Freiheit gelebt - zur Biografie

 

Von Andrej Bahro 

 

in der Tageszeitung Das Neue Deutschland vom 8.12.2002 

 

Bahro-Biografie   

Andrej Bahro 

Ferst zur Biografie

 

 

Wie schreibt man eine Biografie über einem Mann, der sich schonungslos der Wahrheit verpflichtet hat? Der Schutzlosigkeit und Verlorenheit zu seiner Chance machte, die er letztlich allerdings verlor. Der sich für die Gerechtigkeit immer und immer wieder einsetzte und in seinem Arbeitszimmer ein Bild des Kommandanten Che Guevara hängen hatte, als lebbare Perspektive und Mahnung auch für uns Kinder.

Über einen Mann, der am 1. Mai die Rote Fahne hisste, nicht aber die mit Hammer, Zirkel und Ehrenkranz. Wie schreibt man über einen Mann, der das Scheitern hasste, der aber im Scheitern selbst erkannt werden wollte. Und der für sich selbst und alle wünschte, im rastlosen Tun und Mühen einmal anzuhalten, um zu begreifen, was um uns geschieht, und wollte, dass wir das Wagnis des Nachdenkens auf uns nehmen?

Ich war zunächst skeptisch, als ich vom ND um Besprechung der neuen Bahro-Biografie gebeten wurde. Ich bangte um die sozio-emotionale Kompetenz der beiden Autoren. Zwei brave Menschen, ein Philosoph – Schüler meines Vaters, in den Westen getrieben – und ein Journalist, haben fleißig eine sehr umfangreiche Biografie verfasst – ein Buch in einem überkorrekten sauberen Stil, der zum wohligen Leben meines Vaters schwerlich passt, aber inhaltlich ihm doch überwiegend gerecht wird.

Wer wird dieses Buch lesen? Wird man es dort lesen, wo Rudolf Bahro geformt wurde? Noch dürfen sich die Philosophen an der Humboldt-Universität zu Berlin mit diesem wichtigsten modernen deutschen Philosophen beschäftigen. Aber wie lange noch?

Nicht nur für den Glauben an Veränderung steht Rudolf Bahro, auch für eine Anleitung, wie mensch zu sich selber stehen und aus seinem Leben etwas machen sollte. Er hat etwas hinterlassen auf dieser Erde. Also kann er sich in seiner ewigen Ruhestätte mit dem kleinen Zaun drum herum, unter dem schweren rosa Feldstein mit der dunkelroten Aufschrift »Eben ruhend« zufrieden rekeln.

»Rudis« Sohn fragt sich aber, was würde der Vater zu dieser ersten ausführlichen Biografie sagen? Er würde zu dieser im Falle eines Bewerbungsgespräches greifen. Zur Analyse seiner selbst hätte er es nicht nötig. Er würde wohl schmunzeln über die große Ehrfurcht, mit der es verfasst wurde. Und vielleicht bedauern, dass die Autoren eigene Identifikation vermieden. Er wäre sicher angerührt von der Fülle an Details aus seinem Leben und Zitaten aus seinem Wortwerk. Einem entspannten Lesen der Biografie ist dies jedoch leider weniger förderlich.

Ich vermisse hier all jene, die bereit waren, des Vaters großen Plan, die Umsetzung der »Alternative«, zu unterstützen – die 1997 an seinem Grab auch gestanden haben: die <Garagenbauer> der Gummibude in Weißensee, die Gysis, die liebe Freundin in Charlottenburg... und den vor zwei Jahrzehnten infolge eines Attentats verstorbenen Rudi Dutschke, mit dem »Rudi« Bahro, hätte sich die Chance der Zusammenarbeit ergeben, die Grünen munter vor sich her getrieben hätte.

Bahro war kein »Linker« im Sinne des heute zu beobachtenden link-ischen Typs. Er war für alles offen und stellte alles infrage. Er weitete Horizonte – mit Perspektive. Nicht niedergeschlagen trotz Niederlage. Ein guter Gedanke und eine Seite Wort waren ihm immer ein fröhlich gesummtes Liedchen wert. Oder eine zerkratzte Schubert-Platte. Bahro wusste, dass er nur ein kurzes Leben lang Zeit hatte, Lebenssinn zu retten.

Bahro blieb an den »eisigen Osten« gekettet. Er hat sich aber nicht bei der Freiheit angestellt wie jene DDR-Bürger, die nach dem Mauerfall nicht schnell genug ihr »Begrüßungsgeld« in der »Freiheit« entgegennehmen konnten. Er hat Freiheit gelebt. Ein strebsamer, fleißiger Mann, dem der Blick auf die Historie Veränderung aufzeigte. Er begriff sich als Veränderer, nicht Veränderter.

Der Sohn bittet um Verzeihung für die wahrhaftigen Äußerungen zur Ergänzung der Biografie. Den Autoren sage ich: »Danke Jungs, Ihr habt es mir erspart, es schlechter gemacht zu haben.«

 

 

 

 

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