Willy Brandt


Audio 2014 dlf 11 min

Von Albrecht Müller, Wahlkampfleiter,
Chef des Planungsstabes im Kanzleramt

"Treibjagd auf einen Hoffnungsträger"


 wikipedia  Nord-Süd-Bericht  1980

Einleitung-1980 von Willy Brandt:
"Das Überleben sichern"

 

wikipedia  Brandt  *1913
in Lübeck bis 1992 (78)

DNB name (1600) 

DNB.Buch 2021

Goog Brandt 


detopia  Umweltbuch

Sterbejahr   B.htm

Oskar Lafontaine   Olof Palme  

Robert Kennedy   Herbert Wehner 

Guillaume    Gollwitzer


wikipedia  Helmut_Schmidt 
*1918 in Hamburg bis 2015 (96)

 

Albrecht Müller (2013)

Brandt aktuell.
Treibjagd auf einen Hoffnungsträger  (pdf)

 dnb.Buch    Bing.Buch    goog Buch    PDF.Buch

westendverlag.de/buch/brandt-aktuell/  mit Lesen bis Seite 20

 

2021 - Zeitreise – Der SPIEGEL vor 50 Jahren

Der Ausflug von Willy Brandt auf die Krim war eigentlich als informeller Meinungsaustausch gedacht, um den Fortgang der Entspannungspolitik weiterzuspinnen. Doch mit dem Treffen Breschnews stach der Kanzler in ein Wespennest der Empörung.

Von Rainer Lübbert aus DER SPIEGEL 40/2021

spiegel  kanzler-brandt-auf-der-krim-bootsfahrt-mit-beigeschmack 

 

heise  Willy-Brandt-wurde-Opfer-einer-Treibjagd-3362974.html 

"Willy Brandt wurde Opfer einer Treibjagd"

18. Dezember 2013 Reinhard Jellen

Albrecht Müller über den damaligen und den aktuellen Medienrummel um den Ex-Bundeskanzler. Ein Gespräch mit den Autor und Betreiber der Nachdenkseiten, der 1972 Brandts Wahlkampf führte.

Herr Müller, was sind die Brandt-Klischées, die am wenigsten der Realität entsprechen und was ist die wichtigste Errungenschaft seiner Ära, die heutzutage am meisten unter den Tisch gekehrt werden?

Müller: Besonders daneben ist das Klischée, Willy Brandt sei ein "Teilkanzler" gewesen, er habe sich nur für die Außenpolitik interessiert. Wie man so etwas behaupten kann, angesichts der Tatsache, dass Willy Brandt beispielsweise eigentlich der Erfinder des Umweltschutzes in Deutschland war, ist mir rätselhaft. Er hat 1961 nicht nur die Parole ausgegeben, der Himmel über der Ruhr müsse wieder blau werden - der war damals abgas- und industriestaubbedingt sehr grau -, die Partei, deren Vorsitzender er war, hat 1971 beschlossen, eine Steuer auf umweltfeindliche Produkte, also eine Öko-Steuer, einzuführen. Er hat sich um die soziale Frage und um Ökonomie gekümmert. Bundeskanzler Brandt war nach der Ölpreiskrise vom Oktober 1973 die treibende Kraft zur Auflage eines Energiesparprogramms. Der Begriff "Teilkanzler" ist das Letzte, was mir zu Brandt einfällt. Eine menschlich bösartige Unterstellung ist, dass Willy Brandt depressiv gewesen sei. Das ist besonders infam, weil man sich gegen diese Behauptung so schlecht wehren kann.

 

Sie schreiben, dass Darstellungen Brandts als Trinker, Schwermütiger und Frauenheld "bösartige Gerüchte" seien. Aber haben nicht viele hochrangige politische Funktionsträger eventuell Probleme mit ihrer Leber und Libido?

Müller: Brandt habe ich nicht beschwipst erlebt, andere Zeitgenossen schon. Er hat wie andere auch im Politstress der Bonner Republik gern ein Glas Rotwein getrunken; daraus haben manche Medien - und vor allem die CDU/CSU-Hintermänner in Anzeigen - einen Alkoholiker gemacht. Dabei gab es zu jener Zeit nicht wenige Journalistenkollegen, die ihre Whiskey-Flasche im Schreibtischregal stehen hatten.

Was die Weibergeschichten betrifft, so hat Peter Brandt dies in seinem Buch ausreichend und feinfühlig behandelt.

Brandt hat Frauen gemocht und gerne geflirtet - was ist daran schlimm? Daraus Filmszenen zu schneidern - wie im Film "Schatten der Macht", wo Blondinen über Gleise zum Sonderzug des Kanzlers staksend gezeigt werden - finde ich widerlich und rede deshalb darüber nicht.

Ich meine nur, dass Politiker, zumindest was ihr eigenes Wohlergehen angeht, generell ein recht lebenslustiges Völkchen zu sein scheinen, bei Willy Brandt wird aber mit dem Zeigefinger drauf gezeigt ...

Müller: Eben. Das macht man bei Leuten, die zu jener Zeit hohe Ämter in der CSU innehatten, auch nicht.

Macht der unterstellte Selbstzweifel Willy Brandt im Vergleich zu Helmut Kohl und Gerhard Schröder nicht eher sympathisch?

Müller: Das ist zweifellos richtig, ich kann nur nicht bestätigen, dass er welche hatte. Als ich beispielsweise zu ihm zur Besprechung des "Drehbuchs" für den Wahlkampf am 8. Juli 1972 eingeladen war, haben wir uns gut zwei Stunden intensiv unterhalten und danach war alles entschieden. So agiert kein Mensch, den Selbstzweifel plagen.
In unserem Gespräch fragte ich ihn auch, ob er von seinen Stellvertretern Helmut Schmidt und Herbert Wehner etwas über das Drehbuch gehört habe. Seine Antwort: Nein, aber darauf müsse ich auch nicht warten, denn "die wollen gar nicht gewinnen". Ein Selbstzweifler hätte in einer solchen Situation doch alles hingeschmissen, Brandt hat aber gekämpft und das beste Wahlergebnis für die SPD herausgeholt.

Ich habe Brandt bis 1974, als er politisch erledigt war, nie so erlebt, ganz im Gegenteil. 1969 wollten Wehner und Schmidt die Große Koalition mit Kiesinger von der CDU weiter führen, aber Brandt hat durch subtiles Taktieren die sozial-liberale Koalition erreicht. Kein Selbstzweifler schafft das. Gleichwohl haben ihn ab 1972 die Intrigen von Wehner und Schmidt nicht kalt gelassen. Als Brandt Schmidt 1972 den Posten des Wirtschafts- und Finanzministers anbot, hat Helmut Schmidt die Berufung nur unter der Bedingung akzeptiert, dass der Chef des Bundeskanzleramts Horst Ehmke und der Pressesprecher Conrad Ahlers abgelöst würden. Und nach der Wahl haben Wehner und Schmidt in Abwesenheit des kranken Brandt die Koalitionsverhandlungen mit der FDP geführt und sozialdemokratisches Terrain preisgegeben. Ab diesem Zeitpunkt war Willy Brandt politisch erledigt. Ihm ist durch seine Stellvertreter Wehner und Schmidt der Erfolg als Bundeskanzler wesentlich erschwert worden.

 

Willy Brandt hätte der SPD die Gründung und Konkurrenz der Grünen erspart

War es denn überhaupt legitim, dass auch Helmut Schmidt Bundeskanzler werden wollte?

Müller: Ja, das war legitim. Aber man muss ja wohl fragen, ob hier der Bessere der Feind des Guten war - und mit welchen Methoden der Wechsel erreicht worden ist. Helmut Schmidt war ein sehr guter Bundeskanzler. Aber Willy Brandt war keinesfalls schlechter, sondern aus vielerlei Gründen der Richtige, unter anderem, weil er die ökologische und die soziale Frage gesehen hat. Er hätte der SPD die Gründung und Konkurrenz der Grünen erspart.

Vielleicht findet Helmut Schmidt zum 100. Geburtstag von Willy Brandt noch die richtigen Worte: "Wir waren beide gute Bundeskanzler; aber wie ich sein Nachfolger wurde, war nicht die ganz feine Art." - Eine solche Bemerkung würde viele Brandt-Freunde auch mit Schmidt versöhnen.

Woran ist denn Willy Brandt tatsächlich politisch gescheitert?

Albrecht Müller: Er wurde das Opfer einer Treibjagd, an der die CDU/CSU-Opposition mitwirkte, dann Medien wie der Springer- und der Bauer-Konzern, dann Teile der deutschen Wirtschaft und sehr vermögende Leute. Sie starteten seinerzeit mit einem Millionenaufwand eine anonyme Anzeigenkampagne gegen Brandts Politik und Person. Hinzu kamen die skizzierten innerparteilichen Intrigen. Das reichte.

Ist Oskar Lafontaine und Andrea Ypsilanti nicht Ähnliches passiert?

Albrecht Müller: Das beschreibe ich in meinem Buch. Auch Kurt Beck ist in abgeschwächter Form Ähnliches widerfahren.

Wenn Sie sich die Presseberichterstattung im Vorfeld des 100jährigen Geburtstags ansehen, haben Sie den Eindruck, dass die Treibjagd gegen Brandt weitergeht?

Albrecht Müller: Ja.

Will man mit der Person Brandt auch seine Politik diskreditieren?

Müller: Natürlich. Man will ihn auch inhaltlich-programmatisch entsorgen. Sehen sie sich doch an, was zurzeit beim Thema Ukraine passiert. Die Blockkonfrontation wird in Europa neu aufgebaut: Dort sind die bösen Russen, hier sind wir guten Europäer und als solche müssen wir, der Westen, die Ukraine zu uns herüberziehen. Im Berliner Programm der SPD aus dem Jahr 1989 war noch von einer gemeinsamen europäischen Friedensordnung und dem Ende der Blöcke die Rede. Jetzt wird die Konfrontation neu aufgebaut und damit die Grundidee der Ostpolitik mit Füßen getreten.

Willy Brandt hätte vermutlich auch nicht die aktuelle Flüchtlingspolitik und die Militärinterventionspolitik mitgetragen. Heute wird aus ökonomischen Gründen militärisch interveniert und es wird eben nicht bis zum Ende geprüft, ob man Konflikte nicht friedlich lösen kann. Mit dem Denken und dem politischen Ansatz von Willy Brandt hat das wenig zu tun. Wir haben die Kanonenbootpolitik wieder und dagegen hätte sich Willy Brandt gewehrt.

Sie schreiben, dass Willy Brandt durchaus bereit war, sich von "pseudolinkem Treiben" abzugrenzen. Andererseits ist es wahr, dass er als Vizekanzler 1968 den Notstandsgesetzen zugestimmt und mit dem "Radikalenerlass" vielen Linken ihre Existenzgrundlage entzogen hat. Wie bringen Sie das mit dem Begriff "Demokratischer Sozialismus" überein?

Müller: Ihre zweifelnden Fragen sind berechtigt. Fangen wir beim Letzten an: Willy Brandt hat später den "Radikalenerlass" selbst bedauert; ich fand ihn von Anfang an nicht gut. Brandt war sich seinerzeit nicht klar, was die Länder und der Bund den von der Überprüfungspraxis betroffenen Menschen antut. Damit wurde die wirtschaftliche Existenz von Menschen bedroht, die man eigentlich gerade wegen ihres kritischen Ansatzes in den Schulen und Ämtern gebraucht hätte. -- Bei den Notstandsgesetzen frage ich mich hingegen bis zum heutigen Tage, was sie bisher an Nachteil gebracht haben sollen. Irgendwann könnten die Kritik daran und die Proteste dagegen mal ein Ende finden.

Sigmar Gabriel hat sich bei seinen Werbetouren für die Große Koalition häufig auf Willy Brandt bezogen: Wenn Sie sich die geschröderte SPD von heute ansehen: Wäre Willy Brandt 2013 überhaupt noch Mitglied bei den Sozialdemokraten?

Müller: Er wäre wahrscheinlich ein Sozialdemokrat ohne innere Bindung an den herrschenden Geist, so wie ich. Ich vermute, er hätte die Agenda 2010 abgelehnt. Er hätte wahrscheinlich davor gewarnt, die Arbeitslosenversicherung mit den Hartz-Gesetzen auszuhöhlen. -- Dass er die deutsche Beteiligung am Kosovokrieg gut gefunden hätte, glaube ich nicht. Damals, 1999, sind die Möglichkeiten, zu einer friedlichen Lösung der Konflikte zu finden, nicht genutzt worden. Die Verhandlungen waren von Anfang an auf das Ende mit militärischem Einsatz angelegt. Die Bundesrepublik sollte lernen, sich an militärischen Einsätzen des Westens zu beteiligen, so das Kalkül. Dass Willy Brandt diesen durchschaubaren Einstieg seiner Nachfolger im Kanzleramt und im Parteivorsitz in eine neue Art der Militärpolitik mitgemacht hätte, kann ich mir nicht vorstellen.

 

 

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