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Rolf Berger

Rede des Präsidenten der Technischen Universität zur Eröffnung des Bahro-Kongresses

 

7-10

Unter der Anschuldigung nachrichtendienstlicher Tätigkeit ist Rudolf Bahro im Arbeiter- und Bauern-Staat der DDR zu acht Jahren Haft verurteilt worden. Diese Verurteilung geschah unmittelbar nach dem Erscheinen von Bahros Buch <Die Alternative — Zur Kritik des real existierenden Sozialismus> in der EVA. Eine Herausgabe dieses Buches in der DDR war unmöglich. Der Prozeß gegen Bahro fand unter Ausschluß der internationalen Öffentlichkeit statt. Dieser Sachverhalt spricht für sich selbst.

Dieser Sachverhalt war auch für die Träger dieses Kongresses Anlaß genug, einen "Internationalen Kongreß für und über Rudolf Bahro" zu organisieren. Daß dieser Kongreß in der Technischen Universität stattfindet, begrüße ich. Es ist sichtbarer Ausdruck, daß kritische Kongresse in Berlin möglich sind. Wo Kritik am eigenen System nicht mehr gestattet wird, gibt sich das System selbst auf. Eine solche Selbstaufgabe hat in der DDR mit dem Prozeß gegen Bahro begonnen. An der Humboldt-Universität — dies möchte ich hier ohne Selbstgefälligkeit festhalten — wäre dieser Kongreß nicht möglich, wohl aber können hier Solidaritätsveranstaltungen zugunsten eines entlassenen SEW-Lehrers in der Deutschlandhalle stattfinden.

Drei zentrale Podiumsdiskussionen stehen im Mittelpunkt der Veranstaltung: 

Daß dieser Kongreß der DDR und anderen Ostblockstaaten nicht gefällt, weil sie auf dem Prüfstand von Theorie und Praxis stehen, kann ebensowenig gegen diesen Kongreß sprechen wie ein vordergründiges Entspannungsargument. Eine Vorbedingung für dauerhafte Entspannung zwischen Ost und West muß die inhaltliche Auseinandersetzung mit den geistigen und politischen Positionen des anderen sein; Verschweigen als Mittel der Diplomatie ist ebenso untauglich wie das Kalte-Krieger-Verhalten, durch das Prüfsteine zu Wetzsteinen umfunktioniert werden. 

Daß dieser Kongreß auch den Bruchteil-Prozenten der Deutschen Kommunistischen Partei und ihrem schlumpfartigen Ableger, der Sozialistischen Einheitspartei Westberlin, nicht paßt, ist gewiß kein Ziel des Kongresses, wohl aber ein notwendiger Nebeneffekt, die Widersprüche in der Theorie und Politik dieser Leute erneut offenbar werden zu lassen.


Gesinnungsschnüffelei, Überprüfungspraxis und Berufsverbote im real existierenden Sozialismus der DDR sind über Fuchs, Biermann, Havemann zu Bahro zu geistiger Existenzbedrohung perfektioniert worden. Dies war bekannt; nur lassen wir uns angesichts des Intershop- und Mauerstaates nach Bahro von dieser Seite deutsch-deutscher Unglaubwürdigkeit nicht mehr von der Seite anquatschen

Jedoch entläßt gerade Bahro mit seinem Mut zur Selbstkritik keinen aus der Verantwortung, ebenfalls das eigene Handeln selbstkritisch zu überdenken und damit die politische Glaubwürdigkeit wiederzugewinnen. Dies ist sicherlich ein Ziel des Bahro-Kongresses. Es geht nicht an, daß im Stile der CDU auch Sozialdemokraten oder Sozialisten pharisäerhaft auf den Fall weisen und damit von der eigenen Position, z.B. zur Treueüberprüfung für Anwärter des öffentlichen Dienstes oder von der eigenen Positionslosigkeit bzw. Orientierungslosigkeit für die Zukunft der Gesellschaft ablenken.

Genauso unglaubwürdig ist es, wenn bestimmte Zeitungen auf den Mut der Dissidenten in den Ostblockländern hinweisen, im eigenen Land aber unermüdlich Personen, die sich zu kommunistischen Parteien bekennen, zu Dissidenten der Gesellschaft abstempeln. Nur wer für das Recht des Andersdenkenden eintritt, hat das Recht, die andere Meinung abzulehnen oder gar zu bekämpfen. Jede Verbotspolitik trägt das Schwächezeichen der eigenen Inhaltslosigkeit auf der Stirn.  

Insoweit ist Bahro — unabhängig davon, ob man seine philosophischen oder politischen Positionen teilt — eine Herausforderung: er wirft eine gesamtdeutsche Frage nicht im Sinne der deutschen Frage, sondern der in beiden deutschen Staaten gleichermaßen bestehenden Frage nach der Glaubwürdigkeit und Alternative auf. 

Als Mitträger dieses Kongresses füge ich hinzu: Alternativlosigkeit als politische Zukunft kann durch Einheitsparteien ebenso wie durch eine zwanghafte Konsens­politik zwischen allen Parteien entstehen. Unglaubwürdigkeit als politisches Handlungsergebnis kann durch Verbotspolitik gegenüber allem, was sich nicht mehr innerhalb des in Sonthofen definierten Konsenses aller Demokraten befindet, erreicht werden; sie entsteht aber genauso auch durch die grau getönte politische Einheitsmeinung, die alternative gesellschaftliche Konzeptionen rigide ablehnt und sich damit vom Geist von Sonthofen im Ergebnis nicht mehr unterscheidet.

Genauso wichtig wie die gesamtdeutsche Frage ist die gesamteuropäische. Die europäischen Bündnisse in Ost und West verfestigen sich zunehmend, ein Faktum, das mit umgekehrten Vorzeichen gerade von den konservativsten Kreisen in Ost und West am meisten begrüßt und betrieben wird. Daß hierdurch politische Alternativen zunehmend unmöglich gemacht und ideologische Konfrontationen zementiert werden, paßt offenbar westeuropäischen Konservativen ebenso wie den osteuropäischen Konservativen kommunistischer Provenienz. 

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Hier eine theoretische und praktische Alternative zu definieren, um wieder Bewegungsraum für Umbruchsituationen zu schaffen, ist eine weitere Aufgabe, die durch Bahro konkret gestellt ist.

Um Mißverständnisse zu vermeiden: Es geht bei diesen Umbruchsituationen nicht um die Förderung subversiver Konspiration. Wer Veränderungen in politischen Systemen grundsätzlich als Schwächezeichen und Bestätigung der eigenen Systemstärke deutet, wird keinen Umbruch, sondern nur Stagnation erreichen. Bahros Alternative ist und bleibt Kommunismus wie der Prager Frühling kommunistisch war. Beides sind politische Reaktionen auf Systemerstarrungen, die zur inneren Stabilität und zur äußeren Kommunikationsöffnung beigetragen hätten, wären sie verwirklicht worden. Zu dieser gesamteuropäischen Frage sind gerade auch die Eurokommunisten aufgerufen, ihre Antwort zu geben.

Der wichtigste Punkt des Bahro-Kongresses scheint mir zu sein, daß eine wissenschaftlich-politische Auseinandersetzung aus den verschiedenen in Europa vertretenen kommunistischen, sozialistischen, sozialdemokratischen und sonstigen linken Ansätzen beginnt, die die empirischen Tatsachen der Politik in ost- und westeuropäischen Staaten aufarbeitet. Gerade Eurokommunisten in Italien könnten aus ihrer praktischen Zusammenarbeit mit italienischen Christdemokraten und Sozialisten aus der Praxis begründete Denkanstöße geben; aber auch die französischen Eurokommunisten müßten aus ihrer Bündnispolitik theoretische Überlegungen und Konsequenzen zur Diskussion stellen können, an denen wiederum osteuropäische Politfakten von der UdSSR bis zu Jugoslawien und Rumänien wissenschaftlich erörtert und politisch gemessen werden müßten.

Gerade sozialistische Positionen, die in Westeuropa von Konservativen immer wieder durch den Vergleich mit der Realität in Osteuropa diffamiert werden, müssen an empirischen Tatsachen gemessen und aus ihrem politischen Sektierertum herausgeholt werden. Hierfür kann das Meinungsspektrum der Sozialisten nicht breit genug angesetzt und das empirische Feld in osteuropäischen Staaten nicht genau genug betrachtet werden. Zu befürchten ist nur eins: Gerade diejenigen, die den Begriff Meinungsfreiheit immer im Munde führen, werden, wenn es um ihnen nicht genehme Meinungen geht, vor personenbezogenen Diffamierungen nicht zurückschrecken.

Es werden die gleichen sein, die Treueüberprüfungen zum Exorzismus hochstilisieren und gleichzeitig für die Verjährung von Nazi-Verbrechen eintreten. Sie befinden sich dann in der abstrusen Gesellschaft einäugiger Vertreter des realen Sozialismus, die Gesinnungsüberprüfung gegenüber ihren eigenen "Abweichlern", als ob sie Altnazis vor sich hätten, praktizieren.

Der Bahro-Kongreß in Berlin wird im weitesten Sinne des Wortes ein Kongreß der Meinungsfreiheit sein. Das Buch von Bahro ist der Anlaß; der Name Bahro steht nur als Symbol. Gewiß soll der Kongreß auch dazu beitragen, der DDR klarzumachen, daß die Öffentlichkeit, vor allem diejenigen, die nach ihrem Selbstverständnis eine Position mit Moral und fundamental-demokratischem Anspruch vertreten, nicht gewillt sind, Meinungsunterdrückung — ganz gleich, ob in der Bundesrepublik oder der DDR — hinzunehmen. Diese Haltung gilt nicht nur dem Kommunisten Bahro, sondern ist Ausdruck der Solidarität mit jedem wegen seiner geäußerten Meinung zu Unrecht behandelten Menschen. 

Ausbürgerung, Hausarrest und Inhaftierung haben einen Prozeß in Gang gesetzt, dessen Ende nicht abgewartet werden darf. Der Bahro-Kongreß ist der Versuch, diesem "Prozeß", festgemacht am Namen Bahro, geistig offensiv entgegenzutreten.

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