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16.  Evolution von Innen  

 

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Jede Veränderung der Gesellschaft beginnt im Menschen, hat dort ihren Vorlauf. Auch die Rettung vor den Folgen unserer heutigen Lebens­weise beginnt in der seelischen Arena jedes einzelnen. Mit den Umschaltungen in der Psyche gedeihen neue Keime, die heranwachsen können. Sie sind am Ende die einzige Hoffnung, mit der wir uns verbünden können. Dort liegen die Fundamente für eine gesellschaftliche Ordnung, die auf Herz und Geist gebaut ist

Fraglos stellen die gesellschaftlichen Strukturen Muster, die gewisse Perspektiven blockieren und andere fördern. Die politisch-ökonomischen Verhältnisse prägen den Menschen zuinnerst mit. Doch er ist nicht nur Marionette der bestehenden Verhältnisse. Bewußtseinshaltungen erweisen sich als entscheidend für den Lauf der Geschichte. Bei aller Destruktion der faktischen Supermächte, die heute wirken: 

Im Gemenge des psychologischen Energiefeldes der Gesellschaft beginnt ihre Erosion, dort werden die Möglichkeiten, ob etwas Neues gesehen wird und welche Formen es annehmen kann, entschieden. Die materielle Grundstruktur und die durch sie hindurchwirkenden Herrschaftsfügungen mögen noch so festgeformt sein, kristallisiert sich eine alternative Entwicklung heraus und wird sie aus der Bevölkerung heraus unterstützt, geraten alte Glaubenssätze und ihre Stein gewordenen Zeugnisse ins Wanken.

Sicher gewannen in der Geschichte der menschlichen Zivilisation die glücklichen Wendungen nur selten die Oberhand, und wenn, dann nur für kurze Zeit und beschränkt auf einzelne Phasen oder Elemente des gesellschaftlichen Prozesses in dieser oder jener Region der Welt. Uns ist die Aufgabe gestellt, die unheilvolle Kontinuität, die darin liegt, dauerhaft zu überwinden. 

Es mag sein, dies bleibt für ewige Zeiten in entrückter Ferne. Aber der Versuch muß mit aller Konsequenz gewagt werden. Dies sollten wir uns und den nach­folgenden Generationen schuldig sein. 

Die zerstörerische Überlast des Industriesystems bildet nur die unmittelbarste Ursache des ökologischen Desasters. Das ökonomische System des Nimmer­satt mit dem Geld­vermehr­ungstrieb im Mittelpunkt hält diese expansive Megamaschine am Laufen und in fortgesetzter Entwicklung. Die kapital­dominierte Gesellschafts­formation ist mit ihren Zwängen, ihrer Ausprägung als Raff- und Giergesellschaft eine weltumspannende Mißbildung. Sie durchwirkt alle sozialen Verhältnisse. 

Sie ist aber nicht die tiefste Ursachenschicht für die ökologische Krise. Der kapitalistische Antrieb wurzelt in einer kolonialistischen Weltsicht und Praxis, ist aus ihr hervorgegangen. Europa erwies sich als die beste Brutstätte dieser aggressiven, herrschaftlichen Weltbezogenheit. Demgegenüber ist das Patriarchat eine ältere Schicht und zugleich die ursprünglichste Entgleisung, die hier aber nur auf den menschlichen Geist selbst zurückgehen kann. Die Herrschaft des Projektemachern ist männlicher Natur. 

Der Entwicklungsweg, der jetzt im Weltkapitalismus kulminiert, wurde in letzter Instanz immer durch den Menschen mitformiert, so sehr die im Schlepptau der Verhältnisse liegenden, aber auch die jeweils wertsetzenden Menschen immer mehr vom eigentlichen gesell­schaftlichen Prozeß vergewaltigt wurden, sich in ihn hinein entfremden mußten.122   [Anmerkungen]

Insofern jedoch bei jedem gesellschaftlichen Tun unsere geistige und seelische Wirklichkeit eingeht, die Qualität der Resultate von dort her entscheidend mitbestimmt wird, ist es von besonderer Bedeutung, welche Reife in unserer Psyche erreicht werden kann, mit welcher Verfaßtheit wir in der Welt agieren. Die Krise der westlichen Kultur kann nicht nur von den äußeren Mächten her verstanden werden. Sie ist wesentlich auch eine Krise der inneren Verfassung des Menschen. 

Jegliche Zivilisation hat historisch wie gegenwärtig den Menschen als Ausgangspunkt ihrer Entstehung, so sehr gesellschaftlich bestimmende Schichten auch den Kurs absteckten. Das kapitalgetriebene Wirtschaftssystem bescherte uns nicht eine göttliche Vorsehung, sondern Menschen mit habenorientierten Interessen, die diese im besonderen Maße kultivieren konnten. Innerhalb der heutigen Megamaschine sind diese Intentionen zu einem Macht-, Zwang- und Suchtgefüge geronnen. 

Der ökoglobalen Situation liegt also eine In-Weltkrise und eine gravierende Fehlkonstruktion der sozialen Systeme zugrunde. Ein Übermaß an aggressiver faustischer Bewußtseins­prägung und zugleich ein Mangel an zu sich gekommenem Geist verbiegt tendenziell die gesellschaftliche Kommunikation und daraus folgend auch die vergegenständlichte soziale Praxis. 

Die ökologische Praxis sollte in eine kulturell-seelische Zeitenwende eingebettet sein. In einer zukunftsfähigen Ordnung müssen die Werte des "Seins" über denen des "Habens" stehen. Wir brauchen den Übergang vom fortschrittssüchtigen Wohlstandsstaat zur in sich ruhenden Wohl-Seins-Gesellschaft. Vom Herzen und von geistiger Klarsicht aus hätten wir die Welt neu einzurichten und kalter, dumpfer Machthybris den Weg zu verengen, soweit sie unmittelbar nicht am konkreten Menschen erlöst werden kann.

Die Aufrichtigkeit sozialer Beziehungen, das innere Karma des Menschen ist die unmittelbarste Quelle für die Heilung unserer kranken Gesellschaft. Der Begriff <Karma> bezieht sich hier nicht streng auf herkömmliche asiatisch-religiöse Vorstellungen, sondern auf die Frage, mit welchen psychischen Energiefeld der Mensch in seinem Umfeld wirkt. 

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Wenn ein Mann seine Frau wegen Nichtigkeiten anschreit, so entsteht gewiß kein gutes Karma, währenddessen in einer aufrichtig-liebevollen Beziehung ein gelungenes Energiefeld wachsen kann. Damit sind nicht alle Schwierigkeiten aufgelöst, aber die Atmosphäre ist eine andere.

Die Kernfrage steht so: 

Wie kann die Gesellschaft mit all ihren Institutionen und Strukturen so gebaut sein, daß die Möglichkeit zum höheren Selbst im Menschen optimal gestützt wird? Wie vermag sie sich allmählich in eine geistig-seelische Hochkultur wandeln bzw. einem solchen Anspruch näher gelangen? 

Die geistigen Möglichkeiten des Menschwerdens würden stärker ins Sichtfeld zu rücken sein. Heute liegen solche Lebensfragen eher am Rande gesell­schaft­lichen Geschehens. Jeder soll sie für sich ausmachen, wenn er denn meint, sich überhaupt damit befassen zu müssen. 

Dabei gibt es keinen politischeren Boden als die innerste Wahrheit über uns selbst, wie wir in der Welt wirken. Daraus folgt auch eine bestimmte Qualität an sozialer Aktivität. 

Es geht unter anderem um Fragen: Wie kann Humanität ohne seelische Verdrängungsraster gedeihen? Wie kann Sanftmut sich mit unseren innersten Lebens­energien verbünden und als gesellschaftliche Qualität herauswachsen?

Diese knappen Hinweise auf die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft verweisen zugleich auf ein anderes Problemfeld. Die heutigen Sozial­strukturen, in denen wir lernen, arbeiten und lieben, stehen zu einem nicht unerheblichen Teil im Widerspruch zur inneren Weisheit unserer Lebensenergien. Wir passen uns in die vorgegebenen Zwänge, so weit wir es müssen, ein, und häufig ist uns nicht mal mehr bewußt, daß es Anteile in unserer Psyche gibt, die dagegen rebellieren. Die Arbeitsmodi, denen wir uns unterwerfen, verstümmeln uns als Mensch, und zwar nicht nur wegen der "undemokratischen" Anlage unserer wirtschaftlichen Einheiten. 

Der Achtstundentag, Woche für Woche, im Leistungsstreß ist mit Sicherheit jenseits menschlicher Maßgabe verortet. Die Anfrage nach neuen Lebensformen steht hier auf jeden Fall an. Vielfach sind wir auf unser Funktionieren als Arbeitszombies zurückgeschnitten. Der Zyklus des eigentlichen Seins geht an uns vorbei, wir leben allzuoft außer uns, um der Brötchen willen, die wir uns verdienen müssen. Der Kontakt zu unverstellter Wirklichkeit ging verloren im Getriebe unseres Funktionieren­müssens für die Gesellschaft. 

Im Grunde bedeutet menschliches Existieren in der heutigen Welt von vornherein eine Erpressung des Individuums. Ohne zu hinterfragen möchte es sich bitte an die vorgezeichneten Erwartungen in der ein oder anderen Weise halten. Jeder Protest bleibt ein stummer Schrei, er riskiert eine Unwirklichkeit, die von den umgebenden Normalitäten mühelos überwältigt wird. Sicher ist Arbeit auch sinnvolles In-der-Welt-Sein. Wenn Arbeit sich mit den eigenen inneren Ambitionen deckt, eine Allianz eingeht, kann sie höchstes Glück bedeuten. Nur das innere Maß dafür, wo Sinn in Unsinn umschlägt, fehlt uns allzu häufig. Es muß erst wieder entdeckt werden. Wahrscheinlich gibt es dafür auch unterschiedliche Lösungen, die aber mit dem je eigenen Lebensentwurf harmonieren sollten.

In gesellschaftlichen Zuständen, wo jeder Handgriff zur Webstruktur des Todesnetzes gehört, ist sinnerfülltes Arbeiten unmittelbar nicht erreichbar oder doch wenigstens mit vielen "Wenn" und "Aber" verknüpft. Ohnehin läßt sich die Entfremdung von der eigenen Arbeit in einer Gesellschaft mit großteiligen Strukturen und genereller Arbeitsteilung für die Masse der Menschen nur sehr partiell zurückdrängen.

Das heutige Schulsystem zieht uns als Zahnräder für unser selbstmörderisches Getriebe heran. Schule im heutigen Sinne gehört abgeschafft. Vielmehr geht es darum zu lernen, wie man lernt, also die Logik, mit der man lernt, zu durchdringen. Sammelt man primär Wissen an für Zensuren, Prüfungen etc., dann können letztlich nur Funktionäre für die Megamaschine am Ende herauskommen. Aufgesetzte Leistungsnormen und Bildung im Zeichen suchenden Geistes vertragen sich nur sehr vereinzelt miteinander.

In der Tendenz geht es um den Ausstieg aus der permanenten Leistungsgesellschaft hin zu einem lebens­energetischen Aufbruch, der Leistung neu ordnet.

Wir sind also mit der Frage konfrontiert: Was wollen wir wirklich als Menschen in unserem tiefsten Wesen, und welchen Spielraum haben wir dafür im Rahmen der nötigen ökologischen Neugestaltung der Gesellschaft? 

Also auch die Ökologie des menschlichen Geistes - wie wir mit unserer naturgegebenen inneren Verfaßtheit im Kulturprozeß haushalten - gehört auf die Waagschale.

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Bateson eingefügt, weil Ferst sich vermutlich darauf bezieht:

 

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