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Günter Wallraff

Als Biermann kam - Ein Rück- und Ausblick

aus: 

DIE AUSBÜRGERUNG, Anfang vom Ende der DDR ­ Hrsg. Fritz Pleitgen, Ullstein, München 2001

 

Als Wolf Biermann nach seiner Ausbürgerung bei mir anrief und mich fragte, ob er bei mir wohnen könne, war es für mich eine Selbstverständlichkeit, meine Wohnung mit ihm zu teilen. Ich sagte spontan zu, obwohl der Teil meines Hauses, den ich bewohnte, nicht gerade komfortabel eingerichtet war und Arbeits- und Gästeraum unterm Dach nach einem Brandanschlag im Sommer des gleichen Jahres noch nicht wieder hergerichtet waren.

Ich muß heute eingestehen, daß es erst dieser Ausbürgerung bedurfte, um die DDR endgültig als antisozialistisches und menschenfeindliches Willkür- und Unrechtsregime ohne irgendwelche Reformchancen zu durchschauen. 

Mir war zwar seit langem klar, daß eine schriftstellerische und journalistische Arbeit, wie ich sie betreibe, in der DDR nicht nur keine Veröffentlichungsmöglichkeit gehabt hätte, sondern unweigerlich mit Gefängnis oder Einweisung in die Psychiatrie geahndet worden wäre; dennoch hoffte man auf eine langfristige Demokratisierung, obwohl Schießbefehl und tausende politische Gefangene dies als Illusion erscheinen ließen. Mit der Ausbürgerung von Wolf Biermann, ihrem klarsichtigsten und visionärsten Kritiker, und der anschließenden Sympathisantenverfolgung leistete das Regime seinen kulturellen und politischen Offenbarungseid. Ich bin heute davon überzeugt, daß durch diese Abstoßung und Amputationsmaßnahme und die dann folgende kulturelle Ausblutung, die einem Exodus gleichkam, das Ende der DDR begann, zumindest beschleunigt wurde. Ich sah meine Aufgabe darin, für Wolf Solidaritätsadressen vor allem im linken Lager zu sammeln bis hin zu DKP-Nahestehenden und sogar Mitgliedern, in der Hoffnung, damit die DDR unter Druck setzen und beeindrucken zu können. Dies war keine ganz leichte Aufgabe, weil sich manche der Schriftstellerkollegen in direkten bis subtilen Abhängigkeitsverhältnissen zu dieser Partei befanden. Ganz spontan ­ und ohne wenn und aber ­ solidarisierten sich mit Wolf Günter Herburger, Martin Walser, Peter Weiss und Gerd Fuchs und jenseits dieses politischen Beziehungsgeflechts Heinrich Böll und Günter Grass. Die Chance, daß die DDR trotz europaweiter Proteste die Ausbürgerung zurücknehmen würde, erschien mir im Gegensatz zu Wolf von Anfang an eher unwahrscheinlich, denn ein zentralistisches Politbüro, bürokratisch erstarrt, konnte sich nicht irren, geschweige denn so etwas wie Selbstkritik üben. Dennoch taten wir so, als sei das Unmögliche die selbstverständlichste Sache der Welt, um die DDR-Bürokratie um so deutlicher ins Unrecht zu setzen.

Bei der Unterschriftensammlung kam es mir ­ wie gesagt ­ auch darauf an, wenigstens einen hochkarätigen DKP- Funktionär mit auf die Liste zu bekommen. So gelang es mir, den Parteilyriker und das DKP-Vorstandsmitglied Peter Schütt, zuständig für die Kultur Hamburgs, mit einer List zur Selbstüberwindung zu ködern. Ich flüsterte ihm am Telefon, es sei von höchsten DDR-Stellen bereits inoffiziell verbindlich zugesichert, daß die Ausbürgerung demnächst ­ wenn sich alles wieder beruhigt hätte ­ revidiert würde. Nach anfänglichem Zögern gab mir Schütt daraufhin seine Unterschrift, für DKP-Verhältnisse eine Ungeheuerlichkeit. Wenige Tage später ­ von seinen Spitzenfunktionären »in kameradschaftlichen Gesprächena (Schütt) ­ zur Brust genommen und aufgeklärt, zog er, wie nicht anders zu erwarten, seine Unterschrift wieder zurück. Er sei von mir getäuscht worden, ließ er wahrheitsgemäß verkünden.

Es gab auch andere innerhalb der DKP. So solidarisierte sich ein gesamter Ortsverein in Nordhorn an der holländischen Grenze mit Wolf Biermann und protestierte gegen die Ausbürgerung. Für die Parteispitze ein Prestigeverlust sondergleichen. War es doch ausgerechnet ein Vorzeige- Ortsverband, der ganze Stolz der Partei, der in diesem Städtchen bei der Kommunalwahl mit 20 % den höchsten Stimmanteil im ganzen Bundesgebiet erzielt hatte. Die Strafe folgte auf dem Fuß: ohne Diskussion wurde der gesamte Ortsverband aus der Partei ausgeschlossen. Ein einziger wurde verschont, nachdem er widerrufen hatte. Und, Ironie der Geschichte: dank tatkräftiger Unterstützung von DDR-Altgenossen ist er heute erfolgreicher Geschäftsmann im Osten Deutschlands.

Meine Solidaritätsinitiativen für Wolf beruhten sicher zuallererst auf einer Sympathie und Freundschaft und Identifizierung mit seiner Position ­ seitenverkehrt ­ im anderen Deutschland. Gleichzeitig aber war es für mich eine befreiende Gelegenheit, mich falscher Freunde entledigen zu können. Sage mir, wie du zu Biermanns Ausbürgerung stehst, und ich sage dir, ob du einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz unter voller Berücksichtigung der Menschenrechte anstrebst. So in etwa verlief die Trennlinie im linken Spektrum.

Obwohl ich eindeutige Stellungnahmen gegen Dissidentenverfolgungen und Psychiatrisierung politischer Gegner in der Sowjetunion seit Anfang der 70-er Jahre öffentlich abgegeben hatte und daraufhin auch nicht mehr eingeladen wurde, galt ich doch wegen meiner sozialkritischen Veröffentlichungen und Aktionen immer noch als zu gewinnender potentieller Bündnispartner, zwar »mit wirren anarchistischen Vorstellungen«, der sich »nicht vom marxistisch-leninistischen Standpunkt leiten läßt« und obendrein auch noch ­ ach du Schreck ­ »Anhänger der katholischen Soziallehre« sei, so die krude Einschätzung meiner Person in meiner Stasi-Akte. Seit der Ausbürgerung Wolfs tauche ich in den Stasi-Vermerken, mit einer »Einreisesperre« belegt, als eine »operativ interessierende Person« auf, die zu »observieren und zurückzudrängen« ist, so in den Akten meines Freundes Jürgen Fuchs, und an anderer Stelle als sogenanntes »Fahndungsobjekt«. Fortan erschienen meine Bücher auch nicht mehr in der DDR, obwohl sie politisch sicher ins Konzept gepaßt hätten. Weder »DerAufmacher« noch »Zeugen der Anklage« noch »Bild_Störung«, »Nicaragua von innen« noch »Befehlsverweigerung« oder »Akteneinsicht« konnten in der DDR erscheinen. Erst in der Gorbatschow_Ära, nachdem »Ganz unten« auf Russisch erschien, zog die DDR nach und druckte von »Ganz unten« über die vertraglich vereinbarte Auflage hinaus sogar als staatlich lizenzierte Raubdrucke über 100 000 Exemplare, wie sich nach der Wende herausstellte. Die Einreisesperre in die DDR wurde wieder aufgehoben, und in mehreren Städten las und diskutierte ich in überfüllten Sälen. Um nicht mißverstanden zu werden, thematisierte ich jedesmal die Biermann- Ausbürgerung und dozierte, ein Staat, der sich einen Kritiker wie Biermann nicht leisten könne, gebe sich selber auf, fügte dann allerdings noch hinzu ­ ich hatte damals die Illusion, daß Gorbatschows Glasnost und Perestroika auch auf die DDR übergreifen müsse ­, daß ich überzeugt sei, in nicht allzu ferner Zukunft würde in der Hauptstadt der DDR eine Biermann-Straße auf einen Gorbatschow- Platz einmünden, was ja alsbald, allerdings unter anderen Konstellationen und jenseits meines damaligen Vorstellungsvermögens, eintreffen wird. Nach meiner Biermann-Vision gab's übrigens jedesmal erstarrte Gesichter in den ersten Reihen, dort hatten Funktionäre ihre Ehrenplätze reserviert, und befreienden Beifall im übrigen Saal.

Bemerkenswert war, daß bereits unmittelbar nach der Ausbürgerung eine Hetzkampagne gegen Wolf einsetzte, grenzüberschreitend vom ND bis hin zum »Bayern Kurier« oft im gleichen Wortlaut.

Tag und Nacht wurde meine Wohnung in der Thebäerstraße von einem Trupp BILD-Reportern belagert und später stellte sich heraus, daß diesmal nicht die Stasi, vielmehr der bundesdeutsche, eigentlich für Auslandsaufklärung zuständige Geheimdienst BND, eine technisch hochkomplizierte sogenannte Parallelschaltung von meinem Privatanschluß direkt in die BILD- Zeitungsredaktion Köln installiert hatte. In dieser Zeit stand mein Telefon nicht still. Solidaritätsbekundungen aus der ganzen Welt, insbesondere aus der DDR, gingen ein. Vieles von dem, was da besprochen wurde, war von politischer Brisanz, Entscheidungen wurden vorbereitet, Namen genannt, BILD und BND immer mit dabei. Selbstverständlich war es auch für einen Geheimdienst von hohem Interesse, die Aktivitäten des ranghöchsten Dissidenten mitzubekommen und seine privatesten Gespräche zu belauschen, von dessen »Fall« die Kulturpolitik der DDR nachhaltig beeinflußt werden sollte.

Fünf Jahre später fand vor einem erweiterten Kölner Schöffengericht der Prozeß gegen die Nutznießer dieses Lauschangriffs statt, bezeichnenderweise nicht gegen die Hintermänner vom BND. In der Anklageschrift hieß es lapidar, es sei »mit einem Abhörgerät abgehört« worden. Die Angeschuldigten wußten, daß am Telefonanschluß des Zeugen Wallraff eine nicht genehmigte Abhöreinrichtung eingebaut worden war und daß Gespräche abgehört und aufgezeichnet werden konnten. Im Verfahren selbst aber schien niemand mehr so recht ein Interesse daran zu haben, der Sache tiefer auf den Grund zu gehen. Geldbußen ­ 9000 Mark für spastisch gelähmte Kinder, 7000 Mark für die Verfahrenskosten ­ waren das vorläufige Ende. Auch Wolf Biermann und ich hatten kein Interesse an der Bestrafung dieser Angeklagten über die Bußen hinaus. Wir waren der Meinung, die im Prozeß Wolf Biermann formulierte: »Die beiden Angeklagten sind die letzten Glieder einer Kette, die letzten, die von den Hunden gebissen werden.« Die Verantwortlichen saßen nicht auf der Anklagebank. Nicht als Nebenkläger zugelassen, konnten wir ihnen auch nichts anhaben, und so kamen sie glimpflich davon.

Ich teile die Auffassung meines verstorbenen Freundes und Kollegen ]ürgen Fuchs, daß nach Öffnung der Stasi-Archive eine Aufarbeitung und Offenlegung auch der BND-Archive überfällig ist. Denn dieser bekanntlich von alten Nazis aufgebaute und durchsetzte Geheimdienst hat ­ zwar nicht flächendeckend und totalitär ­ Gesetze gebrochen, Kriegswaffen in Krisengebiete geliefert, sich permanent in innenpolitische Angelegenheiten eingemischt, progressive Politiker bespitzelt und mit lancierten Dossiers zum Abschuß freigegeben, Desinformation betrieben und unzählige illegale Abhöraktionen und Lauschangriffe bewerkstelligt. Aufklärung tut not!

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