Bruno Bettelheim 

Themen meines Lebens

Essays über Psychoanalyse, Kindererziehung und das jüdische Schicksal 

Freud's Vienna and Other Essays 

 

1989 by Bruno Bettelheim & Alfred A. Knopf, New York
1990 by Deutsche Verlags-Anstalt
1993 by Deutscher Taschenbuch Verlag
Übers.: Rüdiger Hipp und Otto P. Wilck 

 

1990

wikipedia.Autor  *1903 in Wien bis 1990 (86)

DNB.Buch

 

detopia

B.htm   Biografiebuch

Psychobuch   Sterbejahr

H.Ditfurth   H.E. Richter   J.Korczak

 

Inhalt 

Einleitung des Autors (7) 

Für Trude Bettelheim in liebevollem Gedenken

Literaturnachweis  (327)  

Register  (330) 


Bruno Bettelheim, am 28. August 1903 in Wien geboren, studierte dort Philosophie und Psychologie. 1939 emigrierte er in die USA, nachdem er ein Jahr lang in Konzentrationslagern gewesen war. 

Bettelheim war Professor für Pädagogik, Psychologie und Psychiatrie an der Universität Chicago und gründete 1944 die Orthogenic School für schwer gestörte Kinder. Er starb am 13. März 1990 in Silver Spring, Maryland, durch Freitod. Zahlreiche Werke über die Probleme der Kindererziehung; u.a. liegen auf deutsch vor: >So können sie nicht leben< (1973), >Der Weg aus dem Labyrinth< (1975), <Kinder brauchen Märchen> (1977), <Liebe allein genügt nicht> (1979), <Erziehung zum Überleben> (1980), <Kinder brauchen Bücher> (1982), <Ein Leben für Kinder> (1987).

Von Bruno Bettelheim sind im Deutschen Taschenbuch Verlag erschienen: So können sie nicht leben (15007) Der Weg aus dem Labyrinth (15051) Ein Leben für Kinder (15083) Erziehung zum Überleben (35008) Kinder brauchen Bücher (35026) Kinder brauchen Märchen (35028)


Statt seine Biographie zu schreiben, hat der welt­berühmte Kinder­psychologe und Psycho­analytiker Bruno Bettelheim wenige Monate vor seinem Tod 1990 autobiographisch geprägte Essays zusammen­gestellt. Sie geben Zeugnis von den bestimmenden Erlebnissen, Einflüssen und Interessen eines ganzen Lebens. 

»Man hat an Bettelheim bald nach seinem Tod billige Kritik geübt. Dieses Buch ist auch eine Antwort darauf.«   (Bild der Wissenschaft)

Seine Autobiographie zu schreiben hat Bruno Bettelheim sich als Freudianer versagt - und folgte damit dem Diktum seines Ahnvaters, daß alle Biographien der »Lüge, Verheimlichung, Heuchelei und Schönfärberei« verpflichtet seien. Seinen Wunsch, »Material persönlicher Art in Buchform vorzulegen«, erfüllte sich Bettelheim dennoch und wählte hierfür die Form einer Essay­sammlung. Themen und Auswahl dieser Sammlung, die er wenige Monate vor seinem Tod 1990 zusammenstellte, sollen dem Leser ermöglichen, selbst Schlüsse zu ziehen: welche Erlebnisse und Einflüsse für ihn ein Leben lang bestimmend waren, welchen Interessen er gefolgt ist. 

Die Aufsätze, die über einen längeren Zeitraum entstanden sind, kreisen um drei große Themen: Wien und die Psychoanalyse, Kinderpsychologie sowie das Schicksal der Juden im Dritten Reich.

Er erzählt von seiner Kindheit in Wien, von Büchern, Filmen, Museumsbesuchen und dem kindlichen Erleben einer Stadt.

Auch berichtet er von seinem Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Dachau, würdigt den jüdischen Arzt und Erzieher Janusz Korczak und befaßt sich mit den seelischen Wunden der Waisen von NS-Opfern.

Teil I   Über Freud und die Psychoanalyse 

 

Das Wien Sigmund Freuds  (13)   

Berggasse 19   (29) 

Wie ich zur Psychoanalyse kam  (36) 

Zwei Freud-Porträts  (53)   1. Konterfei ohne Tiefenschärfe: Die Freud-Biographie von Ernest Jones ( 53)  2. Fromm über Freud (63) 

Eine heimliche Asymmetrie  (75) 

Lionel Trilling über Literatur und Psychoanalyse  (103)  

 

Teil II   Über Kinder und mich selbst

 

Wichtige Bücher im Leben  (121) 
Die Kunst des Films  (138) 
Kindliche Wahrnehmung der Stadt  (157) 
Kinder und Museen  (174) 
Kinder und Fernsehen  (184) 
Das »Wunderkind« und seine Lehrerin  (193) 
»Wildkinder« und autistische Kinder  (204) 

 

Teil III    Über Juden und die Lager

 

Janusz Korczak: Ein Gerechter in unserer Zeit  (233) 
Hoffnung für die Menschheit  (252) 
Kinder des Holocaust  (259) 
Ein Besuch in Dachau  (277) 
Befreiung vom Gettodenken  (293) 

 

  

Einleitung   von Bruno Bettelheim

7-10

Im Laufe meines Lebens bin ich oftmals nach den bestimmenden Einflüssen gefragt worden, die mich und meine Arbeit geprägt haben. Gewiß gehen von den Eltern und von der Familie die wichtigsten Einflüsse aus, doch wenn ich sie in den Mittelpunkt stellen wollte, müßte ich eine Autobiographie schreiben.

Als Freudianer glaube ich, daß Freuds Bemerkung über Biographien noch mehr auf Autobiographien zutrifft, daß also derjenige, der sich einer solchen Aufgabe unterzieht, »sich zur Lüge, Verheimlichung, Heuchelei, Schönfärberei« verpflichtet. Und als ich mich bemühte, bedeutende Ereignisse meines Lebens im Gedächtnis aufzuspüren, wurde ich mir meiner Neigung bewußt, die Bedeutung einiger Ereignisse zu stark hervorzuheben und andere bequemerweise zu vergessen — genau wie Freud es warnend beschrieben hatte.

Daraus folgt: Wenn ich den Wunsch hätte, Material persönlicher Art in Buchform vorzulegen, müßte dies in einer anderen Form geschehen. Die von mir gewählte Form besteht aus einer Sammlung von Essays, die in einem längeren Zeitraum entstanden, aber bisher nicht als Buch erschienen sind. Mit diesen Essays und schon durch die Tatsache, daß gerade sie ausgewählt wurden, erhält der Leser die Gelegenheit, selbst Schlußfolgerungen zu ziehen hinsichtlich der Einflüsse, die für mich bestimmend waren.

Der wichtigste Mensch in meinem Leben war meine liebe Frau; ihrem Gedenken ist dieses Buch gewidmet. Einzelheiten ihres Einflusses auf mich gehören aber in jene höchst private Welt, die nach meinem Dafürhalten am besten privat bleibt.

Dieses Buch beginnt mit einem Essay über die bekannteste Auswirkung auf mein Leben und meine Arbeit, der meines Geburtsorts. In <Das Wien Sigmund Freuds> erläutere ich die spezifischen Erscheinungen im Ambiente der Stadt, die meiner Meinung nach für die Entstehung der Psychoanalyse besonders förderlich waren. Im nächsten Essay, <Berggasse 19>, beschäftige ich mich mit der Frage, warum Freud gerade diesen Ort als sein Heim und seine Arbeitsstätte gewählt haben mag.

<Wie ich zur Psychoanalyse kam> berichtet von einigen bedeutsamen Geschehnissen in einem frühen Lebensabschnitt. Der Essay wurde aufgenommen, weil er zeigt, auf welch unterschiedlichen Wegen man in jener Anfangszeit zur Psychoanalyse kam, als sie noch längst nicht so allgemein bekannt war wie heute. In <Zwei Freud-Porträts> gebe ich Begründungen für meine Unzufrieden­heit mit Ernest Jones' Freud-Biographie, die über dreißig Jahre lang als Standardwerk galt. Das Erscheinen von Peter Gays neuer Biographie im Jahr 1988 war ein freudiges Ereignis; sie liefert ein viel umfassenderes Bild von Freud als alle vorangegangenen Werke.

In <Eine heimliche Asymmetrie> bin ich bestrebt, eine komplexe Dreierbeziehung zu beleuchten, die bis dahin verschwiegen wurde; sie scheint gewichtige Auswirkungen auf die Entwicklung des Verhältnisses Freud-Jung gehabt zu haben, das in der Geschichte der Psychoanalyse von so ausschlaggebender Bedeutung war. In <Lionel Trilling über Literatur und Psychoanalyse> versuche ich zu zeigen, wie sehr dieser große Literaturkritiker dazu beitrug, die Psychoanalyse zu einem signifikanten Teil des geistigen Lebens der Vereinigten Staaten zu machen.

 

Der zweite Teil dieses Sammelbandes beginnt mit <Wichtige Bücher im Leben>, einer sehr persönlichen Auseinandersetzung mit der Frage, welche Bücher mein Denken stark beeinflußt haben und warum es dazu kam. Die darauffolgenden Essays vermitteln ebenfalls einige meiner persönlichen Erfahrungen und behandeln Themen, die meine lebenslange Arbeit mit Kindern widerspiegeln, insbesondere die Rehabilitation und die Erziehung schwer gestörter Kinder. In <Die Kunst des Films> ist beiläufig davon die Rede, was Filme für mich bedeutet haben, darüber hinaus stelle ich Überlegungen an, was sie für uns alle bedeuten könnten. <Kindliche Wahrnehmung der Stadt> bezieht sich erneut auf meine eigenen Kindheitserlebnisse; ich versuche darzulegen, welch wichtige Rolle unsere frühen Erfahrungen bei der Ausprägung unserer Ansichten von der Welt spielen, in der wir leben.

In <Kinder und Museen> denke ich darüber nach, wie es dazu kam, daß die Kunst eine so große Rolle in meinem Leben spielt und auf welche Weise sie im Leben der meisten Kinder dieselbe Bedeutung erlangen könnte. <Kinder und Fernsehen> bildet einen Versuch, Eltern dabei zu helfen, daß sie zu einem besseren und nützlicheren Verständnis dessen gelangen, was heute für Kinder zweifellos eine wichtige Erfahrung darstellt.

Ich war tief bewegt, als ich gewahr wurde, daß das Verfahren der Milieutherapie, die von mir so benannt worden war und zu deren Akzeptanz als einer Methode, sehr schwer gestörten Kindern zu helfen, ich beitragen konnte, von Anne Sullivan lange vor meiner Geburt erfunden und angewandt worden war, und zwar als sie Heien Keller behandelte. Ein Ergebnis dieser Erkenntnis ist der Essay <Das Wunderkind und seine Lehrerin>, in dem untersucht wird, was hinter derartigen »Wundern« steckt. Mit dem Mythos der »Wolfskinder« beschäftigt sich der Essay <Wildkinder und autistische Kinder>, der unmittelbar aus meiner Arbeit an der Sonia Shankman Orthogenic School der Universität von Chicago resultiert.

Den dritten und letzten Teil dieses Buches bildet das Bemühen eines Juden, die Vernichtung des europäischen Judentums unter Hitler zu bewältigen. Gewiß ist dies eine fast unmögliche Aufgabe, insbesondere für einen Menschen wie mich, der ein Jahr in zwei deutschen Konzentrationslagern zubrachte und dann zu den Glücklichen gehörte, die freigelassen wurden. Der erste Essay <Janusz Korczak: Ein Gerechter in unserer Zeit> wurde durch eine umfassendere Biographie Korczaks überholt, durch <The King of Children> von Betty Jean Lifton (im Verlag Farrar, Straus & Giroux, wo auch Korczaks <King Matt the First> erschienen ist, zu welchem ich eine Einführung schrieb).

Dennoch habe ich mich nach reiflicher Überlegung entschlossen, meine wesentlich kürzere Würdigung dieses großen Erziehers in das Buch aufzunehmen; ich meine nämlich, daß alles getan werden sollte, um das Interesse der Öffentlichkeit auf diesen bedeutenden Mann zu lenken.

Weil Miep Giese diejenige ist, die mir Hoffnung gab, und weil ich glaube, daß sie diese Wirkung auch auf meine Leser ausüben wird, habe ich als nächstes <Hoffnung für die Menschheit> ausgewählt. <Kinder des Holocaust> zeigt, welch schwere Verletzungen jene Kinder davongetragen haben, die den Holocaust überlebten; der Essay handelt von der Problematik solchen Überlebens.

<Ein Besuch in Dachau>, erneut eine sehr persönliche Erinnerung, stellt in den Mittelpunkt, wie schwierig es auch nach vielen Jahren noch ist, die Erfahrung des Holocaust zu bewältigen.

Der letzte Essay <Befreiung vom Gettodenken> stellt ein weiteres Mal die Frage, welche Faktoren dazu beigetragen haben mögen, daß die Vernichtung von Millionen Juden möglich wurde und was wohl erforderlich ist, um die Wiederholung einer solchen Katastrophe zu verhindern.

Wenn ich dieses Buch veröffentliche, geht meine Hoffnung dahin, daß es genug Gegenstände von persönlichem und allgemeinem Interesse enthält, um es lesenswert zu machen. Ich stelle fest, daß man in meinem Alter (ich bin jetzt im 87. Lebensjahr) dem eigenen Urteil nicht mehr ganz traut, insbesondere in persönlichen Angelegenheiten; was man braucht, ist Ermutigung. 

Zur Veröffentlichung dieser Essays wurde ich von meinem Freund Theron Raines ermuntert, und ich bin ihm dafür - wie auch für vieles andere - sehr dankbar. Die Herausgeberin Joyce Jack, mit der ich freundschaftlich verbunden bin und deren sicherem Urteil ich vertrauen lernte, als sie mit mir zusammenarbeitete und bei der Entstehung vieler meiner früheren Bücher mithalf, hat auch an diesem Sammelband mitgewirkt. Was immer das Schicksal dieses Buches sein mag, ich bin ihr für die Bemühungen, es lesbar zu machen, zu großem Dank verpflichtet.

10

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