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Teil 2

 Logik der
Selbstausrottung

Teil 1   Teil 2    Teil 3    Teil 4

Bild von Klee, von detopia eingfügt

Anmerkungen    Literatur  

Namen-Register    Begriffe-Register

 

"Getriebe"?
Man kann an ein Pkw-Getriebe denken; auch an "treiben".

 

Der "rationalistische Dämon" taucht auf
Seite 105 auf, nach einem  Mumfordzitat.

Auch bei Descartes gucken: wikipedia  René_Descartes
und beim Dämonen:
wikipedia  Dämon  

 

 Sind wir für oder gegen das Leben?  

2.1 - Das Getriebe des rationalistischen Dämons

 

   Geschichte ist Psychodynamik  

101-116

Da eine von außen angreifende begrenzende Ordnung die materielle Expansion nicht aufhalten, sondern höchst­ens bremsen wird — wie können wir den Motor der Megamaschine selbst auslaufen lassen? Was sind das für Kräfte, die eine kulturelle und institut­ionelle Erneuerung tragen, und wie ist es vorstell­bar, daß sie sich auf dem so überbesetzten sozialen Terrain formieren? 

Das sind die beiden eng zusammenhängenden Fragen, die nach dem 1. Teil offen geblieben sind. Aber ich gehe in diesem 2. Teil noch nicht direkt auf Antwort­suche, weil die Antwort, die mir vorschwebt, erst treffen und überzeugen kann, wenn das Problem nicht nur beschrieben, sondern verstanden worden ist. 

Solange wir die materielle Expansion nicht bis in ihre letzten Wurzeln in der conditio humana zurückverfolgt und das soziale Terrain einer Umkehr nicht von dorther gesehen haben, werden uns nur kurzschlüssige restriktive und repressive Lösungen einfallen.   wikipedia  Restriktion 

So will ich die beiden oben genannten Fragen — nämlich wie wir die Selbst­begrenzung üben und wie wir sie institutionalisieren können — erst im 3. und im 4. (letzten) Teil behandeln, d.h. dort über den Weg der Rettung und schließlich über den Fürsten der ökologischen Wende, über eine Rettungspolitik sprechen.

Jetzt ist mein Thema erst einmal die Logik der Selbstausrottung. Da will ich nicht noch einmal die bekannten Tatsachen des Expansionismus-Exterminismus beschreiben, sondern ihren Zusammenhang, vor allem ihre Tiefen­staffelung aufdecken. Ohne solche Analyse wird nicht recht plausibel, was wir denn noch tun können, nachdem wir die ganzen letzten Jahre materiell nichts erreicht, nichts aufgehalten haben. 

Vor allem will ich Punkt für Punkt daran erinnern, wie sehr wir bei aller Geschäftigkeit, das Übel abzu­wend­en, in den Grund­tatsachen unserer exterm­inistischen Zivilisation nicht nur ge-, sondern auch befangen sind. 

Wir können auch dann, wenn wir uns nicht hauptberuflich mit Rüstungsproduktion befassen, ja sogar, wenn wir arbeitslos sind, durchaus mit dem größten Teil unserer Lebenstätigkeit und Reflexion dem Drachen verhaftet sein (zum Beispiel würde es wohl mit den verschiedenen Alimenten oder gar mit dem ersehnten Mindest­einkommen für alle schnell recht knapp, wenn die Metropolis die Waffen wegwürfe). 

Deshalb wird der zweite Abschnitt jedes Kapitels in diesem Teil des Buches vornehmlich dem Hinweis auf diese Identifikationen, Verhaftungen, Befangen­heiten gewidmet sein.

Je dichter uns die apokalyptischen Reiter auf den Hals rücken, umso mehr neigen wir dazu, uns in panische Geschäftigkeit zu stürzen, die sehr daran gemahnt, einen Sack voller Flöhe zu hüten, nachdem wir sie auf den Tisch geschüttet haben. Die Verzweiflung ist heilsam, in die wir dabei über kurz oder lang geraten. Statt ihren Einbruch hinauszuschieben, um niemand zu entmutigen, sollen wir sie systematisieren.

Wir sollen so bald wie möglich wissen wollen, was und warum nicht ausreicht oder gar nicht geht oder sogar der Fortsetzung der Höllenfahrt zugute kommt.

Wie fachkundig hat sich etwa die Friedensbewegung in Rüstungs­dingen gemacht! Über den Bonner Rheinwiesen, als Reagan hier war, hing als größtes Symbol eine schwarze A-Bomben-Attrappe, maßstabsgetreu

Walter Benjamin hat in seinen geschichtsphilosophischen Thesen diesen bösen Traum gesehen:

Es gibt ein Bild von Paul Klee, das <Angelus Novus> heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm. (51)

 

detopia:

Die bildliche Interpretation des Engels der Geschichte bleibt für mich schwierig.

Walter Benjamin bei detopia 

wikipedia  Angelus Novus (1920)  

wikipedia  Paul Klee  (1879-1940)  

Ulrich Horstmann erwähnt im Gespräch mit Robert Jungk 1990 ein ähnliches Bild, ein historisches  Heiligenbild, Nepomuk.

 

wikipedia Johannes Nepomuk 

 

102/103

Nun — im Traume sind alle Elemente, die im Bild erscheinen, Aspekte des träumenden Subjekts — hier also des Trägers der Geschichte. Der Mensch ist nicht nur dieser vom Paradiese abgetriebene Engel. Er häuft auch die Trümmer auf, und er macht den Sturm. Selbst der liebe Gott, der ihn aus dem Paradiese bläst, sitzt (auch) in ihm selbst. Geschichte ist Psychodynamik. Die Logik der Selbstausrottung ist ein Gebrechen der menschlichen Seele. Unsere selbstmörderischen Mittel, unsere technischen und sozialen Strukturen sind ja nicht erster Natur. Beton ist nicht in dem Sinne "materiell" wie Fels es ist. Es ist alles Kultur, von uns geschaffene zweite Natur, woran wir scheitern. Es ist das Unbewältigte unserer menschlichen, unserer psychischen Existenz.

Daß das Sein, vor allem das gesellschaftliche Sein unser Bewußtsein bestimmt, daß wir das Ensemble dieser Verhältnisse sind, wie Marx einst lehrte, ist empirisch nur allzu weitgehend wahr. Es ist die Wahrheit unseres Untergangs. Es ist, philosophisch gefaßt, der Rahmen der Selbstausrottungslogik. Es lehrt uns, Ja zu sagen zu jener Dialektik von Produktivkräften und Produktions­verhältnissen, die uns die Freiheit materiell begründen sollte, statt dessen aber die Megamaschine gebracht hat.

Der "materielle Lebensprozeß" als Praxis des Sachenmachens, dies Trümmeraufhäufen, von dem wir unser Dasein immer abhängiger rückbestimmt sein lassen, ist die Todesspirale. Dieser Mensch, "wie er nun einmal ist" — mit dieser "materiellen Interessiertheit" als Mitte seiner empirischen Existenz —, er ist verloren.

Doch wenn wir uns verführen lassen, all die materiellen Symptome für die Sache selbst zu nehmen und in die technische Diskussion einzusteigen, so erfahren wir nur, womit wir Gaia, die lebenstragende Schicht der Erde und ihren atmosphärischen Schirm, zerstören. Aber warum? Wenn wir das nicht begreifen, holen wir unsere todesträchtige Technik mit keinerlei wiederum bloß technisch begründeten Korrekturen auch nur annähernd ein und zurück.

Wer ahnte inzwischen nicht, die Ursache hinter den Ursachen muß mit einer Ambivalenz in unserer natür­lichen Konstitution, unserer damit korres­pondierenden sozialen Psyche und Organisation zusammen­hängen?

103/104


Wahrscheinlich ist die Wahrheit so ärgerlich einfach und immer wieder von Weisen, Propheten, Heiligen, Dichtern ausge­sprochen, von pessimistischen Konservativen und vom konservativen Volksmund wieder­gekäut worden, daß wir uns nicht getrauen, sie anzunehmen — zumal wir die Konsequenzen fürchten (die allerdings nicht in den Lösungen irgendeiner Traditionspartei bestehen werden, wo doch frühere Zustände und Werte immer Wegmeilen auf die heutigen hin gewesen sind):

Die ökologische Krise ist vor allem eine Krankheit des menschlichen Geistes, besser gesagt unserer gesamten Psychodynamik.

Luise Rinser knüpft in ihrem jüngsten Tagebuch <Im Dunkeln singen> an eine Stelle aus Rilkes Duineser Elegien die "bange Frage", ob unsere "ökologische Arbeit" nicht ein Mißverständnis sei, ob wir bei unserem Versuch, materielle Dinge zu retten, nicht "auf der Schwelle stehenbleiben, verbundenen Auges".   wikipedia  Luise_Rinser *1911 in Oberbayern bis 2002

Natürlich müssen wir jetzt materielle Dinge retten und behüten — aber deren Not ist eine Rückmeldung. Wir müssen das Verhängnis selbst ins Auge fassen, und das besteht einfach nicht in irgendwelchen Instrumenten, mit denen wir die Welt kaputtmachen, sondern in den Antrieben und Zwecken, für die wir sie besitzen und zu denen wir sie brauchen.

Dem Anschein nach ist der Zweck der zielgenauen Atomrakete die Zerstörung des "gehärteten Targets" [Ziel] auf der anderen Seite. Tatsächlich liegt er jedoch eine ganze Kaskade immer "tieferer", gewichtigerer und umfassenderer Ansprüche davon ab, nämlich im Kampf um die Weltherrschaft — in diesem Falle ist das noch leicht zu sehen. 

 

detopia-2021:

 

Der obige Satz - "Tatsächlich liegt..." - haut semantisch nicht hin.

Mein Vorschlag:

Tatsächlich hängt jedoch eine ganze Kaskade....

 

Die Anführungszeichen ("tieferer") beziehen sich vielleicht darauf, dass das "gehärtete Ziel" auch noch -quasi zusätzlich- tief unter der Erde liegt.

Es geht zwischen der USA und der UdSSR um Weltherrschaft.

 

wikipedia  Kaskade 

 

Aber warum kämpfen Menschen und ihre Verbände um solche Ziele und all die vielen Zwischenzwecke? Für welches Ur- und Grundbedürfnis ist das notwendig? Etwa für Nahrung, Kleidung, Behausung? 

Gewiß, wir haben eine Wirtschaftsordnung geschaffen, in der es zumindest tendenziell so aussieht, als kämen wir nur dann zum Allernötigsten, wenn wir für das jeweils nächste Frühstück aufs Ganze gehen. Wer nicht nach dem höchsten Gewinn strebt, droht den ganzen Einsatz zu verlieren.

Aber wieso haben wir uns das so eingerichtet? Es sind ja auch viele von denen, die bei dem ganzen Spiel zu kurz kommen, nicht von Grund auf anders motiviert. Gerade bei uns stammen, weil es 1945 diesen Einbruch gab, besonders viele Haie aus den Unterklassen, aus dem Volke.

104/105

Wohl gibt es Raffkes, weil es den Kapitalismus gibt. Aber zuvor haben die Raffkes, die damals noch zivilisatorische Pioniere waren, den Kapitalismus durchgesetzt als die endliche gefundene Produktionsweise fürs unbeschränkte Monopoly.

Der Mann muß hinaus
Ins feindliche Leben,
Muß wirken und streben
Und pflanzen und schaffen,
Erlisten, erraffen,
Muß wetten und wagen,
Das Glück zu erjagen.
Da strömt herbei die unendliche Gabe,
Es füllt sich der Speicher mit köstlicher Habe,
Die Räume wachsen, es dehnt sich das Haus.
("Und drinnen waltet die züchtige Hausfrau ... ")  (52) [von Friedrich Schiller]

Kurzum, wir müssen das Verhängnis in uns selbst aufsuchen, ohne unsern vornehmsten Teil zu schonen, jene faustische Unersättlichkeit und Hungerleiderei nach dem Unerreichlichen.

Lewis Mumford hat über unsere industrielle Megamaschine gesagt — und ich werde den Punkt hervorheben, auf den es mir ankommt:

Die menschliche Unzulänglichkeit dieses Systems ist im gleichen Maße gewachsen wie seine technische Effizienz, während der Umstand, daß es heute alles organische Leben auf dieser Erde bedroht, als das paradoxe Ergebnis seiner unbegrenzten Erfolge in der Beherrschung aller Naturkräfte — mit Ausnahme jener dämonischen, irrationalen Kräfte im Menschen, die den technologischen Geist aus dem Gleichgewicht brachten — erscheint.(53)

detopia-2021: Bei Anmerkung 53 steht Mumford 1977, S. 767

Dem hat sich auch die Ökopax-Bewegung bisher nie gestellt. Es ist aber die Grundfrage, und sie ist mit der Logik der Selbstausrottung letztlich gemeint.

Offensichtlich funktioniert dieser rationalistische Dämon alles andere als rational. Rational sind nur die Mittel und Prozeduren im einzelnen, nicht die Motive ihres Einsatzes, nicht einmal die Steuerungen.

"Dämon" bezeichnet ja seit altersher eine Teilkraft, die sich gegen das Ganze verselbständigt und dann disfunktional Schicksal wird. In diesem Sinne ist die westliche Wissenschaft und Technik als ganze dämonisch, von ihrem inneren energetischen Schub her. 

105/106


Bei einem Minimum an Introspektion weiß jeder Wissen­schaftler, Techniker, Unternehmer um diesen Dämon, der ihn eigentlich treibt, während es vorder­gründig um Erkenntnis, Konstruktion und Geldgewinne geht. Aber bekannt ist nicht erkannt.

Von der Ebene der exterministischen Symptome abwärts will ich in diesem 2. Teil fünf weitere, insgesamt also sechs Strukturen hervorheben, die in der Logik der Selbstausrottung untereinander liegen, analog zu geologischen Formationen, in deren Aufbau ein Schub von unten nach oben wirkt.

Jede höhere "Schicht" in dieser Tektonik der Selbst­zerstörungsursachen ist ein Ausdruck, eine Modulation, eine Spezialisierung, ein Trans­formations­ergebnis der je tieferen. Zusammen sind sie das Getriebe der Todesspirale, das Getriebe des rationalistischen Dämons.

Wie gesagt stellt es für mich Formation um Formation in erster Linie eine subjektive Kraft, eine Bewußt­seins­gestalt dar. Daß sie sich in sozialer und dann mehr und mehr auch technischer Form manifestiert, ist sekundär.

Dieses Getriebe ist einerseits Geschichte (die einzelnen Formationen sind historisch nacheinander ans Licht getreten), andererseits sind seine Elemente innen wie außen hier und jetzt präsent.

D.h. wir alle leben und reproduzieren mehr oder weniger intensiv täglich....

Und wir nähren die verhängnisvoll destruktive Tendenz — die als Exterminismus mehr und mehr die Oberhand über die aufbauende erlangt — mit unseren ganz außer­ordentlichen Gattungskräften, für die ich von Christopher Caudwell den Ausdruck Genotyp übernommen habe; ein anderes Wort für die <Conditio humana>, wie das 6. Kapitel überschrieben ist, das aber die Idee der individuellen Einmaligkeit jedes menschlichen Wesens mit enthält.    wikipedia  Christopher_Caudwell  *1907 bei London bis 1937

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Die Tektonik des Verderbens,
die Logik der Selbstausrottung,
stellt sich mir also in folgendem Schema dar:

Die Tektonik des Verderbens, die Logik der Selbstausrottung, stellt sich mir also in folgendem Schema dar

 

Oder es sieht, wenn man es als Spirale aufwärts
auf eine Perspektive der Rettung hin zeichnen will,
auf eine Antwort aus dem Genotyp hin,
der sich mit dem Exterminismus selbst unter Druck setzt, so aus:

Oder es sieht, wenn man es als Spirale aufwärts auf eine Perspektive der Rettung hin zeichnen will, auf eine Antwort aus dem Genotyp hin, der sich mit dem Exterminismus selbst unter Druck setzt, so aus:

 

Selbstverständlich geht (insbesondere) der Genotyp
immer neu in den formativen Vorgang ein,
so daß es im Grunde folgende Bewegung ist:

Selbstverständlich geht insbesondere der Genotyp immer neu in den formativen Vorgang ein, so daß es im Grunde folgende Bewegung ist:

Ich will noch einmal auf den sowohl historischen als auch aktuellen Charakter aller dieser Momente hin­weisen, die also sowohl nacheinander als auch gleichzeitig gesehen werden sollen, und alle als Realisa­tionen der conditio humana, zu der ich erst im letzten Schritt komme, weil ich dort die tiefste Ursachen­ebene ansetze.

Der Exterminismus ist sowohl letzte Auswirkung als auch Inbegriff unserer Destruktivität, um deren Tiefen­staffelung wir wissen müssen. Wenn ich jetzt dazu übergehe, die Ursachenkette zurückzuverfolgen, dann um die Verhaftungen kenntlich zu machen, von denen wir uns loslösen müssen. Denn auch in vordergründig nonkonformen Rollen teilen wir so viele Selbst­verständ­lich­keiten unserer Kultur, so viele in ihr Verderben verflochtene Grundhaltungen, daß es der erste Befreiungsschritt ist, uns dessen nüchtern bewußt zu werden. 

108


    Sind wir für oder gegen das Leben?    

 

Ein Freund, dem ich das Exposé zu diesem Buch geschickt hatte, schrieb mir, ich solle nicht von Logik der Selbstausrottung und der Rettung sprechen, sondern einfach von der Entscheidung zwischen Leben und Sterben. Doch das würde bedeuten, die Frage auszulöschen, um die es mir durchgängig geht. Ist es denn klar, welche unserer Meinungen, Gefühle, Verhaltensweisen dem Leben, welche dem Tode dienen? 

Noch die Atombombe wird mit Lebensschutz gerechtfertigt. Und der Waffenschmied des Kriegerstammes mag subjektiv todverbundener gedacht und empfunden haben als mancher heutige Konstrukteur von Massen­vernichtungs­mitteln. Ganze Kulturen, die alte japanische etwa oder die aztekische, waren "nekrophiler", todliebender als unsere. Die alten Ägypter haben den besten Teil ihrer Kraft in Grabpyramiden und Nekropolen gesteckt, während sich ihre Kultur über Jahrtausende als lebensfähig erwies!

Vom einzelnen Menschen her gesehen, erweisen sich heute Einstellungen als todverbündet, an denen dergleichen zu anderen Zeiten einfach nicht kenntlich gewesen wäre. Daß die Menschen Fleisch essen zum Beispiel, war in der Urzeit durchaus in der Ordnung der Natur, erst mit der organisierten Jagd begannen sie dadurch das Gleichgewicht zu stören, brachten sich unter Umständen indirekt in Lebensgefahr und schufen sich Tabus zum Gegensteuern. 

Gegenwärtig sind wir nicht durch unsere Grau­samkeit gefährdet, sondern durch unseren Normalverbrauch, multipliziert mit der Kopfzahl der Menschheit.

Erhard Eppler schreibt sehr zu Recht, es sei "höchst zweifelhaft, ob unsere Vorfahren ein besonders ersprießliches Verhältnis zur Natur hatten." Aber: "Es fehlte dem Menschen ganz einfach die Macht, Natur in solchem Umfang zu zerstören, daß er sich damit selbst hätte gefährden können. Er hatte keine Motorsägen ..."54 Mit einem subjektiven Todeswillen haben diese Motorsägen an sich absolut nichts zu tun, eher — im Gegenteil! — mit dem Überleben­wollen um jeden Preis.

Was waren das was sind das für Energien mit denen die Todesspirale betrieben wird? Am wenigsten die schwachen Kräfte derer, die, zeitig abgeschlagen und niedergetreten, manchmal schon Jahrzehnte vor ihrem physischen Ende "gestorben" sind. 

109


Und das routinierte Mitmachen auf kleiner Flamme, das auch eine Art Tod ist, erklärt ebenso wenig, obwohl dadurch die Fließbänder rotieren. Es ist viel aufschluß­reicher, daß wir stets die Genien — von Leonardo bis zu Einstein — mit an der Kriegsmaschine konstruieren sehen. Warum investiert der Mensch seit Beginn der Zivilisation immer mehr schöpferische Lebens­energie in mörderische und selbstmörderische Kultur­zusammen­hänge? Treibt uns nicht statt irgendeiner Todessehnsucht vielmehr die Flucht vor dem Tode auf ihn zu?

Es ist wohl richtig: 

Verneinung des Lebens, Liebe zum Tode, Beschäftigung mit Totem scheinen unsere Zivilisation zu beherrschen, wenn man sie von ihren Resultaten her betrachtet. Erich Fromm (1977) hat ein ganzes Buch darüber geschrieben, wieviel Lebensfeindliches wir unbewußt in uns haben. Gewisse Charaktere sind ganz von Grausamkeit und Zerstörungslust beherrscht. Aber warum gelangen sie häufiger und effektiver als früher in Schlüsselpositionen? Warum kommt dieses Potential im Fortschritt der Zivilisation immer stärker zum Tragen? Noch ganz zuletzt hat derselbe Erich Fromm zum Lobe Bertrand Russells darauf hingewiesen, dessen Liebe zum Leben, dessen Fähigkeit zur "Freude, ... daß alles in Fülle da ist", sei heutzutage eine seltene Eigenschaft.55  

Wenn es so ist, nützen hier also keine Aufrufe und Beschwörungen <Seid biophil!>. Die Freudenquelle ist da, aber sie ist zugeschüttet.

Fromm sagt weiter:

Das Sichangezogenfühlen von Totem ist ein Phänomen, das tief in einer Kultur verwurzelt ist, die mehr und mehr von den bürokratischen Organisationen der Großunternehmen, der Regierungen und des Heeres beherrscht wird, und bei der vom Menschen hergestellte Dinge, Apparate und Maschinen die Hauptrolle spielen. Dieser bürokratisierte Industriestaat tendiert dazu, menschliche Wesen in Dinge zu verwandeln. Er möchte die Natur durch technische Geräte, das Organische durch Anorganisches ersetzen.(56)

Ja, vom Geborenwerden an über das Spielzeug, das Fernsehen, die Straße, die Schule bis, selbstverständ­lich, in die Arbeits­stätten, vom Militär zu schweigen, ist unsere Lebenszeit überbesetzt mit künstlichen Gegenständen. Unsere Aufmerk­samkeit - am meisten die der Männer - ist dem Lebendigen abgewandt. 

detopia:   Bertrand_Russell (1872-1970)    Albert_Einstein (1879-1955)     wikipedia  Leonardo_da_Vinci (1452-1519)

110/111


Gemessen an dem Tempo unserer sozialen und technischen Abläufe geht die Lebensuhr zu langsam. Bertolt Brecht stellt in einem seiner Gedichte fest: "Und die Natur sah ich ohne Geduld."57 Ich hätte mir die Zeile nicht gemerkt, wäre sie damals nicht meinem Empfinden entgegengekommen.

Aber — worin Fromm nicht eindeutig formuliert: Ist diese Nekrophilie und Ungeduld Folge der Megamaschine (zweifellos auch das) oder vielleicht zuerst erst deren Ursache? Ist nicht die Megamaschine selbst in einer Kultur verwurzelt, die die entscheidenden Schleusen in dieser Richtung längst geöffnet hatte?

Wir mögen zurückblicken in irgendwelche früheren Zeiten, vor dem Überhandnehmen der technischen Zivilisation, in denen die Menschen lebensverbundener waren. Aber eben damals muß es doch angefangen haben. Die Selbstverstopfung des evolutionären Prozesses muß zumindest "dringelegen" haben. Die Völkerkunde hat ja auch wirklich nicht nur solche indianischen Zivilisationen aufgedeckt, die uns jetzt Vorbild sein könnten. Dieselben Irokesen, deren Medizinrad uns belehren kann, übten eine überaus grausame Folterpraxis gegen ihre Feinde aus.

Biophil und nekrophil, lebensfördernd und lebensfeindlich — die Ausdrücke erfassen viel mehr, worauf es objektiv hinausläuft, als worauf es beruht. Die Megamaschine funktioniert nicht nur, sie ist todorientiert — aber das versteht sich nicht einmal für ihre Produktion ("geronnene, tote Arbeit") von selbst, von einigen "Spitzenerzeugnissen" abgesehen. Produkte wie das unbeabsichtigt krebserzeugende Formaldehyd oder die unerwünschten Dioxine sind charakter­istischer für unser Dilemma als die eigentliche Vernichtungs­produktion.

Schon jetzt fordern unsere technischen Katastrophen einzeln mehr Menschenopfer als bis ins vorige Jahrhundert Kriege. Auch die Folgen des Autoverkehrs summieren sich zu Hekatomben von letztlich sogar freiwilligen Opfern. Wir nehmen die verschied­ensten exter­ministischen Einzeleffekte billigend in Kauf, sonst blieben nicht selbst die auffälligsten Anti-Bewegungen wie die gegen die Kernkraftwerke immer noch minoritär. 

111


Die Falle der großen Investitionen, in die uns Wissenschaft, Technik und Kapital hineingeführt haben, "zwingt" uns zum Weitermachen, weil wir die zivilisatorischen Werte anerkannt und über die tragenden Lebens­funktionen gesetzt haben. So werden auch jetzt, nach Tschernobyl, weder dort noch hier die Atomreaktoren abgeschaltet, obwohl es zumindest in unserem Lande keinen aktiven Konsens mehr für sie gibt, sondern nur noch eine mehr oder weniger resignierte Hinnahme.

 

Sechs Kilometer von meiner Stadt Worms entfernt stehen die beiden Blöcke des Atomkraftwerkes Biblis. Mit soviel Wahrscheinlichkeit, wie sie technische Unfälle nun einmal haben, leben hier an die hundert­tausend Menschen unter der Drohung einer ausweglosen Katastrophe in der "Zone A". 

Die Bundesrepublik hat eine Reservekapazität an Elektroenergieerzeugung, die die Gesamtabgabe der Atomkraft­werke weit überschreitet. Das Abschalten ist nur juristisch unmöglich. Diese Situation läßt gar keinen anderen Schluß zu als den, daß die Gesamtsteuerung der superkomplexen Industrie­gesellschaft verrückt ist. Wir sollten nicht auf die herabblicken, die vor 50 Jahren in Deutschland gesungen haben: "Wir werden weitermarschieren, bis alles in Scherben fällt."

Die sozialpsychischen Mechanismen aber, die in dieser Verrücktheit stecken, sind — durchaus im Unterschied zu damals — nur zu normal. Es bedürfte geradezu außerordentlicher Verhaltensweisen in den politischen Ämtern, um tatsächlich abzuschalten. Und es war in Wirklichkeit höchst unwahrscheinlich — bei der bisherigen Verfassung des menschlichen Bewußtseins, der menschlichen Kultur —, daß der Bau der Atom­bomben, der Atomkraftwerke oder die Ausführung irgendeiner anderen "nützlichen" technischen Ungeheuer­lichkeit hätte unterbleiben können. Gegenwärtig erweist sich nun eben auch die Gen-Forschung und -Technologie als unaufhaltsam. Das ist kulturell so programmiert. Die Lobby, das dazugehörige Interessen­kartell, schafft das Muster nicht erst, sie füllt es bloß in gewohnter Weise aus.

Aus Motiven, die absolut nichts mit jener "Sehnsucht nach Selbstauslöschung" zu tun haben, über die ich den Münsteraner Philosophen Horstmann einmal sprechen hörte, halten wir an einer gewohnten Praxis fest, die sich als selbstmörderisch herausstellt, ohne so gemeint zu sein.  

112/113

Es gibt kein schlichteres Beispiel als das RauchenEs steht wohl außer Zweifel, daß es nicht aus Todessehnsucht aufkam und daß diejenigen, die auch jetzt daran festhalten, nachdem bekannt geworden ist, es verkürzt das Leben, in der Regel nicht eher sterben wollen. Die Sucht ist einfach stärker. 

Inwieweit Sucht und Tod etwas miteinander zu tun haben, selbst Lebensgier und Tod — das ist ein anderes, tieferes Thema, das mit der Todestrieb-Hypothese meistens nicht gemeint ist.

Die Logik der Selbstausrottung hat nichts mit einem metaphysischen Mysterium zu tun — falls die urbekannten sieben Todsünden keines sind.

Wenn ich jetzt einen Grünen zitiere, der durch seine Mitgliedschaft kundtut, daß er für das Leben ist, während er durch seine Identifikation mit dem gewohnten Lebensstil von vornherein auf einer Ebene antritt, wo er nur dagegen sein kann, so zum einen, weil er sich auf mich bezieht, zum anderen, weil er nicht naiv genug ist, sich vor sich selbst die Zweideutigkeit seiner Einstellung verbergen zu können.

Der Bremer Politiker Ralf Fücks*, den ich meine, ist mit den Faktoren der ökologischen Katastrophe, ihren wirklichen Dimensionen bekannt und weiß, welchen Druck das metropolitane Modell auf die Dritte Welt ausübt.

Das Thema war die <Zukunft der Stadt>, der Großstadt Bremen

Stadt und Zivilisation sind Synonyme. Mumfords große Studie über dieses Thema — gar im Zusammenhang mit seinem <Mythos der Maschine> — zeigt sie als einen der Hauptaspekte der globalen Katastrophe. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen wird die ländliche Menschheit in den nächsten 40 Jahren einigermaßen konstant etwas unter 3 Milliarden bleiben, während die städtische sich von heute 2,1 auf 5,3 Milliarden im Jahre 2025 fast verzweieinhalb­fachen wird.

Der Druck auf die Erde kann unmöglich nachlassen, wenn dieser Trend nicht gewendet wird, denn die Stadt verbraucht pro Kopf viel mehr.(58)

Am Gilgamesch, dem ältesten Epos der Menschheit, hat William Irwin Thompson (1985/1) demonstriert, wie das ummauerte kleine Uruk den Menschen der Natur entgegenstellte, und sei's, indem ihm die Stadt einfach "ganz andere Sorgen" machte; an Sokrates' Naturfremdheit sehen wir es wiederum, nun für die griechische Polis.

113/114

Aber jetzt Ralf Fücks, der zur Eröffnung des Kongresses <Grüne Zukunft für Bremen> im Oktober 1985 einleitend sagte:    wikipedia  Ralf_Fücks  *1951  

Es soll vor allem um Zukunftsentwürfe für Leben und Arbeiten in der Stadt gehen: irgendwo auf einer Skala zwischen Rudolf Bahros Aufruf zum Auszug aus dem ökologischen Sündenbabel Großstadt und von seelenlosen Science-Fiction-Visionen einer chromglänzenden und vollkünstlichen High-Tech-City. Für solche Extreme werden sich die meisten von uns nicht erwärmen. Wir wollen doch im Grunde beides haben: Naturerfahrung in der Stadt, das vertraute Viertel als nachbarschaftliches Quartier, solidarische Gemeinschaft auf der einen Seite und zugleich die Großstadt als buntes, lautes und widerspruchsvolles Gemisch von Kulturen und Lebensweisen; als Zusammenballung von Waren und Dienstleistungen. - Wir wollen Raum für Improvisationen, für Eigenarbeit, für Unkontrolliertes — und gleichzeitig soll die städtische Infrastruktur, sollen die großen Versorgungs­einrichtungen gefälligst funktionieren. Wir konstatieren die zunehmende Entfremdung und Isolation der Menschen in der Großstadt und wollen doch nicht auf die Großstadt als Möglichkeit für Distanz und Anonymität verzichten.(59)

Das soll also irgendwo "dazwischenliegen"? In diesem Kontext werden "Naturerfahrung in der Stadt" und "solidarische Gemeinschaft" (beides irgendwie möglich oder jedenfalls nicht utopischer als sonst etwas — es wird ja seit es Städte gibt, gewünscht) Redestoff städtischer Kulturvereine bleiben. Das heißt jetzt also "grüne Zukunft für Bremen". Man hat der allzu verfilzten SPD die Schau gestohlen und der traurigsten CDU der ganzen Republik erst recht. Warum auch nicht. 

Nur mit der Realität der ökologischen, der zivilisatorischen Krise und mit dem Minimum der Bewahrung für eine Zukunft hat es nicht die Spur zu tun. "Hindert uns nicht daran, so zu leben, wie wir es gewohnt sind — und noch etwas besser!" Der ganze Kongreß fußte auf dieser selbstverständ­lichen Identifikation mit der City wie sie ist und wie sie sein soll.60

Von einer höheren Warte aus gesehen, sind auch in den reichen Metropolen nur Surrogate der Beglückung und Befreiung eingetroffen. Dennoch werden sie als Errungenschaften empfunden. 

Gerade die zerstörer­ischsten Faktoren des individuellen Konsums, etwa das Auto und der Urlaubstourismus, werden mit Freiheit assoziiert. 

Bedingungen für die allgemeine Emanzipation, wie man sie im 19. Jahr­hundert verstand, sind ja tatsächlich geschaffen worden. Es gibt — mag er jetzt auch bröckeln — den Wohlfahrts- und Sozialstaat für die größte privilegierte Minderheit der Weltgeschichte, für die Unterklassen des kapitalistischen Zentrums. 

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Die "demokratische Industriegesellschaft" ist — trotz allen Abstandes von Ideal und Wirklichkeit aus der Perspektive unserer unmittelbaren Wünsche und Gewohnheiten — die beste aller bestehenden Welten

Insofern ist der Klimawechsel der letzten 15 Jahre, in denen das Nachkriegsmodell seinen eigentlichen Kredit verloren hat und die Wertigkeit des technisch-ökonomischen Erfolges sank, schon viel.

Seit dem Heraufkommen der Moderne ruhte die Hoffnung, Wohlstand und soziale Sicherheit für alle würden die menschliche Emanzipation herbeiführen, auf dem Fortschritt der materiellen Produktivkräfte, auf der Verbreitung von Wissenschaft, Maschinerie und Organisation. Hätten nicht auch die Sozialisten die allgemeine Freiheit und das allgemeine Glück davon erwartet, wären die sozialen Spannungen der frühkapitalistischen Ära und vor allem des 19. Jahrhunderts nicht so weitgehend aufgelöst worden. Dieselbe Hoffnung geht heute noch in denjenigen Schwellenländern der Dritten Welt um, denen der Weltmarkt und die eigenen Ressourcen und Umstände noch die Spur einer Chance vorspiegeln, sie könnten das "gute Leben" von Washington, London, Paris oder Frankfurt einholen.

Das interne emanzipatorische Moment soll nicht geleugnet werden, zumal wir es zum Ausgangspunkt einer Einkehr und Umkehr machen können: unterstellt, wir setzen die gegebene wirtschaftliche Position zum Guten ein, statt uns in ihr einzuigeln. Bislang aber geht der zivilisatorische Prozeß, der bis hierher geführt hat, brachial gegen die fundamentalen Erfordernisse dreier "Peripherien" an, die die Industriegesellschaft hemmungslos ausbeutet und zerstört: des "äußeren Proletariats", d.h. der meisten Menschen in der Dritten Welt, der äußeren Natur und unserer eigenen inneren Natur, besonders ihrer weiblichen Seite. Und trotz der Folgen für die psychische Gesundheit würde die metropolitane Gesellschaft die Entfremdung, die bei alledem nur immer zugenommen hat, durchaus noch eine Weile unerschüttert ertragen.

Nur die Bedrohung durch den atomaren Militarismus und die Naturvergiftung und Land­schafts­zerstörung vor der eigenen Haustür haben wenigstens in Europa die Verdrängung durchbrochen.

115/116

Wahrscheinlich ist die Erfahrung, daß die Glücksverheißung des Wohlstands möglicherweise uneinlösbar sein wird und die Fülle des Lebens eher weg- als herbei­produziert werden kann, ein stärkerer Stachel als die ökologische Krise in ihrem objektiven Sachverhalt. Noch jedenfalls überwiegen der Abwehrreflex und das Ressentiment gegen den Preis der Bewahrung. 

"Freude war in Trojas Hallen,
eh die hohe Feste fiel...."

Rom ist damals, nach dem Zusammenbruch des Imperiums, ganz von selber auf einen Tiefstand von 20-25.000 Einwohnern zurückgegangen. Meine Forderung nach dem "Auszug aus dem ökologischen Sündenbabel" war zunächst nicht mehr als eine provokatorische Formulierung, die sich gegen die Identifizierung mit der "City" gerichtet hatte. So sind die Grünen gezwungen, sich bewußt dazu zu bekennen, daß sie "stadtrömisch" denken, weil sich die Debatte auf ihrem Feld so zugespitzt hat, daß sie Farbe bekennen müssen. Und siehe da, sie sind nicht grün! Für die überwältigende Mehrheit ist die Großstadt einstweilen noch fraglos selbstverständlich. Fücks' "wir wollen doch im Grunde beides haben" — den Kuchen essen und zugleich behalten. Das aber karikiert sich selbst.

Indessen denke ich nicht, daß der Weg zur Auflösung der unhaltbaren Großstadtballungen über solche Debatten führt. Die "Pflasterstrand"-Mentalität, zu der sich Fücks ja nur noch mit trotzigem Unterton bekennt, ist doch schon ziemlich angekratzt. 

Wie die Christen im späten Rom kann man in der Metropole leben, ohne sich mit ihr zu identifizieren, d.h. vor allem, ohne den äußeren Sachzwang innerlich das Maß bestimmen zu lassen. Wenn die Christen an Rom irgend etwas interessierte, dann waren es Freiräume für das andere Reich, das danach kommen sollte. Zumindest haben sie sich geistig mehr und mehr aus Rom herausgearbeitet. 

Bei einer Debatte in Frankfurt habe ich einmal — und zwar gerade den dortigen "Römer"-Fundament­alisten, also der grünen Rathausfraktion — gesagt, wir sollten Nichtbefassung mit der City als solcher praktizieren, sollten nicht mittels eines alternativen Stadtplans konkurrieren, der auf Vorschläge zur attraktiveren Gestaltung dieses Zentrums hinausläuft. 

Die ökologische Perspektive führt aus dieser Struktur hinaus, erfordert nicht nur die Auflockerung, sondern die Auflösung solcher Zusammen­ballungen, die stellvertretend für die ganze industrielle Megamaschine stehen. 

Auch Bremen ist natürlich viel zu groß. Es müßte sich weitgehend in die umliegenden nieder­sächsischen Kreise hinein auflösen. Ich meine, so müßte es zunächst einmal gedacht werden, wenigstens von den "Alternativlingen", ihr Interesse an Freiräumen in der City unbenommen, aber hintangestellt.

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Rudolf Bahro 1987 Logik der Rettung: 2.1 Das Getriebe des rationalistischen Dämons