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2. Äußere Symptome der globalen Naturzerstörung

Ferst-2002

 

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In den letzten 10.000 Jahren nach dem Ende der Eiszeit erwies sich das Erdklima als ungewöhnlich stabil. Dieser Umstand ist in der jüngeren Geschichte unseres Planeten einmalig und hat wohl entscheidend mit dazu beigetragen, daß der Mensch die jetzige Zivilisations­entwicklung einschlagen konnte. 

In den letzten 100.000 Jahren gab es nie eine vergleichbar lange Zeit, in der solch konstante und ausgeglichene Witter­ungs­bedingungen herrschten. Immer wieder kam es zu Kälte­einbrüchen und Wärme­perioden, und mitunter änderten sich die Temper­aturen sehr abrupt.(5) Jetzt besteht offenbar die Gefahr, daß der Mensch selbst diesem relativ stabilen Zustand ein Ende setzt.

Vier Grad unter der heutigen globalen Durchschnittstemperatur reichten aus, um ganz Nordeuropa unter einer dicken Eisdecke verschwinden zu lassen. Dies zeigt, wie gering die Temperaturänderungen nur ausfallen brauchen, um für die Menschheit katastrophale Szenarien zu erzeugen. Seit 1880 erhöhte sich durch die globalen Emissionen von Treibhausgasen, wie Kohlendioxid, Methan, verschiedene Fluor­kohlen­wasserstoffe, Distickstoffoxid, bodennahes Ozon u.a., die globale Durch­schnitts­temperatur um etwa ein Grad Celsius. Dies glaubt man mit 95prozentiger Sicherheit sagen zu können.

Während sich die untere Atmosphäre erwärmt, nimmt in den höheren Luftschichten die Temperatur ab. Dort fehlt die Wärme, die im Treibhaus Erde gefangen ist. Seit 1979 kühlte sich die Stratosphäre im globalen Mittel um 0,6° ab. Damit findet sich ein weiteres Indiz dafür, daß sich der Treibhaus­effekt verstärkt. Wird die obere Atmosphäre kühler, werden die meteorologischen Voraussetzungen für die Zerstörung der nur 3 bis 5 Millimeter dicken Ozon­schicht begünstigt. So könnte künftig auch die Arktis zu ihrem Ozonloch kommen.6

Die Jahre 1998, 1997, 1995 und 1990 waren die heißesten Jahre der letzten sechs Jahrhunderte auf der Nordhalbkugel der Erde. Soweit hat ein US-Forscher­team von der University of Massachusetts eine Vielzahl von Stellvertreter­daten zurückverfolgt. Nie stieg die Durchschnitts­temperatur so an wie in den vergangenen acht Jahren.7  

Mobjib Latif vom Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie geht davon aus, bis zum Ende des 21. Jahrhunderts kann sich die Erhöhung der globalen Durchschnitts­temperatur auf drei Grad belaufen. Jedoch würde auf den Kontinenten eine Steigerung von bis zu fünf Grad im Jahresmittel möglich sein, da hier die Wärme nicht wie bei den Ozeanen in tiefere Schichten transportiert werden kann.8

 Latif bei detopia 

Auf Grund von Szenarien geht der IPCC davon aus, daß am Ende des 21. Jahrhunderts vom wichtigsten Klimagas Kohlendioxid 5 bis 35 Milliarden Tonnen pro Jahr ausgestoßen werden könnten. Dies entspricht einem globalen Temperaturanstieg von 1,4 bis 5,8 Grad Celsius. Derzeit liegen wir bei einem jährlichen Ausstoß von Kohlendioxid von 6,3 Milliarden Tonnen. In dieser Rechnung fehlt, wie gesagt, der Anteil der anderen Treibhausgase, wie zum Beispiel Methan, die Fluor­kohlen­wasserstoffe u.a.

Zu berücksichtigen ist, diesem Bericht des IPCC mußten über 100 Regierungen ihre Zustimmung geben, genügend Spielraum für bezahlte und unbezahlte Skeptiker. An dem Bericht schrieben über 700 Autoren mit, und man wird annehmen dürfen, sie haben den kleinsten gemein­samen Nenner formuliert.10  Es ist durchaus wahrscheinlich, die reellen Auswirkungen schneiden sehr viel gravierender in unsere Lebensverhältnisse ein.


Wasserstand

In den vergangenen 100 Jahren erhöhte sich der Meeresspiegel um ca. 10 bis 20 cm durch die thermische Ausdehnung des Wassers und abgeschmolzenes Festlandeis. Die Schätzungen für das nächste Jahrhundert schwanken zwischen weiteren 20 cm bis zwei Metern. Eine Fläche halb so groß wie Europa könnte zu Meer werden.11 Für viele Inseln heißt es dann: Land unter, große Teile von Bangladesch verschwänden in den Fluten. Schmilzt jedoch langfristig das westantarktische Eisschelf, könnte sich der Meeresspiegel auch um mehr als fünf Meter erhöhen. Allein wenn es nur aufgeschwemmt würde, käme es zu einem kräftigen Anstieg.

Daß der Meeresspiegel keine Konstante ist, zeigt die letzte Eiszeit. Bis zu 120 Meter tiefer lagen damals die Ozeane, eine Fläche von der Größe Afrikas wurde zu Festland. 1.720 Meter dick schichtet sich heute im Schnitt der Eispanzer auf dem Südpol. Würden alle kontinentalen Eismassen zu Wasser, insbesondere die der Antarktis, läge der Meeresspiegel um 70 Meter höher.12 Gewiß, eine solche Wasserwelt bleibt einstweilen die Fiktion von Filme­machern.* Dennoch ist das ein Umstand, der Beachtung verdient.

Während sich allmählich die Temperaturen erhöhen, verändert sich aber auch der Wasserhaushalt der Erde. Die Nieder­schlagsmengen in den einzelnen Regionen werden sich neu verteilen. Sie gehören zu den Vorhersagen, über die die Modellrechnungen nur sehr vage Auskunft geben. Man rechnet jedoch damit, daß riesige Waldflächen in künftig trockneren Gebieten, nachdem sie einige Jahrzehnte standgehalten haben, plötzlich in kürzester Frist absterben. Von diesem Szenario könnten insbesondere auch Tropenwälder betroffen sein. In Biomasse gespeichertes CO2 gelänge so zusätzlich in die Atmosphäre. Der in den noch verbliebenen Tropenwäldern gespeicherte Kohlenstoff entspricht der 70fachen Menge der jährlichen CO2-Emissionen durch Industrie und Haushalte. Es sollte also besser gespeichert bleiben.

15 Millionen Tonnen Wolkenwasser zirkulieren um die Erde. Doch schon geringfügige Temperatur­erhöhungen drücken diesen gigantischen Wasserkreislauf aus seinen bisherigen Abfolgen. Gerät die globale Wettermaschine in neue Zyklen, tauchen andere Luftströmungen auf, fruchtbare Ländereien verwandeln sich in Wüsten und in trockenen Gebiete gedeiht eine ungewohnte Pflanzenwelt. So sank zwischen 1975 und 1985 in der Sahelzone Afrikas der Niederschlag um 40%. Künftige Veränderungen könnten weitaus gravierender ausfallen.

Über den wärmsten Gebieten der Erde erhöhte sich der Wasserdampfgehalt in anderthalb Kilometern Höhe in den letzten drei Jahrzehnten um über dreißig Prozent. Etliche Wetterkapriolen dürften ihre Ursache diesem Umstand verdanken.13) Erreicht die Temperatur der Meeresoberfläche 27,5 Grad Celsius und mehr, steigt die Zahl der Wirbelstürme stark an, weil bei dieser Temperatur der Aufwind über dem Meer stark zunimmt. Eine wichtige Frage wird sein, ob sich künftig mehr Wolkenarten bilden, die gegen die drohende Erwärmung eher kühlend wirken, oder ob das Gegenteil eintritt und mehr hochliegende Eiswolken entstehen, die die Wärmefalle verstärken. Darüber weiß man bisher sehr wenig. Aber auch gewöhnliche Regenwolken kühlen nur tagsüber, halten aber in der Nacht die Wärme.

* (d-2014)   wikipedia Waterworld  ist ein US-amerikanischer Science-Fiction-Film des Endzeitgenres, der 1995 gedreht wurde. Er war mit einem Budget von 175 Millionen US-Dollar der bis dahin teuerste Film der Geschichte.  Auch: wikipedia Liste_dystopischer_Filme 

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Zu beachten ist auch, Wolken entstehen aus Wasserdampf und dieser ist zu 60 Prozent am natürlichen Treibhauseffekt beteiligt, ohne den die Erde um 35 Grad kälter wäre. Bildet sich mehr Wasserdampf, ohne daß kühlende Wolken entstehen, verstärkt dies die Treibhaus­wirkung.

Die extrem starken El-Nino-Ereignisse 1982/83 und 1997/98 legen den Verdacht nahe, sie sind durch Menschenhand verstärkt. Die Klimaforscher rechnen auf Grund ihrer Modelle damit. Der Nachweis, ob dem so ist, wird vorläufig jedoch nicht zu erhalten sein. Zwischen April 97 und Juni 98 verursachte El Nino den Tod von 21.700 Menschen und richtete Schäden in Höhe von rund 60 Milliarden Mark an. Bleiben die Passatwinde im Pazifik aus, gelangt warmes Oberflächenwasser nicht wie üblich vor die Küste Asiens und Australiens, sondern drängt zurück zum amerikanischen Kontinent und trägt dort zur Wolkenbildung und darauf folgenden sintflutartigen Regenfällen etwa in Chile bei. Dafür bringt das Wetterphänomen in Südostasien Dürren, Mißernten und Waldbrände und hinterläßt auch an anderen Orten des Globus seine Visitenkarte.14

Werden die bisherigen extremen El Ninos nur das Vorspiel sein für bisher ungekannte Wetterexzesse? Was wird die Wetterküche erst zusammenbrauen, wenn die globalen Temperaturen weiter steigen?

Schon heute gibt es viele Anzeichen für den beginnenden Klimawandel. 95 Prozent der Gletscher in den Alpen sind auf dem Rückzug, die Hälfte ihres Eises ist bereits abgeschmolzen, und es deutet alles darauf hin, der Tauprozeß beschleunigt sich. Geht das ungebremst weiter, sind sie in wenigen Jahrzehnten verschwunden. Fast überall tauen die Gletscher der Erde. Gewiß spielt dabei nicht nur die Temperatur, sondern auch die Niederschlagsmenge u.a. mit hinein, aber die Warnzeichen sind eindeutig.15

Geschrumpft ist auch der Packeisgürtel um den antarktischen Kontinent. Anhand von Walfängerberichten gibt es Indizien, daß er in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts um ein Viertel zurückgegangen ist. Die Daten belegen insbesondere, zwischen Mitte der fünfziger Jahre und Anfang der siebziger Jahre verschob sich die sommerliche Packeisgrenze um fast drei Breitengrade nach Süden.16

Immer wieder brechen inzwischen auch vom Schelf-Eis riesige Kolosse ab. 1998 löste sich vom Filchner-Schelf ein 700 Milliarden Tonnen schwerer Eisberg, etwa so groß wie die Fläche Hongkongs. Schon 1995 trennte sich vom Larsen-Schelf ein Eispaket von doppeltem Ausmaß ab, und Anfang 1999 ging ein gigantischer Abbruch auf Reisen, diesmal samt einer Antarktisstation und allem zugehörigen Gerät. Man hatte nicht damit gerechnet.

Der Dauerfrostboden in Alaska beginnt aufzutauen, und in Sibirien zeigten die Thermometer im März 1990 zehn Grad höhere Temperaturen an, als sie dort jemals gemessen wurden. Zu hohe Temperaturen in den tropischen Ozeanen lassen dort die Korallenriffe sterben. 

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Eigendynamik 

Und so kommt ein Mosaikstein zum nächsten, die uns anzeigen könnten, wir sind dabei, etwas in Gang zu bringen, was hinterher niemand mehr aufhalten kann. Steigert die Menschheit das Temperaturniveau in den nächsten Dekaden noch einmal um ca. 1,5 Grad, überrollt uns die Klimakatastrophe bereits. 

Setzen wir unsere industriellen Errungenschaften in altbekannter Logik fort, dann ist in wenigen Jahrzehnten der Punkt erreicht, von dem es keine Rückkehr mehr gibt. Unter Umständen kann diese Situation aber auch schneller eintreten. Vielleicht haben wir diese Zeitschwelle auch schon überschritten. Einstweilen wissen wir das nicht.

Kommen wir an jenem magischen Punkt an, muß das nicht heißen, die aussichtslose Lage ist dann schon offenkundig für jeden, aber bestimmte historische Prozesse sind dann sicher entschieden und können nur noch moduliert werden. Heute setzen wir die Grundpfeiler dafür, wie die Situation in 30, 50 oder noch mehr Jahren aussehen wird.

Natürlich wissen wir herzlich wenig davon, wie weit wir die großen Gleichgewichte unserer irdischen Existenz bereits verletzt haben. Etliche Veränderungen sind aber inzwischen schon programmiert, nur die Intensität ist noch nicht klar. Ob wir für den endgültigen Crash eine oder drei Generationen brauchen, wenn wir so weitermachen wie bisher, ist offen.

 

Das Methan  

Der Treibhauseffekt wird in jedem Falle verstärkt die Polarregionen der Erde erwärmen. Um 8 bis 12 Grad höher könnten in diesen Regionen die durch­schnitt­lichen Temperaturen ausfallen. Dort lagern aber unter dem Eis und am Meeresboden riesige Mengen an Methanhydraten, die schon bei einer geringen Temperatur­erhöhung binnen weniger Jahre freigesetzt würden. Dieses Methaneis entstand beim Verfaulen von Sumpfgras in der Urzeit.

Die gesamte Menge an Kohlenstoff in Form von atmosphärischem CO und der in allem Leben der Erde enthaltene wird auf gut 1500 Gigatonnen veran­schlagt. 

Die niedrigste Schätzung der Größe der Methanhydrat-Reservoire liegt bei 10.000 Gigatonnen, wobei 400 davon unter Permafrostboden in Sibirien und Nordamerika vermutet werden. Die Schätzungen der Gesamtvorräte reichen aber bis zu einer Million Gigatonnen aufwärts.17)  

Darüber hinaus besitzt Methan bei der Erwärmung eine bis zu 32fach stärkere Wirkung als das Kohlendioxidmolekül, wenngleich seine Verweildauer auf ca. 10-17 Jahre beschränkt ist. Allerdings, unter den Folgeprodukten sind auch wieder Treibhausgase - Kohlendioxid und Wasserdampf.

Damit zeichnet sich folgende Gefahr ab: 

Selbst wenn man Klimamodelle zugrunde legt, in deren Rechnungen sich durch das Absacken großer Wassermengen im Nordatlantik oder durch andere Prozesse die klimatischen Veränderungen verzögern, so muß doch in den Polarregionen mit einigen großen Gebieten gerechnet werden, in denen die durch­schnittliche Temperatur sehr stark ansteigt. 

So könnte Schritt für Schritt ein Prozeß in Gang gesetzt werden, bei dem das Klima durch die ständig wachsende Methanzufuhr völlig außer Kontrolle gerät und die Klimakatastrophe im Selbstlauf über uns hereinbricht. Auch die radikalste Verminderung des Ausstoßes an klimawirksamen Substanzen kommt dann absolut zu spät. 

Trifft die eben beschriebene Option im vollen Umfang zu, würde das heißen, fast die gesamte Tier- und Pflanzenwelt der Erde stirbt ab, und unsere Heim­statt mutiert zu einem unbewohnbaren Planeten.*

Wenn also z.B. im Bericht der Enquete-Kommission des Bundestages <Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre> geschrieben steht, die Reduktion des Kohlendioxids müsse bis zum Jahr 2050 80% betragen, bezogen auf die Datenlage von 1990, um den Temperaturanstieg auf 1 bis 2 Grad (!) zu begrenzen, so könnte sich hinterher herausstellen, diese angeblich zulässige Gradspanne war viel zu groß, weil die Erwärmung je nach Region sehr unterschiedliche Ausmaße annimmt und die Folgereaktionen unkalkulierbares neues Störpotential hervorbringen.

* (d-2014:) Im Plädoyer 2010 schreibt Ferst kürzer an dieser 'Methanstelle': "Endstation wäre ein Wüstenplanet".

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Verändern wird sich natürlich weit mehr, das ganze Wettergeschehen kippt aus den üblichen Abläufen, und das ruft weitreichende Veränderungen für die gesamte Biosphäre hervor. Wenn regelmäßig Orkane die Städte und Dörfer verwüsten, wird es für konstruktive Veränderungen zu spät sein. In den letzten Jahrzehnten nahmen die weltweiten Windaktivitäten im Schnitt bereits um 40% zu.

 

Das Ozonloch 

Das alle zwei Jahre besonders ausgeprägte Ozonloch über dem antarktischen Kontinent wird inzwischen mehr als doppelt so groß wie die Fläche der USA. Immer wieder werden neue Rekordmarken gesetzt. Führende Wissenschaftler, die sich mit der Ozonforschung befassen, sind der Meinung, daß es bereits fünf nach zwölf ist. Die Aufstiegszeit für FCKWs in die Stratosphäre beträgt bis zu 15 Jahren, und damit verzögern sich die Wirkungen entsprechend. 

Reißt uns die schützende Ozonschicht in der Stratosphäre auch über der Nordhalbkugel, wächst die Hautkrebsrate, Augenkrankheiten, die zu Blindheit führen, nehmen zu, und die Immunsysteme der Menschen und Tiere werden angegriffen. Gestört wird die Photosynthese. Dadurch verringert sich der Pflanzen­wuchs. Das ist neben der Verschiebung der Klimazonen, dem Verlust von Bodenfruchtbarkeit u.a. ein Faktor, der den Menschen Stück für Stück die Ernährungs­grundlage entziehen könnte. Wann die im vergangenen Jahrzehnt erreichten Reduktionen an FCKWs u.a. zerstörerischen Stoffen Wirkung zeigen und die Situation sich langsam verbessert, ist bisher noch nicht absehbar.

Besonders empfindlich reagiert das Phytoplankton auf das zusätzliche UV-Licht. Es setzt mehr als die Hälfte des gesamten Kohlendioxids um, das die Pflanzen weltweit aufnehmen. Gegenwärtig werden ungefähr 40% aller CO2-Emissionen durch die Ozeane entzogen, möglicherweise aber auch mehr. Fällt diese Senke immer weiter aus, ergibt dies einen gewaltigen Extraschub für den Treibhauseffekt. Tötet die ultraviolette Strahlung nur etwas mehr als zehn Prozent dieser Einzeller ab, so könnte sich das Tempo der globalen Erwärmung nahezu verdoppeln. 5 Milliarden Tonnen weniger Kohlendioxid würden gebunden. Ungünstig zudem: In der Nähe der Pole enthalten die Ozeane zehn bis hundertmal mehr Plankton als im tropischen Bereich. Dort ist es besonders gefährdet.18)

Wird es wärmer, können die Ozeane weniger Kohlendioxid speichern. Da in den Ozeanen die fünfzigfache Menge an CO wie in der Atmosphäre enthalten ist, erlangt dieser Umstand enorme Bedeutung. Würden die Ozeane nur zwei Prozent weniger Kohlendioxid in sich aufnehmen, so reicht dies langfristig aus, um den Gehalt in der Atmosphäre auf das Doppelte zu steigern, mit den entsprechenden Folgewirkungen. Auch diese Fakten liefern uns Indizien, wo nichtlineare Entwicklungen entstehen könnten, so unzufriedenstellend die Datenerhebungen selbst vielleicht noch sein mögen. 

Uns können natürlich noch ganz andere Horrorszenarien blühen: 

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Unter anderem aus der Analyse der Eem-Warmzeit vor etwa 125.000 Jahren ergibt sich, das Klima könnte innerhalb kürzester Perioden anfangen, in verschied­ene Extreme zu springen. Fällt die ozeanische Umwälzpumpe vor Island aus, da sich der Salzgehalt durch abschmelzende Eismassen verringert und dadurch die riesigen Wassermassen nicht mehr für Jahrtausende in den Ozeantiefen verschwinden, der Golfstrom zum Erliegen kommt, bekommen wir in Nordeuropa möglicherweise einen arktischen Kälteeinbruch. Zunächst erwärmt sich der Kontinent, dann schlägt die Situation um. Der ganze nördliche Atlantik vereist. Anderenorts auf der Erde geht die Erwärmung aber weiter. So werden wir regelmäßig Windgeschwindigkeiten bekommen, die alles, was auf der Erde steht und kreucht, wegrasieren. Sollten sich diese Trends weiter erhärten, wird der letzte Abschnitt der Menschheits­geschichte zu einer finalen Geisterfahrt.

Zu solch einer neuen Eiszeit können wir aber auch auf ganz andere Weise kommen: 

Der Regenwald fabriziert dort, wo er verbreitet ist, sein eigenes Klima. Ein großer Teil der Niederschläge kommt nicht am Boden an, sondern verdunstet und bildet so neue Wolken. Jose Lutzenberger* schreibt, wenn der Regen an den Andenhängen niedergeht, dann ist er über dem Regenwald sechs bis sieben mal verdunstet und niedergeregnet. Bei dieser Verdunstung und Kondensation von Wasser werden riesige Energiemengen freigesetzt. Diese Energien werden aus dem tropischen Gürtel nach Süd und Nord transportiert. Als mächtige Wärmepumpen sorgen die Regenwälder dafür, daß es in den Tropen nicht zu heiß wird und in den gemäßigten Breiten nicht zu kalt. Holzt man den Regenwald ab, brennt ihn nieder, wie dies heute in rasanter Geschwindigkeit passiert, bricht der eben beschriebene Wasserkreislauf zusammen, lange bevor der letzte Regenwald verschwunden ist.19) Alle 90 Minuten rodet man im brasilianischen Regenwald ein Gebiet von der Größe Kölns ab. Bei dieser rasanten Geschwindigkeit könnte die Erde zwischen 2020 und 2030 vom Regenwald weitgehend "befreit" sein.

Das bedeutet für Europa schlechte Karten. Verschwindet der Regenwald im Amazonas, könnte der Golfstrom im atlantischen Ozean, der Europa beheizt, ausfallen. Dann würden wir in Nordeuropa arktische Temperaturen wie in Kanada bekommen können.20) Um den 68. Breitengrad ist es in Norwegen 13 Grad Celsius im Jahresmittel wärmer, als es ohne Golfstrom sein würde.21) In Nordeuropa erfriert dann die Saat auf dem Acker, und von Südeuropa her versteppt die Landschaft durch den Treibhauseffekt, die Wüste rückt vor. 

Beste Aussichten für einen vollständigen Zusammenbruch der Landwirtschaft und daraus folgende Hungerkatastrophen. Was noch irgendwo gedeihen mag, werden die neuen daraus resultierenden Wetterextreme zunichte machen. Da wird für Millionen von Menschen kein Platz mehr sein. Zwar ist nicht ganz klar, wie sich die Wassermassen des Golfstroms und die Luftströmungen aus dem Amazonas­gebiet gegenseitig beeinflussen, aber wollen wir wirklich testen, was passiert, wenn der Regenwald verschwunden ist?

Diese knappen Beispiele markieren nur Teile der Todesspirale, in die wir hineinrasen. Sie sind nur die Spitzen. 

Jährlich verwandeln sich 6 Millionen Hektar der Erde in wüstenähnliche Gebiete. Das Waldsterben, das durch geschönte Schadens­berichte heruntergespielt wird, gehört dazu. 

Mit 3.000 m2 pro Sekunde vernichten wir global den Wald, mit 1.000 Tonnen pro Sekunde erodiert der Boden.

* (d-2014:)  Lutzenberger bei detopia (1926-2002) 

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Schätzungsweise 27.000 Tier- und Pflanzenarten sterben jedes Jahr aus, schrieb 1995 das Nachrichten­magazin "Der Spiegel".22) Tendenz steigend. Diese Zahl ist jedoch mit großen Unsicherheiten behaftet, weil man nicht so genau feststellen kann, wieviele Arten es auf der Erde überhaupt gibt. Bisher sind etwa 1,45 Millionen wissenschaftlich beschrieben. Zwischen 5 und 30 Millionen liegt der Gesamtbestand an Arten, inklusive aller Insekten, Würmer etc.

Geht man für die Rechnung von 10 Millionen Arten aus, dann leben davon im Regenwald etwa 6 Millionen. Anfang der neunziger Jahre betrug die jährliche Vernichtung des Gesamtbestandes des Regenwalds 2,3 Prozent. Von daher rechnet Wolfgang Engelhardt mit 370 ausgestorbenen Arten pro Tag, also um die 135.000 im Jahr.23) Gibt es mehr Arten als veranschlagt, oder wird vermehrt Regenwaldfläche zerstört, und nimmt das Sterben der Korallenriffe, das zweitartenreichste Refugium, das unmittelbar durch die Klimaerwärmung zerstört wird, zu, muß man die Zahlen nach oben korrigieren.

Krebs ist inzwischen die dritthäufigste Todesursache in Deutschland. Neben dem Rauchen, ungünstigen Ernährungsgewohnheiten und seelischen Einflüssen ist die Chemikalienflut in allen Bereichen menschlichen Lebens dafür ein besonderer Ursachenanteil. Jeder vierte erliegt heute in Deutschland einem Tumor­leiden, jährlich 210.000 Menschen. Bald könnte der Krebs zur häufigsten Todesursache aufsteigen.24

 

Die Verdrängung der genetischen Vielfalt der menschlichen Ernährungspflanzen im Gefolge der modernen Landwirtschaft birgt erhebliche Gefahren. In Indonesien vernichtete in den siebziger Jahren eine bis dahin unbekannte Seuche große Teile der Reisernte. Mit Hilfe einer Wildreispflanze erreichte man eine neue Kreuzung, die einen resistenten Reis ergab. Über 6.273 Sorten mußten dafür durchprobiert werden. Je mehr Sorten bei den einzelnen Arten verloren gehen, desto sicherer sind die Hungersnöte in Zukunft.

Ein Vergleich von Pflanzensortenlisten vom Anfang des 20. Jahrhunderts mit aktuellen Bestandslisten des US-amerikanischen Landwirtschafts­ministeriums ergab: Von 75 verschiedenen Gemüsearten waren rund 97 Prozent der Sorten ausgestorben. Von 7.098 Apfelsorten existierten mehr als 86 Prozent nicht mehr, und von 2.683 Birnensorten waren ganze 329 übriggeblieben.25) Bauten indische Bauern einstmals 30.000 Reissorten an, so sind es heute kaum mehr dreißig. In dieser Situation gentechnisch veränderte Pflanzen einzusetzen, bedeutet eine unkalkulierbare Gefährdung der Artenvielfalt und der Ernährungs­grundlagen.

Ozon in Bodennähe, Dioxine und vieles andere greift die menschliche Gesundheit an. Wir haben es mit einer Totalkrise zu tun. Viele Wechselwirkungen zwischen den sehr komplexen je unterschiedlichen Zerstörungen von Ökosystemen sind unbekannt bzw. unzureichend erforscht. Die Überlagerung von mehreren Prozessen kann katastrophale nichtlineare Reaktionen auslösen, die bislang von der Wissenschaft nicht vorhergesagt sind. 

Da könnte so manche Wechselwirkung tragisch unterschätzt werden. Ganz neuartige Zerstörungsmechanismen überraschen uns vermutlich, die allgemeine Öffent­lichkeit kommt zum wiederholten Male aus dem Mus-Topf und ist konsequenzlos betroffen.

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Die Politik rotiert in ihren eigenen Denkschemata und da haben ökologische Ziele bestenfalls dekorativen Charakter gegenüber den unmittelbaren sozio-ökonom­ischen "Erfordernissen" und "Sachzwängen", die uns immer tiefer in die Krise führen. Der Selbstbetrug regiert. Fakt ist: An welcher der überaus zahlreichen möglichen Stellen die Sicherungen durchbrennen, kann man erst hinterher genauer feststellen. Dann wird es keine Gnade mehr geben, unser moderner grüner Ablaßhandel wird uns nicht weiterhelfen. Eine solide Vorhersage, die über tendenzielle Grundaussagen und Varianten hinausgeht, wird es vorläufig nicht geben.26

 

   Die Lehre im Ozonloch  

 

Es sei hier in diesem Zusammenhang nur noch mal erinnert, wie es zur Entdeckung des antarktischen Ozonlochs kam. 1981 beobachtete Joseph Farman, der Leiter eines englischen Forschungsteams in der Halley Bay an der antarktischen Küste, erstmals den Ozonausfall. Anhand seiner Aufzeichnungen erkannte er, daß dieser sich bereits seit mehreren Jahren immer in den Frühjahrs­monaten einstellte. Doch er mißtraute seinen eigenen Daten, denn niemand anderem war die Anomalie bisher aufgefallen. Keine zweite Station, keine Satellitenmessungen oder wissenschaftliche Artikel bestätigten seinen Fund.

Im Frühjahr 1984 reichte das Ozonloch bereits bis zu dem äußersten Zipfel Argentiniens. Dort registrierte es auch eine zweite englische Forschungsstation. Farman und sein Team verfaßten daraufhin einen Bericht für die Zeitschrift <Nature>. Im selben Jahr kam aber auch der vierte wissenschaftliche Bericht der amerikanischen Akademie der Wissenschaften heraus. Darin hieß es, der absolute Ozongehalt der Atmosphäre könnte sich sogar erhöhen, würde aber selbst im schlimmsten Fall nur geringfügig abnehmen. 

Dieser Bericht machte Schlagzeilen, und man nahm an, es gäbe kein Ozonproblem mehr. Die Presse ignorierte Farmans Erkenntnisse. Dennoch erreichte die Kunde auch die NASA-Wissenschaftler, und sie überprüften noch mal ihre Satellitendaten. Da man davon ausging, der Ozonschwund nehme gleichmäßig ab, war der Computer am Boden so instruiert worden, abweichende Daten herauszurechnen. Das hat er denn auch getan und so das antarktische Ozonloch unsichtbar gemacht.27*

Diese kleine Episode kann uns darauf aufmerksam machen, wie sicher unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse sind und daß uns noch mehr solcher unan­genehmen Überraschungen bevorstehen könnten. Hätte sich das Ozonloch über Europa statt über dem menschenleeren Kontinent geöffnet, wir befänden uns bereits im ökologischen Notstand. In Australien muß jeder Dritte damit rechnen, an Hautkrebs zu erkranken. In Queensland leiden mehr als 75 Prozent der über 65jährigen Bevölkerung an Hautkrebs. Kindern ist gesetzlich vorgeschrieben, auf dem Schulweg große Sonnenhüte und Schals gegen die UV-Strahlung zu tragen.28

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Der größte Teil aller Pflanzen und Tiere, die seit dem Entstehen des Lebens existierten, ist ausgestorben, weil sie sich an veränderte Naturbedingungen nicht mehr anpassen konnten. Innerhalb sehr langer Zeiträume entwickelten sich immer wieder neue Arten. Der Mensch als ein seiner selbst bewußtes Wesen, mit der höchst verfügbaren Summe an Reflexion und Verstand ausgerüstet, verstrickt sich inzwischen völlig in die selbst geschaffene Kunstwelt. 

Seine planetarische Praxis ist hoch spezialisiert. Wie ein blinder Fleck verdeckt sie ihm die hochgradige Anpassung an seine eigengeschaffene Wirklichkeit und das Abdriften von den natürlichen Kreisläufen. Er legt es darauf an, sich in einen evolutionären Unfall zu katapultieren. Als bestorganisierter Parasit im Tierreich wähnt sich der Mensch als Krone der Schöpfung und bringt es doch nur zu einer Krönung an Dummheit. Die Endbilanz entscheidet.

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  Marko Ferst 2002