Hans-Peter Dürr, Matthias Braeunig

Die Zukunft ist ein
unbetretener Pfad

Bedeutung und Gestaltung 
eines ökologischen Lebensstils

 

1995 im Herder-Verlag Freiburg

Herausgeber: Matthias Braeunig 

Originalveröffentlichung  

Hans-Peter Dürr  Matthias Braeunig (1995) Die Zukunft ist ein unbetretener Pfad Bedeutung und Gestaltung  eines ökologischen Lebensstils 

1995  (*1929)

170 Seiten   

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Umweltbuch

1995-Buch 

 

WEEBER.Buch   Umschlagbild: Paul Klee, 1935


Hans-Peter Dürr formuliert die Kriterien für Bedeutung und Gestaltung einer ökologischen Lebens­weise. Als "Grenzgänger" plädiert er nicht nur für eine neue Ethik in den Naturwissenschaften, sondern greift Themen auf, die unsere globale Situation in einem veränderten Licht erscheinen lassen.  Seine Überzeugung: Die drängenden Probleme unserer Zeit sind nicht unlösbar, die Zukunft ist prinzipiell offen. Die fundamentalen Bezüge zur natürlichen Umwelt sind zu heilen und zu wahren, wenn wir uns als umfassend verantwortliche Wesen erweisen. 


Matthias Braeunig:  1964 in Berlin geboren, studierte Physik an der Technischen und an der Freien Universität Berlin. Erste wissen­schaftliche Arbeiten im Bereich experi­menteller Kern- und Elementar­teilchen-Physik. In Freiburg lernte er Yoga, das er u. a. als Kursleiter weitergibt. Mit der Gründung des "Atelier für ökologische Bildung" 1993 in Staufen konzentriert sich sein Interesse auf die Erforschung ganzheitlicher Organisations­strukturen und Systeme. Das Atelier will neue Ansätze für Unternehmens- und Ent­wicklungs­begleitung im Sinne einer Ökologie frucht­bar machen.


Klappentext:  Ein konkretes Buch gegen die Resignation.  Mit einer Einleitung heraus­gegeben von Matthias Braeunig.

Mit der Natur im "Einvernehmen" sein heißt, sich der fundamentalen Ganzheit von Mensch und Umwelt zu stellen. Der engagierte und international bekannte Physiker weist hier den Weg für eine ökologisch nachhaltige Lebensweise. Seine Überzeugung: Ökonomie und Ökologie müssen jetzt zu einer neuen Politik zusammenkommen. Ökologie und Ökonomie müssen jetzt in einer neuen Politik zusammengebracht werden, wenn wir uns der Ganzheit von Mensch und Umwelt stellen wollen. 

Inhalt

Vorwort  (7) Von M. Braeunig

Nachweise (170)  

    

Vorwort von Matthias Braeunig (1994)

7-12

Die öffentliche Diskussion um Ökologie und Umweltschutz — in den achtziger Jahren auch im Zusammen­hang mit der Kern­energie­debatte ein brennendes Thema — hat sich in den letzten Jahren sichtlich beruhigt. Andere Fragen sind wieder in den Vordergrund gerückt: nach der deutschen Wiedervereinigung neue, besonders wirtschaftliche und soziale Ängste und Nöte, Arbeitslosigkeit und Rechtsradikalismus.

Fast hatte man den Eindruck gewinnen können, die Sorge um den Erhalt natürlicher Lebensräume für Menschen, Tiere und Pflanzen, der Schutz der Biosphäre, sei zu einem gesellschaftlich akzeptierten und politisch sicher etablierten Programm geworden, das die Menschen hüben und drüben eint. Zwar hat Grüne Politik inzwischen einen (aber noch nicht ihren) Platz gefunden, und die Industrie hat sich auf den frischen Wind aus der Ökoecke eingerichtet. Dennoch: Als scharfer Beobachter erkennt man selbst die Oberflächlichkeit dieses Zustands, denn es wird weiterhin zuviel abgewartet und entschuldigt. 

Es mag angesichts des Umfangs der Probleme eine Ernüchterung eingetreten sein, bei der es scheint, als sei das echte Umweltproblem, das in unserem Bewußtsein schon einmal so stark war, tiefer gerutscht, es liegt nicht mehr auf der Zunge, sondern im Magen. Entsprechend arbeitet es, das läßt sich wünschen, in der Tiefe weiter. Wir haben heute weniger spektakuläre Demonstrationen und Aufrufe, dafür politische U-Boot-Taktik.

Wenn man will, kann man die <Stufe 1 der ökologischen Re-Evolution> als abgeschlossen betrachten. Sie war mit Wachrütteln und Sensibilisierung befaßt, jetzt kommt die Arbeit.

Dabei mag auffallen, daß Ökologik uns näher ist, als wir angenommen haben. Ich bevorzuge den Ausdruck "Ökologik", um anzudeuten, daß die unvermindert heraufziehende globale ökologische Krise transformiert werden will — sie ist mit einem ganz neuen Denken und Handeln verbunden.

Dieser Prozeß umfaßt den ganzen Menschen — also auch sein Bewußtsein und Selbstverständnis. Intelligenz und Intuition für das situativ Richtige ist nun gefragt. Sie können uns die Optionen eröffnen, die links und rechts vom ausgetretenen Weg (der immer die Verlängerung der Vergangenheit ist) zu finden sind. Die prinzipielle Ungewißheit der Zukunft braucht unsere Ermutigung, denn sie ist wie ein unbetretener Pfad. Wie und wo kann es weitergehen?

 

Der Münchener Physiker Hans-Peter Dürr ist ein ökologischer Querdenker, der sich unermüdlich, mutig und mit großer Kompetenz für neue Schritte und Neuorientierung im Dschungel des "ökologischen Umbau der Industriegesellschaft" (der ein Selbst-Umbau sein muß) einsetzt. 

Ende der Achtziger, noch während meines Studiums, hatte ich ihn in Berlin kennengelernt. Als erstes fiel mir die Unerschrockenheit auf, mit der er selbst die eingefahrensten Vorstellungen anging, um damit Raum für Veränderung zu schaffen. Für Wissenschaftler ist dies zwar die Voraussetzung ihrer Arbeit, aber nur selten treten sie damit auch öffentlich hervor. Ich glaube, es kennzeichnet Menschen mit einem hohen Maß an Verant­wortungsbewußtsein und Vertrauen in die eigene Kraft. 

Sein couragiertes Eintreten gegen SDI (die "Strategische Verteidigungsinitiative" der USA) und die Gründung vieler Organisationen wie des "Global Challenges Network" und der "International Foundation for the Survival and Development of Humanity" ermöglichten es ihm immer wieder, Menschen und Mittel für eine lebensfrohe Gestaltung ihrer Zukunft zu bewegen.

Doch die Wirkungen seiner Einflußnahme auf die Ausrichtung der Politik in Deutschland und anderswo sind erst im Keim erkennbar, obwohl das innovative Potential seiner Vorschläge und Denkansätze auch in Wirtschafts­kreisen große Anerkennung gefunden hat. Im gewandelten Selbstverständnis der modernen Naturwissenschaft und den daraus folgenden Konsequenzen für unser Leben liegt ein so gewichtiges Potential für die Bewältigung all der bevorstehenden und aktuellen Schwierigkeiten, daß es sich lohnt, die Aufsätze und Schriften Dürrs für ein größeres Publikum herauszugeben.

8


Im Kampf gegen Resignation vor den bestehenden Aufgaben verbindet ihn viel mit dem kürzlich gestorbenen Zukunftsforscher Robert Jungk und in philosoph­ischer Hinsicht steht Dürr den Auffassungen von Hans Jonas sehr nahe.

Doch wieso steht unser "Wissen" - das Produkt unserer westlichen Kultur - im Konflikt mit den Aufgaben, die wir zu bewältigen haben?

Von den Wissen­schaften — die ich hier nicht geteilt sehen will (denn alle Wissen­schaft ist im Grunde beides, Natur- und Geisteswissenschaft) — erwarten wir ganz allgemein, daß sie uns helfen, die Rolle des Menschen im Universum zu erhellen, um damit reales Leid in der Welt zu vermindern. Dies ist keine übertrieben idealistische Vorstellung, denn derartige Argumente (er-)finden wir ja immer wieder zur Rechtfertigung neuer Forschungs­vorhaben, auch in den kritischen Bereichen wie beispielsweise der Gentechnik. 

Trotzdem funktioniert es nicht recht. Der Fadenscheinigkeit solcher Motive werden sich viele Menschen bewußt, wenn es doch nur allzu deutlich um die Sicherung einseitiger Machtinteressen (militärisch, technologisch, wirtschaftlich) geht, die auf dem wissenschaftlichem Fundament ruhen. Diese unglückliche Verquickung von Partikularinteressen mit dem Glauben an die eine Wahrheit haben wir in der Unausweichlichkeit des Golfkriegs erlebt. Ohnmächtig forderten viele friedliebende Menschen damals "kein Blut für Öl".

Was hat das mit Wissenschaft und Wertung zu tun? — Wir erleben hier eine eigenartige Ambivalenz: Ihre Methode beschert uns eine unerhörte Freiheit und Macht durch Wissen ("Know-How"). Ihr gegenüber steht die immer stärker beschleunigte Naturausbeutung im Zuge des technischen Fortschritts. Fluch und Segen liegen eng beisammen.

Wo bleibt die Weisheit? Die Entdeckung der Quantenphysik und der Relativität ihn diesem Jahrhundert, die heute in umwälzenden Vorstellungen der Biologie und Chemie von Komplexität, Ordnung und Selbstorganisation ihre Fortschreibung gefunden haben, müssen uns zutiefst nachdenklich machen! Denn diese Erfahrungen geben einen Fingerzeig auf erstaunliche Zusammenhänge, die jenseits unserer herkömmlichen Anschauung existieren, und die von ihrer Bedeutung her äußerst wichtig sind.

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Sie sind tiefere Einsichten in unser Sein, die es ermöglichen, mit "Andersgläubigen" in den Dialog zu kommen. Darin besteht letztlich genau die Chance, die die wissenschaftliche Plattform bietet. Um sie zu nutzen, müssen wir zuerst mit alten Gewohnheiten aufräumen und uns den Tatsachen stellen, wie sie sind. Die umfassende öko-logische Krise von heute ist Ausdruck und Anlaß dieser inneren Konfrontation. Insofern ist eine Arbeit für unsere Umwelt eine Arbeit an uns selbst und umgekehrt.

Aus der Einsicht in die Ganzheit des Bewußtseins von der Natur macht Dürr Lösungsvorschläge zu vielen heiklen Fragen, wie wir eine Umgestaltung der Wirtschaft und auch eine neue Sozialintegration doch noch schaffen können. Sachlich bleibt er ganz bei den "Fakten", wie er es wohl von seinem Lehrer Werner Heisenberg gelernt hat. Unsere Aufmerksamkeit wird unwillkürlich auf den blinden Fleck gelenkt, der uns bedeutet, umfassende Verantwortung für das Leben zu tragen. Es lassen sich Visionen für eine Politik erkennen, in der Ökonomie und Ökologie Hand in Hand gehen und sich Respekt vor der Natur mit einer heilenden Spiritualität trifft. 

Die Industrienationen haben einen Führungsanspruch bei der Lösung der für die gesamte Erde wichtigen Frage nach tragfähigen Zukunftsmodellen. Sie sind geleitet von dem Interesse, den erreichten Lebensstandard zu erhalten. Aus Furcht vor Veränderung neigen sie jedoch zu einer verkrampften und zögerlichen Haltung, die, je länger sie dauert, nur weiter am eigenen Ast sägt und schließlich unliebsame Folgen hat.

Aus Angst vor den Konsequenzen für das eigene Selbstbewußtsein (sei es Staatenidentität oder Egozentrik einzelner) verweigern sie die notwendigen Schritte, die eine neue Ära des Lebens auf der Erde einleiten könnten. Die Gefahr, daß wirtschaftliche Zwänge wieder verschärft Spannungen aufbauen, die sich in aggressiven Maßnahmen gegeneinander entladen oder gegen die schwächeren Dreiviertel der Menschheit richten, scheint auch nach Überwindung der Ost-West-Blöcke groß.

10/11


Eigenartigerweise schauen wir dem so empfundenen Niedergang fast ratlos zu und übersehen, welch große Vorteile sogar ein konsequenter Alleingang eines (vorzugsweise wirtschaftlich starken) Landes wie der Bundesrepublik haben könnte: Mit so gutem Beispiel vorangehend, könnte ein weltweiter Lawineneffekt entstehen, dem andere Staaten bald in ihrer eigenen Weise nachfolgen würden, denn die Sogwirkung ist garantiert.

Dafür müßten wir hier nur die Rahmen­bedingungen etwas drastischer zu ändern bereit sein, als das bisher geschieht, und auch für eine gewisse Zeit die Rolle eines Außenseiters in Kauf nehmen. Leider ist die heutige Politik zu solchen Richtung weisenden Entscheidungen kaum in der Lage, da — wie deutlich geworden sein sollte — das Wirtschafts­system aufs engste mit dem bisherigen wissenschaftlichen Paradigma verknüpft ist.

Mit der Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio war die Parole von "nachhaltiger Entwicklung" (Sustainable Development) plötzlich in aller Munde, ohne daß sich konkret angeben ließ, was man damit meint. Zu Hause entpuppte sich die Formel erst als leere Hülse, mit der sich Zeit gewinnen und noch einmal ein gemeinsames Nachdenken anregen ließ. Viele verschiedene (meist technische) Interpretationen von Nachhaltigkeit wurden bisher gegeben. Inzwischen scheint klar geworden zu sein, was dieser Begriff tatsächlich beinhaltet: Sustainable Development ist der umsichtige, achtsame und liebevolle Umgang von Menschen im Miteinander und mit anderen Geschöpfen in Anerkennung ihrer gegenseitigen Abhängigkeit.

Für die Ökonomie bedeutet sie die Unvereinbarkeit mit stetigem (materiellen) Wachstum. Das liest sich einfacher als eine technische Anweisung: Eine ökologische Politik, die diese eigentlich alten Werte der Menschheit wieder fördern will, ist gleichzeitig konservativ und fortschrittlich, traditionsbewußt und zukunfts­orientiert in einem. Sie fördert sanfte Technologien im Ausgleich der Interessen mit der Natur. Sie ist orientiert an einem Vorsorge tragenden Prinzip, das zukünftige Möglichkeiten vermehrt statt einschränkt.

Auch wenn dieses Vorwort bereits einen sehr weiten Bogen zu spannen versucht hat, fügt Hans-Peter Dürr alles zu einem Gesamtbild zusammen, durch das sich ein Faden deutlich zieht: Die Überwindung des klassischen, rein mechanistischen Denkens erfordert einen drastischen Bruch mit dem, was wir als Wirklichkeit bezeichnen. Dieser vom ganzheitlichen Naturverständnis her motivierte Schritt hat weit reichende Folgen, die eben — und das wird bei der Lektüre von Dürrs Aufsätzen klar — über rein weltanschauliche Gesichtspunkte hinaus neue Leitideen für den Umgang des Menschen mit der Natur bedeuten.

Denn eine "Ökonomie der Nachhaltigkeit" arbeitet innerhalb der vom Ökosystem vorgegebenen Grenzen und nimmt daher Abstand von einer Fixierung auf quantitatives Wachstum. Das macht vielleicht manches schmerzliche Eingeständnis notwendig und heißt auch, mit liebgewordenen Gewohnheiten aufzuräumen. Doch aus der Sicht des modernen Naturwissenschaftlers bedeutet dies ein geringes Opfer, gemessen am Gewinn von Freiheit und Lebensfreude im Respekt der Natur, die "unsere eigene Natur" ist.

Ich wünsche mir, daß dieses Büchlein eine weite Leserschaft findet, die die darin enthaltenen Vorschläge sorgfältig erwägt und mit eigenen Erfahrungen in Beziehung bringt. Für diejenigen, die im Naturwissenschaftlichen nicht nur eine Gefahr, sondern auch einen gültigen Erkenntnisweg sehen, möge das Buch eine Orientierungshilfe sein, so wie es die Begegnung mit Hans-Peter Dürr für mich war.

Es sollte sogar in Schulen und Bildungsstätten im Unterricht ebenso Eingang finden wie in nachdenklich gewordene Wirtschaftskreise und in die Politik — auf das endlich Zeiten anbrechen, in der Menschen mit Herz und Verstand gemeinsam für eine lebenswerte Zukunft stehen, in der die zerstörerische Trennung überwunden wird.

Für die inspirierende und freundschaftliche Zusammenarbeit möchte ich Hans-Peter Dürr sehr herzlich danken. Ebenso auch Wiltrud Huber vom MPI für Physik, die mich bei den Recherchen stets so hilfreich unterstützte.

11-12

 Matthias Braeunig, Staufen i. Br., 1994

 

 

 

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