2011
Paul
R. Ehrlich im Interview
sueddeutsche.de am
30.10.2011
SZ
1: Sie beschäftigen sich seit fast fünf Jahrzehnten mit Szenarien
des Untergangs. Sind Sie darüber depressiv oder sarkastisch geworden?
Paul
Ehrlich: Ich trinke viel. Das hält zumindest meine Innenwelt in
einem guten Zustand, wenn schon die Außenwelt den Bach runtergeht.
Nein, man darf den Humor nicht verlieren: In den USA haben wir Mitt
Romney, einen Mormonen, der Präsident werden möchte! Wenn das nicht so
tragisch wäre, dann könnte man darüber lachen. Ich sorge mich um
meine Enkelkinder, denen ich gerne eine intakte Welt hinterlassen
würde, aber die Aussichten verdunkeln sich.
SZ
2: Sie sind ein Pessimist.
Ich
bin optimistisch, wenn ich mir vorstelle, was die Menschheit tun könnte.
Ich bin aber sehr pessimistisch, dass sie es tatsächlich auch tun wird.
Die wissenschaftliche Debatte dreht sich nicht mehr darum, ob wir mehr
Menschen ernähren können, sondern wie wir den Kollaps der Zivilisation
verhindern.
SZ
3: Als Sie 1968 vor der Bevölkerungsbombe warnten, lebten weniger als
vier Milliarden Menschen auf der Welt. Jetzt sind es sieben Milliarden,
aber die Apokalypse ist offensichtlich
ausgeblieben.
Seit
dieser Zeit sind 200 Millionen Menschen verhungert. Für viele ist die
Apokalypse längst Realität. Eine Milliarde Menschen hungern, drei
Milliarden leben von weniger als zwei Dollar am Tag. Die Bevölkerung
aber wächst weiter. Und die zwei Milliarden Menschen, die bis zur Mitte
des Jahrhunderts dazukommen, werden die Lebensgrundlagen noch viel
stärker beeinträchtigen als die Milliarden davor. Denn sie müssen
sich von ertragsarmen Böden ernähren und Wasser aus abgelegenen und
verschmutzten Quellen holen.
SZ
4: Wenn die Amerikaner mit dem Rad statt mit dem SUV fahren würden,
könnte die Erde doch auch neun Milliarden Menschen ernähren?
Der
Druck auf die Lebensgrundlagen hängt davon ab, wie viele Menschen wir
sind und wie viel jeder von uns konsumiert. Deshalb sind die USA
das überbevölkertste Land der Erde. Keiner hat mir je ein triftiges
Argument dafür genannt, warum in den USA mehr als 130 Millionen
Menschen leben sollten. Jetzt sind wir schon mehr als 300 Millionen. Und
trotz ihres überbordenden Konsums sind die Menschen nicht glücklicher
als in den fünfziger Jahren.
SZ
5: Wie viele Menschen verträgt der Planet?
Wenn
wir wie Käfighühner auf minimalem Raum mit minimaler Nahrung leben
wollen, dann kann man eventuell sieben Milliarden Menschen auf Dauer
ernähren. Doch jetzt sind wir dabei, unser natürliches Kapital
aufzubrauchen: die Anbauflächen, die Biodiversität. Auch das fossile
Grundwasser schwindet.
SZ
6: Schwarzmaler befürchten, dass nach dem Ende des Ölzeitalters
wieder genauso viele Menschen leben werden wie davor, also etwa eine
Milliarde.
Das
ist möglich und sogar wahrscheinlich. Die optimale Bevölkerungsgröße
liegt bei etwa 1,5 Milliarden Menschen, aber nur, wenn wir uns
vernünftig verhalten. Wenn wir Krieg um Öl und Nahrungsmittel führen,
dann kann die Zahl der Menschen schnell unter eine Milliarde fallen.
SZ
7: Die Politik in Deutschland macht sich Sorgen, weil hier die
Bevölkerung schrumpft.
Das
halten nur solche Politiker für ein Problem, die keinerlei Ahnung davon
haben, wie die Welt funktioniert. Die Sorgen sind in jeder Hinsicht
unbegründet. Eigentlich sollte jedes reiche Land darum bemüht sein zu
schrumpfen. Aber die USA sind das einzige Land des Überkonsums, das
immer noch raketengleich wächst.
SZ
8: Während Deutschland vergreist.
Wenn
eine Bevölkerung aufhört zu wachsen, verändert sich natürlich die
Alterszusammensetzung. Das ist Mathematik. Der einzige Weg, das
zu verhindern, ist, dass man dumm genug ist zu glauben, die Bevölkerung
könne ewig weiter wachsen. Natürlich schafft ein
Bevölkerungsrückgang Probleme, auf der anderen Seite hat er aber auch
Vorteile. Menschen, die länger arbeiten, leben länger. Sie müssen
nicht mehr so viele Kinder unterstützen. Ein 70-Jähriger kann
wirtschaftlich eher produktiv sein als ein Siebenjähriger.
SZ
9: Die Gefahren erscheinen sehr abstrakt. Draußen scheint die Sonne,
Züge fahren und Apple stellt sein neues iPhone vor. Läuft doch.
Die
meisten Menschen in New York oder Hamburg wissen überhaupt nicht, woher
unser Essen stammt. Die glauben, dass es aus dem Supermarkt kommt. Da
kann man leicht in die Sonne blinzeln. Ja, in den reichen Ländern
können wir leicht leugnen, was passiert, aber die wissenschaftliche
Gemeinde tut das nicht: Erstmals in der Geschichte könnte eine globale
Zivilisation kollabieren.
SZ
10: Was also sollen wir tun? Das Auto verkaufen?
Als
erstes sollten die Bürger in den USA und Deutschland zum Wählen gehen
und all die Idioten loswerden. In den USA läuft seit Ronald
Reagan ein großes Umverteilungsprogramm, das Geld von den
Armen und der Mittelklasse wegnimmt und den Superreichen gibt.
Wenigstens sieht es jetzt so aus, als ob sich mit den Sit-ins an der
Wall Street zum ersten Mal Protest regt. Und wenn es bei Ihnen keine
öffentlichen Verkehrsmittel gibt, dann kaufen Sie sich ein Auto und
behalten es für immer. Ich habe Glück: Ich gehe jeden Tag zu Fuß zur
Arbeit an der Universität.
SZ
11: Es scheint nur so, dass die Menschen die Botschaft nicht hören
wollen.
Ich
muss meine Kollegen in der Wissenschaft nicht mehr überzeugen, denn die
sind einer Meinung. Leider werden alle wichtigen Fragen von der
Öffentlichkeit total ignoriert, besonders in den Medien der USA.
Nirgends wird darüber diskutiert, dass mehr Menschen auch mehr
klimaschädliche Gase produzieren. Das Bildungssystem in den USA ist
kaputt, und es gibt viele Lobbyisten, die dafür bezahlt werden, dass
sie Zweifel am Klimawandel säen. Dabei ist es kristallklar, was wir zu
tun haben. Unglücklicherweise ist es ebenso klar, dass wir nichts davon
tun.
SZ
12: Sie haben ein Umstellungsprogramm vorgeschlagen, das die
Kriegswirtschaft zum Vorbild hat. Wie soll das funktionieren, wenn Präsident
Obama sogar mit einem einfachen Haushalt scheitert?
Deshalb
bin ich ja so pessimistisch. Aber man muss sich nur einmal
erinnern: Während des Zweiten Weltkriegs haben die USA, Großbritannien
und Deutschland ihre Wirtschaft in kürzester Zeit umgestellt. In den
USA wurden vor dem Kriegseintritt 1941 jährlich vier Millionen
Personenwagen produziert, in den folgenden vier Jahren aber
Hunderttausende Militärfahrzeuge, Flugzeuge, Schiffe; es wurden
Atomwaffen entwickelt und eingesetzt, fast 250.000 Amerikaner im Krieg
getötet, alles Mögliche rationiert. Und vier Jahre später haben wir
wieder Fernseher produziert und Personenwagen. Wir können unsere
Konsummuster sehr schnell ändern.
SZ
13: Es ist schwer, heute Verzicht zu üben, bloß weil irgendwann
etwas Schlimmes passieren könnte.
Natürlich
ist Konsumverzicht hart in einer Gesellschaft, die sich durch Konsum
definiert. Aber jeder weiß doch auch, dass es der Gesundheit nützt,
wenn man weniger Fleisch isst. Wer weniger konsumiert, hilft sich und
schützt die Lebensgrundlagen. Das bedeutet freilich, dass wir unser
gesamtes Wirtschaftssystem ändern müssten. Aber wie heißt es doch:
Wer glaubt, dass die Wirtschaft ewig weiterwachsen kann, ist entweder
verrückt oder Volkswirt. Diejenigen, die für so lustige Publikationen
wie das Wall Street Journal schreiben, glauben, dass es so für immer
weitergehen kann.
SZ
14: Das klingt hoffnungslos.
Es
gibt so viele Menschen mit schlechter Bildung oder Politiker wie den
Gouverneur von Texas (Rick Perry,
d. Red.), der Leute hinrichten lässt und jetzt auch noch US-Präsident
werden will. Er streitet jegliches Klimaproblem ab,
er hat sich geweigert, mehr Geld für die Bekämpfung von Buschfeuern
zur Verfügung zu stellen, obwohl es dort die schlimmste Dürre aller
Zeiten gegeben hat. Stattdessen verkündete er,
man solle drei Tage lang um Regen beten. ... Dieser
Mann könnte Präsident der Vereinigten Staaten werden. Die
Deutschen sollte das zu Tode erschrecken.
SZ
15: Jetzt mal optimistisch: Mit
erneuerbarer Energie und Recycling werden wir das hinkriegen, oder?
Also,
wenn Sie alles recyclen, dann wird das den Kollaps der Zivilisation um
zehn Stunden hinausschieben. Recycling kann wichtig sein, aber vor allem
deshalb, weil sich die Menschen dann mit der Sache befassen, um die es
geht.
SZ
16: Was dann?
Wir
könnten auf eine solarbasierte Wirtschaft umstellen. Das würde viel
Zeit brauchen, aber die Situation dramatisch ändern, wenn zugleich die
Bevölkerungszahl schrittweise gesenkt würde, wie es derzeit in Europa
der Fall ist. Dafür aber ist es nach Ansicht einiger Wissenschaftler
bereits zu spät.
SZ
17: Gibt es ein Land auf der Welt, das seine Probleme in den Griff
bekommt?
Bhutan.
SZ
18: Bhutan?
Sie
wissen doch, wo es liegt? Das ist ein kleines Land, das sich dem Wachstum
des Bruttosozialglücks verschrieben hat. Sie wollen dort 60 Prozent
ihres Wald unangetastet lassen, sie betreiben Familienplanung, legen
Gesundheitsprogramme auf und versuchen, ihre Kultur zu bewahren. Ob sie
das schaffen, weiß ich nicht, aber Bhutan ist das einzige Land, das ich
kenne, das wirklich die Schritte unternimmt, die wir alle unternehmen
sollten.
SZ
19: Wie hoch ist die Chance, dass die westliche Zivilisation dieses
Jahrhundert übersteht? 50:50?
So
um die zehn Prozent. Ich hatte darüber eine Auseinandersetzung mit
einem Kollegen, der mir vorwarf, ich sei zu optimistisch. Ich arbeite
hart daran, dass es elf Prozent werden. Wir sind auf dem falschen Kurs,
und es gibt keine Anzeichen dafür, dass wir ihn ändern.
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