Lesebericht
Dr. Martin Böttger 
zur Biografie-2002:

Rudolf Bahro -
Ein Kämpfer 
gegen Beton

 

 

Ein Lesebericht

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Rezension

IN:
Eckhard Jesse: 
Jahrbuch Extremismus
& Demokratie
Band 15 (2003)

DNB.Buch 

 

Eckhard Jesse 

Böttger, früher: 
Initiative für Frieden und Menschenrechte (IFM),
Neues Forum, 
MdL Sachsen (ehem.)

 

 

Wer liest schon gern die Biografie eines Philosophen? Die Vita eines Denkers verläuft meist unspek­takulär. Es gab nur wenige Philosophen nach Sokrates, deren Leben so spannend verlief wie das von Rudolf Bahro. 

 

Guntolf Herzberg und Kurt Seifert ist es gelungen, das Leben des Verfassers der <Alternative> und der <Logik der Rettung> auf über 600 Seiten so darzustellen, dass sich der Leser in einem Kriminalroman wähnt. Das trifft besonders auf den Teil bis zur Ausbürgerung aus der DDR 1979 zu, der von Herzberg verfasst wurde. Seifert übernahm dann den Teil in Westdeutschland bis 1989 und beide Autoren beschreiben in einem dritten Teil Bahros Lebensweg im wiedervereinigten Deutschland.

 

Bahros Leben fasziniert von Anfang bis Ende. 

Als Schüler dichtet er schwülstige Lobeshymnen auf Lenin, weint 1953 über Stalins Tod, entdeckt nach 1956 stalinistischen Personenkult in der DDR, wird als Dorfzeitungsredakteur zunehmend aufmüpfiger, bis er 1967 in einem neunseitigen Brief an Walter Ulbricht die fehlenden Entwicklungs­möglichkeiten der Jugend anprangert. Über diesen höchst kritischen Text heißt es in einem Auskunftsbericht der Hauptabteilung XX der Staatssicherheit: "Im Februar 68 schrieb Bahro an den Genossen Walter Ulbricht einen Brief, in dem er offen eine Revision des Marxismus-Leninismus forderte."

Schicksalsjahr wird für Bahro 1968. Der 21. August, als die "Bruderarmeen" in die Tschechoslowakei einmarschieren, ist nach eigener Aussage sein schwärzester Tag. Im Stasi-Deutsch liest sich eine Aktion unmittelbar danach so: "Der B. nahm am 24. 8. Kontakt zur Botschaft der CSSR auf. Er gab eine mündliche Erklärung ab, in der er betonte, daß es für ihn als Kommunisten (seit 1952 Mitglied der SED) beschämend sei, daß die Truppen der DDR an der militärischen Aktion gegen die 'sozialistische Erneuerung' in der CSSR teilnehmen."

Die Niederschlagung des Prager Frühlings liefert für Rudolf Bahro den größten Impuls für sein Hauptwerk "Die Alternative", das er nach einer abgelehnten Dissertation in den Jahren von 1972 bis 1976 verfasst. Sofort nach Erscheinen dieser Abrechnung mit dem Staatssozialismus im August 1977 in einem Kölner Verlag sperrt die Staatssicherheit den Autor ein und macht ihm nach 10 Monaten Untersuchungshaft den Prozess wegen "landesverräterischer Nachrichtenübermittlung". Bahro kommt in das berüchtigte Stasi-Gefängnis Bautzen II. Trotz schärfster Überwachung gelingt es ihm mehrmals, Kassiber hinauszuschmuggeln, die der SPIEGEL abdruckt und die von seinem ungebrochenen Kampfeswillen gegen Beton in den Köpfen und auch gegen den realen Beton zeugen.

Nach seiner Haftentlassung siedelt er im Oktober 1979 in den Westen über und erlebt dort die Gründung einer Partei mit, die sich ebenfalls dem Kampf gegen Beton widmet. Als Gründungsmitglied der GRÜNEN schwört er zwar nicht seinen marxistischen Idealen ab, sondern versucht, die Linken um ein ökologisches Programm zu sammeln. Dabei bleibt jedoch der Kampf um die Ökonomie nicht ausgespart. Bahro verficht aber nicht mehr Klassenkampf im Industriestaat sondern setzt darauf, dass sich die revolutionären Tendenzen und Emanzipationsbestrebungen der "Dritten Welt" sich "mit einer von den Metropolen ausgehenden noch zu schaffenden realen Umkehr- und Abkehrbewegung treffen".

Auch wenn in den Folgejahren immer mehr esoterische Rettungsgedanken von ihm Besitz ergreifen, bleibt er doch nach eigenem Bekunden dem Imperativ des jungen Marx treu, "alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist." Dafür ist er 1957 Kommunist geworden und bleibt es bis zu seinem Tod 1997.

Nach dem Fall der Mauer besucht Bahro im Dezember 1989 den Sonderparteitag der SED und versucht, seinen alten Widersachern neue Überzeugungen zu vermitteln. Mit einer von den Betonköpfen gereinigten linken Partei will er jetzt die ökologische Wende in der DDR herbeiführen. Die Wirtschaft soll von den Großprojekten Abschied nehmen und sich mehr dem Reparatur- und Dienstleistungssektor widmen. Von der Landwirtschaft predigt er seinen Genossen: "Ich denke, diese wird sich weiterhin entindustrialisieren, entchemisieren, entbetonieren, entspezialisieren. Das Dorf wird das Zusammengehörige wiedervereinen." 

Wen wundert es, wenn er damit weder bei den Linken noch bei den fortschrittsgläubigen Marktwirtschaftlern Gehör findet? Zumindest blieb sich Bahro auch nach der Herbstrevolution gegen den Sog der Wiedervereinigung treu, mutig und ohne Angst vor Blamage gegen herrschende Überzeugungen anzugehen.

Welcher Leser der Biografie von Herzberg und Seifert vermag sich dem Faszinosum des revolutionären Spinners, des unbeugsamen Utopisten zu entziehen? Die Autoren selbst schildern ihn mit einer Wärme, die sich nicht nur aus Literaturrecherche und Zeitzeugenbefragungen, sondern auch aus eigenen Begegnungen speist.

Guntolf Herzberg half bei der Entstehung der "Alternative" und der Verteilung der ersten vervielfältigten Exemplare kräftig mit. Kurt Seifert traf Bahro in der Bhagwan-Kommune in Oregon. Sowohl Ost- wie West-Autor scheuen sich nicht, von Zeit zu Zeit in der Ich-Form zu schreiben. Das stört mich als Leser schon deswegen nicht, weil auch für mich die erste Lektüre der "Alternative" eine Entdeckung und später das Buch "Logik der Rettung" eher eine Enttäuschung war.  

Die "Alternative" hatte die größere Wirkungsgeschichte und so ist der erste Teil der Biografie wohl auch der gelungenste. Den Leser dürften hier besonders die vielfältigen Rezeptionen in Ost und West interessieren.

Während beispielsweise der bedeutende Trotzkist Ernest Mandel die "Alternative" das "wichtigste theoretische Werk" nannte — wir im Osten uns dagegen in kleinen Lesezirkeln auch praktische Anregungen für widerständiges Verhalten versprachen — gab es von erfahrenen osteuropäischen Dissidenten durchaus auch Kritik. 

Der 1968 nach Italien emigirierte Tscheche Jiri Pelikan etwa bezweifelt, dass diejenigen Menschen in Osteuropa, die Demokratie wollen, noch für den Kommunismus zu gewinnen sind. Bahros Sendungsbewusstsein wird von ihm wie von anderen osteuropäischen Bürgerrechtlern abgelehnt.

Pelikans wichtigste — wie auch meine — Differenz zu Bahro ist dessen Ablehnung des politischen Pluralismus und die geringe Bedeutung, die dieser den Menschen­rechten einräumt. So haben zur Gründung der "Initiative für Frieden und Menschenrechte" 1985 und der Bürgerbewegung "Neues Forum" 1989 Personen wie Vaclav Havel und Adam Michnik mehr beigetragen als Rudolf Bahro, den wir alle heimlich gelesen hatten.

Trotz alledem ist die Lektüre der Biografie von Herzberg/Seifert für alle, die in irgend einer Form etwas gegen Beton haben, ein Gewinn. Nur gut, dass man durch die flüssig lesbare Lebens- und Werkbeschreibung eines bewunderns- vielleicht auch liebenswerten Retters nicht gleich selbst zum Retter wird.

#

Mit freundlicher Gestattung von Dr. Martin Böttger für detopia

   

(detopia-2007) 

Bahro ist m. E. etwas anderes als ein Kämpfer für Freiheit und Gerechtigkeit. Er hatte - eben, nunmal - andere Visionen. Man könnte formulieren: Nicht jeder Feind (Bahro) deines Feindes (Stasi) ist dein Freund. - Bahro war kein Biermann. Das kann man ihm aber nicht 'vorwerfen' - wenn er 'sein eigenes Ding' durchzieht, und euch keine 'Freiheitsargumente' in die Hand gegeben hat..   Bahro glaubte nie an eine langfristig funktionsfähige Gesellschaft ohne daß man den Menschen (dabei) verbessert ... UND er glaubte nie daran, daß der Mensch sich im Kapitalismus automatisch verbessert, also das Lese- und Sprechfreiheit automatisch was zum Guten ändern. Und wenn ich mich heute umschaue, dann hat er damit 'recht'. - Kurz: Man muß dem Normalbürger die Bedingungen schaffen, damit er klüger und weiser werde. Der BRD-Meinungspluralismus wird von den destruktiven Kräften (etwa: industriell organisierte Reklame, Privatfernsehen, Zuschauersport, usw.) eben VIEL STÄRKER BENUTZT, als von den 'christlichen'. 

Vielleicht hat Bahro das sogar schon in der Alternative geahnt, ohne viel 'Westwissen'. 

Fühmann jedenfalls hat 1983 schon so einen Text über Libroterr geschrieben. Aber er konnte wohl in den Westen reisen, und sah es selbst. 'dass hier was nicht stimmt".

 

 

 

 

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Dr. Martin Böttger - Rudolf Bahro - Ein Kämpfer gegen Beton -Zur Biografie - im Jesse-Jahrbuch, Chemnitz, Zwickau