Vorbereitete Rede zum Parteitag der PDS im Jahr 2000

Von Bruno Kern

 

 

Nicht um irgendein Thema neben Rentenreform und Ostangleichung geht es hier, sondern um die größte Herausforderung, vor der die Menschheit je stand. Die ökologische Krise ist die zeitlich drängendste, die umfassendste und größte Aufgabe. Wer sich daran nicht bewährt, hat sein politisches Existenzrecht eingebüßt.

In den nächsten zwei Jahrzehnten wird es sich entscheiden, ob die Menschheit weiterexistieren kann oder sich selbst auslöscht. Es sind leider keine apokalyptischen Phantasien, sondern es ist vielfach gut belegt: Wir befinden uns schon mitten in diesem Zerstörungsprozess. Die Hauptbetroffenen sind - vorläufig - andere: Mehr als 20.000 unmittelbare Todesopfer des Hurrikan "Mitch" in Mittelamerika, Opfer der Dürrekatastrophe in Südostasien, die Opfer der regelmäßig wiederkehrenden Hungerkatastrophen im Afrika südlich der Sahara - dies alles führt ein Großteil der Klimatologen bereits auf die Erderwärmung zurück. Den Skeptikern sei ein unverdächtiger Zeuge genannt: Die Münchener Rückversicherung schätzt, dass sich die klimabedingten Katastrophen seit Mitte der sechziger Jahre verfünffacht haben.

Die PDS ist zur Zeit weit davon entfernt, der Dimension dieses Problems auch nur annähernd gerecht zu werden. Die tagespolitischen Prioritäten sind andere. Wie realitätstauglich ist eine Politik eigentlich, die munter weiter Autobahnanschlüsse fordert, auch wenn jedem inzwischen klar sein könnte, dass der Ausstieg aus der Autogesellschaft unvermeidlich ist? Die Beschäftigung mit der ökologischen Krise ist keine beliebige Erweiterung unseres Themenkatalogs: Wenn wir selbst den Anspruch haben, die Partei der sozialen Gerechtigkeit zu sein, dann gehört es untrennbar zu unserer Identität, die Partei der Ökologie zu sein. Die dringendste soziale Frage ist heute weltweit gesehen die ökologische: Die ökologische Destabilisierung bedeutet unmittelbar, dass im Trikont den Massen der Bevölkerung die elementaren Existenzbedingungen geraubt werden.

Eine Reihe von Konferenzen und Studien weist auf die sich anbahnende absolute Knappheit an Nahrungsmitteln durch ökologische Zerstörung hin. Das sehr vorsichtig gerechnete Szenario der Studie des Fraunhoferinstituts für die EU bezüglich der Auswirkungen der Klimakatastrophe kommt zur Schlussfolgerung, dass bis 2030 eine absolute (nicht verteilungsbedingte) Welthungersnot droht, die rund einer Milliarde (genauer: 900 Mio. bis 1,8 Mrd.) Menschen die Lebensbasis entzieht. Eine andere Studie kommt zum noch dramatischeren Ergebnis, dass bei Weitermachen wie bisher die Tragfähigkeit der Erde in den kommenden Jahrzehnten nur noch für 2 Milliarden Menschen reicht. Die "Verdammten dieser Erde" sind eben nicht in erster Linie die um ihre Datschen betrogenen Ostdeutschen. Wer die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ostdeutschland zum zentralen Thema von Kampagnen macht und gleichzeitig praktisch nicht wahrnimmt, in welchem Ausmaß wir an der Vernichtung der Lebensgrundlagen weltweit beteiligt sind, hat politische Sehstörungen, verkürzt soziale Gerechtigkeit chauvinistisch auf die eigene Klientel und zerstört so letztlich den Sinn von sozialer Gerechtigkeit.

"Soziale Gerechtigkeit ist nur verlängert in die Zukunft und nur erdumspannend zu haben." So prägnant hat es die Programmkommission formuliert. Mit diesem Satz ist eine glückliche Kurzformel des Selbstverständnisses der PDS gelungen. Es käme jetzt darauf an, diesen Maßstab konsequent auf unsere Politikfelder anzulegen und jeweils zu fragen: Hält diese programmatische Aussage oder hält jene Schwerpunktsetzung in unserer praktischen Politik diesem Maßstab stand? Werden unsere Vorschläge zur Beschäftigungspolitik, zur Wirtschaftspolitik, zur Agrarpolitik dem Anspruch gerecht, die Lebensgrundlagen weltweit zu sichern?

Die Partei der sozialen Gerechtigkeit sollte sich auch dadurch auszeichnen, dass sie sich in die Nachhaltigkeitsdiskussion unzweideutig und konsequent einmischt. Es wäre ein wichtiger politischer Impuls, wenn sich die PDS jenen Begriff von Nachhaltigkeit zueigen machen könnte, wie er etwa in der Studie "Zukunftsfähiges Deutschland" mit dem Konzept des Umweltraumes beschrieben wurde. Nachhaltigkeit bedeutet, die Natur nur in den Grenzen ihrer Tragfähigkeit und Regenerierbarkeit zu nutzen. Entscheidend aber ist: Jedem Menschen, dem deutschen Yuppie genauso wie der Bäuerin aus Burkina Faso, kommt pro Kopf das gleiche Nutzungsrecht zu. Dieser Begriff von Nachhaltigkeit verankert den für uns zentralen Anspruch der sozialen Gerechtigkeit bereits in der Methode. So konsequent gedacht, macht er aber auch die Dimension der Aufgabe deutlich, vor der wir stehen: Menschenwürdige Bedingungen auf der Erde für alle zu sichern bedeutet dann, unseren Energie- und Ressourcenverbrauch in den nächsten Jahrzehnten um den Faktor 10 (!) zu verringern.

 

Das schwammige Gerede von Nachhaltigkeit auch in unseren Programmen verschleiert die Dimension dieser Herausforderung. Weil wir von Nachhaltigkeit so unpräzise reden, tragen wir zur Verharmlosung des Problems bei. Nur so ist es zu erklären, dass die entsprechenden Passagen aus den Thesen der Programmkommission die Gemütlichkeit einer Kaffeefahrt ausstrahlen.

In dieser Situation verantwortlich Politik zu machen bedeutet nicht zuletzt, der großen Versuchung des billigen Populismus zu widerstehen. Es wäre fatal, wenn wir aus Opportunismus und politischer Phantasielosigkeit den Menschen nicht die Wahrheit zumuten: Diese Art von Pseudo-Wohlstand auf Kosten anderer kann nicht fortgesetzt werden. Dieser Typ von Dinosaurier-Industriegesellschaft ist eben zum Aussterben verurteilt.

Als DemokratInnen haben wir den Anspruch, dass die notwendige ökologische Wende nicht technokratisch-autoritär durchzusetzen ist, sondern dass sie die Köpfe und Herzen der Menschen gewinnen muss. Dann aber dürfen wir nicht den Fehler der SPD wiederholen, die im Ruhrgebiet wider besseres Wissen jahrzehntelang posaunt hat: Keine Zeche wird geschlossen. Die dabei am meisten Betrogenen waren genau diejenigen, um denen es vordergründig ging: die Bergleute.

Die Köpfe und Herzen der Menschen für den ökologischen Umbau gewinnen, ist ein zusätzliches starkes Motiv für eine konsequente Politik der sozialen Gerechtigkeit im eigenen Land. Die Akzeptanz von Lebens- und Konsummustern, die sich nicht der Zerstörung der Lebensmöglichkeiten anderer verdanken, kann nur geschaffen werden, wenn der Skandal der Kluft zwischen einem obszön zur Schau gestellten Reichtum einerseits und prekären Lebensverhältnissen von immer mehr Menschen bei uns wirkungsvoll bekämpft wird.

Ökologische Politik heißt deshalb auch konsequente Politik des sozialen Umbaus bei uns, und zwar gerade weil das alte wohlfahrtsstaatliche Modell, das vom Wachstumskuchen immer genug auch für die Mehrheit abfallen ließ, ausgedient hat. Ohne den von uns angestrebten sozialen "New Deal" greifen auch die Instrumente des ökologischen Umbaus nicht. Es ist nicht hinnehmbar, daß Ökosteuern, ohne Einbettung in eine insgesamt gerechtere Ausgestaltung des Steuersystems und ohne sonstige Korrekturen am krassen Einkommens- und Reichtumsgefälle dazu führen, dass sich die Dagoberts dieses Gesellschaft freikaufen, dass sie sich ein naturzerstörendes Verhalten weiter leisten wie ihren Porsche, während ein großer Teil der Menschen überhaupt keine Chance hat, anders zu konsumieren.

Die Wende zu ökologischer Nachhaltigkeit ist innerhalb einer kapitalistischen Gesellschaft letztlich nicht denkbar. Kaum irgendwo zeigt sich so deutlich, dass der Kapitalismus gründlich gescheitert ist, wie an der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, für die er mit seinem eingebauten Wachstumszwang hauptverantwortlich ist. Der Kapitalismus funktioniert nach der Logik der Krebszelle. Das Scheitern der DDR und der anderen realsozialistischen Gesellschaften, die sich fatalerweise derselben Logik unterworfen haben, hat das Scheitern des Kapitalismus in diesem Sinn bloß vorweggenommen. Wir stehen vor der Alternative: Wenn die Menschheit überleben soll, dann kann der Kapitalismus nicht überleben.

 

Gerade vor dem Hintergrund der ökologischen Krise wäre es fatal, wenn die PDS ihren sozialistischen, systemüberwindenden Anspruch aufgäbe. Mit einer etwas aufpolierten SPD ist uns leider gar nicht geholfen. Eine konsequent antikapitalistische Politik zu betreiben, weil anders die großen sozialen und ökologischen Krisen nicht angemessen bearbeitet werden können, bedeutet aber auch: Wir müssen unsere Begründungen und Argumentationen kritisch daraufhin prüfen, ob sie nicht doch der herrschenden Ideologie aufsitzen. Wenn man zur Einsicht kommt, dass der kapitalistische Wachstumszwang die Wurzel der ökologischen Zerstörung ist, dass eine sozial und ökologisch nachhaltige Wirtschaft nur eine wachstumsunabhängige sein kann und dass die Verringerung des Energie- und Ressourcendurchsatzes um den Faktor 10 in den Industrieländern gemessen an den jetzigen Kriterien des BSP nur ein Schrumpfen bedeuten kann - was unter kapitalistischen Vorzeichen gänzlich unmöglich ist -, dann können wir uns nicht in unseren Programmen selbst positiv auf das Wachstumskriterium beziehen, dann müssen wir Vokabeln wie "Stärkung der Massenkaufkraft" konsequent aus unserem Wortschatz streichen und dann dürfen wir nicht länger das neoliberale Argument der "Wettbewerbsfähigkeit" benutzen.

Natürlich können wir uns konkreter Reformpolitik nicht entziehen, ohne letztlich zynisch zu werden. Gerade im ökologischen Bereich befinden wir uns in einem Wettlauf mit der Zeit, in der es gilt, alle nur zur Verfügung stehenden Instrumente zu nutzen, auch wenn wir wissen, dass sie letztlich nicht ausreichen. Gerade deshalb treten wir für ein Ökosteuermodell ein, das - im Gegensatz zu dem der Regierung - den Namen auch verdient. Für die PDS ergibt sich aber daraus das Desiderat: Unsere konkreten Reformalternativen müssen tatsächlich über sich selbst hinausweisen; an ihnen muss ablesbar sein, dass wir diese anachronistische Form der Ökonomie überwinden wollen.

Konkret heißt das zum Beispiel: Das Konzept der Mengenregulierung im Energiebereich als Alternative zur Ökosteuer wäre als genuin sozialistischer Politikansatz weiterzuentwickeln; Die ökokapitalistischen Ansätze à la E. U. von Weizsäcker (weiter so, nur etwas effizienter!) , die derzeit die Meinungsführerschaft innehaben, wären in ihrer Unzulänglichkeit zu entlarven; Gegen das herrschende Dogma von der "Marktkonformität" wären in den zentralen Bereichen ordnungspolitische Alternativen zu entwickeln; so ließe sich an solchen Reformkonzepten zeigen: Wenn man ökologische Politik sachgerecht und konsequent betreibt, dann wird dieses System bis zur Unkenntlichkeit verändert. Wer Ökologie sagt, der muss eben auch Antikapitalismus sagen.

Die ökologische Wende ist eine gewaltige Aufgabe der ganzen Gesellschaft, zumindest der fortschrittlichen Teile in ihr. Die PDS kann hier nur eine Kraft unter vielen sein, mit ihren spezifischen Möglichkeiten, aber auch Grenzen als Partei. Doch auch hier wären Fragen angebracht: Unterwerfen wir uns einfach dem herrschenden Modell von Partei innerhalb dieses parlamentaristischen Systems, oder sind wir zu mehr Phantasie fähig? Wenn wir die Diagnose ernst nehmen, dass über Parlamente die entscheidenden gesellschaftlichen Verhältnisse letztlich nicht umgeworfen werden können, dann sollten wir daraus auch für unser Selbstverständnis als Partei die Konsequenzen ziehen.

 

Die ökologische Wende wird zwei Dinge dringend brauchen: 1. den Aufbau von Alternativen von unten, die die Keimzellen des Neuen bilden, und 2. Widerstandsformen, die uns auch vor kalkulierter Regelübertretung, zivilem Ungehorsam usw. nicht zurückscheuen lassen. 

Niemand kann im Ernst annehmen, dass die Hauptprofiteure der herrschenden lebenszerstörenden Ökonomie freiwillig und kampflos das Feld räumen. Was den ersten Punkt betrifft, gibt es erfreulicherweise genug Phantasie in dieser Richtung: Ich denke an die schöne Rapsmühlenvision von Edda Seifert: eine lohnende Perspektive für das, was eine Partei sein könnte! Ich denke auch an die Förderung des Genossenschaftsgedankens und lokaler Wirtschaftskreisläufe durch Genossinnen wie Judith Dellheim u.a. Was den zweiten Punkt betrifft, könnten wir bald vor den ersten Bewährungsproben stehen: Wie werden wir uns als Partei verhalten, wenn die Castoren wieder rollen? Werden unsere GenossInnen in Nordrhein-Westfalen dabei sein, wenn es gilt, das Gelände von Garzweiler II zu besetzen? Welche Unterstützung bieten wir den Leuten in den Hüttendörfern an, die sich gegen neue Autobahnprojekte wehren? Wie verhalten wir uns zum Widerstand gegen die EXPO 2000? Und wo sind unsere KommunalpolitikerInnen, wenn ein genetischer Freisetzungsversuch verhindert werden soll?

Als konsequente ökologische Partei knüpfen wir an den besten Traditionen an, die wir als SozialistInnen haben. Es war eben kein geringerer als Karl Marx selbst, der Mitte des 19. Jahrhunderts, ohne das Maß an Zerstörung vor Augen zu haben, das wir kennen, einen scharfen Blick dafür hatte, dass der Akkumulationsprozess des Kapitals gleichzeitig ein beschleunigter Destruktionsprozess ist, der seine eigenen Quellen zerstört: die Erde und den Arbeiter. Ihm gebührt deshalb das Schlusswort:

"Vom Standpunkt einer höheren ökonomischen Gesellschaftsformation wird das Privateigentum einzelner Individuen am Erdball ganz so abgeschmackt erscheinen wie das Privateigentum eines Menschen an einem anderen Menschen. Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie als boni patres familias den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen." (MEW 25, 784).

 

 

Der Beitrag konnte nur in einer Fünf-Minuten-Kurzfassung gehalten werden, da der Ökologischen Plattform ein Einführungsbeitrag von 15 Minuten verwehrt worden war.


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