Debatte:  Zwischen Prognosen und Pragmatismus

Werkstatt der Ökologischen Plattform der PDS wollte über die Macht des Einzelnen nachdenken

Von Kathrin Schanze, Neues Deutschland, 21.01.2002

 

»Inwieweit sind unsere Utopien vom Sozialismus übergegangen auf unsere Vorstellungen von einer nachhaltigen Gesellschaft?« Babette Scurrells Frage traf einen Dreh- und Angelpunkt der jüngsten Werkstatt der Ökologischen Plattform der PDS. Ein halbes Hundert Menschen hatte sich dazu Mitte Januar im Berliner Haus der Rosa-Luxemburg-Stiftung eingefunden.

Die Beantwortung ihrer Frage überließ die Dessauer Bauhaus-Soziologin Scurrell letztlich ihrem Publikum. Wobei sie jedoch klarstellte: »Es geht keinesfalls um ein Zurück, sondern es geht um die Frage: Wie weiter?« Dass die westliche Zivilisation alles andere als ein Maßstab für Zukunftsfähigkeit ist, hatte zuvor Otto Ullrich eindringlich dargelegt. Auf ein Zehntel ihres jetzigen Verbrauchs und Schadstoffausstoßes, zitierte der Publizist einschlägige Studien, müssten die Industrieländer »abrüsten«, damit auch die kommenden Generationen ein Leben ohne ökologische Katastrophen führen könnten.

Und damit die Menschen in jenen Ländern eine Chance auf Menschenwürde haben, auf deren Kosten wir unseren Reichtum genießen. Genießen? »Zwischen suchtfreiem Genuss und materieller Genügsamkeit gibt es einen großen Zusammenhang«, so Ullrich. Seine Forderung nach einem Paradigmenwechsel statt weiterer Effizienzsteigerung als Ausweg aus der globalen Krise blieb jedoch nicht unwidersprochen.

Jede Menge Patente gebe es, wurde ihm entgegengehalten, die eine immense Reduzierung des Ressourcenverbrauchs versprächen. Sie würden zurückgehalten. Wo zu wenig verbraucht werde, fließe zu wenig Geld. »Das System ist nicht reparierbar«, befand denn auch Achim Ecker aus dem Zentrum für experimentelle Gesellschaftsgestaltung in Belzig, einer Gemeinschaft von rund 85 Menschen. »Es braucht Orte, wo andere Systeme gelebt werden.« Seine These: Neben einer globalen Partnerschaft müssten Räume relativer regionaler Autarkie entstehen. Kleine, weitgehend nachvollziehbare Kreisläufe für Energie, Wasser, Abfälle. Ein Klima von Gemeinschaft und Vertrauen in überschaubaren Räumen anstelle einer »Kultur« des Misstrauens, der Vereinzelung, des täglichen Kämpfens.

»Und wenn ich aber nicht in eine Kommune ziehen will?« – so die etwas trotzige Frage einer engagierten älteren Dame. Der Konferenzssaal aus vielen eher älteren PDS-MitstreiterInnen, eher jüngeren SympatisantInnen und Suchenden war sich einigermaßen einig: Es lohnt sehr wohl, die Macht des Einzelnen in die Waagschale zu werfen – die Macht des Konsumenten. Denn längst folgt nicht die Produktion dem Bedarf. Die produzierende Wirtschaft muss ständig neue Bedürfnisse künstlich herstellen, um ihre, so Ullrich, »Material- und Energielawine« über uns auszuschütten. »Wir müssen diesen Produktionszwang überwinden und eine Rückkehr zum Leben wagen!« Rückkehr zum Leben heiße dabei nicht nur für ihn, dass die Institution der Lohnarbeit einen weit geringeren Stellenwert bekommt, ja, dass man sich vom Mythos der Vollbeschäftigung verabschieden müsse.

Eine solche These freilich war kaum hinnehmbar für so manchen Werkstattteilnehmer, denn wie anders als mit Vollbeschäftigung wolle man denn Wähler überzeugen. »Ich halte gerade eine Vielfalt von Arbeits- und Wirtschaftsformen für zukunftsfähig«, plädierte Babette Scurrell in ihrem Beitrag zur Verknüpfung von Erwerbs- und Versorgungsarbeit. Der Umbau der Arbeitsteilung in der Gesellschaft ist für sie jedoch keine Einführungs-, sondern eine experimentelle Frage. »Die Resultate dessen wird man nicht verallgemeinernd politisch einführen können. Politische Maßnahmen sollten vielmehr auf Differenzierung hinauslaufen.« Gerade die undifferenzierte Gesetzgebung, die beispielsweise dem kleinen Tischler eben solche Standards vorschreibt wie einem ungleich größeren Betrieb der gleichen Branche, mache die kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland kaputt.

Beispiele neuer, aber auch traditionell nachhaltiger Lebensweisen stellte schließlich neben Babette Scurrell in Kurzfassung noch der Publizist Ulrich Grober vor. Von Tauschringen war da die Rede, von den Hermannsdorfer Landwerkstätten der Schweißfurt-Stiftung in Bayern, von Brodowin in Brandenburg, vom LebensGut Pommritz bei Bautzen, der Kommune Niederkaufungen nahe Kassel und anderen mehr. Das Wissen über gelebte Alternativen ist sehr gering, pflichtete Grober seiner Vorrednerin bei. Die übrigens hatte die pikante Idee, statt der täglichen Börsenminuten in der Tagesschau möge doch jeden Tag ein anderes Projekt nachhaltiger Lebensweise vorgestellt werden.

Möglicherweise hätte es ja noch weit mehr pikante Ideen in dieser Werkstatt gegeben, wenn es denn eine gewesen wäre. Die Struktur dieses Tages, die Flut von Fakten und Thesen ließ den TeilnehmerInnen jedoch wenig Raum, ihre eigenen Sichten zu einzelnen Themen wirklich konzentriert zusammenzutragen. Die Werkstatt war eine Vortragsveranstaltung. Dafür war sie gut. Im Herbst dieses Jahres will die Ökologische Plattform wieder einladen, dann zu speziell zu Fragen von Ökonomie und Ökologie. Und hoffentlich zu einer Werkstatt.

(Neues Deutschland, 21.01.02)


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