Überarbeite Fassung  der Umweltpassagen des Brie-Brie-Klein-Programmentwurfs

14.12.2001, bearbeitet von Marko Ferst

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Programm, Abschnitt I. 1.

....Unkontrollierbare Wachstumsinteressen stellen die Naturgrundlagen des Lebens in Frage. Die Menschen brachten Waffensysteme mit der Fähigkeit zur Selbstvernichtung der Menschheit hervor. Nun aber untergraben auch die ganz „normalen“ profitbestimmten Produktions- und Lebensweisen die Naturgrundlagen unseres Lebens. Notwendig ist die radikale Ökologisierung der Gesellschaft und ein neuer Typ des wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und technischen Fortschritts. Konsum darf nicht Selbstzweck sein, sondern soll menschliche Bedürfnisse befriedigen. Alternatives Arbeiten und Leben braucht einen Abbau von Entfremdungen. Zukunftsfähige Produktions- und Lebensweisen dürfen nicht nur in privaten Nischen gedeihen, sondern müssen gegründet auf Individualität und Gemeinschaftlichkeit, die gesamte Gesellschaft erfassen.

Die nachhaltige Bewahrung oder Wiederherstellung einer lebenswerten Umwelt heutiger und zukünftiger Generationen, der Menschen im Süden und Norden unseres Planeten gehört zu den zentralen Fragen sozialistischer Programmatik und Politik. Wir drängen darauf, den Kohlendioxid-Ausstoss in der Bundesrepublik bis 2020 im Vergleich zu 1990 um ca. 50 Prozent zu senken und die Voraussetzungen für weitere schnelle Rückgänge zu schaffen. Eine Schlüsselrolle wird dafür die Einleitung einer solaren Energiewende in der ersten Dekade des neuen Jahrhunderts spielen müssen. Durch Energieeinsparung, größere Energieeffizienz und Förderung erneuerbarer Energien soll ein Weg gefunden werden, der aus der Sackgasse der atomaren und fossilen Energiewirtschaft herausführt.

Reale Vergesellschaftung......

 

3. Umwelt

Kein Freiheitsgut ist gefährdeter als die irdischen Naturgleichgewichte. Die ökologische Krise spitzt sich in raschem Tempo zur weltweiten Überlebensfrage zu. Sie entspringt der immer expansiveren Nutzung der Natur durch den Menschen, dem ausbeuterischen Charakter des kapitalistischen Produktions- und Konsumtionsmodells und der Zerstörung traditioneller Lebensformen in den armen Ländern der Welt. Die sozial-ökonomischen Ursachenanteile sind eng verflochten mit den kulturellen und sozial­psychologischen Fundamenten der Gesellschaft. Jeder einzelne kann ein neuer Mosaikstein des ökologischen Wandels sein. Es kommt auf jeden einzelnen an.

Täglich werden weltweit etwa 100 Millionen Tonnen Treibhausgase in die Atmosphäre geblasen und lassen eine Klimakatastrophe immer wahrscheinlicher werden. Allein für 1998 wies der Weltkatastrophenbericht 60.000 Tote und 380 Millionen weitere durch Sturm- und Flutkatastrophen schwer Betroffene aus. Jeden Tag werden 55.000 Hektar Tropenwald abgeholzt, sterben rund 300 bis 400 Tier- und Pflanzenarten[i] aus. 86 Millionen Tonnen fruchtbarer Boden gehen durch Erosion verloren. Die Wüsten dehnen sich um mehr als 20.000 Hektar aus. Innerhalb weniger Generationen werden die nicht erneuerbaren Rohstoffe aufgebraucht, die in Jahrmillionen entstanden. Die schützende Ozonschicht der Erde wird dünner, und weit über die Antarktis hinaus reisst sie regelmäßig gänzlich auf. In immer kürzeren Abständen verdoppelt sich die Bevölkerungszahl auf der Erde. Dies sind nur die dramatischsten Warnzeichen, wie wir die irdischen Belastungsgrenzen verletzen.

 

Ursache und Wirkung sozialökologischer Destabilisierung liegen häufig lange Zeiträume auseinander. Haben sich die verschiedenen Konfliktpotentiale jedoch zu einem unlösbaren Knoten verschlungen, lässt sich das zerstörerische Potential nicht mehr abwenden, auch wenn die auslösenden Faktoren längst beseitigt sind.  In den nächsten Jahrzehnten drohen regionale und globale Zusammenbrüche der Ökosysteme. Deshalb muss alles getan werden, damit die Zeit zum radikalen Umbau der Produktions- und Lebensweise nicht unwiederbringlich verloren geht.

Nur wenn wir die Produktions- und Lebensweise grundlegend umgestalten, kann es noch gelingen, eine ökologische Weltkrise abzuwenden. Deutschland, ebenso wie die anderen Industriestaaten, müssen bespielgebend voranschreiten, weil sie die Hauptver­antwortung für die heutigen Umweltlasten tragen. Ökologische Politik darf nicht primär  von  den Interessen her definiert werden, die aus den Errungenschaften unserer heutigen Über­flussgesellschaften resultieren. Wir müssen der Natur ihren Eigenwert zuerkennen und sie auch um ihrer selbst willen bewahren. Sie darf nicht in erster Linie das Ausbeutungsobjekt des Menschen sein. Wettbewerbsökonomien, die auf ein ständiges Wachstum von Profiten und Wirtschaftsvolumen orientieren, sind langfristig nicht in der Lage, die Grundlagenkrise der Zivilisation abzuwenden. Naturgesetze besitzen Vorrang vor Marktgesetzen und der Erhalt ökologischer Stabilität begrenzt die sozialen und wirtschaftlichen Freiheiten. Wir wollen jene Eigentums- und Machtstrukturen, die einem sozial-ökologischem Wandel entgegenstehen, schrittweise verändern und schliesslich überwinden. Es sind vor allem die Träger der fossilen Energiewirtschaft, die Atom- und Rüstungslobby, die Konzerne der Automobilindustrie, der Gentechnik und Agrarindustrie, der Pharma- und Chemiebranche, die Profiteure des Nord-Süd-Gegensatzes und die Gewinner der internationalen Börsen- und Devisen-Spekulationen, die den Übergang zu ökologischer Nachhaltigkeit blockieren. Ökologisch ausgerichtete Unternehmen können helfen den gesellschaftlichen Wandel zu beschleunigen.

Der erforderliche ökologisch-soziale Strukturwandel wird umfassender und schwieriger sein als alle vorhergehenden Umwälzungen und  Reformen in der Menschheitsgeschichte. Dabei könnten die ersten Schritte in wenigen Jahren getan sein. Ungefähr  alle acht Minuten schickt uns die Sonne soviel Energie auf die Erde, wie wir rund um den Globus in einem Jahr verbrauchen. Würden wir sämtliche Energie, die wir nicht einsparen können, aus Sonnenstrahlen, Wasserkraft, Windkraft und aus Biomasse gewinnen, hätten wir schon ein gutes Stück Zukunft gesichert. Auf einen sinnvollen Mix der Erneuerbaren kommt es an. Eine vollständige solare Energiewende ist möglich, aber wir müssen auch die Materialströme, die wir in und durch unsere Industriegesellschaft pumpen, auf einen Bruchteil reduzieren. Die Nutzung nicht erneuerbarer Rohstoffe sollte gegenüber den vernachlässigten solaren bzw. pflanzlichen Alternativen zurückgedrängt werden. Wir setzen uns für einen sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie ein.

Ökologische Zukunftspolitik muss darauf hinwirken, den Verbrauch von Energie und nicht erneuerbaren Ressourcen schnell und umfassend zu senken. Bis Mitte des 21. Jahrhunderts wäre in Deutschland der Ausstoss von Treibhausgasen um 90 Prozent zu reduzieren und die Vernutzung von nicht erneuerbaren Rohstoffen um ebenfalls 90 Prozent einzuschränken.  Dies erfordert eine ökologische Effizienzrevolution, aber auch eine Emanzipation der Gesellschaft und des einzelnen Menschen vom Habenmüssen.

Damit die Einsparung von Energie- und Ressourcenverbrauch als Kern einer ökologischen Wirtschaftspolitik auch greifen kann, wollen wir einen ökologischen Umbau des Steuersystems und staatliche Ordnungspolitik, um die spontane Markt­regulierung einzugrenzen. Ökologisch verträgliches Handeln muss finanziell belohnt und unzuträgliches Verhalten belastet werden. Dabei ist ein sozial ausgewogenes Vorgehen unverzichtbar. Wirtschafts- und Forschungssubventionen sind für eine nachhaltige Produktionsweise umzuwidmen.

Die PDS setzt sich dafür ein, den individuellen Strassenverkehr und den Gütertransport auf der Strasse radikal zu vermin­dern und aus Innenstädten zu verbannen, den öffentlichen Personenverkehr umfassend zu fördern und den Nahverkehr so preiswert wie möglich zu gestalten. Mit Hilfe einer aktiven Verkehrs-, Struktur- und Regionalplanung ist eine Strategie der kurzen Wege zu etablieren.  Unsere Lebens- und Wirtschaftsweise muss sich auf dezentralere Räume einstellen. Regionalisierung ist zugleich eine Chance, die demokratische Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger in ihren unmittelbaren Lebensräumen zu stärken.

Wir unterstützen die Forderung, Deutschland- und europaweit ein zusammenhängendes Schutzgebietssystem zur Erhaltung des Artenreichtums zu entwickeln. Der immer neue Verbrauch von Landschaft muss abgewendet werden. Gentechnisch manipulierte Nahrungsmittel können unkalkulierbare Folgen für die Biosphäre und die Gesundheit haben. Luft, Boden und Wasser sind vor schädlichen Einträgen zu bewahren. Es dürfen nicht täglich neue chemische Substanzen erfunden werden, deren Wirkungen auf die Umwelt unkalkulierbar sind. Der Vermeidung von Abfällen geben wir den Vorrang vor der Verwertung und Entsorgung. Wir treten für dezentrale und umweltverträgliche Abfallbehandlungsverfahren anstelle von Müllverbrennung ein.

Eine zukunftsfähige Landwirtschaft basiert auf regionalen Wirtschafts- und Stoffkreisläufen, stellt nachwachsende Rohstoffe und Energieträger bereit, besitzt Natur erhaltende Aufgaben und trägt Verantwortung für den Artenschutz. Ein umfassender und wirksamer Tierschutz gehört zu ihren ethischen Grundanforderungen. Der Übergang zu ökologischem Land- und Waldbau ist dringend geboten. EU-Landwirt­schaftssubven­tionen für Flächenstillegungen, Lebensmittelvernichtung sind künftig in gesunde Lebensmittel zu investieren, produziert mit ökologischen Anbaumethoden. Die Vermarktung von Bioprodukten muss deutlich verbessert werden.

Ökologischer Umbau der Gesellschaft ist zugleich Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse und ihrer wissenschaftlichen und technologischen Grundlagen. Der Übergang zu einer wissensbasierten Gesellschaft und technologische Innovationen bieten grosse Chancen für den sozial-ökologischen Umbau. Dieser muss zum wichtigsten Feld neuer Technologien werden.

Umweltpolitik sollte durch alle getragen werden, die sich für soziale und ökologische Nachhaltigkeit einsetzen. Sie verpflichtet zum gemeinsamen Wirken mit Umwelt- und Tierschutzverbänden und allen anderen Akteuren eines ökologischen Umbaus der Bundesrepublik. Ohne Gewerkschaften und ohne feministische Emanzipationsbewegungen wird dieser Umbau nicht möglich sein. Für Umweltorganisationen, Verbraucherverbände, Gewerkschaften und andere zivilgesellschaftliche Kräfte wollen wir demokratische Planungs-, Kontroll- und Einspruchsrechte beim sozial-ökologischen Umbau. Sinnvoll wäre die Einrichtung ökologischer Räte als Verfassungsorgane.

Heute verfügen 358 Milliardäre über soviel Geld wie 2,5 Milliarden übriger Erdenmenschen, also knapp die Hälfte der Weltbevölkerung. Weltweit gehören 75 Prozent des Landes, das unter Privatbesitz fällt, nur 2,5 Prozent der Landbesitzer. Ignoriert man diese Situation und versucht nicht, das extreme soziale Gefälle abzubauen, bringt das jede ökologische Neugestaltung der Gesellschaft schnell zum Absturz. Ökologische Politik muss zu internationaler Gerechtigkeit beitragen. Daran hat sich auch der notwendige Strukturwandel in Deutschland zu orientieren. Allen Bewohnerinnen und Bewohnern der Erde gebühren die gleichen Anrechte auf Umweltraum und Naturressourcen. 20 Prozent der Weltbevölkerung dürfen nicht 80 Prozent aller Ressourcen verbrauchen.

Wir müssen durch eine gravierende Verminderung von Naturbelastung und Ressourcenverbrauch in den reichen Ländern die Entwicklung der ärmeren Länder ermöglichen. Von den reichen Ländern geht der Hauptteil der Umweltzerstörungen aus. Sie müssen lernen, dass Globalisierung globales Teilen verlangt. Weder weltweit noch in unserem eigenen Land darf der Luxuskonsum und die Ressourcenverschwendung der einen durch die Armut und den Ausschluss von Ressourcenverwendung der anderen bezahlt werden. Zugleich sollten die armen Länder umfassend unterstützt werden, eigene Strategien sozialökologischer Entwicklung zu verwirklichen. Kurzfristige wirtschaftliche und soziale Ansprüche dürfen nicht die generationsübergreifenden langfristigen sozialen Interessen gefährden. Wir müssen die gesellschaftliche Entwicklung und unsere sozialen Ausstattungen abkoppeln von dem Zwang zu permanentem Wirtschaftswachstum, denn die Grenzen des Wachstums sind längst überschritten. Ein Vorrang der Beschäftigungspolitik zu Lasten der Umwelt ist nicht akzeptabel und ökologischer Wandel wird ohne eine Abkehr von der alten Arbeitsgesellschaft nicht stattfinden. Die Grundgüter eines Lebens in Freiheit und Selbstbestimmung sind dauerhaft nur miteinander zu erhalten oder gar nicht. Soziale Balancen dürfen nicht aus dem Gleichgewicht geraten. Zugleich werden für viele der Reichtum zwischenmenschlicher Beziehungen, weite Bildungshorizonte, selbstbestimmte Lebensräume, Kultur und Sicherheiten des Lebens wichtiger als die immer weitere Ausdehnung von materiellem Konsum.

 

[i] Wolfgang Engelhard; Das Ende der Artenvielfalt. Aussterben und Ausrottung von Tieren, Darmstadt 1997, S.66 ( bei 10 Mill. Arten zeigt er auf, dass täglich im Schnitt 370 Arten Aussterben, gibt es mehr Arten auf der Erde wäre die Zahl höher anzusetzen, bei weniger Arten tiefer. Unklar ist für mich in wie weit er die Korallenriffe einbezogen hat, da diese das zweitartenreichste Refugium der Erde sind. Er hat seine Daten insbesondere aus dem dramatischen Schwund des Regenwaldes abgeleitet.)    Hier nur zur Erklärung, kommt hinterher weg.

 

Anmerkungen:

Die vorliegende überarbeitete Fassung zur Umweltthematik für das neue PDS-Programm berücksichtigt; im einleitenden Teil fehlen substantielle Aussagen zur globalen ökologischen Situation. Das muss verbessert werden. Vom Grunde her könnte man auch aus dem Teil „3. Umwelt“ weitere Passagen nach vorn verlegen. Ansonsten basiert die Fassung auf Dieter Kleins (etc.) Entwurf und fasst ihn zusammen mit bisherigen Programmaussagen, Material aus der ÖPF und meinen Eigenanteilen.

Ein wenig versuchte ich die professorale Schwere der Sprache durch dynamischere Elemente zu ersetzen, Wiederholungen der Inhalte in neuen Variationen wurden weitgehend herausgenommen. Neben Programmaussagen der Grünen und der SPD kann diese Fassung in jedem Fall bestehen. Korrekturbedürftig sind im Abschnitt „4. Arbeit“ die Hinweise zum Thema Verzicht, Kaufkraft und Sozialversicherungssysteme. Da knüpft man doch lieber weiter an überholte linkssozialdemokratischen Thesen, ohne die globalökologische Situation abzumessen. Soziale Balance halten ist in Ordnung, Wohlstandsversprechungen, die nicht eingehalten werden können, sind fehl am Platze. Wichtig ist das im Programm weitreichende Aussagen zu sozial-ökologischer Reformpolitik enthalten sind und wir nicht politisch zwischen die SPD und die FDP rutschen (siehe Ökosteuer). Wenn eine ganze Reihe sogenannter Reformer in der PDS, die sich in Sachen sozial-ökologischer Wandel noch im tiefsten Hinterland der SED bewegen, keinen Erneuerungswillen zeigen, dann kann dies schneller eintreten als man glauben möchte. Das meine eigene Position weitaus konsequenter ist als die vorliegende Fassung, kann man in dem Buch „Wege zur ökologischen Zeitenwende“ nachlesen.

 

14.12.2001, bearbeitet von Marko Ferst


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