Waldbrände als in Asien

Cardoso ist "Rekordhalter bei der Amazonasvernichtung" / Über neunzig Prozent illegal

von Farmern gelegt / Mitte-Rechts-Regierung untätig / Trittin schweigt wie immer

von Klaus Hart  / 2002

 

In Johannesburg lobte Brasiliens „sozialdemokratischer“ Staatschef Fernando Henrique Cardoso die eigene Umweltpolitik über den grünen Klee, fiel durch exzellente PR auf, erntete viel Lob – verschwieg indessen ein „brennendes“ Thema, wurde während der Gipfel-Farce natürlich auch von deutschen Delegierten nicht darauf angesprochen: Zuhause, vor allem in Amazonien stand zur selben Zeit Regenwald an zehntausenden Stellen lichterloh in Flammen. 

Schutzgebiete mit vom Aussterben bedrohen Tier- und Pflanzenarten sind auch dieses Jahr wieder stark betroffen. Deutschlands Kommerzmedien schreiben gewöhnlich, die verheerenden Urwaldfeuer seien eine  direkte Folge monatelanger extremer Trockenheit. Unsinn - die Umweltkatastrophe war auch dieses Jahr  durchweg hausgemacht. Denn die Trockenperiode zwischen Juni und September ist völlig normal, kommt jedes Jahr. Und wird seit Jahrhunderten vor allem von Großfarmern und Viehzüchtern genutzt, um durch  größtenteils völlig illegale Brandrodungen neues Acker- und Weideland zu gewinnen.

Im Jahre 1500 wurde das heutige Brasilien entdeckt - damals fackelte man zuerst die ausgedehnten Atlantikwälder ab, von denen heute gerade noch ganze drei Prozent stehen. Dann war das Hinterland dran – und schließlich Amazonien.  Agrarwissenschaftler  des Tropenlandes von der 24-fachen Größe Deutschlands argumentieren seit Jahrzehnten immer eindringlicher, daß die  archaische Methode der Brandrodungen, der Queimadas, nicht nur Natur, sondern auch die Bodenfruchtbarkeit zerstört. Die Humusschicht ist sehr dünn, wird zudem durch die heftigen Tropen-Regenfälle rasch abgetragen. „Bereits der erste Guß nach dem Feuer nimmt einen Großteil der Nährstoffe mit“, betont Paulo Torres Fenner, Queimada-Fachmann aus Sao Paulo. Nach etwa drei Jahren geben die neuen Flächen gewöhnlich nichts mehr her, sodaß erneut Amazonaswald abgefackelt wird. 

Das Feuer tötet die nützlichen Mikroorganismen des Bodens ab, ein Großteil der Nährstoffe verwandelt sich schlichtweg in Rauch, geht in die Atmosphäre. Wo es gebrannt hat, wird die Erde fester, weniger porös, kann nicht mehr soviel Regenwasser aufnehmen und speichern. Und außerdem: In jeder Brandrodungsperiode verbrennen unzählige Tiere qualvoll lebendig, wird der Lebensraum von Arten weiter eingeschränkt, werden sogar genetische Schäden verursacht, wie brasilianische und nordamerikanische Wissenschaftler feststellten.

Das Überleben auf nunmehr von Steppe oder Grasland umgebenen Waldinseln fördert zudem auch die Inzucht. Ergebnis: Bei verschiedenen Affenarten Amazoniens haben die Föten unnatürlich große Köpfe, was bei der Geburt den Tod der Mutter bewirkt. Junge kommen mit völlig deformiertem Gebiß zur Welt, können weder Milch saugen noch später Nüsse aufknacken, sterben also an Unterernährung. Auf Waldinseln begrenzte Affenpopulationen sterben gewöhnlich nach einer gewissen Frist aus. Primatenforscher nennen den Amazonasteilstaat Parà die herausragende Problemregion – dort wird im sogenannten Carajas-Projekt Gußeisen auch für den Export mittels Holzkohle produziert, was zum Abholzen gewaltiger Urwaldflächen führte.

Parà-Gouverneur Almir Gabriel, Intimus von Staatschef Fernando Henrique Cardoso, befahl im April 1996 in Eldorado do Carajas den Polizeieinsatz gegen Landlose, bei dem laut offiziellen Angaben neunzehn, laut kirchlichen aber über dreißig Menschen getötet wurden.

 

Klimaveränderungen, Epidemien, krebserzeugender Qualm

 

Wegen der Brandrodungen ändert sich auch das Klima, treten Krankheiten wie Malaria wieder epidemienartig auf. Denn krankheitsübertragende Insekten, die sich zuvor vom Blut bestimmter Waldtiere ernährten, greifen nach deren Verschwinden notgedrungen den Menschen an, verbreiten sich erstmals stark am Rande von Großstädten und neuen Siedlungen. In mehreren Teilstaaten kam es zu Tollwutepidemien, weil der Überträger, eine Fledermausart, aus demselben Grunde wie Insekten erstmals massiert Menschen attackiert. Aus all diesen Gründen nennen die Experten das alljährliche, mutwillige Feuerlegen stupide und verantwortungslos, Brasilien als immerhin zwölftgrößte Wirtschaftsnation habe die Mittel, um eine adäquate, nachhaltige Nutzung des Bodens durchzusetzen, den sehr niedrigen Bildungsstand auch der Kleinbauern und Neusiedler zu heben. 

Doch Staatschef Fernando Henrique Cardoso, selbst Großgrundbesitzer, und seiner Mitte-Rechts-Regierung fehlt dafür jeglicher politische Wille, wie die alljährlichen Urwaldfeuer seit dem Amtsantritt von 1995 zeigen. Bereits jetzt steht nicht nur laut Greenpeace  fest, daß Cardoso, immerhin Ehrendoktor der Freien Universität Berlin, als Rekordhalter bei der Amazonasvernichtung in die Geschichte eingehen wird. Nicht einmal unter der Herrschaft der Diktaturgeneräle wurde soviel Regenwald vernichtet – selbst gemäß den geschönten offiziellen Angaben jährlich etwa 20000 Quadratkilometer. Cardoso stellte bereits  Krisenpläne  zur Wald­brand­bekämpfung vor, versprach der internationalen Gemeinschaft  energische Schritte gegen die illegalen Brandrodungen. Alles leeres Geschwätz, wie auch die jetzige Trockenperiode zeigt. Mindestens  neunzig Prozent der verheerenden Feuer werden von Farmern gelegt. Satelliten registrieren täglich einen Großteil der Brände – man kann die Zahlen im Internet anklicken. 

Im Juli waren es über elftausend Feuer, im August bereits mehr als dreimal so viel.  Kurioserweise sind es jene   auch von Malaysia, Singapur und Indonesien bekannten riesigen  Rauchwände, die korrekte Satellitenfotos der Brände und damit exakte Zahlenangaben verhindern. Regelmäßig stark  betroffen ist der  Teilstaat Mato Grosso do Sul, dessen Hauptstadt Campo Grande Tag und Nacht bei Temperaturen bis zu 44 Grad Celsius in dichten, krebserzeugenden Qualm gehüllt ist. Ungezählte Kleinkinder, aber auch alte Leute müssen mit Rauchvergiftungen in Hospitäler gebracht werden, auf vielen Amazonas-Airports können während der Brandperiode Flugzeuge weder starten noch landen. Mehrfach gab der WWF-Direktor für Brasilien, Garo Batmanian, bereits  der Cardoso-Regierung die Hauptschuld an der Umweltkatastrophe. 

Alljährlich aufs Neue versprochene Gelder würden stets garnicht freigegeben. Batmanians Kollege von Greenpeace Brasilien, Roberto Kishinami, nennt die offiziellen Abholzungszahlen „in Teilen unglaubwürdig, dazu unvollständig und unkorrekt“. So würden nur die sogenannten „Clear-Cut-Regionen“ erfaßt, in denen kein Baum mehr steht – nicht aber selektive Abholzungen und Brandrodungen. Der Amazonien fotografierende Satellit bemerke zudem nicht, wenn nur noch einige größere Bäume stehen, darunter aber alles kahlgeschlagen oder abgebrannt sei. Allein 1998 gingen infolge der Queimadas im Teilstaate Mato Grosso (Großer Wald), wo das bekannte Feuchtgebiet Pantanal liegt,  immerhin über 33.000 Rinder ein – wegen plötzlichen Wasser- und Grasmangels, mehr als 3700 verbrannten sogar lebendig. Bislang merkwürdigerweise noch  kein Thema auch für die internationalen Tierschutzorganisationen.  Fachleute ermittelten die „Kosten“ eines verheerenden Amazonas-Großfeuers in dem von  Yanomami-Indios bewohnten Teilstaate Roraima: Allein dort verbrannte vor wenigen Jahren in der Trockenperiode auf einer Fläche von 14.000 Quadratkilometern Edelholz im Marktwert von etwa einhundert Millionen Dollar. Weidefläche wurde so gründlich zerstört, daß ein Schaden von etwa sechzig Millionen Dollar entstand. Die Bilder von Davi Yanomami, politischer Führer des Stammes, Träger des UNO-Umweltpreises „Global 500“, beim Kampf gegen die Flammen gingen um die ganze Welt.

 

„Zerstörerische Flammen der Dummheit“

Queimadas werden nicht erst seit heute von Umweltschützern und Agrarexperten als „irrational und stupide“ gebrandmarkt. Das taten sogar Vorkämpfer der Unabhängigkeit Brasiliens wie Josè Bonifacio, Freund Alexander von Humboldts, seit 1780. Das Entstehen von regelrechten Steppen und Wüsten – siehe Parà und der Nordosten – wurde ebenso vorhergesagt wie extrem negative Klimaveränderungen, besonders fehlender Regen. Bonifacio sprach von „zerstörerischen Flammen der Dummheit“ – sie wüten bis heute. Ausgesprochen überlebenswichtige Ratschläge von Padre Cicero, des verehrten Wunderheilers und nordöstlichen Regionalpropheten, wurden ebenfalls konsequent in den Wind geschlagen. Der längst verstorbene messianische Volksprediger aus Juazeiro do Norte hatte bereits in den Zwanzigern permanent gefordert, Wald und Buschwerk weder zu fällen noch abzubrennen, systematisch aufzuforsten, Rinder und Ziegen nicht frei in der Landschaft weiden zu lassen. Andernfalls werde sich die Region zum Schaden aller in eine Wüste verwandeln. Der Padre hatte recht – doch die Mentalidade predatoria, Zerstörungsmentalität herrscht weiter ungebrochen – mit den bekannten sozialen Folgen.

 

Trittin, Fischer & Co. schweigen – Wirtschaftsinteressen haben Vorrang

In der vernetzten Welt von heute hätten die grünen Minister Jürgen Trittin und  Joseph Fischer  reichlich  Grund für Kritik an der brasilianischen Mitte-Rechts-Regierung, da die tolerierten  alljährlichen Großbrände immerhin das Pilotprojekt der G-7-Staaten zum Schutze der brasilianischen Regenwälder  ad absurdum führen. Schließlich zerfällt da zu Asche, was angeblich geschützt werden soll – doch Rot-Grün lobt Cardoso weiter  als „fortschrittlichen Regierungschef“. Über 250 Millionen Dollar öffentlicher Mittel flossen bereits nach Brasilia, Deutschland ist der Hauptgeldgeber, rühmt sich dessen immer wieder. Als ob es dem Berliner Ehrendoktor an Mitteln fehlte. Pro Jahr verpulvert seine Mitte-Rechts-Regierung allein für Propaganda und Personenkult umgerechnet etwa eine Milliarde Mark, wovon auch deutsche Medienkonsumenten etwas haben: Selbst im hinterletzten kostenlosen Wochenblättchen Thüringens erscheinen ganzseitige, letztlich vom brasilianischen Steuerzahler finanzierte Anzeigen, die Brasilien sogar als „Bioland“ preisen. 

Der unbedarfte Leser, zum Investieren auf brasilianischem Wachstumsmarkt eingeladen, ahnt nicht, daß dahinter Cardosos Propagandakompanie steht – jeder Hinweis darauf fehlt.  Zitat: “Brasilien verfügt heute über einen sehr fortschrittlichen Umweltschutz ... Deutschland engagiert sich beim Umweltschutz in Brasilien mehr als jedes andere Land durch zahlreiche Projekte der technischen Kooperation – etwa für den Schutz der tropischen Regenwälder.“ An solchem Lob dürfte es kaum liegen, daß selbst grüne Menschenrechtler jegliche Kritik an Cardoso bewußt unterlassen. Dabei hatte immerhin ein internationales Tribunal, dem zahlreiche Geistliche, aber auch UNO-Vertreter sowie Portugals Schriftsteller Josè Saramago  angehörten, bereits 1996 den FU-Ehrendoktor, dessen Regierung sowie die Gouverneure der Amazonas-Teilstaaten Parà und Rondonia als Hauptverantwortliche der bis heute ungesühnten Landlosenmassaker von 1995 und 1996 bezeichnet.

 

Berliner FU-Pfeifen

Natürlich lassen auch die Freie Universität Berlin und ihr Studentenverband  auf den hehren Ehrendoktor, gegen dessen Menschenrechtspolitik andere Unis von Europa protestieren, absolut nichts kommen. Auf  Blättchen-Anfrage hieß es, man habe auf die Anschuldigungen gegen Cardoso nicht reagiert. Was von Cardosos Umweltpolitik zu halten ist, erläuterte Maria Cecilia Wey de Brito, Expertin der größten, angesehensten nationalen Naturschutzstiftung „SOS Mata Atlantica“ gegenüber dem Blättchen jetzt  in Sao Paulo: „Nach wie vor dominiert die Vorstellung, daß Land nur dann etwas wert ist, wenn auf ihm kein Wald mehr steht. Und Feuer gilt nach wie vor als die billigste Art , den Wald zu beseitigen – trotz eventueller Strafen und Bußgelder. Daß solche Brände in allen brasilianischen Ökosystemen gelegt werden, ist für die Umwelt der Horror. Und nicht mal in den Nationalparks, Naturschutzgebieten gibt es eine moderne, technisierte Brandbekämpfung – obwohl darüber seit vielen Jahren diskutiert wird.“ Also nach wie vor Feuerklatschen und Spaten – statt Feuerlösch-LKW oder gar Löschflugzeuge. „Was in Brasilien fehlt, ist die Anwendung der Gesetze, nicht nur gegen Brandrodungen. Denn nicht einmal im relativ hochentwickelten Teilstaat Sao Paulo werden die Gesetze befolgt, greift also die Polizei ein, faßt und bestraft die Täter.“

 

„Perverse Strukturen“

Bei Umweltdelikten werden in Brasilien meist nur Bußgelder verhängt – doch nicht einmal fünf Prozent davon auch wirklich gezahlt. Gravierend für die renommierte Expertin Wey de Brito – der fehlende politische Willen:“Wenn die Regierung wirklich energischer, härter vorgehen wollte, könnte sie das durchaus – trotz unterentwickelter Strukturen, fehlenden Personals. Sie könnte beispielsweise die Streitkräfte einsetzen. Doch Brasiliens Strukturen aller Ebenen  sind direkt pervers, ändern sich kaum. Beim CO2-Ausstoß stellt sich Brasilien stets sehr positiv dar, die offiziellen Daten sind sehr gut. Doch die Wirkun der jetzigen Brände wird viel zu wenig berücksichtigt. Denn dann müßte man die Zahlen nach oben korrigieren.“ Brasiliens Umweltbewegung betont, daß seit dem Rio-Gipfel von 1992, in den acht Amtsjahren Cardosos sehr wenig, fast nichts geschah. „Zwar wurden Gesetze besser, wird mehr geforscht – doch in vielen Bereichen wird deutlich, daß es überhaupt keine Fortschritte gab, ganz im Gegenteil. Der Umweltschutz, alle entsprechenden Institutionen, Behörden sind noch schwach. Es bleibt bei der Politik, so zu tun, als ob die Umweltproblematik den Alltag, das Leben der Brasilianer nicht tangiert, nur Thema für ein ganz spezielles Publikum ist.“

 

„Reaktionäre“ Umweltpolitik der Arbeiterpartei — „Heidelberger Sinfoniker“ durch Hubschrauberlärm gestreßt

Auch in Deutschland hatten drittweltbewegte Sozialromantiker erwartet, daß unter der neuen, als progressiv gerühmten Präfektin Marta Suplicy von der Arbeiterpartei PT  in Sao Paulo der Umweltschutz, wie versprochen, endlich rasch vorankommen würde. Schließlich wirken sich in  der drittgrößten Stadt der Welt die Luftvergiftung durch den Straßenverkehr, Flugzeuge und Hubschrauber, außerdem der damit verbundene, stark stressende Lärm ganz direkt auf die Gesundheit der Bewohner aus, bewirken beispielsweise neben niedrigerer Lebenserwartung  weit höhere Infarkt-, Krebs-und Bronchitisraten als etwa in Europa, vor allem bei der armen bis verelendeten Mehrheit – Berlin ist, verglichen mit Sao Paulo, eher ein verträumtes, friedhofsstilles Kurstädtchen. Daß die PT-Präfektur indessen alles beim alten läßt, seit zwei Jahren sogar weitere einschneidende Verschlechterungen provoziert, etwa den Reichen mitten in der Stadt einen kommerziellen  Hubschrauber-Airport für ihre City-Flüge genehmigt, aber Radwege – bislang nicht vorhanden – verhindert, ist auch für die Umweltexpertin schlichtweg „reaktionär“. 

Wie sich PT-Umweltpolitik auswirkt, bekamen Anfang September ausgerechnet die „Heidelberger Sinfoniker“ beim Open-Air- Konzert im Ibirapuera-Stadtpark zu spüren: Wegen starken Lärms mehrerer Hubschrauber  war der Dirigent gezwungen, eine Haydn-Sinfonie zu unterbrechen – ein Helikopter kreiste gar im Tiefflug über Bühne und Zuhörer. Die sprangen auf, reckten wütend die Fäuste gen Himmel. Nutzlos.  Neunzig Prozent des Konzerts, auch Stücke von Beethoven und Verdi,  waren ungenießbar. Auf Anfrage lehnte die PT-Präfektur, die den Auftritt immerhin kräftig zur Eigenwerbung nutzte, erwartungs­gemäß jegliche Verantwortung ab. Sponsor Siemens hatte sinnigerweise über den Köpfen der Musiker auf einem riesigen Spruchband betont: “Wir alle, Menschen, Pflanzen und Tiere, haben das Recht auf eine Umwelt in ökologischem Gleichgewicht“.

 

 


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