Start    Weiter

Das langsame Erwachen

Einführung von Tim Flannery, 2005

 

21-29

Im Jahr 1981, als ich Mitte zwanzig war, bestieg ich den Mount Albert Edward, einen der höchsten Gipfel auf der saftig grünen Insel Neuguinea. Obwohl nur 120 Kilometer von Port Moresby, der Hauptstadt Papua-Neuguineas, entfernt, ist die Gegend um den Mount Albert Edward so unwegsam, dass hier seit einer Expedition des amerikanischen Museum of Natural History Anfang der dreißiger Jahre keine biologischen Forschungen von Belang mehr durchgeführt wurden.

Die bronzefarbenen Wiesen bildeten einen kräftigen Kontrast zum grünen Urwald weiter unten, und zwischen den Grasbüscheln wuchsen Grüppchen von Baumfarnen, deren filigrane Wedel sich über meinem Kopf wiegten. Fährten von Wallabys schlängelten sich vom Waldrand zu den Kräutern, die in feuchten Senken gediehen, und überall waren die Gänge und Bauten meterlanger Ratten und die Spuren von Langschnabeligeln zu sehen, die nach Würmern gesucht hatten. Viele dieser Tiere, entdeckte ich später, leben einzig und allein in diesen alpinen Regionen.

Ein Stück bergab endeten die büscheligen Wiesen abrupt an einem zwergwüchsigen, von Moos durchsetzten Wald. Mit einem einzigen Schritt war man aus dem Sonnenschein in das feuchte Dunkel getreten. Die bleistift­dünnen jungen Bäumchen am Rand waren so von Moosen, Flechten und hauchdünnen Farnen überwuchert, dass sie zu Ballons von der Größe meines Taillenumfangs aufgebläht waren. Im verrottenden Laub auf dem Waldboden fand ich zu meiner Überraschung die Stämme abgestorbener Baumfarne. Baumfarne wachsen nur auf Wiesen, also war dies ein eindeutiger Beweis, dass sich der Wald von unten her den Berghang eroberte. Aus der Verteilung der Baumfarnstämme war zu schließen, dass der Wald mindestens 30 Meter Bergwiese in kürzerer Zeit verschlungen hatte, als ein Baumfarn auf dem feuchten Waldboden zum Verrotten braucht — ein oder höchstens zwei Jahrzehnte.

Warum dehnte sich der Wald aus? Als ich über den vermodernden Stämmen grübelte, fiel mir wieder ein, dass ich gelesen hatte, die Gletscher Neuguineas würden schmelzen. Waren die Temperaturen am Mount Albert Edward so stark gestiegen, dass Bäume auch da wachsen konnten, wo zuvor nur Gras Wurzeln geschlagen hatte? Und wenn ja, war dies ein Anzeichen für den Klimawandel? Ich hatte in Paläontologie promoviert, also wusste ich, wie wichtig Klimaveränderungen für das Schicksal der Arten gewesen sind.

Jetzt aber sah ich den ersten Beweis, dass Klimaveränderungen die Erde noch während meiner Lebensspanne treffen könnten. Das Erlebnis irritierte mich; ich wusste, dass etwas falsch war, aber nicht genau, was.

Obwohl ich gute Voraussetzungen mitbrachte, die Bedeutung dieser Beobachtungen zu begreifen, vergaß ich sie bald. Zum Teil lag das daran, dass mich im Rahmen meiner Forschungen über die verschiedenen alten Ökosysteme, die unsere Generation geerbt hat, scheinbar größere und dringendere Probleme beschäftigten. Und einige dieser Krisen schienen wirklich akut: Die Regenwälder, die ich untersuchte, wurden gerodet, um Bauholz und Ackerland zu bekommen, und die größeren Tierarten, die dort lebten, wurden bis zum Aussterben gejagt. In meiner Heimat Australien drohten die fruchtbarsten Böden zu versalzen, und zugleich gefährdeten Überweidung, die Degeneration der Wasserläufe und das Abholzen der Wälder kostbare Ökosysteme und die Biodiversität. Für mich waren das wahrhaftig drängende Probleme.

Ob wir eine Straße überqueren oder Rechnungen begleichen, die großen, schnellen Sachen sind es, die unsere Aufmerksamkeit erheischen. Aber scheinbar riesige Dinge erweisen sich manchmal als nebensächlich. Das »Jahr-2000-Problem« war ein Beispiel dafür. Überall auf der Welt gaben Regierungen und Firmen Milliarden aus, um sich gegen die »Gefahr« zu wappnen, während andere nichts taten; und dann machte das Jahr 1999 dem Jahr 2000 Platz, ohne dass es auch nur einen Schluckauf gab, geschweige denn eine Apokalypse.

Ein skeptischer Blick ist unser bestes Rüstzeug, wenn wir an diese Art von »Problem« herangehen. Und tief verwurzelter Skepsis kommt eine besonders wichtige Rolle in der Wissenschaft zu, denn eine Theorie ist nur so lange gültig, wie sie nicht widerlegt worden ist. De facto sind Wissenschaftler gelernte Skeptiker, und dieses ständige Hinterfragen der eigenen Arbeit und der anderer könnte leicht den Eindruck erwecken, dass man immer einen Experten finden kann, der jede auch nur denkbare Ansicht vertritt.

22


Diese Skepsis ist zwar der Lebensnerv der Wissenschaft, kann aber auch von Nachteil sein, wenn eine Gesellschaft aufgerufen ist, reale Gefahren zu bekämpfen. Jahrzehntelang fanden sowohl die Tabak- als auch die Asbestindustrie Wissenschaftler, die bereit waren, öffentlich Zweifel an Erkenntnissen zu äußern, die ihre Produkte mit Krebs in Zusammenhang brachten. Ein Laie kann nicht wissen, ob die ihm präsentierte Sicht der Dinge eine Minderheiten­meinung oder die Überzeugung der Mehrheit ist, und so können wir den Eindruck bekommen, dass die Wissenschaft in solchen Fragen wirklich gespalten ist. Im Fall von Asbest und Tabak wurde die Situation noch verschlimmert, weil sich Krebs erst Jahre nach dem Kontakt mit karzinogenen Produkten zeigt und niemand mit Gewissheit sagen kann, wen von den vielen, die damit in Berührung kamen, es treffen wird. Indem sie Zweifel am Zusammen­hang zwischen ihren Produkten und Krebs schürten, erfreuten sich die Tabak- und Asbestfirmen jahrzehntelang fetter Profite, während Millionen Menschen einem schrecklichen Tod entgegengingen.

Und viele Menschen reagierten zu Recht mit Vorbehalten auf Berichte über den Klimawandel. Schließlich haben wir in der Vergangenheit so manches gründlich missverstanden.

Im 1972 veröffentlichten Bericht <Die Grenzen des Wachstums> stellte der Club of Rome fest, der Welt gingen die Ressourcen aus, und binnen Jahrzehnten würde es zur Katastrophe kommen. In einer Zeit exzessiven Konsums ergriff die Vorstellung eines Rohstoffmangels von der Phantasie der Öffentlichkeit Besitz, obwohl niemand mit irgendeiner Art von Gewissheit sagen konnte, in welchem Umfang noch Ressourcen in der Erde verborgen waren. 

Spätere geologische Untersuchungen haben gezeigt, wie weit unsere Schätzungen der Rohstoffvorräte damals daneben lagen, und selbst heute kann noch niemand genau sagen, wie viel Öl, Gold und andere Bodenschätze noch unter unseren Füßen schlummern.

Beim Klimawandel ist das anders. Er ist das Resultat von Luftverschmutzung, und die Größe unserer Atmo­sphäre und das Volumen der Schadstoffe, die wir hineinblasen, lassen sich mit großer Präzision angeben. Die gegenwärtige Debatte — und die Geschichte, die ich hier wiedergeben will — dreht sich um die Aus­wirkungen einiger dieser Schadstoffe (der so genannten Treibhausgase) auf das gesamte Leben auf der Erde.

23


In Hülle und Fülle präsentieren die Medien der Welt Beweise, die jede dieser Ansichten stützen. Nimmt man diese Medien genau unter die Lupe, wird eines klar: Es fällt den Menschen schwer, den Klimawandel leidenschaftslos einzuschätzen, weil er so weit reichende politische und wirtschaftliche Bedeutung hat und weil er auf genau die Prozesse zurückzuführen ist, die den Erfolg unserer Zivilisation ausmachen. Das heißt, wenn wir uns dieses Problems annehmen, wird es Gewinner und Verlierer geben. Die Einsätze sind hoch, und das hat dazu geführt, dass irreführende Geschichten immer weiter Verbreitung finden, weil Interessengruppen ihre Standpunkte verteidigen.

Zudem ist die Geschichte des Klimawandels verworren.  

Noch vor gut 30 Jahren waren sich die Experten völlig uneins, ob die Erde sich nun erwärme oder abkühle — sie konnten sich nicht entscheiden, ob die Zukunft im Kühl- oder im Treibhaus stattfinden würde. 1975 ließen dann die ersten ausgeklügelten Computermodelle darauf schließen, dass eine Verdopplung des Kohlendioxids (CO2) in der Atmosphäre zu einem globalen Temperaturanstieg von rund 3°C führen würde. Dennoch machten sich Wissenschaft wie Gesellschaft keine sonderlichen Sorgen. Es gab sogar vorübergehend Optimismus, als einige Forscher glaubten, dass zusätzliches CO2 in der Atmosphäre zu höheren Ernteerträgen führen und zu einer Goldgrube für die Bauern werden würde.

Doch bis 1988 waren Klimaforscher dann wegen des CO2 hinreichend beunruhigt, dass sie ein mit weltweit führenden Experten besetztes Gremium ins Leben riefen, das zweimal pro Jahrzehnt einen Bericht darüber vorlegen sollte. Der 2001 herausgegebene dritte Report klang ernstlich besorgt — und doch zeigten viele Regierungen und Industriebosse nur zögerlich Interesse. 

24


Weil die Sorge um das Klima etwas so Neues ist und so viele verschiedene Disziplinen herangezogen werden müssen, gibt es auf diesem Gebiet nur wenig wirkliche Experten, und noch viel weniger können in Worte fassen, was das Problem für die breite Öffentlichkeit bedeutet, und was wir deswegen unternehmen können.

Jahrelang habe ich dem Impuls widerstanden, meine Zeit der Erforschung des Klimawandels zu widmen. Ich war mit anderen Dingen beschäftigt, und ich wollte abwarten, denn ich hoffte, ein so großes Thema würde sich von selbst klären. Vielleicht hätte es noch Jahrhunderte Zeit, bis wir gründlich darüber nachdenken müssten. Doch 2001 wiesen Artikel in wissenschaftlichen Zeitschriften darauf hin, dass die alpinen Regionen der Welt ernsthaft bedroht sind. Als ich sie las, erinnerte ich mich wieder an die verrottenden Baumfarnstämme im Wald am Mount Albert Edward, und mir war klar, dass ich mehr wissen musste. Das hieß, ich musste herausfinden, was es mit den Treibhausgasen auf sich hat, wie unsere Atmosphäre strukturiert ist und wie die industrialisierte Welt ihren Wachstumsmotor antreibt.

 

Die letzten 10.000 Jahre lang war der Thermostat der Erde auf eine durchschnittliche Oberflächen­temperatur von rund 14°C eingestellt. Im Großen und Ganzen bekam das unserer Spezies blendend, und wir konnten uns auf höchst beeindruckende Weise organisieren — Getreide anpflanzen, Tiere zähmen und Städte bauen. Im Verlauf des letzten Jahrhunderts haben wir schließlich eine wahrhaft globale Zivilisation erschaffen. Angesichts des Umstandes, dass es in der gesamten Erdgeschichte einzig und allein Ameisen, Bienen und Termiten — die im Vergleich zu uns winzig sind und dementsprechend wenige Ressourcen brauchen — geschafft haben, sich in vergleichbarer Größenordnung zu organisieren, ist das eine ziemliche Leistung.

Der Thermostat der Erde ist ein komplexer und empfindlicher Mechanismus; seinen Kern bildet das Kohlen­dioxid, ein farb- und geruchloses Gas. Es spielt eine entscheidende Rolle dabei, die Balance aufrechtzuerhalten, die für alles Leben notwendig ist. Zugleich ist CO2 ein Abfallprodukt der fossilen Brenn­stoffe, die so gut wie alle Menschen auf unserem Planeten zum Heizen, zum Transport und zum Decken anderer Energiebedürfnisse verwenden. 

25


Auf unbelebten Planeten wie Venus oder Mars besteht die Atmosphäre zum größten Teil aus CO2, und bei uns wäre das genauso, wenn es Lebewesen und irdische Prozesse nicht in Schach hielten. Die Felsen und Gewässer unseres Planeten stecken voller Kohlenstoff, der nur darauf wartet, in die Luft zu gelangen und oxidiert zu werden. Derzeit liegt der CO2-Anteil in der irdischen Atmosphäre bei rund drei pro 10.000 Teile. Das ist eine bescheidene Menge, aber sie hat unverhältnismäßig großen Einfluss auf die Temperatur des Planeten. Weil wir jedes Mal, wenn wir Auto fahren, Essen kochen oder das Licht einschalten, CO2 produzieren und weil das Gas rund ein Jahrhundert in der Atmosphäre verbleibt, steigt der Anteil von CO2 in der Luft, die wir atmen, rapide an.

Die Institutionen an der vordersten Front der Klimaforschung liegen eine halbe Weltreise von meiner Heimatstadt Adelaide entfernt, und so flog ich eine Zeit lang häufig um den Globus. Eines Nachts, als wir auf dem Weg von Singapur nach London die große eurasische Landmasse überquerten, blickte ich aus dem Kabinenfenster und sah eine hell erleuchtete Stadt. Das Netz der Lichterketten erstreckte sich von Horizont zu Horizont, und die Lampen strahlten so hell — mit so viel Energie —, dass ich alarmiert war. Aus einer Höhe von 10.000 Metern wirkte die Atmosphäre so dünn und fragil — der atembare Teil davon fing erst 5000 Meter unter unserem Flugzeug an. Ich fragte die Stewardess, wo wir wären. Sie nannte mir eine Stadt, die ich nicht kannte. Schlagartig ging mir auf, dass die Welt voller solcher Städte ist, deren mit fossilen Brennstoffen betriebene Lichter den Nachthimmel über unserem Planeten strahlen lassen.

Im Verlauf des Jahres 2004 hatte sich mein Interesse in Angst verwandelt. Die führenden Wissenschafts­zeitschriften der Welt waren voller Berichte, dass die Gletscher zehnmal schneller schmolzen, als man zuvor erwartet hatte, dass die Treibhausgase in der Atmosphäre Werte erreicht hatten wie seit Millionen von Jahren nicht mehr und dass infolge des Klimawandels ganze Spezies verschwanden. Es gab auch Berichte über extreme Witterungsverläufe, nicht endende Dürreperioden und steigende Meeresspiegel.

26


Monatelang versuchte ich, in den neuen Forschungsergebnissen Fehler zu finden, und diskutierte sie des Langen und Breiten mit Freunden und Kollegen. Nur wenigen schien bewusst, welch große Veränderungen in unserer Atmosphäre in Gang waren. Und einige Menschen, die ich liebte und respektierte, taten weiterhin Dinge — etwa große Autos und Klimaanlagen kaufen —, die ich mittlerweile im Verdacht hatte, wirklich sehr schädlich zu sein.

Gegen Jahresende jedoch kamen Hoffnungsschimmer auf, als so gut wie jeder Regierungschef der entwickelten Welt sich des Themas annahm. Aber wir können nicht darauf warten, dass das Problem für uns gelöst wird. Vor allem müssen wir uns klarmachen, dass wir alle etwas ändern und mithelfen können, den Klimawandel zu bekämpfen, ohne dass dies sonderlich zu Lasten unserer Lebensweise geht. Und in dieser Hinsicht unterscheidet sich der Klimawandel grundlegend von anderen Umweltproblemen wie beispielsweise dem Verlust von Biodiversität oder dem Ozonloch.

Den verlässlichsten Erkenntnissen zufolge müssen wir unsere CO2-Emissionen bis 2050 um 70 Prozent reduzieren. Wenn Sie einen Geländewagen fahren und ihn durch ein Auto mit Hybridantrieb ersetzen, können Sie einen Schnitt in dieser Größenordnung in einem Tag und nicht erst in einem halben Jahrhundert bewerkstelligen. Wenn Ihr Stromversorger auch »grüne« Energie anbietet, können Sie zum Preis einer Tasse Kaffee pro Tag die Emissionen Ihres Haushalts gleichfalls deutlich reduzieren. Und wenn Sie einen Politiker wählen, der sich grundsätzlich der Reduktion von CO2-Emissionen verschrieben hat, können Sie vielleicht die Welt verändern. Wenn Sie allein so viel erreichen können, kann das auch jede andere Person und mit der Zeit auch jede Industrie und Regierung auf der Erde.

Der Übergang zu einer Wirtschaftsweise ohne Kohlendioxid-Emissionen ist problemlos zu schaffen, weil wir die gesamte dafür nötige Technik bereits haben. Nur Unwissen und der Pessimismus und die von Interessengruppen bewirkte Konfusion halten uns davon ab loszulegen.

Wenn ich mit Freunden, Familienangehörigen und Kollegen über den Klimawandel diskutiere, bekomme ich immer wieder zu hören, dies sei etwas, das die Menschheit vielleicht in Jahrzehnten betreffen werde, aber für uns keine unmittelbare Bedrohung darstelle. Ich bin mir alles andere als sicher, ob das stimmt, und ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob das von Belang ist. Wenn ernsthafte klimatische Veränderungen oder deren Auswirkungen in einigen Jahr­zehnten zu spüren sein werden, ist das nicht viel anders, als würden sie morgen passieren.

27/28


Wann immer aus einem gegebenen Anlass meine Familie zusammenkommt, wird mir der wahre Zeitmaßstab des Klimawandels gegenwärtig. Meine Mutter, die während der Weltwirtschaftskrise geboren wurde — als Motorfahrzeuge und elektrische Beleuchtung noch etwas Neues waren —, blüht regelrecht auf in der Gesellschaft ihrer Enkel, von denen einige noch keine zehn Jahre alt sind. Die Familie beisammen zu sehen heißt, ein Band tiefer Liebe zu sehen, das 150 Jahre umspannt, denn jene Enkel werden das gegenwärtige Alter meiner Mutter erst spät in diesem Jahrhundert erreichen.

Für mich, für meine Mutter und für ihre Eltern ist das Wohlergehen dieser Kinder in jeder Hinsicht so wichtig wie unser eigenes. In umfassenderem Maßstab betrachtet: 70 Prozent aller heute lebenden Menschen werden auch im Jahr 2050 noch am Leben sein, folglich betrifft der Klimawandel so gut wie jede Familie auf diesem Planeten. 

Ein letztes Thema, das in den Diskussionen immer wieder im Vordergrund steht, ist die Frage der Gewissheit.

Vier Staaten haben noch nicht das Kyoto-Protokoll unterschrieben, mit dem die CO2-Emissionen begrenzt werden sollen: die USA, Australien, Monaco und Liechtenstein. Präsident George W. Bush hat gesagt, er wolle »mehr Gewissheit«, bevor er wegen des Klimawandels aktiv wird; die Wissenschaft aber arbeitet mit Hypothesen, nicht mit Wahrheiten, und niemand kann die Zukunft mit absoluter Sicherheit vorhersehen. Doch hält uns dies nicht davon ab, Voraussagen zu machen und unser Verhalten darauf abzustellen. Wollten wir beispielsweise abwarten, ob eine Erkrankung sich wirklich als fatal erweist, dann würden wir nichts tun, bis wir tot sind. Stattdessen nehmen wir Medikamente oder folgen anderen Ratschlägen des Arztes trotz der Tatsache, dass wir vielleicht auch ohne sie überleben würden. 

Und auch bei profaneren Dingen bringt uns Ungewissheit kaum vom Kurs ab: Wir geben große Summen für die Ausbildung unserer Kinder aus, ohne dass es dabei eine Erfolgsgarantie gäbe, und wir kaufen Aktien ohne Gewinngarantie. Mit Ausnahme des Todes und der Steuern gibt es in unserer Welt einfach keine Gewissheiten, und trotzdem bewältigen wir unser Leben meistens auf höchst effiziente Weise. Ich kann nicht einsehen, warum unsere Reaktion auf den Klimawandel sich irgendwie davon unterscheiden sollte.

Eines der größten Hindernisse bei der Mobilisierung gegen den Klimawandel besteht darin, dass er zu einem Klischee geworden ist, noch ehe man ihn richtig verstanden hat. Was jetzt nötig ist, sind gute Informationen und gründliches Nachdenken, denn in den kommenden Jahren wird dieses Thema alle anderen in den Schatten stellen. Es wird zum einzigen Thema werden. 

Wir müssen mit aufrichtiger Skepsis alles erneut überprüfen — um zu erkennen, wie schnell sich der Klimawandel vollzieht und welche Ausmaße er haben wird —, damit wir bei unseren Anstrengungen und Mitteln die Prioritäten so setzen können, dass wirklich etwas dabei herauskommt.

Was nun folgt, basiert auf der Arbeit von Tausenden von Kollegen; so gut es mir möglich ist, umreiße ich die Geschichte des Klimawandels und frage, wie er sich im Verlauf des kommenden Jahrhunderts weiterentwickeln wird und was wir dagegen tun können.

Monat für Monat werden große wissenschaftliche Fortschritte gemacht, und daher ist dieses Buch notwendigerweise unvollständig. Das sollte jedoch nicht als Entschuldigung dafür herhalten, nichts zu tun. Wir wissen genug, um klug handeln zu können.  

29

#

 

www.detopia.de      ^^^^