Start     Weiter 

Teil 1     Die Alternative  —  Briefe zu Bahros Thesen

 Vajda    Brus 

 «Den Marxismus auf den Marxismus anwenden»  
Lucio Radice

11-30

An deutsche Freunde, 

In dem kleinen Buch, das ich kürzlich schrieb — es heißt <Das Deutschland, das wir lieben> und erschien im Verlag der Kommunistischen Partei Italiens — berichte ich von deutschen Freunden meiner Studienzeit, jungen Männern und Frauen, die zwischen 1934 und 1938 in Italien eine zeitweise Zuflucht gefunden hatten: Im faschistischen Italien, zwischen dem Sieg Hitlers und den «Rassengesetzen» Mussolinis. 

Sie brachten Bücher mit, die seit langer Zeit in Italien verboten waren und die gerade damals in Deutschland von Goebbels auf den Scheiterhaufen verbrannt wurden, nachdem sie bis 1933 noch legal gewesen waren. Eines dieser Bücher ist mir im Gedächtnis geblieben — mit Bildern, ich glaube, von Masereel und mit dem Titel <Geschichte einer Idee>. 

Darin entsteigt dem Kopf eines nachdenkenden und leidenden Mannes ein geflügeltes junges Mädchen. Sie fliegt fort, predigt auf den Plätzen, macht ihre Runde in den Häusern und Fabriken. Man stellt ihr nach, sie wird verfolgt. Man versucht sie in Ketten zu legen, aber vergeblich. Ungreifbar, unverwundbar ist das Mädchen zur Frau erwachsen, eine Fackel in der Hand setzt sie die Welt in Flammen. Massen folgen ihr. Sie siegt.

Doch als ihre Partisanen schließlich Sieger sind, wird sie «einbalsamiert», verwandelt in ein Symbol, in eine Gottheit, in ein Götterbild. Das Mädchen, das einmal Unruhe stiftete, die kämpferische junge Frau, ist eine bewegungslose, majestätische Herrscherin geworden.

Die <Geschichte einer Idee> hört an dieser Stelle aber nicht auf. Auf einem weiteren Bild sehen wir wieder einen nachdenkenden und leidenden Mann. Aus seinem Kopf entspringt erneut ein geflügeltes junges Mädchen, ganz ähnlich dem, das zur Frau geworden ist, gesiegt hat und nun versteinert ist.

Vor vierzig Jahren — in den Jahren des siebten Weltkongresses der Komintern, den Jahren der Volksfront, des Spanienkriegs und für mich der Entdeckung von Marx — sah ich in diesem jungen Mädchen die Freiheit, die vom Bürgertum in ein Götzenbild, in eine pharisäische Religion verwandelt worden war, das sie zwar hervorgebracht hatte, die nun aber als proletarisch-revolutionäre Idee neu erstanden war. 

Heute, 1977, verkörpert dieses bedeutungsvolle und vieldeutige Symbol für mich eher die Idee des Sozialismus, die die Welt entzündet und verändert hat — die aber dort, wo sie gesiegt hat, fast überall in eine Statue, ein Dogma, ein immobiles Regime verwandelt wurde. Und die dennoch lebendig, jung und unruhig überall neu entsteht, auch dort, wo sie zu Stein geworden ist.


Ich bin seit langem davon überzeugt, daß es notwendig ist, den Marxismus auf den Marxismus anzuwenden, also die kritische und dialektische Methode des wissen­schaftlichen Sozialismus auf den «realen Sozialismus». Die Widersprüche zwischen Basis und Überbau etwa zeigen sich auch — sicher in anderen Formen als den klassischen — in sozialistischen Gesellschaften. Ein typisches Beispiel dafür scheint mir die Deutsche Demokratische Republik zu sein. In der DDR hat zweifellos «die Zukunft schon begonnen». Die Liquidierung der kapitalistischen Produktions­weise hat dieses Land verändert, das kaum zwanzig Millionen Einwohner zählt und doch eine der ersten ökonomischen, technischen und wissenschaftlichen Mächte der Welt ist. 

Hier geht es nicht nur um eine rein quantitative Erscheinung, die sich mit Produktionsindices messen läßt und damit fertig. Nein, es handelt sich um ein kulturelles Phänomen, das die großen Massen dieses Landes betrifft. Männer, Frauen, Jugendliche sind durch den Aufbau einer sozialistischen Wirtschaft — wenn auch staatssozialistisch oder jedenfalls zentralisiert — in der DDR geformt worden; eine andere Gesellschaft ist entstanden. Die politischen Strukturen dagegen sind die gleichen geblieben. Und dieser autoritäre Sozialismus ist nicht mehr mit seinen neuen Arbeiterbürgern, mit dieser neuen Gesellschaft vereinbar. Das ist keine bloße Behauptung:

«Heute haben wir es mit einer durchgreifenden Intellektualisierung der subjektiven Produktionskräfte zu tun. Die Gesellschaft produziert, obwohl der Apparat die Entwicklungsrate drückt, eine solche Masse an allgemeiner Fähigkeit, an menschlicher Qualifikation schlechthin, daß sie unmöglich direkt vom Apparat beschäftigt werden kann. Daher sehen wir dessen unentwegte Anstrengung, das unverwendete überschüssige Bewußtsein teils mit unproduktiver Geschäftigkeit abzubauen, teils mit Terror zu paralysieren, vor allem mit Ersatz­befriedigungen abzuspeisen. 

Die entfremdete Arbeit und der apparative Druck bestimmen zunächst die Masse des überschüssigen Bewußtseins dahin, in der Freizeit nach bequemen Ersatzbefriedigungen zu streben, die nach Möglichkeit auch bereitgestellt werden. Die Umstände beschränken und verhindern die Entfaltung, Entwicklung und Bestätigung zahlloser Menschen von frühester Jugend auf. Nun sind sie gezwungen, im Verbrauch von Dingen, in passiver Unterhaltung, in prestige- und machtorientierten Attitüden Entschädigung zu suchen. Darauf beruhen die kompensatorischen Interessen... Doch das eigentliche Wesen, die innerste Tendenz des überschüssigen Bewußtseins, drückt sich nicht in den kompensatorischen, sondern in den emanzipatorischen Interessen aus. Sie richten sich auf das Wachstum des Menschen als Persönlichkeit, auf die Differenzierung und Selbstverwirklichung der Individualität in allen Dimensionen sozialer Aktivität.»

12


Ich habe dieses lange Zitat dem dritten der sechs Vorträge entnommen, die der Genosse Rudolf Bahro als Kommentar zu seinem Buch Die Alternative verfaßt hat. Ursprünglich hatte er für dieses Buch den Titel gewählt «Zur Kritik des real existierenden Sozialismus». Daraus ist nun der Untertitel geworden, und dieser Untertitel gibt sehr viel klarer den ursprünglichen Ansatz des Marxisten Bahro wieder. Mit mutiger Unbescheidenheit hat Bahro hier den berühmten Titel von Karl Marx aufgenommen und wiederholt: <Zur Kritik der politischen Ökonomie>. Marxens Kritik der politischen Ökonomie war ein allgemeiner Plan für das historisch-materialistische Studium des Kapitalismus; Bahros Kritik des real existierenden Sozialismus ist ein erster wissenschaftlicher marxistischer Ansatz zum Studium dieser ganz neuen und originären politisch-gesellschaftlichen Formation. 

Bahro betrachtet übrigens die Länder des «realen Sozialismus» als sozialistisch und nicht als unterwegs zur Restauration des Kapitalismus; auch wenn er sagt: «In einem umfassendsten, nicht politischen Sinne setzen die Länder des real existierenden Sozialismus einigermaßen zwanghaft den kapitalistischen Weg fort>. Vornehmlich reaktiv in Angriff genommen, ist der sogenannte sozialistische Aufbau gerade in seiner Eigenschaft als nichtkapitalistischer Weg zu wenig autonom, wo es um die menschliche Lebensweise, um die existentiellen Probleme der Individuen geht.» Ich möchte hinzufügen: Und umgekehrt ums Weiterleben und, noch mehr, um die unbegrenzte Ausdehnung des Staates; um das Weiterleben einer sozialen Hierarchie, obwohl nicht im kapitalistischen Sinne der Ausbeutung; um die Verteilung der Arbeit.

Mit einer sehr ähnlichen Sprache wie die spanischen Genossen, die Begriffe wie «Ur-Sozialismus» verwenden, spricht Bahro vom «Proto­sozialismus». Bahro sieht im Marxismus nicht nur eine Untersuchungs- und Erkenntnismethode, sondern auch ein Instrument, um in der revolutionären politischen Praxis vom Protosozialismus zum Sozialismus überzugehen. Eine Philosophie der Praxis also, eine Erkenntnis, die der Veränderung dient: «Die Kommunisten müssen sich darauf besinnen, daß sie die entwickeltste Theorie und Methode sozialer Erkenntnis geerbt haben, die bisher erdacht und erprobt wurde. Sie ist nach wie vor das geeignetste Instrument, um in der Wirklichkeit selbst den alternativen Ansatz aufzudecken

Wer ist dieser Genosse Rudolf Bahro, der das schreibt? Bahro war bis vor einigen Monaten Funktionär der SED, der Sozialistischen Einheitspartei der DDR, die aus dem Zusammenschluß von Kommunisten und Sozialdemokraten entstanden ist. Ein Genosse des Apparats, der mit Verantwortung im Bereich der Wirtschaft betraut war. Seine «Kritik des real existierenden Sozialismus» kommt also aus dem Innersten der neuen Gesellschaft, sie ist in ihr gewachsen.

13


Und nicht nur das: Im Gegensatz zu anderen — ich denke an den polnischen Philosophen Leszek Kolakowski, der als Marxist begann und den Marxismus heute enttäuscht und verbittert bekämpft — und ähnlich wie Robert Havemann, entwickelt Bahro eine marxistische Kritik an der dogmatischen Version des Marxismus, eine sozialistische Kritik am «realen Sozialismus». Die <Alternative>, die er dem «realen Sozialismus» entgegensetzt, ist deshalb eine kommunistische Alternative.

Da Bahro keine Hoffnung mehr hatte, seine Untersuchung in der DDR veröffentlichen zu können, hat er einen sehr mutigen Entschluß gefaßt: Er hat sie dem Verlag der Gewerkschaften in der Bundesrepublik übergeben. Und da er sicher war, unmittelbar danach festgenommen zu werden, hat er sechs Tonbänder besprochen, jene Vorträge, auf die ich mich oben bezogen habe. Er hat recht behalten mit seiner Voraussicht, und ich werde hier dem Genossen Bahro nicht das Unrecht zufügen, seine mit Füßen getretene Freiheit (während ich dies schreibe, ist er noch immer in Haft) nur im Namen der Menschenrechte zu verteidigen. Bahro selbst schreibt in seinem ersten Vortrag:

«Es kennzeichnet den rapiden ideologischen Verfallsprozeß in den osteuropäischen Ländern seit der militärischen Polizeiaktion vom August 1968, daß sich das Gros der oppositionellen Elemente erst einmal auf rein liberal-demokratische Forderungen, auf eine Menschenrechtskampagne, zurückgeworfen sieht, auf eine Position also, die zugleich die breiteste und platteste, konstruktiv gehaltloseste ist.»

Wir, die wir uns kritische Marxisten einer kommunistischen Erneuerung nennen, retten wahrhaftig unser Bewußtsein nicht dadurch, daß wir — was dennoch notwendig ist und auch geschieht — nur für die Verteidigung der Menschenrechte, der persönlichen Freiheit und der Meinungsfreiheit aller Oppositionellen in den Ländern des «realen Sozialismus» Stellung nehmen: für die Verteidigung des Ex-Marxisten und heutigen Antimarxisten Kolakowski ebenso wie für die des Marxisten und Kommunisten Bahro. Die reaktionäre — oder auch konservative — Fraktion des Bürgertums macht dagegen einen Unterschied zwischen antikommunistischen Oppositionellen, die groß herausgestellt werden, und kommunistischen Oppositionellen, über die meist Schweigen gebreitet wird. Eine gegenrevolutionäre Verwendung Biermanns, Bahros oder Havemanns ist eine hoffnungslose Sache: Deshalb zieht man vor, von Solschenizyn, Amalrik und Kolakowski zu sprechen.

Wir müssen darüber hinausgehen, aufmerksam den Stimmen der kommunistischen <Alternative> zuhören und unseren Beitrag zu einer marxistischen Analyse der nachrevolutionären und noch «protosozialistischen» Gesellschaften leisten, die sich in einer ernsten Krise befinden — selbst wenn es sich um eine Wachstumskrise handelt. Ich hoffe deshalb, daß Bahros Buch nicht nur von der italienischen Linken mit ernstem Engagement studiert und diskutiert wird. 

Vor allem aber hoffe ich, daß Bahros Buch zum Element einer freien sozialistischen Auseinandersetzung innerhalb der DDR selbst werden wird. Ich bin keineswegs mit allen Positionen von Genossen Bahro einverstanden. Aber der Austausch verschiedener und auch entgegengesetzter Meinungen ist heute für die ganze sozialistische Bewegung eine absolute Lebensnotwendigkeit. Ich hoffe, daß die Genossen, die in der DDR regieren, dies bald verstehen werden.

14-15

#


     

Mihály Vajda

«Wir müssen das Ganze der Marxschen Klassentheorie überprüfen»

Lieber Rudolf Bahro!

16

Aller Wahrscheinlichkeit nach bin ich nicht der einzige, sicher nur einer von sehr vielen, die Dir dieser Tage unbekannterweise Briefe schreiben. Ich tue das nicht nur deshalb, weil ich Dich ebenso wie diese vielen anderen meiner Solidarität versichern will. Wärest Du auf freiem Fuß, würde ich auch dann gern mit Dir Kontakt aufnehmen, um Dir mitzuteilen, daß Du in den Ländern des real existierenden Sozialismus nicht allein stehst mit Deiner Bestrebung, unsere Welt zu verstehen und aus ihrer eigenen Gesetzmäßigkeit zu erklären. 

Deine Absichten treffen sich mit denen von vielen ungarischen Intellektuellen, die Dein Buch — ebenso wie ich das tun werde — in vieler Hinsicht vielleicht kritisieren möchten, die von Dir gestellte Aufgabe aber mit eindeutiger Begeisterung aufnehmen können. 

Wenn ich im folgenden dazu einige sehr skizzenhafte und oberflächliche Gedanken aufwerfe, kann ich das allerdings nur in meinem eigenen Namen tun. Niemand aus dem ungarischen Intellektuellenkreis, zu dem ich gehöre, hat mich bevollmächtigt, auch in seinem Namen zu sprechen. Deshalb erwähne ich hier keinen von den Namen, keines von den Werken, bei denen die Parallelen zu Deinen Gedanken augenfällig sind: Der ungeschriebene Moralkodex unserer Welt verbietet in diesem Moment jedem, irgendjemand mit Dir in Zusammenhang zu bringen, außer sich selbst. Ich bin dennoch überzeugt, daß ich nicht der einzige bin, der sich in Solidarität auch zur geistigen Verwandt­schaft mit Deinem Buch bekennt.

Ich halte Dein Buch in der Tat für sehr wichtig. Viel zu wichtig, um es nur zu loben. Dein Buch muß Ausgangspunkt einer internationalen Diskussion werden, an der auch die Osteuropäer teilnehmen sollten. Hier, im Rahmen dieses kurzen Briefes, will ich nur zwei Fragenkomplexe berühren: Der erste ist das Problem Deines Kommunismus, letzten Endes die Frage der Partei, und der andere das Problem der Klassentheorie.

Ich will hier nicht die Fragen der <Alternative> berühren. Es genügt vielleicht zu sagen, daß mir Deine kulturrevolutionäre kommunistische Alternative sehr sympathisch ist. Es wäre aber unanständig, nicht zu erwähnen, daß alles, was Du über die Übergangsmöglichkeiten vom real existierenden Sozialismus zur Kulturrevolution (Kapitel: «Über die Ökonomik der Kulturrevolution I) sagst, in meinen Augen naive Schwärmerei ist. Vermutlich überschätzt Du das Niveau des «über-schüssigen Bewußtseins» in den Ländern des real existierenden Sozialismus.


Die Aufgabe, die vor uns steht, ist viel bescheidener, sie ist für mich eine unerläßliche Bedingung seiner Entfaltung:

Nämlich eine Öffentlichkeit zu schaffen, die allen ermöglicht, über die Zukunft zu diskutieren. Wir Intellektuellen können nicht den Weg einer sozialistischen Alternative bestimmen, ohne die Meinung aller darüber zu kennen. Besser gesagt: Wenn wir die Alternative bestimmen wollen, bevor eine wahrhaft demo­kratische Öffentlichkeit existiert, die eine Diskussion der Zukunftsperspektive erst ermöglicht, unterscheiden wir uns sehr wenig von den Kommunisten, die unsere Welt, die Welt des real existierenden Sozialismus, mit Gewalt (die nie nur gegen eine unbedeutende Minderheit gerichtet war) geschaffen haben. Wenn Du Dich als Kommunist bekennst, tust Du das mit vollem Recht. Nicht weil Du eine kommunistische Utopie als Dein Ziel darstellst, sondern weil Du den Gedanken der Kommunistischen Partei als führender Kraft der Gesellschaft nicht aufgeben willst.

Erlaube mir, den kritischen Teil des Buches kurz zu rekapitulieren:

a) Der real existierende Sozialismus hat mit dem Marxschen Sozialismus nichts zu tun, er ist eine neue, spezifische Gesellschaftsformation, die ihre eigene Gesetzmäßigkeit hat, weil

b) mit der Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln und Produktionsbedingungen — im Gegensatz zu Marxens Erwartungen — alle Formen der Unterdrückung keineswegs aufgehoben waren. Der wichtigste Grund aller historischen Formen der Ausbeutung und Unterdrückung, nämlich die Arbeitsteilung, bleibt in allen ihren Formen bestehen. Die wichtigste von ihnen, nämlich die Teilung der Arbeit in Hand- und Kopfarbeit, bestimmt letzten Endes die Form der Unterdrückung und Ausbeutung, die den real existierenden Sozialismus als spezifische Gesellschaftsformation bestimmt.

Ich bin völlig damit einverstanden, unsere Gesellschaft tatsächlich als eine neue Gesellschaftsformation zu beschreiben. Es ist heute schon ein Hindernis für die Analyse dieser Gesellschaften, wenn man sie als eine Übergangsphase zwischen Kapitalismus und Sozialismus (oder Kommunismus) interpretiert (dieser Gedanke ist in jeder Form zur Apologetik geworden) oder wenn man sie als einen Rückfall zum Kapitalismus (wie der Trotzkismus und alle anderen Arten des «wahren» Marxismus-Leninismus) darstellt; oder auch als eine Art von Kapitalismus, nämlich als reinen Staatskapitalismus. 

Auf diese Weise kann man die Natur dieser Gesellschaften nicht verstehen und aus unserer Geschichte nicht die notwendigen Lehren ziehen. Daß diese Gesellschaft aber auch mit dem Marxschen Sozialismus nichts zu tun habe, ist meiner Meinung nach falsch. Deine Behauptung, daß «unser real existierender Sozialismus ... eine prinzipiell andere Ordnung als die in der sozialistischen Theorie von Marx entworfene» ist, halte ich für sehr problematisch.

17


Sie schließt nämlich die Möglichkeit aus, daß die Marxsche Vorstellung über den Sozialismus selbst Momente des falschen Bewußtseins beinhaltete, das heißt Initiator einer Bewegung und theoretisches Bewußtsein einer gesellschaftlichen Ordnung war, die in der Wirklichkeit ganz anders aussieht als in der Theorie. Wenn man nur den zitierten Satz in Betracht zieht, ist es noch möglich zu erwidern, daß er eben das aussagen wollte, wenn auch vielleicht nicht in der adäquatesten Form. Die Zweideutigkeit des Buches in dieser Hinsicht unterstützt hingegen meinen Eindruck, daß der Standpunkt selbst widerspruchsvoll ist. 

Einerseits könnte man aus der Kritik, die das Buch am Marxschen «Reduktionismus» übt («Der Gedanke der Aufhebung des Privateigentums wird überlastet, wenn wir die Überwindung von Verhältnissen in ihn einschließen, die letztlich nicht auf dem Privateigentum beruhen und niemals völlig in ihm aufgingen» — eine der wichtigsten Behauptung des Buches), den Standpunkt herauslesen, daß der real existierende Sozialismus die notwendige Konsequenz einer Bewegung ist, deren adäquates Bewußtsein und theoretischer Ausdruck der Marxismus ist. Wo das Buch uns an die Bakuninsche Marx-Kritik erinnert, haben wir den Eindruck: Der Standpunkt des Verfassers ist, daß in der Marxschen Theorie zumindest als Möglichkeit die Gefahr angelegt ist, daß der Sozialismus nichts anderes sein wird als der Terror des allgemeinen; in der Praxis der Terror einer Gruppe, die im Namen des allgemeinen, des Ganzen auftritt und den Anspruch erhebt, alles Partikulare zu unterdrücken.

Andererseits scheint die Beschreibung der Ausgestaltung der Gesellschaftsformation aber anzudeuten, daß man den real existierenden Sozialismus eindeutig auf das Konto der asiatischen Produktions- und Gesellschaftsformen Rußlands setzen muß.

Die Kritik des Marxismus und die Erklärung der tatsächlichen Geschichte des real existierenden Sozialismus stehen im Buch als zwei unabhängige Gedanken­gänge nebeneinander. Zusammenbringen kann man sie nur auf eine Weise: Wenn man nämlich aussagt, daß der Marxismus in seiner originalen Form eine Theorie war, deren innere Tendenz, jede Partikularität aufzuheben und die Herrschaft des allgemeinen zu verwirklichen, nur dort praktische Gestalt annehmen konnte, wo die historischen Umstände besonders günstig waren; nämlich in einer Welt, in der der Geist des Pluralismus fehlte. (Nur in Klammern: Ich möchte die Produktionsverhältnisse im vorrevolutionären Rußland nicht als asiatisch beschreiben. Aber der Mangel des Pluralismus war ein Kennzeichen des Landes.) Wenn man sich so ausdrückt, ist — das ist sonnenklar — Marx selbst mit seinen Gedanken im Unrecht. Marx schwebte gewiß das Reich der Freiheit vor. Nur daß dieses Reich nicht die Tat einer «bewußten» Minderheit, einer Elitetruppe sein kann, auch dann nicht, wenn diese nur die geistige Führung beansprucht. 

18


Ich will nicht den Leninschen Parteigedanken in Marx hineinlesen. Aber in Keimform war er doch bei Marx angelegt. Die meines Erachtens größte und beste philosophische Interpretation des Marxismus, nämlich Georg Lukács' <Geschichte und Klassenbewußtsein>, zeigt diese Möglichkeit eindeutig.

Eben deshalb bin ich der Meinung, daß die sozialistische Kritik des real existierenden Sozialismus auch eine Kritik des Marxismus sein sollte. Diese Kritik kann den Weg beschreiten, den Dein Buch eingeschlagen hat. Man muß dann aber diesen Weg zu Ende gehen und den Gedanken der revolutionären Partei aufgeben. Eine Revolution, die durch eine politische Elite geführt wird, kann nicht den Sozialismus verwirklichen, wenn zum Wesen des Sozialismus — doch wohl auch bei Dir — die Aufhebung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung in Führende und Geführte gehört. 

Der kommunistische Parteigedanke hingegen ist eo ipso die Bewahrung dieser Arbeitsteilung. Es ist wahr, daß Du Dir den «Bund der Kommunisten» keineswegs als einen Machtapparat vorstellst. Aber jeder weiß, daß nicht der Apparat die Machtverhältnisse schafft, sondern eben umgekehrt: die bestehenden Machtverhältnisse schaffen für sich früher oder später den entsprechenden Apparat. Eine einzige für die geistige Führung der Gesellschaft ausgewählte Gruppe stellt schon eine Machtform dar. Wenn doch die Teilung der gesellschaftlichen Arbeit in geistige und physische Deiner Meinung nach der wichtigste Grund jeder Form von Ausbeutung und Unterdrückung in der Geschichte ist, müssen wir auch den Gedanken der revolutionären Elite in jeder Form aufgeben, um das wichtigste Ziel des Sozialismus, nämlich die Abschaffung der gesellschaftlichen (natürlich nicht der technischen) Arbeitsteilung zu erreichen.

Um Mißverständnisse zu vermeiden, muß ich betonen, daß ich hier nur über den Gedanken der kommunistischen Partei, im klassischen Sinne des Wortes, gesprochen habe. Die Partei als politische Organisationsform (was nicht notwendigerweise mit der «objektiven» Schichtung der Gesellschaft zusammenhängt) ist sogar ein unvermeidlicher Bestandteil der politischen Demokratie, ohne die der Sozialismus für mich unvorstellbar ist. Die politische Demokratie ist in sich selbst noch keine sozialistische oder kommunistische Form der politischen Organisation. Aber der Sozialismus ist — darin sind wir einig — keine Frage der Politik, sondern der Umgestaltung der menschlichen Verhältnisse in allen Sphären der Gesellschaft. Da es aber keine Gesellschaft ohne politische Organisation gibt, müssen wir die politische Demokratie mit all ihren Gefahren als die bisher bestmögliche politische Organisationsform hinnehmen. 

Die — ja, bürgerliche — politische Demokratie durch die geistige Führung einer bewußten Elite ersetzen zu wollen, nur weil sie die wohlbekannten Gefahren und negativen Momente in sich trägt, kann nur zu dem ebenso wohlbekannten — und ganz und gar unakzeptablem — Terror des allgemeinen führen. 

19


Ich bin also nicht gegen das Parteisystem, sondern lediglich gegen die Konzeption der kommunistischen Partei. In diesem Sinne sind die Parteien des Eurokommunismus (wenn sie die politische Demokratie wirklich ernst nehmen) keine kommunistischen Parteien mehr.

Und damit bin ich zur zweiten Frage gelangt, über die ich hier in diesem Brief schreiben wollte, nämlich zur Frage der gesellschaftlichen Klassen. Ja, die marxistischen Parteien (die klassischen sozialdemokratischen Parteien) sind Klassenparteien gewesen. Sie führten ihre Kämpfe für die Interessen des Proletariats innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft mit politischen Mitteln. Was sie erreicht haben, ist nicht wenig: Letzten Endes waren es diese Parteien, die die politische Demokratie erkämpft haben. Die Wahrheit über diese Kämpfe hat letzten Endes Eduard Bernstein ausgesagt: Sie waren Kämpfe für die Gleichberechtigung der Arbeiter innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft.

Die Parteien neuen Typs, die kommunistischen Parteien, waren dagegen keine Parteien des Proletariats. Das Proletariat, in dessen Namen sie auftraten, war keine praktische, sondern eine theoretische — um nicht zu sagen mythische — Entität. Eine Klasse, deren wirkliche Interessen nur durch die Aufhebung des Rahmens der bestehenden Gesellschaft befriedigt werden können, das heißt durch die Emanzipation der Menschheit. Es ist nicht zu leugnen, daß diese Konzeption der Marxschen Klassentheorie letzten Endes entspricht. Und in dieser Hinsicht sind die Ansätze der Kritik, die in Deinem Buch zu finden sind, sehr wichtig. Nämlich, daß die Emanzipation der Menschheit nicht die Sache einer einzigen Klasse sein kann, eine wie große Rolle in der bürgerlichen Gesellschaft auch immer sie spielt.

Aber auch hier müssen wir meines Erachtens noch weitergehen. Wir müssen das Ganze der Marxschen Klassentheorie überprüfen. Der Begriff Klasse wird von Marx nicht eindeutig gebraucht. Wenn er sagt, daß die ganze Geschichte der Menschheit nichts anderes ist als die Geschichte der Klassenkämpfe, arbeitet er mit einem Klassenbegriff, in dessen Sinn jede Gruppe von Ausbeutern und Herrschenden einerseits und jede Gruppe von Ausgebeuteten und Unterdrückten andererseits eine Klasse bildet. Jede Gesellschaft, in der überhaupt Unterdrückung existiert, ist eine Klassengesellschaft, jede sozial geteilte Gesellschaft ist nach Klassen geteilt. In diesem Sinne ist die Klassenteilung keineswegs das Spezifikum der bürgerlichen Gesellschaft. Das ist der Begriff der Klasse, der im Vulgärmarxismus Bürgerrecht erworben hat.

Marx hat aber die Klasse als Begriff auch in einem anderen Sinne gebraucht. In diesem zweiten Sinne ist eine Gesellschaft nur in dem Falle eine Klassen­gesellschaft, wenn die Ökonomie gegenüber der Politik und Ideologie eine Unabhängigkeit, sogar die Vorherrschaft

20


gewinnt, nämlich wenn die Teilung der Gesellschaft nicht politischideologisch, sondern rein ökonomisch bestimmt ist; wenn also die politisch-ideologischen Momente Funktionen der ökonomischen sind. 

Im engeren Sinne des Wortes ist also nur der Kapitalismus eine Klassengesellschaft, weil die Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse nur hier eindeutig ökonomisch bestimmbar sind. Nur mit der Spaltung von bürgerlicher Gesellschaft und politischem Staat wurde es möglich, daß das Verhältnis der antagonistischen sozialen Gruppen politisch unvermittelt erscheint und daß Politik und Ideologie nur als Mittel im Kampf der ökonomisch bestimmten Klassen fungieren.

Will man die Charakteristika der bürgerlichen Gesellschaft genau verstehen, muß man mit diesem zweiten Klassenbegriff arbeiten, obwohl man die politisch-ideologischen Verhältnisse meines Erachtens nicht von den ökonomischen «ableiten» darf. Die ökonomischen Ausbeutungsverhältnisse und die politisch-ideologischen Machtverhältnisse sind — wenn auch durchaus nicht unabhängig voneinander, weil durch tausend Fäden verbunden — doch etwas Verschiedenes. Die Klassenteilung, das heißt die politisch-ideologisch unvermittelte, ökonomisch bestimmte Gruppenbildung ist das ausschließliche Charakteristikum der bürgerlichen Gesellschaft, aber es ist dennoch unmöglich, diese Gesellschaft ausschließlich mit dieser Klassengliederung zu beschreiben. In dieser Hinsicht ist das Buch <Die Alternativo ein riesiger Fortschritt, wenn es zeigt, daß die auf dem kapitalistischen Privateigentum beruhenden Ausbeutungsformen die Formen der Unterdrückung in der bürgerlichen Gesellschaft gar nicht erschöpfen; daß auch hier noch andere, historisch viel tiefer liegende Unterdrückungsformen existieren — nämlich die Unterdrückung der Frauen, des Landes und der physischen Arbeit —, die mit der Abschaffung des Privateigentums nicht automatisch verschwinden.

Der Gebrauch des Begriffs «Klasse» ist dennoch auch bei Dir nicht klar. Letzten Endes deshalb, weil Du auch den real existierenden Sozialismus als eine Klassengesellschaft — oder wenigstens die Führungsschicht als eine herrschende Klasse — beschreiben willst. Du willst auch die Arbeitsteilung nach Hand- und Kopfarbeitern als «einen autonomen Faktor der Klassenbildung» auffassen (S. 91). Dieser Begriffsgebrauch ist nach meiner Ansicht irreführend. Die Zugehörigkeit zu einer herrschenden Klasse (das heißt zur Bourgeoisie) ist eindeutig ökonomisch bestimmt. Auch wenn ein Kapitalist mit der politischen Macht nichts zu tun hat, auch wenn die Kapitalistenklasse ausnahmsweise von der politischen Macht getrennt ist (wie in den faschistischen Regimen), verliert der Bourgeois seine Möglichkeit, andere auszubeuten, nicht. Das ist aber bei den Angehörigen der führenden Schichten im real existierenden Sozialismus gar nicht der Fall. 

21


Sie haben die Möglichkeit andere auszubeuten (Du hast ja gesagt, daß bei uns die Ausbeutung ein politisches Phänomen ist — ein ausgezeichneter Ausdruck!), bis sie auch zu den politisch Machthabenden gehören, und nur bis dann. Verlieren sie die politische Macht — ja, es ist ein Ausnahmefall, aber eine doch vorgekommene Erscheinung —, werden sie auch jede Ausbeutungsmöglichkeit verlieren. Eben deshalb ist die eigentliche Führungsschicht keine Klasse.

Diese Führungsschicht als Klasse zu fassen ist auch deshalb sehr ungünstig, weil damit der Eindruck entsteht, als ob auch in dieser Gesellschaft zwei festdefinierbare Klassen einander gegenüberstünden. Ich habe schon erwähnt, daß meiner Meinung nach auch die Struktur des Kapitalismus viel verwickelter ist als eine einfache Dichotomie der zwei grundlegenden Klassen — mit Nebenschichten, die nach Marx verschwinden sollten —; trotzdem kann man, wenn man nicht die ganze soziale Struktur der Gesellschaft, sondern nur das Kapitalverhältnis in Betracht zieht, die Kapitalisten und die Proletarier als Verkörperungen der beiden Pole des Verhältnisses wohl unterscheiden. 

Von einer solchen Dichotomie kann aber in den Gesellschaften des real existierenden Sozialismus keineswegs die Rede sein. Diese Gesellschaft ist eine Pyramide, in der zur herrschenden Spitze tatsächlich nur sehr wenige gehören, zur absolut machtlosen Basis aber sehr viele; die Gesellschaft ist hier auch logisch nur so beschreibbar, daß zwischen den beiden Polen sich immer breitere, über immer weniger Macht verfügende Schichten befinden. Gehören sie nun zur herrschenden Klasse oder nicht? Wer ein Bourgeois ist, kann man sehr einfach bestimmen, obwohl im Kapitalismus auch andere Macht haben können; und auch die Bourgeois haben nicht unbedingt eine politische Macht. Aber wer zu den Herrschenden im real existierenden Sozialismus gehört, das kann man nicht eindeutig bestimmen.

Wenn Du die Arbeitsteilung nach Hand- und Kopfarbeit als die Basis, besser gesagt als den Hauptfaktor des Bestehens der Ausbeutung und Unterdrückung bestimmst, bin ich mit Dir einverstanden. Auch das ist wahr — obwohl ein Gemeinplatz, weil es in der Geschichte immer so war —, daß die Herrschenden keine physische Arbeit verrichten. Daraus folgt aber keineswegs, daß die Kopfarbeiter zu der herrschenden, die Handarbeiter zu der unterdrückten Klasse gehören.

Warum ist das für mich so wichtig? Ist es nicht nur eine begriffliche Haarspalterei, den Klassencharakter dieser Gesellschaft zu leugnen, wenn diese Gesellschaft schließlich doch auf der Ausbeutung und Unterdrückung beruht? Eben vom Gesichtspunkt der Entfaltung ist es für mich nicht gleichgültig zu begreifen, daß es keine Klassengesellschaft ist; das heißt keine Gesellschaft, die den Pluralismus kennt. Der totale Charakter des Aufbaus der Gesellschaft, die totale Verquickung der ökonomischen, politischen und ideologischen Macht sind es nämlich, die eine Lösung der unmittelbaren Aufgabe, die Schaffung einer Öffentlichkeit, so sehr erschweren.

Die Naivität Deiner Zukunftsperspektive ist mindestens teilweise damit zu erklären, daß bei Dir der Entfaltung des Sozialismus nur eine Klasse im Wege steht. Nach meiner Befürchtung ist der Weg Osteuropas — bestimmt von der Sowjetunion, deren Struktur hier den Ausschlag gibt — viel schwieriger. Mit der Industrialisierung ist noch sehr wenig geschehen. Die monolithische Struktur der Gesellschaft selbst, deren Wurzeln tief in die Geschichte zurückreichen, ist mit wenigen einfachen Maßnahmen nicht aufzuheben.

Aber noch einmal: Zu diesem Brief hat mich nicht nur der Wille zur Solidarität mit dir veranlaßt, sondern auch die Freude über Dein Buch. Für mich ist es ein ausgezeichneter Beweis der Tatsache, daß die progressiven Intellektuellen in den Ländern des real existierenden Sozialismus nicht mehr nur klagen wollen: Sie wollen ihre Welt verstehen.

22-23

Mit freundlichem Gruß, Mihály Vajda


     

Wlodzimierz Brus an die Wirtschaftswissenschaftler der DDR

«Ein symptomatisches Werk»

 

Liebe Kollegen,

manche von Euch werden sich womöglich noch an unsere persönlichen Begegnungen erinnern. Die anderen hatten vielleicht die Möglichkeit, meine deutsch­sprachigen Publikationen zu lesen; wenn nicht die in Westdeutschland erschienenen, dann eventuell die früheren, die in der DDR veröffentlicht wurden. Allerdings ist, wenn mein Gedächtnis mich nicht täuscht, mein letzter Artikel in der Wirtschaftswissenschaft im Januar 1957 erschienen. 

Ich hatte seinerzeit enge Beziehungen zu vielen DDR-Ökonomen, die ähnlich wie ich gewillt waren, zu einer Steigerung der Effektivität des Wirtschafts­systems und zu einem Fortschritt bei der Ausgestaltung sozialistischer Beziehungen zwischen den Menschen beizutragen. Diese Kontakte wurden ziemlich abrupt durch die in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre entfesselte Kampagne gegen die «revisionistische» Gruppe mit Fritz Behrens und Arne Benary an der Spitze unterbrochen. Ich wurde damals als einer ihrer ausländischen Inspirateure abgestempelt; seit jener Zeit waren meine Kontakte zu DDR-Wissenschaftlern auf offizielle Treffen und Konferenzen beschränkt. 

Seit 1968 — nachdem mir meine Stelle an der Warschauer Universität entzogen wurde — sind sie schließlich zum Stillstand gekommen. Trotzdem war ich bemüht, die Entwicklung der Wirtschaft, des Wirtschaftssystems und der Sozialwissenschaften der DDR — vor allem in der Periode des Neuen ökonomischen Systems — systematisch zu verfolgen.

Es wäre unaufrichtig, wenn ich die wissenschaftliche DDR-Literatur in diesem Bereich wegen ihres Beitrags zur Analyse wesentlicher Probleme loben würde; die technischen Aspekte werden oft auf eine sehr kompetente Art und Weise erläutert, während die sozialökonomischen Fragen offenblieben. Allerdings hatte ich stets den Eindruck, daß es sich hier lediglich um Folgen ungünstiger äußerer Verhältnisse handelt. Die großen Traditionen des deutschen Marxismus würden schließlich doch zum Ausdruck kommen in einer kritischen Beurteilung der bestehenden Lage und in selbständigen Versuchen, einen Weg des Wandels für die Zukunft abzustecken. Das Warten darauf dauerte lange, sehr lange — bis zu Rudolf Bahro und seinem Buch <Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus>.

24


Gewiß macht eine Schwalbe noch keinen Frühling. Im Falle Bahros betrifft das, so glaube ich, nicht nur die Quantität (ein Buch), sondern auch eine Reihe qualitativer Aspekte. Meine sachlichen Vorbehalte beziehen sich auf diejenigen Teile des Buches, die entweder ein Reformprogramm unmittelbar formulieren oder als Grundlage für ein solches Programm zu betrachten sind; also hauptsächlich auf die Schlußpartien im Kapitel <Die Ökonomik der Kulturrevolution> (Kapitel 13 und 14).

Dieser Teil des Alternativprogramms von Rudolf Bahro, den ich wegen meiner Interessen als Volkswirtschaftler mit größter Aufmerksamkeit las, bereitete mir auch die größte Enttäuschung. Dabei geht es natürlich nicht darum, daß der Autor — wie schon dem Titel dieser Kapitel zu entnehmen ist, unter den Einfluß maoistischer Ideologie geriet, sondern darum, daß er es für möglich hielt, diese Ideologie auf europäische Verhältnisse anzuwenden. Noch dazu in bezug auf ein relativ hochentwickeltes Land wie die DDR, ohne daß er seine These durch eine ausführliche Analyse bestehender produktions-ökonomischer und sozialer Strukturen begründet. 

Eine solche Haltung konnte nicht ohne Auswirkung auf die Art und Weise bleiben, in der Bahro das seiner Meinung nach wichtigste Postulat des Programms sozialistischer Umwandlungen interpretiert: Die «Überwindung der alten Arbeitsteilung». Zunächst — eigentlich bis zum Schluß des zehnten Kapitels — scheint es, daß der Autor lediglich die Überwindung der Teilung in Regierende und Regierte meint, etwa im Sinne von Entscheidenden und Ausführenden, Privilegierten und «grauer Volksmasse». Eine allmähliche Überwindung solcher Teilungen auf der Basis wirklicher Demokratisierung des gesamten Entscheidungs- und Kontrollsystems liefe sicherlich auf ein Programm zur Emanzipierung des Menschen im Sinne Bahros hinaus, auf eine Realisierung emanzipatorischer (im Unterschied zu den kompensatorischen) Interessen der Gesellschaft. 

Aber im letzten Teil des Buches nimmt das Postulat einer Überwindung der alten Arbeitsteilung die Form einer strikten Forderung nach «allgemeiner Beteiligung an einfacher ausführender Arbeit» an (S. 468), die das ganze Problem auf eine völlig andere Ebene verschiebt. Man kann diese Ebene als richtig oder als falsch betrachten, genauso wie die Forderungen nach einem extremen Egalitarismus, man kann sie aber nicht akzeptieren ohne einen Beweis, daß sie den heutigen realen Verhältnissen oder auch nur denen einer absehbaren Zukunft entspricht.

Es gibt in diesem Buch — vor allem in seinem letzten Teil — noch eine Reihe anderer Probleme, bei denen mich mangelnde Präzision und Verallgemein­erungen stören. Ich glaube nicht, daß es nötig ist, an dieser Stelle die einzelnen Fragen aufzuführen, auf die sich diese Kritik bezieht. Ein Beispiel wäre der mangelnde Zusammenhang zwischen der von Bahro mehrfach betonten und von ihm zweifellos akzeptierten Idee der Selbstverwaltung, der freien Zusammenschlüsse von Produzenten, 

25


dem Absterben des Staates (unter dem Einfluß jugoslawischer Doktrinen) auf der einen Seite und seiner genauso eindeutigen Ablehnung der Markt­mechanismen und der persönlichen materiellen Anreize auf der anderen Seite. Die Kriterien des gesellschaftlichen Interesses sowie der Entscheidung zwischen individuellen und gesellschaftlichen Interessen werden nicht untersucht; der Begriff der Optimierung (S. 501) bleibt so in der Luft hängen.

Unter diesen Umständen bin ich alles andere als ein unkritischer Lobredner für das Buch von Bahro. Nach meiner Ansicht wäre jede blinde Apologie einer wissenschaftlichen Publikation nur um ihrer politischen Aussage willen — etwa wegen ihrer Unabhängigkeit oder allein wegen ihren oppositionellen Charakters — ein schlechter Dienst an der Sache, für die sich der Autor einsetzt. Dennoch betrachte ich <Die Alternative> als ein Ereignis von sehr großem Gewicht. Ich halte die Einstellung zu diesem Buch und seiner Veröffentlichung wie auch zu dem Schicksal des Autors nicht nur für einen Gradmesser persönlicher Ehrlichkeit und wissenschaftlicher Gewissenhaftigkeit von Ökonomen, Soziologen, Politologen und Vertretern verwandter Disziplinen, sondern auch für ein Kriterium der Aufrichtigkeit im Blick auf die Zukunft des Sozialismus.

Die ungewöhnliche Bedeutung von Bahros Werk sehe ich auf zwei Ebenen: Erstens ist es ein symptomatisches Werk; zweitens ist es aus sachlichen Gründen bedeutend, denn die oben geäußerte Kritik betrifft Einzelheiten, aber nicht das Werk als Ganzes. Ich möchte das erläutern.

Als ein wichtiges Symptom erscheint mir das Buch von Rudolf Bahro vor allem deswegen, weil dieser Versuch einer kritischen Beurteilung des «existierenden Sozialismus» aus der Feder eines Menschen stammt, der in der DDR aufgewachsen ist; aus der Feder eines überzeugten Marxisten, der den Idealen des Marxismus treu, ja sogar fanatisch ergeben ist. Ein Mann von 41 Jahren, der 23 Jahre lang SED-Mitglied war; lange genug also, um sich eine Meinung von innen heraus bilden zu können. 

Den Schock, zu welchem für manche Kommunisten der vorigen Generation die Enthüllung des echten Gesichts des Stalinismus wurde, hat er kaum erlebt. Seine Erfahrungen entstammen der alltäglichen Praxis eines Partei- und Gewerkschaftsaktivisten, dem Lauf seiner organisatorischen Tätigkeit in der sozialistischen Industrie. Kennzeichnend für diese Erfahrungen ist nicht nur die kritische Haltung von Rudolf Bahro, sondern auch der Utopismus mancher von ihm vorgeschlagenen Alternativlösungen. Nur zu charakteristisch ist diese Flucht ins Utopische für einen sonst nüchternen Bauernsohn und Aktivisten einer Partei, die zu den pragmatischeren unter den in Osteuropa regierenden kommunistischen Parteien zählt! Bahro macht daraus übrigens kein Hehl: «Utopie gewinnt jetzt eine neue Notwendigkeit», schreibt er auf Seite 299 seines Buches. 

26


Und doch knüpft sein Buch kaum an die bisherigen Reformbestrebungen in der DDR — weder an deren Gedanken noch an ihre Aktivitäten — an. Schwer zu sagen, warum sich Bahro eine Analyse der bisherigen Versuche erspart, das Wirtschaftssystem zu reformieren — vielleicht betrachtet er diese Versuche als unwesentlich, oder er ist der Meinung, sie hätten, ohne tiefergreifende politische Umwandlungen, keine Chance auf Verwirklichung. Schwer zu sagen, warum Bahro sich nicht mit Leuten wie Behrens oder sogar Robert Havemann beschäftigt — vielleicht weiß er von ihnen nichts oder er glaubt nicht, daß sie für seine eigenen Gedanken von Bedeutung sein könnten. 

Was auch immer die Ursachen sein mögen — allein dieser Umstand ist eine materielle und ideologische Wirklichkeit der DDR, die einen nach notwendigen Änderungen suchenden Menschen zum Utopismus drängt und ihm keinen Halt in der glatten Welt des sterilen Gedankens bietet. Ob Ihr, Kollegen der ökonomischen Wissenschaft, nicht selbst einen Teil der Schuld für die Fehler und Naivitäten von Rudolf Bahro tragt?

Für mich ist <Die Alternative> nicht nur ein wichtiges Symptom, sondern auch ein bedeutender Beitrag zur marxistischen Literatur und zur Analyse der Entwicklungswege des Sozialismus. Bahros analytisches Instrumentarium, seine Thesen und Schlußfolgerungen, sind zwar nur selten unstrittig, aber sie regen fast immer zum Nachdenken an und zeigen unkonventionelle Lösungsmöglichkeiten.

Besonders interessant finde ich die Art, auf die Bahro mit dem Marxschen Konzept der «asiatischen Produktionsweise» umgeht. In der marxistischen Literatur pflegte man diesen Begriff bisher entweder zu übergehen oder ihn als einen Seitenweg zu behandeln, der für die Problematik des Sozialismus keine besondere Bedeutung hat. Bahro versucht dagegen, die ursächliche Bedeutung der asiatischen Produktionsweise für die Analyse besonderer Eigenschaften des «real existierenden Sozialismus» in der Sowjetunion und den Volksdemokratien zu zeigen. Es fällt mir schwer zu sagen, ob dieser Versuch vollständig gelungen ist; aber es handelt sich ohne jeden Zweifel um eine interessante Auffassung, die das aktive Interesse der Historiker verdient. 

In jedem Fall scheint diese Auffassung fruchtbarer zu sein als Versuche, die Prozesse, die in der UdSSR und in den Ländern Osteuropas stattfanden, mit Hilfe einer nichtssagenden These über «Fehler und Entgleisungen» in der Periode des Personenkults zu erklären (im Grunde eine wissenschaftliche Kapitulation). Wenn man berücksichtigt, daß die sowjetischen Formen des Sozialismus den volksdemokratischen Ländern weitgehend aufgenötigt wurden — darunter auch solchen, die durch die wichtigsten historischen Entwicklungsstadien des europäischen Typs hindurchgegangen waren —, dann verspricht Bahros Ansatz tatsächlich Fortschritte: Ein Vergleich der auf Grund asiatischer Produktionsweise erklärbaren Formen mit den reellen Verhältnissen und Bedürfnissen dieser Länder könnte für die marxistische Erklärung von Widersprüchen im Prozeß des sozialistischen Auf baus einiges leisten.

27


Als den wichtigsten Teil des Buches von Bahro betrachte ich den Teil II, in dem die Struktur des «real existierenden Sozialismus» — der gesellschaftlichen Verhältnisse, des wirtschaftlichen Systems, der Antriebskräfte der Entwicklung — einer Analyse unterzogen wird. Bahro spricht von einer geschichteten Gesellschaft, in der die unmittelbaren Produzenten auf die Position einer vollständigen Machtlosigkeit gegenüber denjenigen Kräften abgedrängt wurden, welche die Wirtschaftsprozesse und das gesellschaftliche Leben steuern. Die Produktionsanreize sind hier verhältnismäßig (zum Beispiel im Vergleich zum Kapitalismus) schwach, und die politisch-ideologische Organisation nimmt die Form eines quasi-theoretischen Staates an. Die Sozialisierung (vielleicht sollte man besser sagen «Deprivatisierung») der Produktionsmittel erfolgte hier in der entfremdeten Form allgemeiner Verstaatlichung; der Überbau ist — als Element des Korporationssystems — der Bevölkerung gegenübergesetzt.

Die Gesellschaften Osteuropas betrachtet Bahro als Klassengesellschaften, obschon nicht in Kategorien der alten, dem Kapitalismus eigenen Klassenteilung. Auf den «real existierenden Sozialismus» versucht Bahro eine marxistische Determinante der Klassensituation anzuwenden — die Stellung einzelner gesellschaftlicher Gruppen im Produktionsprozeß. Diese Stellung findet zum Teil ihren Ausdruck im Anteil am erzeugten Einkommen, was für Bahro allerdings — und mit Recht — kein entscheidender Faktor ist. Entscheidend ist die Tatsache einer hierarchischen Teilung in Regierende und Regierte, also jene Wehrlosigkeit der Massen gegenüber dem abgesonderten Staatsapparat (den Parteiapparat, als eine Art Oberschicht, inbegriffen). 

Dieser Gedankengang wird zwar nicht bis zu Ende, bis zu einer genauen Abgrenzung der Klassenteilungen geführt. Die Richtung der Analyse scheint aber treffend und in der Realität des Sozialismus sowjetischen Typs verankert zu sein. Als richtig empfinde ich auch die Verknüpfung dieser Charakteristik der Produktionsverhältnisse mit der dargestellten Einstellung unmittelbarer Produzenten gegenüber dem Staat, seinen Plänen und Aufgaben. Sie ähnelt im Grunde genommen dem Verhältnis von Arbeitern und Angestellten eines kapitalistischen Konzerns zu ihrem Arbeitgeber: Es ist nicht die Einstellung eines Miteigentümers, sondern die eines Menschen, der seine Arbeitskraft verkauft. Und sie richtet sich hauptsächlich danach, wie er die Bezahlung für die von ihm geleistete Arbeit einschätzt. Bahro ist der Meinung — die ich wiederum teile —, daß die ökonomischen Konsequenzen solcher Verhaltensweisen in einem sozialistischen System viel negativer sind, und zwar wegen des Mangels an Mechanismen, die im Kapitalismus eine systematische Steigerung der Arbeitsproduktivität erzwingen.

28


Der Autor übersieht nicht die Erfolge sozialistischer Länder auf dem Gebiet der Produktionssteigerung, er betont aber das fortschreitende Austrocknen der Quellen dieses Wachstums. Die Ursachen sieht er in einem zunehmenden Widerspruch zwischen den praktizierten Methoden zur Anregung der Produktivität und Initiative und der wirklichen Position der Werktätigen im Produktionsprozeß und im gesellschaftlichen Leben. Versuchte, die auf «emanzipatorischen Interessen» basierende Motivation durch stärkere Anreize von unmittelbarem materiellem Interesse (also Einbeziehung «kompensatorischer Interessen») zu ersetzen, können nicht zu den erwarteten Resultaten führen: Wenn man annimmt, daß es sich hier um eine Kritik der Anwendung materieller Anreize als Ersatz für eine sozialistische Einstellung zur Arbeit (statt als ergänzender Faktor) handelt, dann muß man dieser Schlußfolgerung zustimmen. Es läßt sich jedenfalls schwer leugnen, daß diese Frage eine fundamentale Bedeutung hat: Ein Sozialismus, der auf längere Sicht nicht imstande ist, eigene spezifische Antriebskräfte zu entwickeln, wird eine Überlegenheit über den Kapitalismus nie erlangen, sondern droht immer weiter zurückzubleiben.

Richtig sieht Bahro den Zusammenhang zwischen der Befreiung der Arbeit — die eine historische Mission des wahren Sozialismus ist — und dem Kampf gegen die ökologischen Gefahren, die sich für die Menschheit ergeben, wenn wachsende materielle Ansprüche die einzige Antriebskraft ökonomischer Aktivitäten bleiben. Naturgemäß sind solche Ansprüche um so größer, je höher das bereits erreichte Niveau ist; bei begrenzten Reserven muß das zu einer rapiden Verschärfung des Konflikts zwischen den hochentwickelten Ländern und dem — bis an den Rand von Elend und Rückständigkeit gedrängten — Großteil der Menschheit führen. Zwar ist dieser letzte Aspekt im Buch nicht ausdrücklich formuliert worden, aber er ergibt sich aus dem gesamten Gedankengang. Immer wieder führt er den Autor zu einer ungewöhnlich starken Betonung der historischen Bedeutung, die einer sozialistischen Verwirklichung «kompensatorischer Interessen» der Volksmassen zufällt: «Die massenhafte Überwindung der Subalternität ist die einzig mögliche Alternative zu der grenzenlosen Expansion der materiellen Bedürfnisse» (S. 321).

Wie schon erwähnt, enthält Bahros Buch nicht nur eine Analyse und eine Einschätzung der Wirklichkeit im «real existierenden Sozialismus», sondern auch ein umfassendes Änderungsprogramm, das sich sowohl auf die erstrebenswerten Ziele wie auch auf die Methoden ihrer Durchsetzung bezieht. Ich will mich mit ihnen nicht aufhalten, nachdem ich oben schon einiges über diesen Teil des Buches gesagt habe; vor allem aber wegen der Tatsache, daß es sich hier um zahlreiche politologische und sogar psychologische Elemente handelt, die — obzwar interessant — über die Grenzen des Bereichs hinausgehen, in dem ich mich als Spezialist betrachten darf.

Auch so bezeugen schon die in diesem Brief berührten Probleme meiner Ansicht nach ausreichend, ein wie bedeutender und zutiefst engagierter Versuch Rudolf Bahros Buch ist, den Sozialismus auf einen erweiterten Weg zu führen: Einen Weg zur Erfüllung der Erwartungen vieler Generationen.

Daran gemessen scheint jegliche Charakterisierung der Reaktion der Behörden müßig zu sein; der Vorwurf, Bahro sei durch westdeutsche Geheimdienste inspiriert worden, ist nicht einmal einer Polemik würdig. Wichtig ist dagegen die Haltung, die die öffentliche Meinung der DDR, vor allem ihrer Intellektuellen, gegenüber diesem Unrecht und der schädlichen Torheit einnehmen. Ich denke dabei besonders an meine Adressaten, die Ökonomen der DDR. Sie bitte ich mit diesen Zeilen zu berücksichtigen, daß man sich heute des Arguments der Machtlosigkeit gegenüber den Behörden in solchen Fällen schon nicht mehr bedienen kann. 

Die Erfahrungen Polens und anderer sozialistischer Länder — auch der DDR — bezeugen, daß es möglich wäre, der Willkür und Grausamkeit einen Damm entgegenzusetzen. Sie zeigen, daß die Verwirklichung dieser Möglichkeit vor allem vom Mut und vom Idealismus der Menschen abhängt, die bereit sind, heute um der Zukunft ihres Volkes und des Sozialismus willen ein gewisses Risiko einzugehen.

29-30

Wlodzimierz Brus, Aus dem Polnischen von Leon Szulczynski 

 

 

 

www.detopia.de       ^^^^