ihre Vermehrung so beschleunigen wie fleißiges Düngen mit Mist. Möglicherweise lösten die in London ankommenden Schiffe voller fäkalem Kohlenstoff König Edwards Ekel vor dem Zeug aus, wahrscheinlicher aber ist, dass die Gleichsetzung von Kohle mit Krankheiten — oder sogar mit dem Teufel selbst — den Bann bewirkte, denn der »schwarze Fels« war den Engländern höchst verdächtig. Der bei der Verbrennung entstehende Schwefelgestank erinnerte sie unangenehm an die Qualen in den Höllengefilden, die, wie sie wussten, unter ihren Füßen lagen. Den meisten Schrecken erregte aber die Gleichsetzung mit Krankheiten. Das lateinische Wort carbunculus (»kleine Kohle«) gab auch der Eiterbeule ihren Namen; und die entsetzlichsten Symptome der Pest — Bubonen genannte schwarze Lymphknotenschwellungen — sahen aus, als bestünden sie aus Kohlestücken.

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Trotz dieser wenig aussichtsreichen Anfänge sollte Kohle über 600 Jahre die englischen Haushalte wärmen, beleuchten und ernähren, und um das Jahr 1700 wurden schon 1700 Tonnen pro Tag in der City von London verbrannt. Und überall in England gewannen Fabriken ihre Antriebskraft aus Kohle. Die Nachfrage war so groß, dass bald eine Energiekrise drohte. Englands Bergwerke waren so weit in die Tiefe getrieben worden, dass sie sich mit Wasser füllten, und wenn man keine Möglichkeit finden würde, dieses herauszupumpen, müsste die Nation sich anderswo nach Brennstoff umsehen.

 

Thomas Newcomen, ein kleinstädtischer Eisenhändler, entdeckte, wie man das vielleicht bewerkstelligen konnte. Sein Apparat verbrannte Kohle und erzeugte damit Wasserdampf, der dann kondensiert wurde, sodass ein Vakuum entstand, das einen Kolben in Bewegung setzte, der das Wasser hochpumpte. Die erste Newcomen-Maschine wurde 1712 in einem Bergwerk in Staffordshire installiert. 50 Jahre später arbeiteten Hunderte davon in Bergwerken im ganzen Land, und die englische Kohleförderung war auf sechs Millionen Tonnen pro Jahr gestiegen.

Der geniale James Watt verbesserte Newcomens Konstruktion und schuf mit Hilfe seines fähigen Geschäftspartners Matthew Boulton einen Markt für eine neue, bessere Dampfmaschine. Boulton hegte niemals Zweifel am enormen Potenzial dieser Unternehmung. Als George III. ihn fragte, womit er seinen Lebensunterhalt verdiene, antwortete er: »Eure Majestät, ich beschäftige mich mit der Produktion einer Ware, nach der es Könige verlangt.« Als der König wissen wollte, was er damit meine, sagte Boulton einfach: »Macht, Eure Majestät.«68)

1784 baute Watts Partner und Freund William Murdoch die erste mobile Dampfmaschine, womit die Kohle zum Treibstoff geworden war, und von diesem Augenblick an war klar, dass das kommende Jahrhundert — das 19. — dasjenige der Kohle sein würde. Kein anderer Brennstoff kam ihr gleich bei der Bandbreite der Verwendungsmöglichkeiten — vom Kochen über das Heizen zu industriellen Zwecken bis hin zum Transport und Verkehr. 

Als Thomas Edison 1882 in Manhattan das erste Elektrizitätskraftwerk der Welt eröffnete, wurde das Leistungsspektrum der Kohle um die Stromerzeugung erweitert, und heute ist diese das letzte Refugium des üblen Energielieferanten.

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Obwohl Öl und Gas dem Imperium der Kohle arg zugesetzt haben, wird heute mehr Kohle verbrannt als je zuvor. Der Bau von 249 neuen Kohlekraftwerken weltweit ist für die Jahre 1999 bis 2009 geplant, fast die Hälfte davon soll in China stehen. Weitere 483 werden in dem Jahrzehnt bis 2019 folgen, und noch einmal 710 zwischen 2020 und 2030. Rund ein Drittel davon wollen die Chinesen bauen, und alle zusammen werden 710 Gigawatt (710000 Megawatt) Strom erzeugen.63) Die durchschnittliche Lebensdauer von Kohlekraftwerken liegt bei 50 Jahren, und das von ihnen produzierte CO2 wird nach ihrer Stilllegung noch jahrhundertelang den Planeten aufheizen.

 

Wenn das 19. Jahrhundert das der Kohle war, so wurde das 20. zu dem des Öls. Faktisch lässt sich die Morgendämmerung des Kohlenwasser­stoffzeitalters auf den 10. Januar 1901 festlegen, als das Jahrhundert noch keine zwei Wochen alt war.70 An jenem Tag bohrte Al Hamill auf einem kleinen Hügel namens Spindietop bei Beaumont in Texas nach Öl. Über 300 Meter war er schon in den Sandstein unter sich vorgedrungen, und um 10.30 Uhr am Vormittag wollte er, zermürbt durch seinen Misserfolg, gerade alles hinschmeißen, als etwas geschah: »Mit einem ohrenbetäubenden Dröhnen und einem ungeheuren, heulenden Röhren schossen dicke Wolken von Methangas aus dem Loch. Dann kam die Flüssigkeit, wie eine Säule, 15 Zentimeter im Durchmesser. Zig Meter schoss sie in den Winterhimmel hoch, ehe sie als schwarzer Regen wieder zur Erde fiel.«71 

Die erste planvolle Bohrung nach Öl war zwar schon 40 Jahre zuvor in Pennsylvania niedergebracht worden, aber die Entdeckung von Öl in so tiefen Schichten war etwas Neues. Doch als sich das Bohren immer weiter verbreitete und man immer tiefer bohrte, wurden solche Fördermengen zur Normalität, und schnell verdrängte das Öl die Kohle beim Transport und bei der Hausheizung. Das Problem mit Öl ist nur, dass es viel weniger davon gibt als Kohle sowie seine Lagerstätten ungleichmäßiger verteilt und schwerer zu finden sind.

 

Erdöl ist das Produkt von Lebewesen in uralten Ozeanen und Flussmündungen. Hauptsächlich setzt es sich aus Überresten von Plankton zusammen — besonders den Einzellern, die man im Phytoplankton findet.72 Die meisten Ölvorkommen der Welt, glaubt man, hatten ihren Ursprung in tiefen, ruhigen, sauerstoffarmen Ozeanbecken in Gegenden, in denen Vertikalströmungen kaltes, nährstoffreiches Wasser vom Grund zur sonnen­beschienenen Oberfläche transportierten.73

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Das reichliche Nahrungsangebot ließ das Phytoplankton in ungeheuren Mengen »blühen«, und wenn die winzigen Lebewesen abstarben, sanken ihre Überreste in die sauerstofffreien Tiefen, wo ihre organische Materie sich ansammelte, ohne von Bakterien aufgezehrt zu werden. Unsere Ozeane sind riesig — sie bedecken mehr als doppelt so viel Fläche wie das Land —, warum schwimmt die Welt dann nicht buchstäblich in Öl ? Wahrscheinlich liegt das daran, dass die Ozeankruste ständig recycelt wird und Öl ein glitschiger Stoff ist, der, solange nicht irgendetwas das verhindert, in aller Regel aus dem Felsen herausgepresst wird und sich auflöst.

Der biologische Prozess zur Ölherstellung ist so präzise wie ein Rezept für ein Souffle. Zunächst müssen die Sedimente, die die Überreste des Phytoplanktons enthalten, begraben und von anderen Felsen komprimiert werden. Dann müssen die genau richtigen Bedingungen herrschen, damit die organische Materie aus den ursprünglichen Formationen hinausgedrückt wird und durch Risse und Spalten in eine geeignete Lagerschicht gelangt. Diese Schicht muss porös sein, darüber muss es aber eine Lage feinkörnigen, undurchlässigen Gesteins geben, die stark genug ist, um dem Druck standzuhalten, der das Öl und das Gas in die Luft über Spindietop hochschießen ließ, und dick genug, um ein Entkommen auf andere Weise unmöglich zu machen. 

Darüber hinaus müssen die Wachse und Fette, die die Ausgangsstoffe des Öls sind, Millionen Jahre lang bei 100 bis 135 °C »gekocht« werden. Liegen die Temperaturen jemals höher, bleibt nichts als Gas übrig, und anderenfalls gehen die Kohlenwasserstoffe völlig verloren. Da kein Koch die riesigen unterirdischen Öfen überwacht, in denen das Öl gebacken wird, ist die Entstehung von Öllagerstätten purer Zufall — die richtigen Felsen müssen auf die richtige Art und Weise die richtige Zeit lang gekocht werden, in der Regel in einer kuppelförmigen Struktur, in der eine »Schale« über porösem, ölhaltigen Gestein liegt und das Entkommen des Öls verhindert.

Das Herrscherhaus Saud, der Sultan von Katar und andere vermögende Fürstenhäuser des Nahen Ostens verdanken ihr gütiges Schicksal diesen geologischen Zufällen, denn die Verhältnisse in den Gesteinsschichten ihrer Region waren »genau richtig« gewesen, um ihnen Unmassen Öl zu bescheren. Ehe man es anzapfte, lagerte in einem einzigen saudi-arabischen Ölfeld, Ghawar, ein Siebtel der Ölvorräte des gesamten Planeten. 

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Und bis 1961 entdeckten die Gesellschaften der Welt jedes Jahr immer mehr Ölvorräte, viele davon im Nahen Osten. Seither hat sich das Tempo der Erschließungen verlangsamt, doch der Bedarf ist in die Höhe geschossen. Um 1995 herum verbrauchte die Menschheit im Durchschnitt 24 Milliarden Barrel Öl pro Jahr, neu entdeckt wurden aber durchschnittlich nur 9,6 Milliarden Barrel. Zahlen wie diese sind es, die viele Analysten zu der Überzeugung bringen, dass es mit dem billigen Öl vorbei ist, und da die Preise ständig über 40 US-Dollar pro Barrel liegen, stimmt der Markt ihnen vermehrt zu. Einige Analysten sagen sogar noch höhere Preise und für vielleicht schon 2010 eine Verknappung vorher, was heißt, dass etwas anderes gefunden werden muss, um die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts anzuheizen.

Dieses »etwas anderes«, glauben viele Industrievertreter, sei Erdgas, dessen Hauptbestandteil (rund 90 Prozent) Methan ist. Noch vor 30 Jahren lieferte Erdgas weltweit bloß 20 Prozent der fossilen Brennstoffe, Kohle hingegen 31 Prozent und Öl fast die Hälfte. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts jedoch hat Gas die Kohle überholt, und wenn die gegenwärtigen Trends anhalten, wird es bis 2025 auch Öl als wichtigsten Brennstoff der Welt überflügelt haben. Die nachgewiesenen Gasreserven reichen noch 50 Jahre. Nur von unserem dreckigsten Energielieferanten, der Kohle, gibt es noch mehr Vorräte. Also sieht es danach aus, dass das momentane Jahrhundert wahrscheinlich das des Erdgases wird. 

 

Zunächst aber wollen wir den Verbrauch fossiler Brennstoffe, seine zukünftigen Steigerungsraten und die Belastungen, die er bereits jetzt für den Planeten bedeutet, untersuchen.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Welt Heimat von kaum mehr als einer Milliarde Menschen, bei seinem Ende schon von sechs Milliarden, und jeder von diesen sechs Milliarden verbrauchte im Durchschnitt viermal so viel Energie wie seine Ahnen 100 Jahre zuvor. Das erklärt mit die Tatsache, dass sich das Verbrennen fossiler Energieträger in diesem Zeitraum versechzehnfacht hat.74

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Jeffrey Dukes von der University of Utah hat in einer Gleichung ausgedrückt, wie diese Menschen ihren Bedarf decken.75 Ausgehend von der Feststellung, dass aller Kohlen- und aller Wasserstoff in fossilen Brennstoffen mit Hilfe der Sonnenenergie von längst vergangenen Pflanzen eingesammelt wurde, berechnete er die Effizienz, mit der Pflanzenmaterie in Sedimenten eingelagert wurde, die Effizienz, mit der sie in fossile Brennstoffe umgewandelt wurde und die Effizienz, mit der wir diese Energieträger wieder hervorholen; und er kam zu dem Schluss, dass aus 100 Tonnen einstigen pflanzlichen Lebens gerade mal vier Liter Benzin werden.

Angesichts der ungeheuren Menge an Sonnenlicht, die für das Wachstum von 100 Tonnen pflanzlicher Materie nötig ist, und des ungeheuerlichen Tempos, mit dem wir Benzin, Kohle und Gas verbrauchen, sollte es Sie nicht überraschen, dass die Menschen in jedem Jahr unseres Industriezeitalters den Gegenwert von mehreren Jahrhunderten einstiger Sonnenenergie aufgezehrt haben, um ihre Wirtschaft am Laufen zu halten. Die Zahl für 1997 — rund 422 Jahre fossiler Sonnenenergie — war typisch. 422 Jahre strahlenden Sonnenscheins im Karbon — und wir haben das in einem einzigen Jahr verheizt.

Dukes' Analyse hat meine Weltsicht verändert. Wenn ich jetzt über Sydneys Sandstein-Gehsteige laufe, spüre ich die Energie längst vergangener Sonnenstrahlen an meinen nackten Füßen. Wenn ich mir das Gestein mit einer Lupe ansehe, kann ich die winzigen Körnchen erkennen, deren abgerundete Kanten meine Füße streicheln, und mir wird klar, dass jedes dieser zahllosen Milliarden Körnchen von Sonnenenergie geformt wurde, die vor über 300 Millionen Jahren Wasser aus einem Urozean holte, das dann als Regen auf eine entfernte Gebirgskette fiel. Stückchen um Stückchen zerbröckelte der Fels und wurde in Flüssen weitertransportiert, bis nur noch kleine runde Quarzkörnchen übrig waren. Eine millionmal mehr Energie muss dafür aufgewendet worden sein, all die Sandkörner zu erschaffen, als je in sämtliches Menschenwerk eingegangen ist. Von meinen Fußsohlen bis zu meinem von der Sonne erwärmten Kopf weiß ich instinktiv, unmittelbar aus dem Bauch heraus, was Dukes über das fossile Sonnenlicht sagt: Die Vergangenheit ist ein wahrhaft weites Land, dessen eingelagerte Reichtümer einfach sagenhaft sind, wenn man sie mit der mageren täglichen Ration Solarenergie vergleicht, die wir abbekommen.

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Mir wird dabei auch klar, dass es schwer werden wird, auf die Energie der verführerischen fossilen Brennstoffe zu verzichten. Würden sich die Menschen als Ersatz der Biomasse zuwenden (die Gesamtheit aller Lebewesen, in diesem Fall aber vor allem Pflanzen), müssten wir unsere gesamte primäre Produktion an Land um 50 Prozent steigern. Wir verbrauchen aber bereits jetzt 20 Prozent mehr, als der Planet nachhaltig liefern kann, also ist dies keine Alternative. Aus diesem Grund stellt Dukes' Berechnung unsere Gesellschaft vor ein ganz grundsätzliches Problem, dessen Tragweite wir nur dann verstehen können, wenn wir unsere Gesamtsituation auf dem Raumschiff Erde betrachten.

Im Jahr 1961 gab es noch Spielraum. In jener scheinbar fernen Zeit gab es nur drei Milliarden Menschen, und sie verbrauchten nur die Hälfte der Gesamt­ressourcen, die unser globales Ökosystem nachhaltig zur Verfügung stellen konnte. Gerade mal 25 Jahre später, 1986, waren wir am Scheideweg angekommen, denn in jenem Jahr überstieg die Gesamtbevölkerung fünf Milliarden, und unser kollektiver Ressourcenhunger war so groß, dass wir die gesamte nachhaltige Produktion der Erde aufbrauchten.

Faktisch war 1986 das Jahr, in dem die Menschheit die Tragkapazität der Erde erreicht hatte, und seitdem leben wir vom ökologischen Äquivalent eines Negativhaushalts, der nur deswegen noch funktioniert, weil wir unsere Kapitalbasis plündern.(76) Wir plündern in der Form von Überfischen, von Überweiden, bis nur noch Wüste bleibt, von Waldzerstörung und von der Verschmutzung unserer Ozeane und der Atmosphäre, was alles wiederum zu der großen Zahl von Umweltproblemen führt, mit denen wir konfrontiert sind. 

Letzten Endes jedoch ist das Umweltbudget das Einzige, was wirklich zählt.

Zwischen 1800 und 1980 produzierten die Menschen 244 Petajoule Energie (ein Petajoule entspricht 1 Billiarde — 10 hoch 15 — Joule). Solch ein hemmungsloser Energieverbrauch ist wirklich schockierend, aber man bedenke, dass in den zwei Jahrzehnten von 1980 bis 1999 Sie und ich und alle anderen Menschen 117 Petajoule produzierten — fast die Hälfte der Gesamtenergie der vorangegangenen 180 Jahre! 77

Bis zum Jahr 2001 ist das Defizit der Menschheit auf 20 Prozent angeschwollen, unsere Bevölkerung auf über sechs Milliarden. Wenn sich bis zum Jahr 2050 die Population bei rund neun Milliarden einpendelt — was man annimmt —, wird die Last der menschlichen Existenz so groß sein, dass wir die Ressourcen — wenn wir sie dann noch finden — von fast zwei Planeten Erde verbrauchen werden. Doch trotz all der Probleme, die wir haben werden, diese Ressourcen noch zu finden, sind unsere Abfälle — vor allem die Treibhausgase — der Faktor, der wirklich Grenzen setzt.

Seit dem Beginn der Industriellen Revolution ist es auf unserem Planeten zu einer globalen Erwärmung von 0,63 °C gekommen, und die Hauptursache dafür ist die Zunahme von atmosphärischem CO2 von rund drei Teilen pro 10.000 auf knapp vier. Diese Zunahme geht größtenteils auf die Verbrennung fossiler Energieträger in den letzten paar Jahrzehnten zurück, und neun der zehn je registrierten wärmsten Jahre erlebten wir nach 1990.78 Wie hat dieser Temperaturanstieg um den Bruchteil eines Grades das Leben auf der Erde beeinflusst?

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