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3.12  Nachrufe: "Inspiration und Provokation zugleich"

 

 

 

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Es gab wohl kaum eine Zeitung im deutschsprachigen Raum, die die Nachricht vom Tod Rudolf Bahros nicht verbreitet hat. Die größeren Blätter sowie politische Magazine und Zeitschriften widmeten ihm mehr oder weniger ausführliche Nachrufe. 

Ein hartnäckiger Weltverbesserer (Berliner Morgenpost), Ein urdeutscher Rebell (Tagesspiegel) oder Ein seltsamer Heiliger (Süddeutsche; jeweils 9.12.1997). Das sind einige der Charakterisierungen, die schon in den Überschriften die Richtung erkennen lassen. Für Mechthild Küpper (Süddeutsche) gehört Bahro in die »Ahnengalerie« deutsch-deutscher »Renegaten«, zu denen u.a. auch Robert Havemann und Wolfgang Harich zählen.

»Gemeinsam war ihnen, daß sie die Dinge <bis zu Ende denken> wollten und damit nirgendwo hinpaßten, am wenigsten in die DDR. Von der trennten sie sich, so deutlich der politische Bruch war, geistig nur schwer.« So sei Bahro »ein in der Wolle gefärbter DDR-Bürger« geblieben. Im Spiegel hält Walter Mayr fest, die drei genannten »SED-Abtrünnigen von Rang« hätten sich »nicht vom Kommunismus losgesagt« (Nr.51, 15.12.1997). 

Die von Rainer Langhans stammende Metapher vom Interzonenzug, in dem Bahro sitzen geblieben sei, taucht in verschiedenen Nachrufen wieder auf. So schreibt Peter Pragal in einer umfangreichen Würdigung von Rudolf Bahro, während seiner zehn Jahre in der alten Bundesrepublik sei er »ein Suchender« gewesen — einer, »der im Westen geistig und seelisch nie richtig angekommen ist« (Berliner Z., 8.12.1997). Ein Held, ein Fremder betitelt der Spiegel seinen Beitrag.

In vielen Nachrufen wird die Bedeutung der <Alternative> hervorgehoben: Bahro »forderte reale Umkehr, das Ende der Parteidiktatur. Die Theorie hielt Gericht, die Klassiker kamen über die Dogmatiker«, formuliert Klaus Hartung für Die Zeit (Nr. 51, 12.12.1997). 

Und Marko Ferst im Neuen Deutschland: »In seinem Buch [...] warf er der Partei Verrat am Sozialismus vor, machte kenntlich, wie die Idee ausgehöhlt worden war, und schlug eine weit­gehende Reform der Apparate-Herrschaft vor. All dies entfaltete er auf der Grundlage marxistischer Optionen.« (ND, 9.12.1997)

Die <Alternative> »war die schonungslose Abrechnung mit einem System, dem die marxistische Ideologie nur noch als <eine Fassade> diente. Einer polit­bürokratischen Diktatur, die mit ihrem Machtmißbrauch <alle alten sozialistischen Hoffnungen zum Gespött der Massen> gemacht hatte« — so der bereits zitierte Peter Pragal. 

Der Autor der <Alternative> habe selbst keine Alternative »zur derzeitigen, für ihn auf die Apokalypse zusteuernden Zivilisation« gefunden, so Rüdiger Thunemann in der Berliner Morgenpost. 

Etwas anspruchsvoller Hermann Rudolph im Tagesspiegel: Bahros Botschaft sei bereits in der <Alternative> »ganz aus dem schwärmerisch-spirituellen Überschwang gemacht, zu dem das deutsche Denken seit jeher so viele Berührungspunkte hat«.

In der alten Bundesrepublik sei Bahro einseitig als DDR-Dissident wahrgenommen worden, hält Martin Woldt in der Zürcher WochenZeitung fest. Die »Rolle des Oppositionellen, des Stasi-Opfers, des Sozialismus-Kritikers — darauf allein seinen historischen Platz definiert zu sehen, muß ihn gekränkt haben«. Bahros »eigentliche Botschaft« sei im Westen »mißverstanden geblieben« — nämlich: »Daß die wirkliche Emanzipation des Menschen noch nicht stattgefunden hat.« (WoZ, Nr. 50, 11.12.1997) 

Diese Botschaft habe die bundesdeutschen Grünen nicht mit nachhaltiger Wirkung erreicht. Klaus Hartung resümiert: »Als Reformator war er angetreten und zweifach gescheitert. Die SED-Staatskirche vermochte er nicht zu spalten und die grüne Doktrin nicht zu sprengen. Er war der Charismatiker des Ausstiegs aus dem <Hamsterrädchen>, aus der <Akkumulationslogik>.« 

Kaum ein Nachruf, der Bahros Besuch in der Bhagwan-Kommune nicht erwähnt hätte. Sein Verhalten im Westen habe viele Anhänger befremdet, »so als er <positive Erfahrungen> mit der Bewegung des Guru Bhagwan machte und sich stark dem Transzendentalen zuwandte«, teilt Karl-Heinz Baum in der Fr.Ru. (9.12.1997) mit. Bahro habe »den Weg nach dem weisheitsverheißenden Osten« angetreten (der in diesem Fall allerdings im Westen lag), stellt Hermann Rudolph im Tagesspiegel fest. 

»Es folgten die Entrückungen, Bitterkeiten, sektiererische Abstrusitäten von neuen Lebens­entwürfen, meditativen Zirkeln« — doch: »ein Sektierer war er nicht«, erklärt Klaus Hartung. Seine zivilisationskritischen Veröffentlichungen — beispielsweise die <Logik der Rettung> — »fanden nicht mehr die von ihm erwartete Resonanz«, so Peter Pragal. 

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Im Herbst 1989 und danach hätten »seine ökologisch-apokalyptischen Phantasien [...] weder das Ohr der Ex-Genossen noch das der DDR-Bürger« erreicht, befindet Hermann Rudolph.

Bahro — ein Gescheiterter? 

In den meisten Nachrufen bleibt die Häme aus. Im Gegenteil: Für Klaus Hartung war Bahro ein »Prophet, ungebrochen und zerbrechlich am Ende; ein utopischer Denker, unberührt von allem eitlen Jammer über den Verlust der Utopie«. Aber in einem von »depressiven und hadernden Intellektuellen« bevölkerten Deutschland »erfuhr er weder die Neugierde, die er verdiente, noch das Interesse, das dieser kleine große Mann beanspruchen konnte«. 

Bahro habe darauf beharrt, daß die moralische Kategorie des Marxschen Imperativ, »alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist«, die »radikale Kritik« bestimmen müsse, stellt Christian Rentsch im Zürcher Tages-Anzeiger fest (9.12.1997). Hartung sieht bei Bahro »die emanzipatorische Kraft des jungen Marx, die Mystik Ekkehards [gemeint ist Meister Eckhart] und die radikale Kulturkritik Nietzsches« miteinander eine Verbindung eingehen. 

»In manchem ist er Ernst Bloch vergleichbar«, schreibt Guntolf Herzberg in seinem Nachruf für das Neue Deutschland: »Beide trafen sich in der Antizipation der gesellschaftlichen Entwicklung, dem von Marx benannten <Reich der Freiheit> [...] Was Bahro wollte, war nichts Geringeres als die Umgestaltung der ganzen gegenständlichen und inneren Welt des Menschen, aber auch die Versöhnung von Kultur und Natur. Da traf er sich wieder mit Ernst Bloch.« Und: »Sein Mut, sein kompromißloses Denken, seine Freundlichkeit, sein Glaube an eine machbar bessere Welt in Nachbarschaft der Katastrophe suchen dringend Nachfolger.« (ND, 10.12.1997; wieder abgedruckt in Herzberg 2000, 255 ff.)

 

Wie wird Bahro in stärker persönlich gefärbten Nachrufen wahrgenommen? Zunächst zwei Stimmen aus der ehemaligen DDR. Der Sozialwissenschaftler Dieter Klein lernte Bahro in der FDJ-Zeitung Forum kennen. 

»Ich war zu jener Zeit der Auffassung, daß angesichts der Bindung der DDR an die Sowjetunion und der Machtstrukturen in der DDR nur ein allmählicher Reformprozeß von innen — nicht zuletzt auch aus der SED heraus — Erfolg haben könne, ein frontaler Angriff jedoch keine Chance hätte. Bahro hatte Recht mit seiner Einschätzung der Nichtreformierbarkeit des Staatssozialismus. Ich hatte nicht recht. [...] 

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Als Rudolf Bahro zu Beginn des Jahres 1990 mit mir über Bedingungen seiner Rückkehr an die Humboldt-Universität beriet, teilte ich abermals durchaus nicht alle seine Auffassungen. Doch inzwischen hatte ich aus dem Scheitern des Staatssozialismus und eigenen Irrtümern gelernt, daß die Gesellschaft nichts dringlicher braucht als große Mahner, die am Gewohnten rütteln, die kompromißlos Alternativen einfordern, wenn die eingefahrenen Wege in den Abgrund weisen. Und genau das hat Bahro getan.« 

Kleins Resümee: »Hellsichtiger Kritiker bedrohlicher gesellschaftlicher Verhältnisse, mutig in den persönlichen Konsequenzen, suchend nach Wegen zu einer menschenwürdigen Gesellschaft in seinem gesamten bewußten Leben und doch tolerant im persönlichen Umgang — das war Rudolf Bahro.« ( Studenten­zeitung der Humboldt-Uni zu Berlin, Nr. 1, Januar 1998)

Auch Wolfgang Sabath begegnete Bahro erstmals in der Forum-Redaktion: »Der neue Kollege war [...] auf eine manchmal penetrante Art neugierig, <dienstlich> wie privat. Und er sagte auffällig oft <aber>. Für den Geschmack unseres damaligen Chefredakteurs wahrscheinlich zu oft.« Nach dem von Bahro verantworteten Vorabdruck eines Stückes von Volker Braun wurde Bahro entlassen. »Wir Verbliebenen — vielleicht sollte ich besser von <Hinterbliebenen> schreiben — hörten dann über Jahre hinweg nur noch gelegentlich von ihm.« 

Ende 1976, Anfang 1977 trafen sie sich in Leipzig am Bahnhof. »Nach anfänglicher Beklommenheit (ich durfte schließlich immer noch beim Forum arbeiten und er nicht) unterhielten wir uns ausführlich. [...] Die Wartezeit auf dem Bahnhof und die sich ihr anschließende Fahrzeit nutzte Rudi Bahro nicht nur für Dönchens, sondern er hielt mir ein Kolleg, Thema: Die Alternative. Das sollte ich allerdings erst ein Jahr später mitbekommen.« 

Da zirkulierte nämlich »in einem engeren Kreis von Forum-Redakteuren« das Manuskript eines ungenannten Autors: <Die Alternative>. Die Staatssicherheit bekam Wind davon, drohte mit einem Ermittlungsverfahren, und da »reihten wir uns diszipliniert fast alle wieder ein. [...] Jetzt waren wir ruhiggestellt. Für lange Zeit. Anders Rudi Bahro. Er hat uns beschämt. Dieses Bekenntnis ist heute billig zu haben.« (Freitag, Nr. 51, 12.12.1997)

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Nun noch ein paar Stimmen aus dem Westen. Joscha Schmierer erinnert sich: 

Bahro »hatte in radikaler Weise umgedacht. Er setzte auf die unaus­weichliche Katastrophe, die die Bereitschaft zum Rückschritt wecken sollte, und hatte es dabei nicht eilig. [...] Es war schön, mit Rudolf Bahro in der Küche zu sitzen und über Gott und die Welt zu reden. Die Kommune hat entscheidende Texte seiner Neuorientierung veröffentlicht. Dann lockerte sich die Verbindung. Ein Periodikum ist für letzte Wahrheiten denkbar ungeeignet. Es erscheint zu regelmäßig.« (Kommune, Nr. 1/98, 3)  

In der folgenden Nummer reagierte Kurt Seifert mit einer Replik: 

Bahros »Radikalität des Denkens konnte so erscheinen, als würden hier <letzte Wahrheiten> verkündet. Die ironische Wendung Joscha Schmierers, ein Periodikum sei dafür <denkbar ungeeignet> denn es erscheine <zu regelmäßig> verwischt etwas Wichtiges: Rudolf Bahro beschränkte sich nicht darauf, seine Erkenntnisse und Thesen einem esoterischen Kreis zu vermitteln, sondern er suchte die öffentliche Auseinandersetzung. Die so Angesprochenen zogen es aber vielfach vor, über ihn statt mit ihm zu reden. [...] Bahro <setzte auf die unausweichliche Katastrophe>, schreibt Joscha Schmierer — als ob es darum ginge, beim Pferderennen auf den Sieg eines Gauls zu wetten. So spielerisch-distanziert dachte Bahro wohl nicht. Er war locker auf eine andere Art. Bahros Denkarbeit ging davon aus, daß die ökologische Katastrophe notwendigerweise kommen muß, wenn wir so weitermachen wie bisher. Die Frage nach den rettenden Auswegen beschäftigte ihn in den letzten Jahren intensiv. Diese Auseinander­setzung muß fortgesetzt werden.« (Kommune, Nr. 2/98, 74)

In seiner für die Neuen Wege, das Organ der religiös-sozialistischen Vereinigung der Deutschschweiz, verfaßten Erinnerung schrieb Kurt Seifert u.a.: 

»Rudolf Bahro eckte an mit seiner Bereitschaft, Irrtümer zuzugeben, ohne sich selbst dabei untreu zu werden — und vor allem: ohne den Glauben zu verlieren. [...] Rudolf Bahro glaubte an die Möglichkeit einer <Umkehr in den Metropolen>. [...] Der Begriff der <Umkehr> prägte seit der <Alternative> das Denken Rudolf Bahros. Hier sah er auch — obwohl selber nicht an einen persönlichen Gott glaubend — Möglichkeiten eines Brücken­schlages zwischen marxistischen und christlichen Traditionslinien. [...] Alle Menschen, die Spiritualität und solidarische Politik als unverzichtbar und unzertrennbar betrachten, haben in dieser Welt mit dem Tod Rudolf Bahros einen wichtigen Freund verloren — und in einer anderen Welt vielleicht einen neuen Weggefährten gewonnen.«  (Neue Wege. Beiträge zu Christentum und Sozialismus, Nr. 1, Januar 1998, 34 f.)

Für den libertären Anarchisten Bruno Weil war Bahro »Inspiration und Provokation zugleich«, wie es im Untertitel seines Beitrags in der Zeitschrift Graswurzelrevolution (Nr. 225, Januar 1998) heißt. 

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»Für mich war die Radikalität, mit der Bahro die Frage der notwendigen gesellschaftlichen Veränderung stellte, immer beeindruckend. Und seine zweifellos vorhandenen inhaltlichen Sprünge und Wendungen waren mir eine permanente Herausforderung, der argumentativ gerecht zu werden oft zu dem Gefühl führte: diese Auseinandersetzung bringt voran und bahnt auch mir als Anarchisten den Weg zu neuen Erkenntnissen.« 

Bei Bahro habe es — ähnlich wie bei Ernst Bloch, Herbert Marcuse und Wilhelm Reich — eine Verquickung zwischen »libertäre[n] Erkenntnisse[n] und autoritär-kommunistische[r] Tradition« gegeben. Obwohl er sich in seinem Leben stark gewandelt habe, »blieben doch zeitlebens auch Mechanismen seiner SED-Sozialisation und seiner autoritär-kommunistischen Herkunft vorhanden, auf die er plötzlich wieder zurückgriff, ganz unerwartet für Leute, die glaubten, davon hätte er sich längst emanzipiert. [...] In der ihm eigenen Sprache war Bahro auch immer fähig zu radikaler Selbstkritik, die ihn allerdings kaum vor neuen Fehlern schützte

Mit Blick auf Bahros kommunitäre Versuche hebt Weil hervor: »Er war einer der wenigen bekannten Philosophen, der tatsächlich versuchte, das ideell Propagierte auch praktisch in seinem Alltag umzusetzen Bahro habe im geforderten Ausstieg aus der Industriegesellschaft eine »historische Zeitenwende« gesehen, »die einen ganz neuen kulturellen Code erforderte, um das emotional bewältigen zu können. Historisch sah er jede neue Kultur auf Religion gegründet.« 

Bruno Weil begegnet der Kritik an Bahros »Spielen mit Spiritualität und Religion« mit dem Hinweis, daß dieser »Konsequenzen aus der historischen Erfahrung ziehen wollte, wonach rein rationalistische Kommuneexperimente meist nur sehr kurzlebig waren und schnell in sich zusammengefallen sind, während Kommunen mit einer religiösen Grundlage sich in der Regel als viel substanzieller und dauerhafter erwiesen haben« (ebd., 10).

Weil weist darauf hin, daß Bahros Position zum »Antifaschismus« der Linken ausreichend Stoff für spektakuläre Kontroversen und Mißverständnisse gegeben habe. 

Genau hier setzt der Nachruf von Jutta Ditfurth in der Zeitschrift <Jungle World> (Nr. 51, 1997) an. Sie bläst bereits im ersten Satz zum Angriff: »Deutsche Tradition ist lügen, wenn jemand stirbt. <Rudolf Bahro hat (...) seinen physischen Körper verlassen> sprach ein esoterischer Bahro-Freund an dessen Grab.« Ein Blick in den Pressespiegel beweist ihr: »Die bislang Nachrufenden hat offensichtlich allesamt ihr <Geist> und jede Wahrheitsliebe verlassen.« 

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Die Bahro-Würdigungen zeichne vor allem eines aus: »Feigheit vor dem Konflikt«. Jutta Ditfurth scheut ihn nicht. Zu dieser kämpferischen Haltung will allerdings Ditfurths Weigerung nicht so recht passen, sich der direkten Auseinandersetzung mit Bahro zu stellen. 

Im Nachruf beschreibt sie den Vorgang folgendermaßen: »Bahro versuchte, mit Briefen Druck auf mich auszuüben und mich zugleich zu gewinnen.« Sie läßt offen, welcher Art dieser Druck gewesen sein soll. Im übrigen argumentiert sie auf der Linie, Bahro sei in seinen letzten Lebensjahren gegen die Linke angetreten, insbesondere gegen »antinational Denkende«, die er als »psychisch gestört« dargestellt habe. 

Diesen Anwurf gibt Jochen Baumann in der gleichen Ausgabe von <Jungle World> postum und sprachlich wenig differenziert an Bahro zurück: »Bahros Vorstellungen oszillierten spätestens seit Mitte der 80er Jahre zwischen apokalyptischen Vorstellungen und Heils- und Erlösungsvorstellungen, die im politischen Wahn endeten.« (Ebd.)

 

Als letztes sei aus dem ausführlichen Artikel des Soziologen Prof. Artur Meier zitiert, der die <Alternative> als eine der bedeutendsten wissenschaftlichen Leistungen aus der DDR wertete, um dann fortzusetzen:

»Der Bahro der 90er Jahre war ein anderer geworden. Er hatte mit dem herkömmlichen Wissenschafts­verständnis gebrochen. In seinen gut besuchten Vorlesungen im Studium generale ersetzten Visionen die Analyse. Die akademische Lehre trat hinter die selbstgewählte Mission zurück. [...] Wieder schwamm er gegen den Strom, erst recht, als er seine Befreiungsthesen mit einer reichlich metaphysischen kommunistischen Zukunftsvision zu verbinden suchte. Aus dem Professor wurde der Konfessor; aus dem Dissidenten von einst der Abweichler von heute.« 

Und dann heißt es, daß die Universitätsleitung und die Sparkommissare der Landesregierung nichts unversucht ließen, um Bahros Wirkungskreis einzu­schränken. Folgte das bittere Ergebnis: Diese Universität, »die im Zuge einer neoliberalistischen Rationalisierungswelle selbst immer mehr Markt­gesetzen und bürokratischer Herrschaft unterworfen wird, hat einfach keinen Platz mehr für unbequeme Querdenker wie Rudolf Bahro einer war.« (Berliner Z., 10.12.1997) 

Dem entspricht auch die schon peinliche Tatsache, daß kein offizieller Vertreter der Universitätsleitung an der Trauerfeier auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof teilnahm und erst Ende Januar 1998 auf eine entsprechende Anfrage der Personalabteilung sich der Präsident Prof. Hans Meyer zu einem Kondolenz­schreiben an die Witwe entschließen konnte. 

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Auch wir fragen uns, wer Rudolf Bahro gewesen ist. 

In den Interviews haben wir viele ihn charakterisierende Sätze gehört, nicht als Gesamtantwort gedacht (denn wir haben eine solche Frage nicht gestellt), doch in ihrer Zusammenstellung ergeben sie ein genaueres Bild als viele der gedruckten Nachrufe. Wo es sozusagen privateste Äußerungen uns gegenüber waren, werden wir die Namen nicht bekanntgeben.

 

Johan Galtung im Gespräch mit uns: »Ich hatte großen Respekt vor Rudi, aber er war mir ein wenig zu fundamentalistisch, auch etwas zu teutonisch. Auf jeden Fall gehörte er zu meinen Lieblingsteutonen.« Jede Begegnung mit Bahro sei für ihn eine Freude gewesen. Galtung erwähnt als Beispiel eine Veranstaltung in der Humboldt-Universität: »Die Ausstrahlungskraft von Rudi war phantastisch. Ein so gutes Publikum habe ich in Deutschland sehr selten erlebt. Es war wirklich ein Genuß, bei ihm zu sein!« Bahro sei ein »Seher« gewesen: »Er hat Dinge gesehen, die andere nicht wahrgenommen haben. So rechnete er mit einem kaum mehr zu vermeidenden Krieg der Ökonomie gegen die Ökologie. Ich denke, daß die Entwicklung auch einen anderen Ausgang nehmen kann — doch dies ist eine Frage des glücklichen Zufalls, wie er beispielsweise beim Ende des Apartheid-Regimes in Südafrika zum Zug kam.« Galtung abschließend: »Ein guter Freund, der leider zu früh verstorben ist. In einem gewissen Sinn war er auch ausgebrannt.«

 

Rainer Langhans hat sich recht gut mit Bahro verstanden und manche Ähnlichkeiten entdeckt: »In einem wesentlichen Punkt unterschieden wir uns allerdings: der Frage des Autoritären. Rudi sprach zwar gerne über 1968, doch eigentlich hatte er keinen blassen Schimmer davon, weil er die Veränderungen, die wir damals an uns erlebten, für sich persönlich nicht nachvollzogen hat. Er war halt ein Vorachtundsechziger-DDR'ler — und blieb es auch.« Und im Rückblick auf Bahros Konzeption und Haltung: »So wenig er Stalin und Johannes R. Becher überwunden hatte, so sehr propagierte er eine autoritäre <Unsichtbare Kirche> — nicht die erfahrende Spiritualität. So wenig er über ein autoritäres Verhalten im Privaten, Frauen gegenüber, hinaus­gekommen war, so wenig konnte ihm das daher im Politischen, also Männern gegenüber, gelingen. Er hatte etwas <Falsches> an sich und ist daran wohl auch gescheitert — lehrreich, wie ich finde.«

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Einer der von uns Interviewten erklärte im Gespräch, Bahro sei von einem »ungeheuren Sendungs­bewußt­sein« angetrieben gewesen. Es habe bei ihm »Anflüge von Megalomanie, auch von angemaßter Autorität« gegeben. »Er war abgründig und darin zutiefst deutsch.« Seine dämonische Seite habe er nicht verleugnen können. »Sein tiefster Antrieb war es, das Paradies schaffen zu wollen, damit alles Kleinliche verschwindet.« Er habe auf das Ende des Kapitalismus gehofft und für dessen Beschleunigung eine »Katastrophen-Didaktik« entwickelt. »Bahro glaubte an die menschlichen Wesenskräfte, an das Gute im Menschen. Da kam er vom jungen Marx her.« Man dürfe nicht verschweigen, daß Bahro ein manischer Selbstdarsteller gewesen sei. Er habe die Grenzen zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen nicht gesehen oder nicht respektiert, und dadurch exhibitionistisch gewirkt.

 

Maik Hosang schreibt in einer unveröffentlichten Würdigung Rudolf Bahros: Er...

»war einer der mutigsten, unkonventionellsten und weitestblickenden Vordenker der letzten Jahrzehnte. Zu seinen Lebzeiten wurde er von verschiedenen Seiten wegen seiner theoretischen Grenzüberschreitungen angegriffen, andererseits war er weltweit Gesprächspartner vieler engagierter Theoretiker und Praktiker. Inzwischen, da die Grenzen einer einseitigen Erforschung der ökologischen und sozialen Krisenprozesse immer deutlicher werden, gilt er als Pionier einer transdisziplinären Theorie zukunftsfähiger Entwicklung. Als einer der ersten thematisierte er das integrale Zusammenwirken ökologisch-ökonomischer, sozial-instutioneller und subjektiv-geistiger Entwicklungsprozesse; darüber hinaus war ihm Theorie nie Selbstzweck, sondern immer orientiert an den größten Problemen gegenwärtiger menschlicher Praxis.«

 

Wie durch ein Kaleidoskop weitere Blicke auf Rudolf Bahro:

 

Und zum Abschluß Bahros Blick auf Bahro

In einem Brief an seine Ex-Frau Gundula vom 5.11.1994 heißt es bescheiden und nüchtern: »Wir haben versucht, ins Rad der Geschichte einzugreifen, es ist uns entglitten.« 

Im bekannten Spiegel-Interview vom 26.06.1995 wurde er gefragt: »Herr Bahro, was glauben Sie, wird von Ihren Anstrengungen, diese Gesellschaft zu verändern, bleiben?« Und er antwortet: »Also eine Menge geistiger Innovationen, mehr als ein Professorenleben hergibt. Das würde ich immer sagen.« Das wollen wir im letzten Kapitel prüfen.

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 Von Seifert und Herzberg   #   www.detopia.de      ^^^^