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   Exkurs über Grün und Braun 

 

 

     Der "Faschismus-Vorwurf" im Kontext: Der Schluß meiner Hamburger Rede    

388-401

Ihr Reformisten, das könnt doch selbst Ihr nicht ernstlich glauben, daß die Große Maschine, die uns immer mehr an die Wand drückt, durch irgend etwas anderes aufzuhalten ist als durch eine Volkserhebung, für die unsere Brokdorf und unsere Startbahn-Demo nur ein Prolog gewesen sein kann?! Und das ist nicht Reformisten-, das ist eine Reformationszeit, die jetzt angehoben hat. Es gibt da einen kleinen Unterschied, den, daß die Reformation etwas einschließt, was Engels einmal die radikalste Tatsache der deutschen Geschichte genannt hat: den Großen Deutschen Bauernkrieg. Es gab nicht nur Luther, an den heranzureichen sich schon lohnen würde.

Es gab auch noch Thomas Müntzer. Der hat sie unter der Regenbogenfahne, voran einen unsichtbaren Bauern-Christus, in den Kampf geführt, nachdem ihnen die Herren keine andere Wahl gelassen hatten als den Aufstand. Die Bauern sind besiegt worden. Es steht ja geschrieben, wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen. Also beim nächsten Mal anders besser. Aber wir müssen Müntzersche sein, nicht von dem sanftlebigen Fleisch zu Wittenberg, wie der den späteren Luther nannte, nicht eine Ökoliberale Paulskirchenpartei, die von vornherein so vor dem Idealtypus der repräsentativen Demokratie scharwenzelt wie die späteren Bismarck-Liberalen schon 1848/49 vor der verfaßten Monarchie.

Denen war es halt das Wichtigste, daß sich das Volk, der wilde Lümmel, nur wohldosiert zu Wort melden konnte. Jetzt haben die moderaten Leute noch einen viel schöneren Hammer. Das Volk — und mit ihm als einer autonomen Kraft umgehen zu wollen — das ist nämlich totalitär. Sie haben es nötig, dem Hitler diesen letzten Sieg zuzuschanzen, daß man nun endgültig in Deutschland das Volk nicht mehr rufen dürfe.

Aber wir hatten erst Bundschuhverschwörungen, diese Jahre, Treffen wie die Aufläufe um den Behaim Hans in Niklashausen, die damals allerdings noch eins mehr hatten als wir: ihre naive Vision vom Reiche Gottes. Wie gesagt, das waren erst Windstöße. Der Sturm kommt noch.

Es geht derzeit eine "Datenverarbeitung" vor, wie sie sich die Herren nicht gedacht haben. Die Leute — und das letztlich drückt sich in den Stimmen für uns aus — sehen: Waldsterben, Dioxin, Tiefflieger, Grundwasservergiftung, Pseudokrupp, Tierversuche — es geht da jeweils um die ganze Chose und es gehört alles zusammen. Die Bevölkerung — und die Bauern sind, obwohl nicht mehr allzu viele, dennoch das beste Indiz dafür — beginnt einen Summenstrich zu ziehen, beginnt zu begreifen, was sie schon ein paar Jahre länger ahnt: daß sich in den täglichen Horrormeldungen in Wirklichkeit eine einzige Totalkatastrophe ankündigt und daß sie auch eine tiefere Ursache hat, wenn auch keine ganz einfache. Gerade die Bauern wissen nämlich, wie aktiv sie mit dieser Art Viehquälerei und Bodenvergiftung daran beteiligt sind — und warum. Der EG-Agrarmarkt ist ein harter Lehrer. 

Wer die Tiefenschichten der Selbst­aus­rottungslogik verstünde, wüßte auch besser über den Charakter der einen Rettungsbewegung Bescheid, die kommt.

Jetzt ... müßte ich eine weitere halbe Stunde über das Verhältnis zwischen Ökopax-Bewegung und Faschismus sprechen, aber anders, als Ihr es riskiert. Formell, strukturell gesehen, stehen sich nämlich Bewegung, Staat und Gesellschaft heute ganz ähnlich gegenüber wie in der Republik von Weimar, und die Grünen steigen formell nach einem ganz ähnlichen Muster auf wie die Nazipartei. Um diesmal gut herauszukommen, nämlich damit die Volkserhebung gewaltfrei wird, dürfen die Grünen nicht verlorengehen. Lassen sie sich kooptieren und werden sie kooptiert, sind sie nachher, wenn der Sturm seine größte Stärke, die Welle ihre volle Höhe erreicht, schon eine Systempartei mehr — besser könnt Ihr den Bürgerkrieg und die anschließende Diktatur nicht vorbereiten.

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Aber dazu wäre viel mehr zu sagen, vor allem darüber, daß die Bewegung für einen friedlichen Übergang noch eine andere von innen arbeitende Struktur als die politische Partei braucht; die Partei gerade nicht als Avantgarde. Sie wäre der Bock als Gärtner für eine neue Kultur, sie darf nur politischer Arm sein, der im entscheidenden Augenblick den politischen Arm der Gegenseite, die CDU/CSU, mögen wir annehmen, mit Fingerhakeln beschäftigt, so daß die Staatsmaschine paralysiert ist, durch die Bewegung natürlich, die nichts aus den Kasernen läßt, nachdem sie die Soldaten schon bis hinauf ins Offizierskorps gespalten hat. Ich erinnere mich: Novotny hat Ende 1967 Armee und Sicherheitskräfte gerufen — sie kamen nicht, weil sie gespalten waren.

Dann erst hätte ich über das positiv Wichtigste zu sprechen, über die soziale Alternative, wenigstens eine Skizze davon. Denn das ist ja die ungeheure Sache, daß eine Politik, die die Großchemie usw. wegräumt, den Job als den Zugang zum Lebensunterhalt mit wegräumt... Wollen wir anfangen, eine selbstversorgerische Gesellschaft jenseits der Jobs bei der BASF und des EG-Agrarmakts aufzubauen — und zwar als Hauptrichtung, dies unser positives Projekt! — oder nicht?...

Der Mensch lebt nicht, um zu produzieren. Oder, daß er es vielmehr doch tut, ist gerade die Ursache seines Untergangs. Ich hätte eine letzte halbe Stunde darüber zu sprechen, daß und warum die andere Republik vor allem eine Assoziation von Gemeinden, also von Lebensgemeinschaften mit Gott bzw. Göttin in der Mitte sein wird. Und ein paar Worte hinzuzufügen über den fundamentalistischen Bund, das fundamentalistische Netz, daß wir noch hinter allen Partei- und Bewegungsstrukturen und weit über den jetzigen Umkreis hinausgedacht zu allen sensiblen Nonkonformisten in allen sozialen und politischen Lagern aufbauen sollten über's ganze Land. Die Fundamentalisten wurzeln alle — auch die es leugnen, beweisen's durch den Widerstand oder gar den Sprung — auch noch in einer anderen Wirklichkeit, die wir alle in uns haben, die aber unter unserer eigenen Mitwirkung alltäglich zugeschüttet wird. Der Wettlauf mit der Apokalypse kann nur gewonnen werden, wenn dies eine große Glaubenszeit wird, eine Pfingstzeit mit dem lebendigen Geist, möglichst gleichermaßen ausgegossen über alle.

Letztlich von dorther nur kann Politik neu begründet werden, so daß sie nicht in den alten Teufelskreis zurückführt — Rettungspolitik nur von dorther. Ein Freund hat mir die zentrale Botschaft, die von uns ausgehen muß, aus dem Propheten Hosea zitiert: "Wir suchen nicht mehr Hilfe bei den Assyrern, wir vertrauen nicht mehr auf unsere Pferde und Streitwagen, wir wollen nicht mehr das Machwerk unserer Hände als unsern Gott anrufen! Denn DU hast Erbarmen mit dem, der keinen Beschützer hat." Allem Anschein entgegen heißt ökologische Politik gerade: Weg mit dem Sicherheitsgurt, weg mit der ganzen Rüstung, die wir tragen. Dann werden wir leben. Dann ist auch politisch alles möglich. Der Götze wackelt schon. Er wird auch stürzen.

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      Aus meinen Hamburger Papieren      

 

Auf der Ebene der sozialen Bewegungen ist in Deutschland schon seit der Jahrhundertwende Grün der — zunächst hoffnungslos unterlegene, auch übertölpelte, in manchen Fällen aber auch vereinnahmte und umgedrehte — Gegenpol zu Braun. Die Jugendbewegung war mindestens nicht faschistoider als dieses ganze Übergangsfeld zwischen dem Roten Frontkämpferbund und der SA. Bei den Grünen heute herrschen andere, nichtautoritäre und auch noch im Ressentiment flexiblere Charakterstrukturen vor.

Die beiden von Deutschland ausgegangenen Kriege haben einen seelischen Umbruch eingeleitet, der in den Nachkriegsgenerationen von Weltkrieg II allmählich seine Früchte trägt. Der moralische Gewinn der Niederlage, den Walter Dircks und Eugen Kogon zunächst nicht ernten konnten, jetzt ist er wohl doch sukzessiv da. Auch ist den verbliebenen aggressiven Potentialen die Flucht nach vorn in militärische und industrielle Aufbrüche verlegt. Und das Wirtschaftswunder war — diesen dritten Krieg haben die Westdeutschen gewonnen, und während der Sieg jetzt schal geworden ist, gibt es immerhin ein Polster der Genugtuung — und sei's, daß es andern schlechter geht. Summa summarum eine ganz andere Lage als in "Weimar". Nun äußert sich das Ressentiment eher defensiv, besonders in diesem üblen Ausländerhaß. Es gibt keine faschistische Bewegung, sondern eine Ökopax-Bewegung, die sich nicht nur programmatisch, sondern auch praktisch immer mehr in Richtung Gewalt­freiheit entwickelt, in Richtung Versöhnung mit der internationalen Außenwelt und der Natur.

Dennoch gibt es Aspekte, unter denen sich der Gegensatz von Grün und Braun bis zu einem gewissen Grad innerhalb der Ökopax-Bewegung reproduzieren kann und reproduziert. Die alte Geschichte ist nicht auf einmal zu Ende, zumal der Mechanismus der Entfremdung und Atomisierung des Individuums weiterwirkt. Wer uns beispielsweise in erster Linie aus Ressentiment über die Flickaffaire zufiele, würde uns noch erheblich mehr belasten als jeder junge Mensch, der schnell mal Ministerialdirigent werden möchte. Aber erst durch unseren alternativen Machtwahn kann uns das gefährden. Der Kampf um die Plätze kann die Sensibleren nur von der Partei fernhalten, in einer Sympathisantenszene, die keinen Einfluß auf die interne politische Kultur nehmen kann. Demgegenüber wird der Zustrom von Menschen, die so oder so geführt und von einer Massenbewegung getragen sein wollen, begünstigt.

Wir mögen uns, was Inhalt und Verlaufsformen grüner Politik angeht, als Fundamentalisten und Realpolitiker diametral gegen­überstehen, aber als Resultante unserer Konfrontation die Vermachtung vorantreiben. Etwa das Frankfurter Klima scheint in diese Richtung zu entarten. Wir können es durchaus dahin bringen, daß aus den Grünen doch das wird, was wir basis­demokratisch vermeiden wollen: der Embryo der nächsten Staatsmaschine, der Kandidat für die vielbeschworene Ökodiktatur.

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Im Falle der tatsächlich hereinbrechenden Katastrophe würde sich auch der Mobanteil im allgemeinen Bewußtsein "grün" verstehen. Es sollte bis dahin unbedingt mehr als bloß politische Strukturen geben, um die sich eine Alternative kristallisieren kann. Ein und dieselben Menschen können in der Notsituation sehr verschiedenes Verhalten an den Tag legen, je nachdem welche Kräfte in ihnen praktisch angesprochen werden. Hier vorzuarbeiten, ist gerade deshalb so ungeheuer bedeutsam, weil wir es uns angesichts der ökologischen Krise nicht leisten können und dürfen, das Erwachen im Volke sogleich als "völkisch" zu denunzieren. Wir müssen uns ernstlich auf diese Ambivalenz einlassen, dürfen sie also nicht verdrängen und für nichtexistent erklären.

Wir müssen uns selbst und die grüne Bewegung — tatsächlich die erste deutsche Volksbewegung seit den zwanziger Jahren und immerhin in einer formell ähnlichen Konfrontation wie die Nazis mit einem versagenden Parteiensystem — vorurteilslos im Spiegel betrachten. Wir sind nicht einfach eine linke Partei, auch wenn es oberflächlich mehr denn je so aussieht. Wir sind zumindest links-populistisch. Ich denke inzwischen, nachdem ich das bis vor zwei Jahren anders gesehen habe, daß diese linksnationale oder auch nationalneutralistische Fragestellung falsch ist. Ich weiß von mir selbst, daß hat mit machtpolitischem Denken zu tun, das auf Staatssubjekte sieht. Ich dachte, daß wir die im nationalen Ressentiment gebundenen Energien in die Friedensbewegung mit hineinnehmen sollten, weil sie unter den gegebenen Umständen, wo es keine Alternative zum Pazifismus gibt, nicht gegen uns losgehen, aber die ändern mit unter Druck setzen könnten. In einem empirischen Sinne ist unsere Position sowieso "national". Aber dann erst recht genügt die Tatsache, daß wir es sind, die die nackte Existenz der Bevölkerung verteidigen, um — wie es heißt — "das Feld zu besetzen". Ich denke auch jetzt noch, daß die damalige Überlegung oberflächlich korrekt war. Aber die historische Tendenz wird im Seelenuntergrund entschieden. Außerdem kommt es sehr darauf an, daß die Minorität, die die Initiative hat, sich den eigenen Kontur nicht verwischt um temporärer Vorteile und Bündnisse willen, die keine sind. Ich lese, es sind 35 Prozent für Neutralität, während knapp 10 Prozent die Grünen wählen. Bei den übrigen Neutralisten müssen wir erst an die seelischen Ökopax-Ressourcen ran (so vorhanden oder zu entwickeln), damit das "Ami go home!" nicht den falschen Klang hat. Was heißt "besetztes Land", wenn drei Viertel der Bevölkerung, also auch noch einige Neutralisten, von den USA beschützt sein wollen. Wiederum ist es genug, daß unsere Position de facto neutralistisch ist.

... Welch ein Unfug, heute die verlorenen bürgerlichen, nationalen, völkischen, ethnischen Identitäten erst wiedergewinnen zu wollen, als führten sie nicht alle von der Liebe und vom Leben ab. Die nationalen und ethnischen Befreiungsbewegungen sind ja alle auch darin Opfer des Imperiums, daß sie auf ihre angegriffenen alten Identitäten festgenagelt werden, und sehen dann jeden Sieg nachher mit erneuter eigener Deformation bezahlt.

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Wenn wir anfangen wollten, hier in einer der Kernzonen des Imperiums ETA- und IRA-Mentalitäten zu pflegen, so käme dabei ein Kopfstand gegen die Basken und gegen die Iren heraus. Wenn wir dagegen wirklich dazu übergingen, das Imperium von innen aufzulösen, den Druck wegzunehmen, könnten die Menschen überall auf dem Erdball die Freiheit erlangen, sich auch ihrerseits über ihre traditionellen Identitäten zu erheben.

Hier bei uns sollten wir allerdings die Verdrängung der alten Identitätsmomente nicht mitbetreiben. Es muß ans Tageslicht des eigenen und des allgemeinen Bewußtseins, wo wir da anhaften, und Denunziation ist dann eine mindestens unzureichende Taktik. Wer schon die Worte "deutsch" und "national" scheut wie der Teufel das Weihwasser, wird genau vor den damit indizierten Gefahren versagen, kann sie leicht abwehrend sogar vergrößern helfen. Es gibt natürlich nirgends einen kläglicheren Antifaschismus als in Deutschland. ...

Was gegenwärtig gegen den Staat durchschlägt, ist etwas Urtümliches, und deshalb wird das Bestehen auf dem Gewaltmonopol nicht helfen, diesmal nicht. In den alten Zeiten sind die politischen Repräsentanten und Unterdrücker der Gesellschaft immer auch für das Naturverhältnis haftbar gemacht worden. . . Etwas wie ein Erdbeben stellte die Legitimität der Macht in Frage. Noch heute müssen Minister hin, auf dem schnellsten Wege, wenn irgendwo eine Naturkatastrophe hereinbricht.

Was aber nun, wenn solche Naturkatastrophen immer häufiger von Menschen hausgemacht sind, wenn sie von den Strukturen hervorgerufen und vorbereitet sind, die die Gesellschaft gerade vor Unheil schützen sollten? Der Staat repräsentiert heute gerade den negativen, selbstmörderischen Anteil des Allgemeininteresses. Er steht für die nekrophilen Seelenkräfte in uns allen. Er ist eine Verstärkung der lebensfeindlichen Tendenzen, die unserer ganzen Zivilisation innewohnen, er ist dies unvermeidlich, er ist ihre Institution. Der Mensch muß seine Institutionen neu machen von den anderen Bezirken seiner Psyche her, in denen er das Leben will. Da die rationale Ebene seiner Existenz fast völlig von der entfremdeten Rationalität der Großen Maschine okkupiert ist, da wir den größten Teil selbst unserer Vernunft haben instrumentalisieren lassen, so daß sie sich mit Dialektik der Technologie statt des Lebens befaßt sieht, brauchen wir hier einen Schub aus der Tiefe.

Das aber heißt, wir müssen Geister rufen bzw. loslassen, die zunächst unter keiner altinstitutionalisierten sozialen Kontrolle stehen, denen wir also nur aus unserer eigenen Bewegung heraus eine geben können. Wir brauchen eine Neuinstitutionalisierung, die wir nur selber leisten können. Wir dürfen uns nicht der Enttäuschung und dem Rachebedürfnis überlassen. .. Die aufbrechenden Energien (weibliche im Jungschen Sinne?) wollen nicht gezähmt, sondern neu kultiviert werden ...

...Wie eine Millenniumsbewegung geführt werden oder vielmehr sich selbst führen kann, mit welchen Organen, das ist die Frage. Dergleichen steht jetzt deshalb an, weil die Ökopax-Bewegung eine Millenniumsbewegung zur Begründung einer neuen Kultur ist.

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Wo die Menschheit neu anzufangen sucht, ist immer Tausendjähriges Reich das Ziel, bei Marx als "Reich der Freiheit", bei Hölderlin "Reich Gottes". Soll jetzt behauptet werden, dabei könne — zumal in Deutschland — nie etwas anderes herauskommen als jener zur Unheilsbewegung entartete Aufbruch nach den plötzlichen Zusammenbrüchen von 1918, 1923, 1929-32 — das wäre eben wieder Hitlers Sieg. 

Seid Euch klar darüber, die Ökopax-Bewegung ist ein Versuch, im nächsten Wellental der kapitalistischen eisernen Ferse ein ganz analoges Problem zu lösen. Es kann und muß diesmal anders gehen. Je bewußter wir sind und je klarer uns wird, jedem von uns, daß der Abfall vom Auftrag und die Entartung des Prozesses mit dem Satz beginnt: "Und ich beschloß, Politiker zu werden" — um so bessere Geister werden wir rufen, werden uns entgegenkommen.

Wo es diese Bewegung damals macht-materialistisch nach außen angegangen ist, expansiv und aggressiv, macht die Ökopax-Bewegung eine Wende nach innen. Sie geht tendenziell davon ab, die Gefahr nach außen zu projizieren, sondern sucht sie in den Innereien der eigenen Kultur auf. So haben Propheten Israels im Alten Testament äußere Bedrohungen darauf zurückgeführt, daß die Juden selbst von Gott abgefallen waren. Das ist ein großes Beispiel für uns. Um unseres eigenen körperlichen und seelischen Wohls, ja Überlebens willen müssen wir in dieser Krise zur einseitigen Abrüstung der eigenen Zivilisation übergehen, nicht als Gegenkraft gar noch ins Imperium einsteigen.

Die Grünen wissen gar nicht, was sie tun, wenn sie sich kooptieren lassen. Und die bürgerliche Gesellschaft weiß es auch nicht, was sie sich antut, wenn sie uns jetzt kooptiert. Die bürgerliche Gesellschaft riskiert gerade dann Kopf und Kragen, wenn sie uns kooptiert, weil sie das geringe Risiko nicht aushält, das wir darstellen, wenn wir vor den Toren sind.

Spüren wir nicht die Vorbereitung des Erdbebens in der Tiefe, des Menschenbebens, mit Robert Jungk? Wehe, wenn der deutsche Vulkan das nächste Mal zum Ausbruch kommt, und es gibt dann nicht die konsistente politische Kraft, um der Erhebung von innen einen vornehmlich konstruktiven Charakter zu ermöglichen. Die Bombe und das AKW gingen erst abstrakt ans Leben. Inzwischen ist das Krisenpotential — und ich meine, diesmal nicht primär das ökonomische, obgleich es mächtig mitwirkt — umfassender und wühlt noch tiefer auf als nach 1918 auf 1933 hin. Das Volk ist dabei, einen Summenstrich zu ziehen, und der Durchgang durch die Arbeitslosigkeit, der Zusammenbruch der letzten Berufsidentifikationen, die vielfältige Drohung der technologischen Revolution — das alles fließt zu einer emotionalen Bereitschaft zusammen, notfalls auch das ganz andere zu versuchen. Trifft der Durchbruch des seelisch Verdrängten mit der absehbaren Situation zusammen, wo es sich für die meisten mehr ums Überleben als ums gute Leben handelt, so wird es genau den fürchterlichen Durchgang geben, den der vergangenheits­fixierte feige Antifaschismus am meisten fürchtet, den ökologischen Bürgerkrieg und danach die Diktatur.

In den Grünen hat sich die Gesellschaft in einer glücklichen Konstellation ein Organ gegeben, um dieser Stunde der äußersten Zuspitzung in zweierlei Weise zuvorzukommen:

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Durch einen Druck auf alle erdenklichen Bremsen, bei dem sie — da sie keineswegs direkt an die Bremshebel kommen — stets auf Totalbremsung bestehen müssen, um den möglichst größten Effekt zu erzielen. Und zweitens durch eine rechtzeitige kulturelle Fundierung der Volkserhebung in geistiger wie materieller Hinsicht. Die Erhaltung der grünen Partei als eines unkompromittierten politischen Vermittlungsinstruments ist nur ein untergeordneter, allerdings sehr wichtiger Aspekt dieser kulturellen Aufgabe. Daß wir darin so eine ungeheure Lücke haben, ist die Ursache dafür, daß sich jetzt bei den Grünen dieser alternative Machtwahn abheben kann. Lest ruhig mal nach, nicht zufällig genau darin, in dieser Gier, sich durch Aufstieg zur politischen Macht zu verwirklichen, gibt es formale Ähnlichkeiten zu den Vorgängen in der aufsteigenden Nazipartei und -bewegung.

... Sollten die Grünen im Falle des Ausbruchs schon verbraucht sein und mit zu dem rettungsunfähigen alten institutionellen Komplex zählen bzw. gerechnet werden (das macht dann keinen Unterschied), müssen sich die Massen strukturlos, also unter Schilderhebung finsterer aggressiver Tribüne, dazu aufmachen, das kaputtzumachen, was sie kaputtmacht. Der Tiger ist im Anmarsch, und wir sind in Deutschland.

Es gibt jetzt dreierlei Möglichkeiten.

Man kann sein Nahen spüren und in hysterische Warnrufe ausbrechen. Was, die Grünen sind eine alternative Volkspartei, nicht so ein statistisches soziologisches Gebräu wie die heutige SPD jenseits des alten Arbeiterkerns? Also sind die Grünen völkisch?! Dieser Antifaschismus wird diesmal noch weniger Gewicht auf die Waage bringen als beim vorigen Mal.

Man kann sich, andererseits, so borniert um diese ausgelaugte SPD kümmern, daß man vor lauter Schellengeklingel über Koalition, Tolerierung, Bündnis, Zusammenarbeit den Dschungel nicht mal existieren ahnt. Ich weiß gar nicht, wozu Ihr Euch neuerdings wieder mehr um Eure Träume kümmert und nach den Sternen fragt. Sicher fällt das unter die ökolibertäre Privatheit, die mit Politik nichts nix zu tun hat.

Und schließlich kann man sich, wenigstens kritisch bewußt über die eigenen Allmachtsphantasien, damit sie nicht mit einem durchgehn, darauf vorbereiten, den Tiger zu reiten. Dazu muß man mit seinem wahren tiefsten Anliegen im Bunde sein, darf seinen Lebenswillen nicht zensieren wollen ..., darf nicht einen Totalitarismusbegriff pflegen, unter den nicht nur der Großinquisitor, sondern gleich auch noch Jesus Christus fällt, weil er was anderes als Liberale unter Freiheit versteht.

Man muß den Tiger lieben, damit das Tier nur vertilgt, was es vertilgen muß: die lebensfeindliche Struktur, die in unserer Gesamtverfassung dominant geworden ist, und nicht die darin gefangene menschliche Substanz. Es muß keine Menschen fressen. Kurzum: Man muß den gewaltfreien Aufstand wollen und vorbereiten, wenn man den Bürgerkrieg nicht will. Davon kann unsere Position im Parlament nur eine Hilfsfunktion sein. 

Was die "Zusammenarbeit" betrifft: Ja, man kann bei passender Gelegenheit eine FDP-Resolution aufgreifen und einen Sprengsatz daraus machen wie im Falle Buschhaus. Falls das ein Bündnis war — bitte! Morgen wieder!
Ich sage nicht, da ist kein Risiko. Aber jedenfalls hat die Millenniumsbewegung diesmal einen Charakter wie nie zuvor in Deutschland.

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     Wozu ist der Nazi-Vergleich notwendig?      

       (Aus einer Disputation in der Zeitschrift "Kommune" 1/1985)   

 

 

Parlamentarismus als antifaschistisches Minimum  

Nicht die Parlamentarismus-Debatte ist die Falle, sondern das Parlament dies aber nicht aus den bekannten allgemeinen Gründen, sondern aus speziellen deutschen für die deutsche Ökopax-Bewegung.

Warum ist es für uns eine Falle, während es das — um also wieder mit der Tür ins Haus zu fallen — für die Nazibewegung und -partei offensichtlich nicht gewesen ist? Eben weil die Nazis antiparlamentarisch und — in der Begrenzung auf das Weimarer Parteiensystem — bedingungslos systemfeindlich waren —, dürfen wir es nicht sein. So jedenfalls sagt es uns jeden Tag ein paar mal die alliiert, vor allem US-amerikanisch, restaurierte bürgerliche Ideologie, und mit durchschlagendem Erfolg bis fast in die letzte unserer eigenen Reihen hinein. Sie werden jetzt, gestützt gerade auf das Trauma der braunen Restauration, versuchen, die grüne Bewegung für eine letzte, grüne Restauration des Imperiums abzufangen und einzufangen.

Wir betrachten das Parlament ja als eine antifaschistische Errungenschaft! Wir haben ja akzeptiert, es sei "totalitär", dieses Ding in seiner Eigenschaft als Teil des ganzen exterministischen institutionellen Komplexes radikal in Frage zu stellen. Und deshalb ziehen sie uns hinüber. Wir haben uns von vornherein nicht souverän gesetzt, sondern als eine Reformbewegung innerhalb des Imperiums.

 

Es gab nicht nur die Nazipartei  

Hier liegt das tiefste Motiv für meinen Versuch, uns mit der Erfahrung der Nazibewegung in Beziehung zu setzen, d.h. — in Rainer Langhans' Diktion — von "Bruder Hitler", an seinen Winken aus der Hölle, für uns etwas zu lernen, ja für uns etwas zu machen. Vorausgesetzt ist dabei natürlich, daß sich die Nazibewegung nicht von vornherein auf das imperialistische Instrument reduziert, das die Nazipartei nachher war, daß dahinter — wie es in einem mir eben zugehenden Text von Armin von Gleich heißt — auch "eine weitverbreitete, auf unmittelbare und unverarbeitete Erfahrung gestützte Kritik an Verstädterung, Maschinisierung, Rationalisierung und Verwissenschaftlichung (konservative bis reaktionäre Kapitalismuskritik)" stand. 

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"Die Kritik", fährt Gleich fort, "(vorher Lebensreform- und Jugendbewegung) konnte von einer auf den technischen Fortschritt und rationale Aufklärung setzenden KPD nicht aufgenommen werden."

Ich habe, als ich mir sofort nach unserem Einzug in Bonn Gedanken über die Basisanbindung der Grünen im Bundestag machte163, auf das Gefälle hingewiesen, dem wir uns ausliefern. Oder vielmehr, ich benutzte damals das Bild eines Getriebes. Da dreht sich das Gesamtsystem, dann kommt sein Riesenzahnrad Staat, danach dessen Übersetzer Parlament und nun unser kleines Zahnrad Fraktion, das dann seinerseits den Druck weitergibt an die Partei, bis hinunter zur Basis. Dasselbe läuft natürlich in den Ländern, Kreisen, Stadtparlamenten nochmal. Wenn dann noch die Bewegungen in unseren Fraktionen betteln kommen, hat es perfekt funktioniert. Die Minderheit, die sich da lieber abgekoppelt hält, ist wieder so klein und radikal, wie es sich der freilich nicht als Person oder Verschwörung existente Systemgeist nur wünschen kann.

Hatten wir uns nicht gedacht, wir würden von den Bewegungen her ein Gegengefälle, ein Gegengetriebe aufbauen? Sollten nicht im Parlament die beiden Drehmomente aufeinandertreffen, daß wir die Große Staatsmaschine wenn schon nicht gleich blockieren, so doch stottern machen? Hatten wir uns gedacht, wir wollten sie neu ölen?

Die entscheidende Frage lautet nun, welche Umbewertung wir vornehmen und kühn vertreten müssen, um das Gefälle Gesamtsystem-Parlament durch das intendierte Gegengefälle Bewegung-Parlament zu kompensieren, um so eine Situation zu schaffen, die die volle Entfaltung der Bewußtseinsbewegung im Lande begünstigt, während der Spielraum bzw. die Manövrierfähigkeit der Macht eingeschränkt wird. Die Menschen müssen beginnen, und wir müssen vorangehen, neue Wirklichkeiten und neue Institutionen zu schaffen. Auf der geistigen Ebene, die entscheidend ist, wird das millionenmal Jakobs Kampf mit dem Engel sein.

 

Die alliierte Demokratie vollenden oder auffliegen lassen?

Warum wollt Ihr nicht verstehen, wieso sie Euch mal des Kommunismus, mal des Faschismus verdächtigen: Damit Ihr ja nicht auf den Gedanken kommt, diese alliierte Entnazifizierung hier, diese amerikanisch verbürgte Restauration derselben Weimarer Demokratie, die dazu bestimmt war, von der Nazibewegung gesprengt zu werden. Eurerseits auch auffliegen lassen zu wollen.

Nein, die Ökolibertären sind wirklich nicht die einzigen, die diese bürgerliche Demokratie, diesen politischen Ausdruck der kapitalistischen Konkurrenz, diesen unabtrennbaren Bestandteil des insgesamt exterministisch funktionierenden Systems aus der Bankrottmasse herausnehmen und daran die Übung vollziehen wollen, den einst in Frankreich wohl immer noch ein bißchen verfehlten Idealtypus nun doch noch herauszuholen — um Deutschland zu zivilisieren ...

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Die Grünen in die Variable der Weimarer Gleichung einsetzen

Vor einem Jahr habe ich für die Hamburger ZEIT einen Versuchsballon gebastelt, der aber nicht wieder heruntergekommen ist, eine Rezension über Hannah Arendts "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft". Sie beruhte auf der Idee, zugleich die Totalitarismus-Konzeption für den Osten zurückzuweisen und die Fixierung auf den Republikanismus von oben für den Westen zu durchbrechen.

Vor einem Jahr164 war mir die Blockadefunktion des Parlamentarismus, deren Verstärkung bzw. Absicherung durch den erbärmlichen "antitotalitären", d.h. antikommunistischen offiziellen "Antifaschismus" noch nicht richtig klar. Deshalb habe ich damals nicht diesen letzten Punkt gesetzt, sondern mich auf das Verlangen beschränkt, die Ökopax-Bewegung möge sich — ohne Rücksicht auf diesen ideologischen Schutzanzug der restaurierten imperialen Machtstruktur — souverän setzen. Dahinter stand schon und steht jetzt die Idee, daß wir in die Weimarer Gleichung, die sich in Bonn variiert wiederholt, kühn das neue Subjekt, die Ökopax-Bewegung, einsetzen müssen.

 

Grün und Braun — zwei Pole einer Bewegung

Wenn wir mobilisieren wollen — verlangt werden muß dann von uns, verlangen müssen vor allem wir selber von uns, die Grün-Braun-Polarität in der sozialen Bewegung voll bewußt zu halten. Zwar ist das Kräfteverhältnis zwischen den beiden Polen umgeschlagen, aber wir sind den anderen, braunen Pol nicht los.

Wir können nicht nur durch Insuffizienz der Anlaß für rechte soziale Bewegungen sein (bzw. ihnen den Weg freigeben) — in den eigentlichen Lebensfragen (wie z. B. die Tierversuche eine sind) geht keine grüne Halbheit durch, ohne daß sich braune Tendenzen daran aufschaukeln können. Vielmehr hängt es überhaupt von uns ab, ob die Bewegung grün bleibt. Wollen wir verantwortlich sein, so lautet die Anforderung an uns, einen Begriff der Bewegung zu riskieren, der nicht von vornherein, sondern erst immanent links und rechts unterscheidet.

Wir müssen uns die Bewegung als eine Ellipse denken, deren Achse zwei Pole hat (die ich mir mit Hilfe von Wilhelm Reichs Unterscheidung zwischen Panzerung — braun — und biologischem Kern — grün — erkläre), eben einen braunen und einen grünen. Ich setze voraus, Bewegung ist radikal; braun ist per se nicht weniger, sondern anders radikal als grün (siehe Erich Fromms Analyse Ende der 20er Jahre über rebellisch-autoritäre Charaktere und ihr Verhalten zwischen rot und braun).

Wir sollten wissen, daß Leben als verletzter Wert eine noch viel größere Rechtfertigungskapazität für Terrorismus besitzt als verletzte Gerechtigkeit; und gerade in Deutschland waren viele Schlüsselwerte der heutigen Ökologiebewegung damals eben dieser Verschiebung von Grün zu Braun unterworfen. Michael Kohlhaas kann übertroffen werden.

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Wie mit dem Gegenpol umgehen?

Allerdings gibt es keine dämlichere Strategie des Umgangs mit dem Gegenpol als die von den eigenen Abwehrmechanismen gesteuerte Berührungsangst und die Verleugnung seiner Repräsentanz in der eigenen Seelenverfassung. Wir haben im Gegenteil alles zu gewinnen ("alles" in dem hier besprochenen Bezuge), wenn wir unsere nichtdominanten Braunanteile als Antennen benutzen, die uns über die entsprechenden Positionen am Gegenpol den Zugang zu den dortigen — und zwar vorhandenen! — Grünanteilen eröffnen. Da diesmal Grün die insgesamt stärkere Instanz ist (jedenfalls, wenn wir kühn damit umgehen), können wir uns die Aufgabe stellen, unser Grün mit dem des Gegenpols zu assoziieren und auf dieser Grundlage die braunen Anteile herunterzuarbeiten bzw. ihre Energie freizusetzen und neuzuprogrammieren. Bedingung ist, daß wir das eigene Pharisäertum beiseite lassen.

Wichtigste Sicherung wäre, beim Kontakt mit dem ganzen Potential, das uns gegenübersteht, die Regel zu befolgen: auf der grünen Welle fraternisieren, auf der braunen Welle analysieren, d. h. die Selbsteinsicht benutzen, um die andere Position aufzudecken und unter der Bedingung der Nichtdiskriminierung entschärfen zu können. Eine intellektuelle Bereitschaft, sich für Grün als Grün zu öffnen, ist am Gegenpol da. Es ist ganz entscheidend, auf dieser Ebene der Herausbildung einer Gruppierung von intellektueller Führungsqualität um den braunen Gegenpol zuvorzukommen.

Das ist es, was Grün jetzt wagen muß, und sobald wir es auf diese Weise wagen, müßte uns die verschüttete pazifistische Substanz des Urchristentums — die sich bei dem Frontalzusammenstoß auf 1933 hin nicht entfalten konnte — verstärkt zu Hilfe kommen. Selbst, daß das autoritäre Potential politisch von einer Partei, die — wie heuchlerisch auch immer — das C im Namen führt, absorbiert wurde, kann diesmal einen guten Ausgang herbeiführen helfen ...

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Für Braun — keine Platzanweisung! 

Der Fehler liegt, wie gesagt, darin, daß die Grün-Braun-Polarität nicht zunächst einmal als innerhalb quasi des einen Phänomens "soziale Bewegung" gesehen wird. Die Annahme zweier sozialer Bewegungen, einer grünen und einer braunen, nimmt erstens nicht wahr, daß es auch in den 20er Jahren nur eine zugleich grüne (das dominierte vor 1914 sogar) und braune (was nach 1918 verheerend dominierte) Bewegung gab, und konstituiert zweitens zumindest den "notwendigen" Platz für eine selbständige, konsistente braune Bewegung uns gegenüber.

Genau das dürfen wir nicht zulassen. Genau das verlangt von uns, diese Dichotomie zu verweigern und vor allem die vergangenheitsfixierte Angst abzuwerfen, die die Dichotomie regiert. Ich habe einige Argumente dafür angeführt, daß die grüne Hegemonie über die gesamte Bewegung (über das gesamte überschüssige bzw. "aussteigende" Bewußtsein, über die entsprechenden Anteile in beinahe jedermanns/jederfrau Psyche) prinzipiell angesagt ist. Wir werden sie aber nicht realisieren, wenn wir uns die alte Schlachtordnung imaginieren. Wenn sich jetzt in Deutschland wiederholt, was wir da andauernd rückblickend befürchten — dann dürfte wirklich nichts mehr zu machen sein, auch anderswo als in Deutschland nicht.

Wir müssen uns dazu bekennen, daß wir annähernd dieselben existentiellen Probleme, auf die nach dem I. Weltkrieg die Nazibewegung reagierte, jetzt unter ungleich günstigeren Bedingungen erneut auf den Tisch bekommen haben, und zwar auf der fundamentalen Ebene der nichtmateriellen Bedürfnisse noch radikaler als damals. Ja, auf die Lebensinteressen letzter Instanz läßt sich (wenn, wie in den USA heute, die Psychologie von Deutschland 1914 vorherrscht) die finsterste, "totalitärste" Ökodiktatur gründen. Wenn wir das in Deutschland auch wollen, müssen wir den Karren nur bei realpolitischer Kosmetik oder vielleicht sogar japanischem Abschneiden der Spitzenbelastungen bis an den Punkt weiterlaufen lassen, wo er allzu plötzlich umkippt, weil sich der Schwerpunkt der Grundlast zu hoch nach oben verlagert hat...

Eines ist wirklich falsch: die Annahme, es würde die radikale Kritik an den bestehenden Institutionen zur Ursache eines rechten Auftriebs werden. Mit dieser Denkweise müßten wir an der Seite der Sozialdemokratie zur Verteidigung der Republik antreten. Kam nicht die Einheitsfrontidee auf 1933 hin schon von vornherein in einer Form auf, wo sie bloß Ausdruck der schon vorentschiedenen Niederlage war? Die beiden Arbeiterparteien hatten schlicht keine attraktive Alternative zu den Nazis anzubieten.

Bewußtheit über das Machtproblem 

Wovor ich warnen wollte in Hamburg, war wahrhaftig nicht vor den Grünen — weil die "nach demselben Muster aufsteigen", was für jeden noch nicht ganz vollendeten Verdrängungskünstler evident sein müßte —, sondern die Grünen selbst. Ich meinte dreierlei: Erstens, wir sollten es wissen. Zweitens, wir sollten es bewußt (statt teils unbewußt, teils verschämt, teils verlogen) ausnutzen. Dann aber, drittens, sollten wir rückhaltlos, halt schmerzauslösend offen, nicht nur mit der Farbe (Grün versus Braun macht da schon einen Unterschied, aber noch nicht den tiefsten), sondern mit der Substanz des Machtproblems in unserem Projekt umgehen.

Die Crux der Parallele

So, wie die Partei sich jetzt entwickelt, werden zwei Dinge passieren, die damals auch passiert sind — der ganz anderen, finsteren sozialrevolutionären Bewegung. Zum einen, und das ist vorläufig, aber noch nicht irreversibel, bereits passiert: Ersatz der Bewegung, Enteignung der Bewegung durch die Partei. Zum anderen: unmittelbar politischer Zugang der Partei zur Macht, so daß die grüne Kulturrevolution ebensowenig stattfinden wird wie damals die braune. Das eben meine ich mit grüner Restauration des Imperiums, analog zu der damaligen braunen. Wir werden aller Voraussicht nach weder KZ einrichten noch Juden (Ausländer) verfolgen und vernichten noch gar Krieg machen — weiß der Teufel, was wir statt dessen Alternatives anrichten werden. Jedenfalls wird es, wenn alles so weitergeht, wenn wir nicht bereit und fähig sind, die Kontinuität unserer Entwicklung beizeiten für eine Denkpause zu unterbrechen, die Wiederholung von irgendwas Altem sein ...

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Logik der Rettung 1987 von Rudolf Bahro