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 Fünf Zielrichtungen der Alternative     

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"Es gilt, die objektiven Bedingungen dafür zu schaffen, daß es die 
Menschen vorziehen können, <zu wissen und zu sein, 
statt zu besitzen>."  Seite 333

Erstens — Umverteilung der Arbeit

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Verschiebt sich überhaupt in den reichen Ländern der Schwerpunkt des Klassenkampfes von der (natürlich nach wie vor nicht genügend gewissen) Aneignung der materiellen Subsistenzmittel auf die Aneignung der Kultur, so ist diese Verschiebung in den nichtkapitalistischen Industrieländern erst recht aktuell. 

Die Aneignung der Kultur ist in erster Linie eine Frage der gesellschaftlichen Arbeitsorganisation, der in ihr vorprogrammierten Möglichkeiten menschlicher Selbstentfaltung. Sozialer Charakter und funktioneller Inhalt der Arbeit bestimmen bekanntlich die Ausrichtung des Bildungswesens, ja der Sozialisation überhaupt, so sehr diese Sphäre ihrerseits auf die Arbeit zurückwirkt. 

Karl Marx hat in den Grundrissen (505) die Bedingungen formuliert, die mit der Aufhebung der alten Arbeitsteilung herbeizuführen sind. Er fährt, nachdem er von »wirklich freiem Arbeiten, z.B. Komponieren« gesprochen hat, das sich offensichtlich außerhalb der Produktionssphäre bewegt, fort: »Die Arbeit der materiellen Produktion kann diesen Charakter nur erhalten, dadurch, daß 1) ihr gesellschaftlicher Charakter gesetzt ist, 2) daß sie wissen­schaft­lichen Charakters, zugleich allgemeine Arbeit ist, nicht Anstrengung des Menschen als bestimmt dressierter Naturkraft, sondern ... als alle Naturkräfte regelnde Tätigkeit...« 

Die erste Bedingung betrifft die Entbürokratisierung respektive reale Vergesellschaftung der Leitungstätigkeit, die Beteiligung aller Individuen an der Verfügung über den Reproduktionsprozeß. Die zweite Bedingung betrifft die Erhebung des Gesamtarbeiters auf die Höhe der jeweils zeitgenössischen Prinzipien von Wissenschaft und Technik, die im Produktionsprozeß umgesetzt sind.

Unter beiden Aspekten zeichnet sich am Horizont der Gegenwart die reale Möglichkeit ab, daß sich alle Menschen solidarisch in die Arbeit auf allen Funktionsniveaus der gesellschaftlichen Gesamtarbeit teilen und insbesondere einen wirklichen Einfluß auf die Entscheidungen in der höchsten Bewußtseinsebene erlangen. 

Das große strategische Problem dieser Kulturrevolution besteht natürlich nicht in irgendeiner »Degradierung« der Privilegierten, sondern im Aufstieg der bisher in den subalternen Sphären zurückgehaltenen Schichten. 

Traditionell gesprochen, besteht es darin, die soziale Evolution des menschlichen Wesens zu einem Ensemble durchgängig philosophisch-selbstbewußter Individuen in Angriff zu nehmen. Allerdings müssen wir dabei in Rechnung stellen, daß die vollständige Liquidierung einfacher physischer und schematischer Arbeit — ohnehin ein äußerst fragwürdiges und nach meiner Überzeugung schon vom biologischen Standpunkt gar nicht wünschenswertes Ziel — in einer unabsehbaren Zukunft liegt. Vom humanistischen Standpunkt muß nur die körperlich zu schwere und die monotone (unqualifizierte, einseitige) Arbeit verschwinden; alle andere kann sich bald als ein zweckmäßiger Ausgleich erweisen. 

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Ob wir nun die »Primitivität« des Engelsschen Beispiels beklagen oder nicht, wird dennoch gerade eine Gesellschaft, die sich als freie Assoziation über ihren reproduktiven Verrichtungen konstituieren will, verlangen müssen, daß die Architekten auch bereit sind, ihren Anteil am »Karreschieben« zu leisten, solange es technisch-ökonomisch notwendig bleibt, »Karren zu schieben«. 

Noch gibt z.B. die DDR-Statistik für den Anfang der siebziger Jahre erst einen Automatisierungsgrad von etwa 7% an, der qualitativ für die Produktions­verhältnisse überhaupt noch nicht ins Gewicht fällt und überdies nur mehr oder weniger isolierte Arbeitsverrichtungen bzw. Fertigungsprozesse summiert. Automatisierung der Fertigung und Computerisierung der ökonomischen Informationsverarbeitung können in ihrer Anlaufphase zu einer Verschärfung der alten Widersprüche, d.h. objektiv zu einer größeren Konzentration der Verfügungsgewalt, für das Subjekt zu einer Übersteigerung derjenigen Erscheinungen, die als Entfremdung gekennzeichnet werden, führen. 

Aber das ist eine Frage der sozialen Strategie. 

Der Zusammenhang zwischen dem Übergang vom mechanischen zum kybernetischen Maschinenzeitalter und der allgemeinen Emanzipation ist überhaupt nicht so direkt, auch für die Zukunft nicht, wie alle diejenigen annehmen, die ihre enttäuschten sozialistischen Hoffnungen nun in die Anbetung der wissenschaftlich-technischen Revolution flüchten ließen. Daß es nötig wäre, auf den vollendeten Rückzug des Menschen aus allen repetitiven Funktionen im materiellen und informationellen Reproduktionsprozeß zu warten, ist die geeignetste Auskunft, mit der die Technokraten dem politbürokratischen Konservatismus beispringen können. 

Die gegenwärtige Praxis findet ihren konzentrierten ideologischen Ausdruck in soziokybernetischen Konzeptionen, die die Gesellschaft nach dem Muster informationsverarbeitender Systeme, etwa des idealisierten menschlichen Gehirns, mit ihrer Hierarchie der Funktionen, Einsichten und Kompetenzen modeln möchten (so bei Georg Klaus). 

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Vielleicht gelingt es doch noch, eine natürliche Kastenorganisation gegen die Universalität und Wandlungsfähigkeit des menschlichen Gattungscharakters durchzusetzen, scheint man zu hoffen. In Wirklichkeit steht die Peripetie der subjektiven Produktivkräfte am Horizont. Und es sind nur die gescheiterten Illusionen über einen vorzugsweise politischen Charakter dieses »Sprungs« aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit, die in solchen Perspektiven ihren resignierten Niederschlag hinterlassen. Die Aufhebung und der Umsturz der alten Arbeitsteilung — natürlich nicht als Vergewaltigung lebender Generationen, die ihre jeweilige Beschränktheit verinnerlicht haben, sondern als planmäßiger, in sozialer Zeit vollzogener Prozeß — werden zum Schlüsselthema eines revolutionären Maximalprogramms, das in eine konkrete politische und sozialökonomische Strategie, in ein Nacheinander politischer Kämpfe und sozialökonomischer, nicht zuletzt bildungspolitischer Forderungen und Maßnahmen umgesetzt werden muß. 

Nun ist die Umverteilung der Arbeit, in der ich den ersten entscheidenden Schritt in diese Richtung sehe, keineswegs völlig identisch mit der Aufhebung der alten Arbeitsteilung schlechthin. Auf den ersten Blick mag es sogar scheinen, als versuchte man mit einer solchen Forderung, künstlich und romantisch einem Prozeß vorzugreifen, den die wissenschaftlich-technische Revolution nahezu automatisch vorantreibt. 

Dieselben Leute, die die Aufhebung der alten Arbeitsteilung für eine Marxsche Illusion halten, bringen es fertig, einem plötzlich zu zitieren, »daß in allen bisherigen Revolutionen die Art der Tätigkeit stets unangetastet blieb und es sich nur um eine neue Verteilung der Arbeit an andere Personen handelte, während die kommunistische Revolution sich gegen die bisherige Art der Tätigkeit richtet, die Arbeit beseitigt...« (MEW 3/69 f.). 

Da muß man erwidern: Marx und Engels vertrösteten mit ihrer sozialen Perspektive nicht auf den Sankt-Nimmerleinstag, an dem alle oder nahezu alle »alte« Arbeit überwunden sein wird. 

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Sie wollten mit einem Vorgehen, das ich heute mit einer ausgesprochen politischen Spitze als Kulturrevolution bezeichne, aktiv in die Aufhebung der alten Arbeit eingreifen, weil sie — damals vielleicht etwas zu optimistisch — glaubten, daß die Gesamtproduktivität bereits ausreiche, um bei Teilung aller in die notwendige Arbeit auch genügend »disposable time« für die Entwicklung der allgemeinen Fähigkeiten aller Menschen freizusetzen. Daher war ihre Orientierung auf Wechsel der Arbeit weit mehr als ein Notbehelf gegen die Monotonie, wie man es heute nicht selten ansieht. 

Gewiß verdienen die Bemühungen um eine Bereicherung und Vermannigfaltigung des Arbeitsinhalts auf einem jeweils bestimmten Funktionsniveau, also etwa in der Montageabteilung einer Fabrik, die elektromechanische Geräte herstellt, Unterstützung und Aufmerksamkeit. Das Ergebnis kann aber hier nur größere Arbeits­befriedigung auf dem gegebenen beschränkten Tätigkeitsfeld sein und verbessert nur so weit die Bedingungen für die Überwindung der Subalternität, als die allgemeine Abstumpfung der psychischen Kräfte dadurch vermieden wird.

Doch ein beliebiger moderner Industriebetrieb von auch nur mittlerer Größe bietet seiner Belegschaft heute Arbeitsaufgaben auf allen Funktionsniveaus von der Vermittlung der besonderen Interessen, die ihn als ökonomische Einheit kennzeichnen, mit den Zielen und Werten der ganzen Gesellschaft bis hin zur Reinigung der Arbeitsräume. Unter der Voraussetzung, daß sein Personal — wie im nächsten Punkt betrachtet — aus Menschen prinzipiell gleicher hoher Bildungsstufe bestehen wird, verfällt einfach die Möglichkeit, irgend jemanden dauernd an anspruchsarme und unangenehme Tätigkeiten zu binden. 

Wenn wir heute hören, es könne »keinem Absolventen für längere Zeit zugemutet werden, wesentlich unter seinem Qualifikationsniveau liegende Tätigkeiten auszuüben«, denken wir im allgemeinen nicht an die Konsequenzen, die damit eingeschlossen sind: daß es also Menschen geben soll, denen die Hochschul­kader mit dem Monopol auf entwicklungsfördernde Tätigkeit lebenslänglich eben jene geisttötende Routine zumuten, die sie selbst mit Entrüstung von sich weisen. 

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Eine solche Forderung läßt sich im realen Sozialkontakt der privilegierten mit den benachteiligten Schichten des Gesamtarbeiters gar nicht durchhalten. Letzten Endes läuft sie auf den Vorschlag hinaus, mehr Personal auf die niedrigeren Funktionsniveaus festzulegen, also auch einen noch schärferen Numerus clausus für den Hochschulzugang zu praktizieren. In der Perspektive kehrt sich aber die Logik der Forderung nach Arbeitseinsatz auf der Höhe der erreichten Qualifikation gerade dahin um, daß sie nur erfüllt werden kann, wenn sich niemand den Tätigkeiten niedrigeren Anforderungscharakters entzieht, denn andernfalls würde es bald Hochschulkader geben, für die überhaupt keine geeignete Tätigkeit vorhanden ist.

Für den Gesamteffekt hinsichtlich der qualitativen Veränderung und Intensivierung der Produktionstechnik, -technologie und -organisation kann es nur von größtem Vorteil sein, wenn die Zersplitterung und soziale Spaltung des Gesamtarbeiters ein Ende findet, die so hohe ökonomische Verluste (z.B. durch systematische Leistungszurückhaltung der bloß ausführenden Arbeiter) und überflüssige Aufwände (z.B. für die an die Tatsache des Interessengegensatzes anknüpfende Arbeitsnormung) verursacht. 

Stellen wir uns dagegen einen einheitlichen Produzententyp vor, der sich im Rahmen eines bestimmten spezialisierten Zweiges abwechselnd in einem zweckmäßig festgelegten zeitlichen Rhythmus Tätigkeiten auf allen gegebenen Funktionsniveaus der betrieblichen Gesamtarbeit zuwendet. Menschen, die sich mit der Neu- oder Weiterentwicklung von Maschinen, Technologien oder Erzeugnissen befassen, werden sich viel rascher und genauer auf die Erfordernisse der Massenfertigung einstellen, wenn sie auch in der operativen technologischen Betreuung tätig sind. 

Die relativ kurze Zeit, sagen wir jenes Drittel ihrer Gesamtarbeit, das sie bei der Bedienung von Produktionsmaschinen verausgaben, wird von Nutzen für die schöpferische Verbesserung des Arbeitsprozesses sein. 

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Die Arbeitsbedingungen könnten sich rasch und nachhaltig verbessern, wenn die Konstrukteure der Maschinen auch längerfristig an ihnen tätig wären. Der ganze Leitungs- und Verwaltungsapparat könnte einerseits von vielen Kontrollfunktionen und andererseits von der mit seiner Stufenzahl zunehmenden Unkenntnis der Details befreit werden, wenn sein Personal wieder Anteil an den verschiedensten sach- bzw. problembezogenen Aktivitäten erhielte (die Kontinuität der Leitung wäre durch systematische Mehrfachbesetzung der Stellen zu gewährleisten). Man kann sich — um ein Beispiel aus einem anderen, noch stärker mit den Vorurteilen der alten Arbeitsteilung belasteten Bereich hinzuzufügen — ebensogut den Alltag eines Krankenhauses vorstellen, dessen gesamtes Personal aus Menschen mit voller medizinischer oder anderer zugehöriger Qualifikation besteht, die sich auch in alle pflegerischen und Hilfsarbeiten auf der einen, in alle sozialen und ökonomischen Funktionen auf der anderen Seite teilen.

Es versteht sich, daß es bei diesen Andeutungen um die Kennzeichnung eines Prinzips, nicht um die Dekretierung eines Schemas geht. Der Kurs auf die Umverteilung der Arbeit soll verhindern, daß sich die bestehende Struktur der Arbeitsplätze und Stellenpläne ungebrochen in eine entfremdet-»adäquate« Struktur der menschlichen Arbeitskraft umsetzt. Eine Neuorganisation der Arbeitsteilung, die dem Ausschluß der Vielen von der Aneignung der sozialen und kulturellen Totalität ein Ende macht, ist, wie gesagt, das Kettenglied, von dem die Möglichkeit des Übergangs von einem quantitativ zu einem qualitativ orientierten Wachstumstyp abhängt. 

Dieser Zusammenhang ist so wichtig, daß er hier noch einmal wiederholt werden soll: 

Mag auch die materielle Not behoben sein — solange sich die Massen noch durch die Aneignung dinglichen Komforts für ihre subalterne Situation entschädigen müssen, solange sie dazu gezwungen sind, ihr Selbstbewußtsein an Äußerliches zu hängen und die gewonnene Freizeit totzuschlagen, weil sie nicht als Gleiche an der sozialen Kommunikation teilnehmen können, werden wir nur immer mehr und mehr erzeugen müssen. 

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Nicht bloß, solange das Einkommen, sondern solange die Arbeit selbst ungerecht verteilt ist, kann von sozialer Gerechtigkeit letztlich keine Rede sein, da den Individuen durch die Subsumierung unter das Gesetz der Proportionalität planmäßig sehr verschiedene Chancen der Selbstrealisierung zugeteilt werden. Dies um so weniger, wenn den dabei Benachteiligten außerdem über das »Leistungsprinzip« auch noch die Möglichkeiten der materiellen Kompensation beschnitten werden. 

Viele Intellektuelle betrachten es insgeheim als moralisches Verdienst, wenn sie es — nach einer Formel Teilhard de Chardins — vorziehen, »zu wissen und zu sein, statt zu besitzen«, während es der Gipfel ihrer Privilegiertheit ist, so leben zu können (der quietistische Akzent des Ausdrucks, der mehr auf Befriedung der Existenz als auf unendliches Herausarbeiten der menschlichen Wesenskräfte zielt, mag in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben). Der amerikanische Romantiker Henry Thoreau prägte die Sätze: 

»Fast jeder Luxus und viele, sogenannte Annehmlichkeiten des Lebens sind nicht nur entbehrlich, sondern hindern tatsächlich den Aufstieg der Menschheit.« »Niemand kann unparteiisch und weise das menschliche Leben betrachten, der nicht die günstige Voraussetzung hat, die wir freiwillige Armut nennen müssen.« »Ein Mensch ist um so reicher, je mehr Dinge zu entbehren er sich leisten kann.« 

Darin liegt viel Wahrheit, wenn auch keine absolute. Aber Thoreau wäre schwerlich zu dieser Einstellung gelangt, wenn ihn sein Vater, statt ihm Harvard zu bezahlen, unter seine Bleistiftarbeiter eingereiht hätte. 

Es gilt, die objektiven Bedingungen dafür zu schaffen, daß es die Menschen vorziehen können, »zu wissen und zu sein, statt zu besitzen«.

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Zweitens — einheitlicher Bildungsweg für voll sozialisierte Menschen  

 

Der Weg der Umverteilung der Arbeit hängt — pessimistisch, d.h. mit im wesentlichen weiterhin ökonomisch unproduktiver Ausbildungsphase gerechnet — davon ab, ob es »sich die Gesellschaft leisten kann«, auf weitere fünf bis sechs Arbeitsjahre aller ihrer Mitglieder zu verzichten. 

In Wirklichkeit wäre dieser Verzicht, zumal man ihn sukzessiv realisieren könnte, nur temporär und relativ, da sich eine Anhebung des allgemeinen Kulturniveaus auf die Arbeitsdisziplin und -produktivität auswirken müßte, und zwar auch bei Ausführung einfacher Arbeiten; die unter den gegenwärtigen Verhältnissen zu beobachtende Tendenz zur Demotivierung hochqualifizierter Menschen, die man mit anforderungsarmer Arbeit beschäftigt, läßt da keine gegenteiligen Schlüsse zu. 

Die klare Tatsache, daß mittlerweile praktisch alle Führungsfunktionen der Gesellschaft mit akademisch gebildeten Menschen besetzt sind, genügt als Beweis dafür, daß eine verhältnismäßig umfassende wissenschaftliche Allgemeinbildung höchster Stufe erforderlich ist, um effektiv und kompetent an der Synthesis teilzunehmen. Marx hat auf den Aufstieg des Denkens vom Konkreten zum Abstrakten und von dort zurück zum Gedankenkonkretum, Lenin auf den aktiven Fortgang der Erkenntnis von der Erscheinung zum Wesen, vom Wesen erster zum Wesen zweiter Ordnung usw. hingewiesen. 

Die Dialektik der Objektivierung und Vermittlung, deren man methodisch bedarf, um eine hochkomplexe soziale und wissenschaftlichtechnische Entwicklung subjektiv zu durchschauen und zu beherrschen, wird durch ein Maß an Erfahrung im theoretischen und praktischen Umgang mit den Kategorien erworben, wie es das Bildungswesen zumindest bei der heutigen Anlage und Einordnung des Sozialisationsprozesses ins gesellschaftliche Ganze keinesfalls bis zum 16. Lebensjahr bieten kann. 

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Ob die Gesellschaft die Mittel hat oder nicht, darf man unsere Ökonomen natürlich nicht in ihrer Eigenschaft als Berater der Staatlichen Plankommission und ideologische Vertreter des Status quo in der Bedürfnisstruktur fragen. Die Antworten werden, gelinde gesagt, nicht ganz unabhängig davon sein, ob sie meinen, man müsse weiterhin die Warenproduktion vervielfachen, oder ob sie riskieren, an eine alternative ökonomische Strategie zu denken. Ich werde im letzten Kapitel auf das Problem einer ökonomischen Alternative eingehen. Vorläufig soll es genügen, einen durch seine Evidenz bestechenden Gedankengang des sowjetischen Physikers Kapiza (Wissenschaftliche Welt 15, 1971/1) anzuführen, der — ohne diese spezielle Absicht zu verfolgen — die ökonomische Möglichkeit einer in die Verteilung der Arbeit selbst eingreifenden Kulturrevolution darlegt.

Kapiza geht aus von der Vervielfachung der Arbeitsproduktivität in den entwickelten Industrieländern gegenüber dem vorigen Jahrhundert. »Wenn man die Zahl der in einem Großbetrieb hergestellten Autos auf die Zahl seiner Beschäftigten umrechnet, so ergibt sich, daß jeder von ihnen mehr als ein Auto monatlich produziert«, schreibt er und fährt fort: 

»Wirtschaftswissenschaftler sind der Ansicht, daß beim heutigen Stand der Arbeitsproduktivität ein Drittel oder gar ein Viertel der Arbeitskräfte eines Landes benötigt wird, um die Bevölkerung ausreichend mit allem Lebensnotwendigen — mit Nahrungsmitteln, Kleidung, Wohnung, Verkehrsmitteln usw. — zu versorgen. Wenn gegenwärtig mehr Menschen in der Industrie arbeiten, so hängt dies hauptsächlich zusammen mit der Verteidigungsindustrie, mit der wirtschaftlichen Hilfe für weniger entwickelte Länder (wäre es wenigstens in nennenswertem Umfang so!), mit der wissenschaftlichen Forschung, mit Dienstleistungen für die Bevölkerung, mit Tourismus, Radio, Fernsehen, Film, Sport, Presse usw. Auf diesen Gebieten ist die Zahl der Beschäftigten heute durch nichts begrenzt; ihre Höhe hängt offensichtlich von der Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte ab.« 

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Hier muß man hinzufügen, daß sich nicht nur in der Kriegsindustrie, sondern auch in fast allen anderen genannten Bereichen mächtige repressive Bedürfnis­strukturen eingenistet haben, die die Chancen der Freiheit jedes einzelnen Menschen vermindern. In allen diesen der elementaren Notwendigkeit enthobenen Aktivitäten ist sekundär Notwendiges und Fruchtbares strukturell unlösbar (unlösbar ohne revolutionäre Entbindung und Neuintegration) mit Momenten verfilzt, die zu dem Mechanismus der Selbstzerstörung unserer Kultur gehören.

Kapiza meint, die mit der hohen Arbeitsproduktivität »zusammenhängende unvollkommene Auslastung der arbeitenden Bevölkerung« — d.h. eben die Grundlage des überschüssigen Bewußtseins — »gibt uns heute die Möglichkeit, die Ausbildung der Jugend erheblich zu verlängern ... Heute gibt es keine ökonomischen Gründe (!), die es einem wirtschaftlich gut entwickelten Lande verbieten könnten, seiner ganzen Jugend nicht nur eine abgeschlossene Oberschulbildung bis zum 16. oder 18. Lebensjahr angedeihen zu lassen, sondern auch eine Hochschulbildung bis zum 20. bzw. 23. Lebensjahr«. Es werde »der Staat wahrscheinlich der gesamten Bevölkerung die Gelegenheit bieten müssen, Hochschulbildung zu erlangen, ganz gleich, ob diese zur Ausübung des Berufs benötigt wird oder nicht«. So ist es. 

Unter diesen Umständen könnte es sich freilich unmöglich um eine Hochschulbildung handeln, die beschränkte, dennoch um ihr kulturelles Anrecht betrogene Spezialisten bäckt, wie es gegenwärtig programmierter Standard ist, sondern nur um den schöpferischen Erwerb einer umfassenden philosophischen (soziologischen, psychologischen, ökonomischen), künstlerischen und wissenschaftlich-technischen Bildung, die den Zugang zu jederlei Tätigkeit öffnet...

Wenn Kapiza annähernd recht hat, steht die quantitativ-ökonomische Realisierbarkeit der Kulturrevolution außer jedem Zweifel, zumal klar ist, daß der zusätzliche Bildungsaufwand langfristig zurückfließen, der zusätzliche Arbeitszeitausfall aufgeholt wird. Wir können uns also die Aufgabe stellen, das Bildungswesen zu revolutionieren. 

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Dieser Ausdruck ist notwendig, weil sich unter dem Namen Bildungsreform das staatsmonopolistische Bestreben durchsetzt, die Ausbildung von festgelegten Spezialisten aller Funktionsniveaus und Fachrichtungen für die bestehende Matrix der alten Arbeitsteilung zu rationalisieren. Die neue Bildungskonzeption wird nicht von den als »Anforderungen der Gesellschaft« deklarierten, »prognostisch« in die Zukunft extrapolierten Grundstrukturen der bestehenden Arbeitsteilung ausgehen, obwohl sie sie natürlich als das berücksichtigen muß, was es schrittweise umzuarbeiten gilt. Wir müssen über das Bildungswesen verwirklichen, was Marx gemeint hat, als er die Aufhebung der Philosophie und desgleichen natürlich der Kunst im Proletariat sowie als pädagogische Basis für die Humanisierung der verbleibenden notwendigen Arbeit die polytechnische Bildung verlangte.

Gegenwärtig wird mit der Planung entschieden, wie viele Menschen Stufe um Stufe von den höheren Funktionsniveaus der Arbeit ausgeschlossen werden sollen. Die bestehende Arbeitsteilung wird bei uns rigider als im Kapitalismus in das Bildungswesen hineinprogrammiert. Die Lehrpläne für die Kenntnis­vermittlung nach klar unterschiedenen Funktionsniveaus sind Ableitungen von der bestehenden Sozialstruktur der Arbeitsplätze. In der postgradualen Qualifizierung und in der Weiterbildung diktieren fast ausschließlich die engen Zweig-, Betriebs-, ja Abteilungsinteressen. Wer einmal Chemiefach­arbeiter ist, kann in der Regel nur noch Chemieingenieur und nichts anderes mehr werden. Aber in den industriell entwickeltsten Ländern wird ein »Überangebot« an akademischer Bildung auf die Dauer unausweichlich, wenn man dem Drang der Jugend nach den Hochschulen auch nur annähernd nachgibt und andererseits den »volkswirtschaftlichen Bedarf« an Kadern aufgrund der jetzigen funktionellen Struktur abmißt. 

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Symptome wie die Collegebildung bereits für mehr als die Hälfte der US-amerikanischen Jugend, die erfolgreiche <Offene Universität> in England, die Diskussion über die Aufhebung des Numerus clausus in Westdeutschland deuten unmißverständlich darauf hin, daß das Bildungsstreben der Jugend die Schranken der installierten funktionellen Arbeitsteilung und überhaupt der sogenannten volkswirtschaftlichen Erfordernisse überspringt. 

Man kann natürlich dieser Entwicklungstendenz auch mit reaktionären Restriktionen zu begegnen suchen, und genau dies ist die Quintessenz der Bildungspolitik, die solche Parteien wie die SED verfolgen. Deren Politbüro hat einen Plan für die Zulassungsquoten der einzelnen Fachrichtungen bis 1990 verabschiedet. Besser als durch die allgemeine Tendenz ihrer Bildungspolitik kann eine politische Partei heute kaum ihre Einstellung zu den inneren Entwicklungsproblemen ihrer Gesellschaft anzeigen. 

Die allgemeinbildende polytechnische Oberschule bis zur 10. Klasse bereitet bestenfalls auf Tätigkeiten bis zum dritten der in Kapitel 6 umrissenen fünf Funktionsniveaus vor. Ihr Unterricht ist antiästhetisch, ist so flach rationalistisch und scientistisch angelegt, daß aus den Fächern Deutsch, Geschichte, Staatsbürgerkunde usw. kaum eine Ahnung von der Bestimmung des Menschen hervorgehen kann

Selbstverständlich gibt es wie zu allen Zeiten Lehrer, die diese Enge mit ihrer Persönlichkeit sprengen. Aber sie müssen gegen den Strich kämmen. Wissen über die menschlichen Dinge, das ohne ästhetische Emotion gelehrt und aufgenommen wird, kann im Grunde genommen gar nicht wahr sein, nämlich nicht für die jeweils gemeinten Individuen. Ästhetik als pädagogische Methode bedeutet nichts als den Versuch, alles Wissen, das der Mensch brauchen wird, so darzubieten, daß es an sein Ich appelliert, eine subjektive Bedeutung für ihn erlangt. Es gibt manches in unserer Tradition, an das wir bei einer neuen Synthese intentional anknüpfen könnten. Nehmen wir nur die sowjetischen Erfahrungen der zwanziger Jahre, das wiederbelebbare Erbe Makarenkos, die Praxis des sowjet-ukrainischen Schul-Romantikers Suchomlinski. 

Freilich sind sie alle mehr oder weniger präindustriell angesiedelt. Doch in der jetzigen wissenschaftlich-technischen Revolution werden wir, sobald wir aufhören, ihren Sinn mit dem der ersten industriellen Revolution gleichzusetzen, wieder etwas mit solchen Anregungen anfangen können.

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In der ganzen frühen und mittleren Kindheit, bis an die Schwelle der Pubertät heran, ist das rationale Abstraktionsvermögen noch nicht so entwickelt, daß der abstrakte Begriff das führende Mittel zur Einordnung der eigenen Erfahrung sein und die Verbindung zum. Allgemeinen herstellen könnte. Wo unser rationalistisches Erziehungskonzept bis dahin schon für die Verkümmerung der emotionalen Motivation und der Phantasie gesorgt hat, wo also die unmittelbare ästhetische Reflexion bereits versagt, ehe die rationale, überhaupt beginnt, ist schon die Kluft aufgerissen, die einen Teil der Kinder vom schöpferischen Leben abtrennt, denn Schöpfertum existiert nicht ohne Kontakt zur Ebene der Synthese. Die gesamte Ausbildung muß so angelegt sein, daß die Jugendentwicklung aller Menschen auf den Gipfel der Kunst und Philosophie, des emotionalen und rationalen Brückenschlags vom subjektiven Mikrokosmos zur Totalität hinaufführt. Wenn das eine Utopie ist, dann ist es eine Utopie auch von Marx. 

Die Lösung dieses Problems ist theoretisch äußerst einfach: die Jugend muß eine künstlerische und eine politisch-philosophische Praxis haben. Anders gesagt: Sie muß sich die Gestaltungsmittel und Begriffe, die es erlauben, die kleine und die große Welt zu differenzieren und zu synthetisieren, unmittelbar als Werkzeuge für etwas aneignen können. Eine Jugend, die politisch und ideologisch katechisiert wird und die man repressiv davon abhält, die sozialen Verhältnisse zu verändern, auf die sich die politischen und philosophischen Kategorien beziehen, kann sich nicht aufschwingen. Sie sitzt unten im Saal und darf Fragen stellen. Die Tribüne ist besetzt mit Leuten, die die Wahrheit schon wissen. Über den stoffbespannten Präsidiumstischen kann man mit der Zeit die Unendlichkeit des Himmels vergessen. 

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Und mindestens so schlimm steht es mit der Aneignung der Kunst. Herrschende Klassen, besonders die der älteren Kulturen, haben ihre Kinder fast immer wenigstens zum Dilettantismus in irgendeinem künstlerischen Fach geführt. Bei uns — um es an der Musik zu demonstrieren — lernen die Kinder in den eben noch im Lehrplan geduldeten Stunden nicht einmal die Noten, obgleich das Niveau der Pädagogen sehr angehoben worden ist. Wer sich nicht in die Disziplin und den Genuß eines Instruments einzuarbeiten lernt, wer nicht einmal in einen Chor gezogen wird, kann in der Regel die Freude nicht gewinnen, die in dem kleinsten Haydnthema steckt. Die emanzipierende und humanisierende Macht aller Kunst — als menschlicher Entwurf ins Objekt hinein, als Mittel kultivierter Affektabfuhr nach außen statt der Verdrängung nach innen, als Medium der Selbstreinigung »durch Furcht und Mitleid« — all das bleibt für Wenige. Die Kulturrevolution muß mit ihrer Bildungspolitik die Lehre aus der unbestreitbaren Erkenntnis ziehen, daß Menschen, die ohne die Möglichkeit politisch-philosophischer und künstlerischer Praxis aufwachsen, zur Subalternität verurteilt sind, und würden sie sogar spezialisierte Wissenschaftler.

Subalternität ist, wie wir sahen, nur ein anderes Wort für die Entfremdung vom Gemeinwesen, die für die Massen mit dem Ausgang aus der Urgesellschaft einsetzte. Ihre kleinen Gemeinwesen hatten sie überschauen können, weil sie sie in allen ihren Lebensfunktionen mitvollzogen. Die Aufhebung dieser Entfremdung vom Gemeinwesen ist angesichts der heutigen Großgesellschaften undenkbar, wenn die Individuen nicht in die Lage versetzt werden, sich mittels Kunst und politischer Philosophie dennoch ihren komplexen subjektiven und objektiven Zusammenhang zu vergegenwärtigen und auf dieser Grundlage praktisch daran mitzuwirken. Philosophie ist hier natürlich nur der umgrenzende Begriff für das, was die ganze Skala der sozialen Wissenschaften vom Subjekt her zusammenhält, indem es sie an der Sinnfrage orientiert und die

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Wahrheit an die menschheitssubjektive Praxis bindet. In der Ontogenese, in der Sozialisation muß die ganze Differenziation des Gattungsselbstbewußtseins erneut produziert werden. Unser gegenwärtiges Bildungssystem will den Spezialisten, den dann das seinerseits spezialisierte offizielle Gattungsselbstbewußtsein auf einen passenden Speicherplatz adressieren kann. Es sagt ihm mit Mephisto:

»Glaub unsereinem: dieses Ganze 
Ist nur für einen Gott gemacht!«

Aber die Zeit geht zu Ende, da die speziellen Funktionen, die die Individuen in der Reproduktion ihrer Basis nach wie vor auszufüllen haben werden, in den Lehrplänen das individuelle Leben schon unter sich verteilt haben, ehe der Mensch als Mensch überhaupt seinen universellen Anspruch anmelden konnte. Hier ist von etwas anderem die Rede als von der wenigstens schon proklamierten Priorität einer Grundausbildung für die instrumentalen Wissenschaften. Vielmehr geht es um die »Grundausbildung« des modernen gesellschaftlichen Menschen, der ohne den Teufelspakt des Privilegs von sich sagen können soll:

»Und was der ganzen Menschheit zugeteilt ist, 
Will ich mit meinem innern Selbst genießen.«

Die freien Individuen werden sich »von oben«, von diesem Gipfel kommend in die speziellen Funktionen teilen, die auf den verschiedenen Niveaus der Bewußtseinskoordination anliegen.

Die im Grunde ästhetische, aufs Ganze und auf die Rückkehr der Aktivitäten zum Ich gerichtete Motivation wird den Menschen (der eine gelungene frühe Kindheit hatte) dazu befähigen, sich sinnvoll die grundlegenden Instrumente des Geistes und der Gefühle anzueignen: die Sprache (mehr als eine) für die Beherrschung des qualitativen, die Mathematik für die Beherrschung des quantitativen, die Kybernetik für die Beherrschung des strukturellen Aspekts der Welt und die technischen Fertigkeiten für den künstlerischen Ausdruck des Ichs. 

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Es sind nur diese vier Säulen, für die es eines inhaltlich strengen, zur kontrollierten Aneignung zwingenden Lehrplans bedarf. Diese instrumentale Strukturierung des Bewußtseins wird immer einen gewissen kulturell gesicherten Zwang erfordern, weil es die Motivation hier schwer hat, durch den abstrakten Stoff in der Gegenwart zu sich zurückzukehren. Erst der Jugendliche klagt zum Beispiel darüber, daß ihn seine Eltern nicht dazu gebracht haben, ein Musikinstrument zu lernen. Die Ökonomie der Lebenszeit macht es hier sogar für das Kind notwendig, Arbeitsschritte zu absolvieren, die noch auf keinen konkreten Sinnzusammenhang hin für es geordnet erscheinen.

Weiter geht es um die Ausrüstung der Individuen für ihre Teilnahme am Produktionsprozeß, am Stoffwechsel mit der Natur. Dies ist das Problem der polytechnischen Erziehung, die bei Marx im engsten Zusammenhang mit der Aufhebung der alten Arbeitsteilung steht. John D. Bernal hat am Ende seines Lebens behauptet, er könne sich binnen zwei Jahren so weit in jede beliebige wissenschaftliche Disziplin einarbeiten, daß er dort zum Fortschritt der Wissenschaft beitragen würde. 

Marx forderte ausdrücklich die »absolute Disponibilität des Menschen für wechselnde Arbeitserfordernisse, ... einander ablösende Betätigungsweisen«. Polytechnische Erziehung bedeutet heute, daß alle jungen Menschen sowohl den Umgang mit Werkzeugen, Maschinen, Apparaten und Geräten (einschließlich der Computer) als auch die Grundlagen der Natur-, der technischen und der ökonomischen Wissenschaften bis in die Praxis des Experiments, der Konstruktion und der Kosten- und Zeitaufwandsrechnung hinein kennenlernen. Die Menschen können mit 20-25 Jahren in die Lage versetzt sein, sich speziell in jeden beliebigen schöpferischen Arbeitszweig einzuarbeiten und damit im Zusammenhang die ihnen gemäßesten Anteile an der Arbeit auf den einfacheren Funktionsniveaus zu wählen und die entsprechenden Fertigkeiten zu erwerben. 

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Da es in Zukunft weit mehr als bisher möglich sein wird, die gesamte allgemeine polytechnische Ausbildung an einem speziellen Zweig der technischen Arbeitsteilung zu absolvieren, wird gar keine wirkliche Zäsur zwischen einem — gewissermaßen — »verspäteten Abitur« und der Spezialisierung bestehen. Auch wird die Ausbildungszeit weder generell aus der allgemeinen Produktionszeit herausfallen, noch wird die Jugend — was der größte pädagogische Widersinn wäre — von der einfachen Arbeit ausgenommen sein. Übrigens würden gewisse Abstriche von der hier skizzierten polytechnischen Universalität weit geringere soziale Bedeutung haben als jegliche Einschränkungen, die sich auf die instrumentale Grundausbildung beziehen. Es besteht ein großer Unterschied zwischen einem Menschen, der unter anderem auch eng spezialisiert auf irgendeine komplizierte Verrichtung ist, und Spezialistentum als sozialer Existenzform.

Für diejenige Allgemeinbildung schließlich, die die ästhetischkünstlerische Motivation und die politisch-philosophische Praxis konkreter fundiert und mit objektivem Material versorgt, bedarf es überhaupt keiner zwingenden Lehrpläne, keiner Leistungskontrolle, sondern eines wenngleich organisierten Angebots an Information, unbedingt ergänzt durch personalisierte, kompetente Lehre. An unseren Schulen (und oft selbst Universitäten!) behandelt man z.B. Literatur auf eine Weise, daß jeder besprochene Dichter und jedes besprochene Werk zuverlässig gegen künftigen Gebrauch durch die Belehrten geschützt ist. Es wird ein formell abfragbarer Überblick über den historischen Lehrstoff vermittelt, ohne daß die Jugend auch nur ein einziges historisches Ereignis in seiner menschlichen Substanz zu erahnen vermöchte. So ist es sogar noch mit Musik- und Kunstgeschichte. In diesen ästhetischen bzw. historischen Disziplinen kommt alles darauf an, am intensiven Ausschnitt das menschliche Ganze durchscheinen zu machen und die Leidenschaft nach mehr Erkenntnis zu wecken. 

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Noch heute gilt: 

Wer allein die Geschichte der alten Griechen in ihrem vollen Zusammenhang vor sich gesehen hätte, der verstünde jedes historische Zeitalter, sobald er das Bedürfnis dazu verspürte. Die Systematik, der Überblick brauchten nur greifbar zu sein. In diesem ganzen Bereich muß Freiheit der Selbstbildung vordringen, müssen ästhetische Gestalt, Genuß am Selbsterkennen durch Erkennen herrschen. Nur so kann die Verbundenheit mit dem Menschen­wesen aller Völker und Zeiten daraus hervorgehen, ohne die Solidarität ein leeres Wort bleiben muß.

 

Drittens — Sicherung von Bildungsfähigkeit und Lernmotivation  

 

Gewiß wird die mögliche Spannung zwischen individueller Potenz und Gattungskultur mit dem Fortschritt der Zivilisation und besonders mit dem Eintritt in ein historisches Stadium, wo sich Produktions- und Lebensweise der Gesellschaft auf die Wissenschaft gründen, größer. Es ist jedoch methodologisch außerordentlich schwer, die biologischen von den sozialen Differenzierungsursachen abzusondern. 

Offensichtlich scheint mir zu sein, daß wir allen Grund haben, die Beseitigung der sozialen Ursachen von individueller Unterentwicklung in den Vordergrund zu rücken, da sie eine weit größere Anzahl Individuen betreffen. Ich gehe davon aus, daß die überwältigende Mehrheit der Menschen alle Anlagen mitbringt, um später die erforderliche wissenschaftliche und künstlerische Allgemeinbildung akademischen Ranges erwerben zu können. 

Genetische und andere pränatale Schäden wird man teils früh genug voraussehen lernen, um entsprechende Geburten bei geringer Komplikation zu vermeiden, teils wird man ihre Entstehung verhindern können, jedenfalls das gegenwärtige, durch ein bestimmtes Stadium des medizinischen und hygienischen Fortschritts bedingte zahlenmäßige Anwachsen solcher Fälle stoppen. 

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Zur Zeit dürfte die Grenze zwischen dieser biologischen und der psychologischen Problematik der postnatalen Schäden oft dadurch zu den pränatalen Schäden hin verschoben werden, daß man die Erkenntnisse über die entscheidende Bedeutung des ersten Lebensjahres (R.Spitz, E.Erikson, J.Conel, u.a.) für die spätere Bildungsfähigkeit und -motivation nicht genügend beachtet. Sehr viel von dem, was wir Talent oder Begabung nennen, wird erst in der Folge der frühen Kindheitssituationen entschieden. 

Wenn wir einen Vierzehnjährigen vor uns haben, der nur noch »Facharbeiter« werden kann (nicht alle können wenigstens Facharbeiter werden), dann ist das selten eine natürliche Beschränktheit, dann hat fast immer die bestehende Sozialstruktur ihren reproduktiven Sieg errungen. 

Hier erhebt sich natürlich die Frage, wie man gesellschaftlich in die Kindheit eingreifen kann, ohne das Leben der Erwachsenen zu vergewaltigen. 

In ihrem Verhalten gegenüber den Kindern werden die Eltern weit mehr, als sie im allgemeinen wissen, unmittelbar von ihren eigenen frühen emotionalen Fixierungen geleitet, die später nur zu korrigieren sind, wenn man sie erkennt, wenn man die Genesis seiner Reaktionen begreift und so einen kritischen Abstand dazu erlangt. Daher wird eine organisierte politisch-pädagogische Anstrengung zur Aufklärung der individuellen Biographien nötig, d.h. man muß den Individuen den Anstoß und die wissensmäßigen Voraussetzungen zur Selbstaufklärung vermitteln. Sie müssen in die Lage versetzt werden, sich die unbewußten Fehler ihrer Eltern rational klarzumachen, damit sie sie nicht an ihre Kinder forterben. Die Elternliebe zu den Kindern muß einer politisch-kulturellen Aufklärung in diesem Bereich weit entgegenkommen. 

Die öffentliche Meinung muß all die geläufigen Erziehungspraktiken diskriminieren, die im Kinde Angst erzeugen, seine vertrauensvolle Zuwendung zur sozialen und natürlichen Umwelt stören, seine Initiative mit Schuldgefühlen vergiften, seine Leistungen abwerten, seinen Willen brechen und seine Energien ins Innere zurücklenken, wo sie die Muster von Mißtrauen, Bosheit, Aggression, Ersatzhandlungen aller Art begründen. 

345


Ein merkliches Wachstum des Verantwortungsbewußtseins und der Verantwortungsfähigkeit für die Kindheit der nächsten Generation wird die Folge sein. Dann wird sich zeigen, wie groß das Potential an bis zur höchsten Stufe bildungsfähigen Menschen ist. 

Die Humanisierung der Kindheit steht im engsten Zusammenhang mit der Regelung des Geschlechtslebens, hängt in hohem Maße davon ab, so daß es notwendig ist, kurz darauf einzugehen. Die Gesellschaft muß den jungen Menschen endlich den Rahmen für eine rechtzeitige und umfassende kollektive und individuelle Selbstverständigung über die große auf sie zukommende Aufgabe schaffen, Eros, Erziehung und Ehe so weit wie möglich in Einklang miteinander zu bringen. Da wir inzwischen hinreichend wissen, wie schädlich die Sexualunterdrückung in der Jugendphase ist, muß dies einhergehen mit einer Verbesserung der Bedingungen für die erotische Kommunikation, die um so kultivierter sein wird, wenn sie sich in einer Atmosphäre der Geborgenheit und Sympathie entfalten kann. 

Es ist höchstwahrscheinlich: Je weniger Versagung der geschlechtlichen Liebesbedürfnisse, je mehr geglückte Intimität in der Jugend, desto humaner wird insgesamt gesehen das Erziehungsklima für die Nachkommenden sein. Da es im Gegensatz zur bisherigen Praxis ein kritisches öffentliches Bewußtsein über die grundsätzlichen Widersprüche geben wird, die zwischen dem natürlichen Bedürfnis nach vielfältiger erotischer Kommunikation der Geschlechter und der Institution der Ehe und Familie bestehen, werden die meisten Menschen viel besser begreifen, worin beim gegenwärtigen Entwicklungsstadium unserer Zivilisation ihre Unablösbarkeit wurzelt. Die aktuelle Problemstellung dürfte hier sein, ob man die für die Sozialisation der Kinder jetzt noch ganz unerläßliche familiäre Situation nicht dadurch entlasten und verbessern könnte, daß man die absolute Identifikation von ehelicher Verbindung und ausschließlicher erotischer Partnerschaft in der öffentlichen Moral abbaut. 

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Für die Herausarbeitung neuer Perspektiven muß man daneben dem verantwortungsbewußten sozialen Experiment, nach dem die Jugend z.B. mit ihren Kommune­gründungen drängt, Spielraum und Unterstützung geben.

Die Länder des real existierenden Sozialismus und im großen und ganzen die Kommunisten überhaupt haben aus mancherlei Gründen bisher die umwälzenden Erkenntnisse, die von dem Werk Sigmund Freuds ausgingen, ängstlich ignoriert und verpaßt. Ich spreche bewußt von Freud selbst, obgleich er heute längst Geschichte geworden und von der Entwicklung, die er auslöste, überholt ist (nicht nur, insofern der theoretische Überbau, den er seiner Entdeckung gab, bürgerlich, idealistisch und pessimistisch war). Denn Freud war der erste, der die <Dialektik der Seele>, die Existenz eines Formierungsgesetzes der Individualität aufgedeckt hat, eine Erscheinung, die an Bedeutung Marx und Einstein gleichkommt. 

Wir können es uns nicht leisten, gleich zur Tagesordnung der heutigen wissenschaftlichen Situation überzugehen, weil wir einen allzugroßen Nachholbedarf in den Grundlagen haben. Wir hatten die Kritik an Freud, ehe wir auch nur ein einziges seiner Werke gelesen hatten. Die KPD hat den Kommunisten Wilhelm Reich, Freuds bedeutendsten Schüler, der das revolutionäre Potential der Psychoanalyse für die Arbeiterbewegung fruchtbar machen wollte und sie zur Sexualökonomie weiterentwickelte, 1933 ausgeschlossen. Gegenwärtig fühlt man sich bei uns durch die Wiederentdeckung Reichs im Westen zu dem Kinderspiel gedrängt, ihn in seinen schwächeren Punkten zu widerlegen, damit ihm niemand auf den Grund geht. Maßgeblich ist natürlich, daß die industrielle Despotie nicht auf patriarchalischen Arbeitszwang und den zugehörigen psychischen Terror, auf die Sexualverdrängung usw. verzichten kann. Wir müssen also von vorn anfangen. 

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In den Marxismus integriert, ist die gereifte, von ihren bürgerlich-individualistischen Eierschalen und ihren Einseitigkeiten befreite Psychoanalyse besonders in der durch Reich und andere weiterentwickelten Gestalt ein wesentlicher Ansatz für die spezifische Theorie und Praxis der Kulturrevolution. 

Um die Vernichtung der Vorurteile gegen sie werden wir einen unserer wichtigsten und hartnäckigsten Kämpfe zu führen haben. Es müßte so unendlich viel zu diesem Thema gesagt werden, daß es hier den Rahmen sprengen würde. Einem einzigen derzeit gängigen Irrtum will ich noch widersprechen. Die Polemik gegen den Leistungsdruck, der die entfremdete Arbeit kennzeichnet, und auch die Praxis der antiautoritären Erziehung können sehr leicht darauf hinauslaufen, Leistungsinsuffizienz zu propagieren und zu erzeugen. Sie werden dann innerhalb der spätbürgerlichen Prämissen stehenbleiben. Arbeit, Familie, Schule — all das muß von innen überwunden, aufgehoben, nicht einfach vernichtet werden. Es ist purer Subjektivismus, z. B. bei der »Abschaffung« von Ehe und Familie beginnen zu wollen, statt ihre inneren und äußeren Entwicklungsbedingungen an die neuen Möglichkeiten anzupassen.

Warum gibt es Kinder, die die Anforderungen der Schule — wie unrationell sie auch immer sein mögen — dennoch spielend bewältigen? Weil in ihrer Entwicklung von früh auf alles das, was Lust am Leben, Vertrauen in die Umwelt, Eingreifen in die Kommunikation fördert, die Unlusterfahrungen entscheidend überwog. Weil sie in der Zuwendung psychisch intakter Eltern gesichert und um keine Freude betrogen waren. Weil sie nicht lästig waren, nicht herumgeschoben wurden. Weil sie keine brutale oder spöttische Herabsetzung erfuhren und sich ihre Befriedigungen nicht ertrotzen, erschleichen, erkaufen oder stehlen mußten. Wer so aufwächst, wächst mit Lust zur Erkenntnis, zu Arbeit, Freundschaft und Liebe auf, und er kann durch die Erziehung zu Disziplin und Leistung, zur Anstrengung aller Wesenskräfte nur gewinnen. Der Wille braucht einen Widerstand, an dem er sich härten kann. 

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Die Sublimation ist kein Notbehelf, sondern die individuelle Verwirklichung der Kultur. Es ist nicht wahr, daß sie kein Weg für alle sein könnte. Die Gesellschaft könnte sehr viel tun, um die Wahrscheinlichkeit einer glücklichen Kindheit, einer in jedem Sinne gelingenden Sozialisation innerhalb weniger Generationen zu vervielfachen. Die Kulturrevolution wird in allen Sphären — Schule, Arbeit, öffentliches Leben usw. — nach den Bedingungen fragen, die — wirkten sie auch noch so indirekt — die Entfaltung des Menschen stören oder fördern. Aber wenn sie nicht in der Familie Fuß faßt, kommt sie, solange dort die primäre Sozialisation erfolgt, immer zu spät. Nur wenn sie dort durchdringt, kann sie allmählich den Gesamtprozeß des Lernens und der Arbeit umgestalten und auf dieser Basis alle öffentlichen und intimen Beziehungen von den äußerlichen Kontrollen entlasten, die sie vergiften und verkrüppeln.

 

Viertens — persönliche Kommunikation im Rahmen autonomer Gruppen   

 

Zur persönlichen Kommunikation, ohne die die Menschen ihre Individualität weder erleben noch entwickeln können, bedarf es nach aller psychologischen Erkenntnis und sozialen Erfahrung des Rahmens kleiner Gruppen. 

Der aber stellt sich nur her, wenn sich mehrere zu solchen gemeinsamen Zwecken vereinigen, die die ichbeteiligte Mitwirkung eines Jeden von ihnen verlangen, wo sie also nicht als ersetzbare Durchschnittsindividuen, sondern als bestimmte Personen gebraucht werden. Diese Bedingung war einmal so sehr gegeben, daß Exogamiegebote und Inzesttabus notwendig waren, um dem sonst übermächtigen Binnenkontakt der menschlichen Primärgruppen, die ihren gesamten Lebensprozeß gemeinschaftlich vollzogen, einen Ausgleich entgegenzusetzen. Doch seit der Renaissance bzw. schon seit der Auflösung der hochmittelalterlichen Ordnung nähert sich unsere Zivilisation dem entgegengesetzten Pol, weil der gesellschaftliche Lebensprozeß die substantiellen Zwecke aufzehrt, um die sich Gruppen, d.h. Netze persönlicher Kommunikationsbeziehungen, bilden können und müssen.

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Durch die vertikale Arbeitsteilung werden immer mehr gesellschaftlich notwendige Funktionen oberhalb primärer Gruppenzusammenhänge wahrgenommen. Durch die horizontale Arbeitsteilung werden die verschiedenen Reproduktionsfunktionen vom Standpunkt der ursprünglichen Primärgruppe (etwa der bäuerlichen Großfamilie) zerstreut. In beiden Fällen entstehen um die spezialisierten Zwecke neue, aber mehr oder weniger künstliche und wegen ihrer unifunktionäl bedingten Zusammensetzung instabile Gruppen von geringer Kontinuität. Und zwar ist dies eine Erscheinung, die, soweit ich sehe, nicht nur mit der Subsumtion der Individuen unter die Arbeitsteilung, sondern mit dieser selbst einhergeht, d.h. mit der Funktionsspezialisierung schlechthin. 

Persönliche Kommunikation hängt nun in solchen spezialisierten Gruppen um so stärker von individuellen Zufällen ab, je weniger objektive Substanz, zeitliche Ausdehnung und subjektives Interesse mit dem jeweiligen Gegenstand gegeben ist bzw. angeregt werden kann. Sobald man beispielsweise ein Produktionskollektiv antrifft, das diese Bezeichnung wirklich verdient, wird man immer finden, daß es sich bei der Lösung eines Problems oder einer Aufgabe nicht-routinierten Charakters oder auch bei gehaltvollen Freizeitkontakten gefunden hat. 

Man kann die vorstehende Überlegung dahin zusammenfassen, daß ein verbindliches Gruppenleben auf dem Boden der sozialökonomisch und funktionell abstrakten Arbeit nicht in dem Umfang, mit der Intensität und Zuverlässigkeit gedeihen kann, wie es zur Befriedigung der sozialen Bedürfnisse notwendig wäre.

Diese vordergründig pessimistische Konsequenz muß deutlich ausgesprochen werden, um den illusionären Charakter solcher oktroyierten Ersatzlösungen wie der bloß in den Zahlenspielen der Apparate imponierenden »Brigaden der sozialistischen Arbeit« klärzustellen. Man muß den Blick in eine andere Richtung lenken, nach den Möglichkeiten einer Gruppenbildung um ökonomisch und psychologisch konkrete und einigermaßen komplexe Aktivitäten fragen, um hier auf eine Lösung hoffen zu können. 

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Wenn es eine Lösung gibt, so hängt sie mit Marxens Perspektive der Aufhebung der Arbeit und eines Reiches der Freiheit, d.h. der freien (psychologisch produktiven) Tätigkeiten und Genüsse zusammen. Die Verneinung der Individualität und die Verdrängung der persönlichen Beziehungen, die wir an unserem Produktionsapparat erleben, ist nur der negative Ausdruck eines Prozesses, der, einmal umgeschlagen, viel reichere, intensivere menschliche Beziehungen verspricht, als sie den werktätigen Massen jemals offenstanden. Jetzt ist die Spannung groß und wächst noch an, weil jener Umschlagspunkt noch nicht erreicht ist, auf den allein wir uns für eine sinnvolle Perspektive beziehen können.

Die Automatisierungstendenz, die sich nicht nur in der Produktion selbst, sondern auch in ihrem informationellen Überbau Bahn bricht, bedeutet erst einmal, daß der Freiheitsgrad für das individuelle Verhalten in den bereits objektivierten Unterfunktionen des Gesamtarbeiters immer geringer wird. Diese Unterfunktionen verlieren ihre Bedeutsamkeit für die positive Selbstbestätigung der Individuen, während sie sie gleichzeitig unter den Druck der Standardisierung setzen. Ihre Substanz als Aufgaben reicht oft nicht mehr aus, persönliche Kommunikation um sie herum zu kristallisieren, überhaupt kontinuierliche Gruppen zu formieren. 

Die technische Arbeitsteilung treibt vielfach dahin, daß die Kooperation entweder überhaupt aus den Primärkollektiven in der unmittelbaren Produktion verschwindet (man steht etwa an parallel geschalteten Maschinen gleicher Zweckbestimmung) oder zwangsläufig wird. Der Schwerpunkt verschiebt sich auf materiell vermittelte interkollektive Beziehungen, die nicht mehr persönlich wahrgenommen werden können, zumal sie immer häufiger die Betriebsgrenzen überschreiten. 

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In diesem Reich der Notwendigkeit, in dem es auf möglichst reibungsloses Funktionieren ankommt, ist der sozial und ökonomisch abstrakte, technologisch schematische, unschöpferische Arbeitscharakter unentrinnbar gesetzt. Hier kann die Freiheit, wie Marx schon gesehen hatte, nur darin bestehen, den Gesamtprozeß und seine Details rationell zu regeln. »Aber es bleibt dies immer ein Reich der Notwendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentfaltung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf diesem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühn kann.« Daher Marxens auf eine neue Ökonomie der Zeit gerichteter Schluß: »Die Verkürzung des Arbeitstags ist die Grundbedingung« (MEW 25/828).

 

Ich will hier nicht auf die mit Recht diskutierte Frage eingehen, ob diese scharfe Gegenüberstellung der beiden »Reiche«, die sonst nirgends derart hervortritt wie in dieser späten Äußerung aus dem letzten Band des »Kapitals«, festgehalten werden muß. Klar ist, daß die Formel von »Arbeit als erstem Lebensbedürfnis« ganz unvereinbar mit der Marxschen Perspektive ist, die Arbeit aufzuheben; sie beruht zumindest auf einer Verwechslung der Begriffe Arbeit und Tätigkeit, Aktivität. 

Der Gedanke, auf den es mir an dieser Stelle ankommt, betrifft die Schlußfolgerung, daß jene Sphäre, die mit dem »Reich der Notwendigkeit« gemeint ist, heute weniger denn je die Hoffnung auf eine Wiedereinsetzung der Individualität, auf eine Wiederherstellung der persönlichen Kommunikation zwischen den Individuen rechtfertigt. Im Rahmen der marxistischen Terminologie bleibt »Humanisierung der Arbeit« streng genommen in jeder Hinsicht ein Widerspruch in sich. Die Entwicklung, die hier möglich ist, wird in der Herausbildung einer nicht mehr repressiv erzwungenen äußersten Disziplin bestehen, zu der die Umverteilung der Arbeit die Voraussetzung ist. 

352


Die gegenwärtige soziale Ungleichheit der Aneignungsbedingungen, die jede Disziplinlosigkeit zugleich als Protest gegen die Ungerechtigkeit der Arbeitsteilung legitimiert, verhindert die Erhebung der ökonomischen Erfordernisse in den Rang wirksamer sittlicher Forderungen, innerlicher Verbindlichkeiten, die die äußeren Zwänge ökonomischer und außerökonomischer Art überflüssig machen würden. 

Aber wenn sich Freiheit und allgemeine wie persönliche Kommunikation, die unabtrennbar von der Freiheit sind, nicht in dem Reich der Notwendigkeit entfalten können, so werden sie sich um so mehr darauf beziehen müssen als auf ihren jedenfalls noch langhin wichtigsten Gegenstand. Das heißt, die Grenze zwischen den beiden Reichen verläuft natürlich innerhalb der Betriebe, nämlich zwischen den schöpferischen, auf Entwicklung und Veränderung im Reproduktionsprozeß gerichteten Tätigkeiten einerseits und der für die Persönlichkeitsentfaltung weitgehend verlorenen Routinearbeit in Produktion und Verwaltung andererseits. 

Besser gesagt, sie könnte und sollte, sie muß in Zukunft dort verlaufen, und zwar mitten durch die Zeitpläne aller Individuen hindurch, die auf beiden Seiten ihren Anteil leisten. Noch tendieren die Verhältnisse dahin, die gesamte für den Reproduktionsprozeß verausgabte Tätigkeit den Gesetzen zu unterwerfen, die das routinierte, unpersönliche Funktionieren regieren. Darin besteht ja der Grund, daß wir die Maschine, die die Verwaltungserfordernisse realisiert, auch unter diesem Gesichtspunkt sogleich als Bürokratie zu bezeichnen, also ihren Herrschaftscharakter zu betonen haben. Es ist dahin gekommen, daß solche von der Sache her schöpferische Vorhaben wie Erzeugnisentwicklungen, Rekonstruktionen, Neubauten von einem Heer unlustiger, unbefriedigter Leute bewerkstelligt werden, die jeder an einem andern Stückwerk verzweifeln möchten. Das muß keineswegs so bleiben.

Allerdings: 

Die objektivierten Routinefunktionen laufen in einem System ab, das wegen seiner Größe, Komplexität und Kommandostruktur kommunikativ undurchdringlich ist! Der Apparat tendiert gesetzmäßig zu jenem Weberschen Idealtypus von Bürokratie, der reale Individualität und Kollektivität zu eliminieren strebt. 

353


Die Verwaltung soll eine gut arbeitende Maschine sein, deren Hilfsfunktionen nur aufgrund ihrer technischen Unvollkommenheit noch menschliche Arbeit beanspruchen, und natürlich in standardisierter Form. Hier ist kein Raum, hier ist kein Gegenstand für Individuen und Kollektive als solche. Dagegen ist die kleine Gruppe die absolut adäquate soziale Organisationsform für die schöpferische wissenschaftliche Arbeit im weitesten Sinne, d.h. für das Aufgreifen, die Analyse und die theoretische wie praktische Lösung von jeder Art Problemen, die dem Menschen in seinem Naturbezug, in seinen sozialen und individuellen Verhältnissen begegnen. 

Die Kulturrevolution kann — vor allem über die Umverteilung der Arbeit — die Voraussetzungen dafür schaffen, daß sich die große Mehrheit der Menschen effektiv in Problemkollektiven assoziieren kann. Der Anteil an notwendiger Routinearbeit, der ihnen allen zufällt, muß so in ihren gesamten Lebenszeitplan eingeordnet werden, daß eine kontinuierliche Konzentration auf psychologisch produktive Tätigkeit möglich wird und der Spielraum für die Wahlfreiheit der Gegenstände, also für die Zuordnung zu diesen oder jenen schöpferischen Gruppen wächst.

Der Übergang von dieser auf die Produktion bezogenen schöpferischen Tätigkeit zu »wirklich freiem Arbeiten, z.B. Komponieren« wäre dann fließend, innerhalb bereits gegebener flexibler sozialer Organisation, die die Verschiebung der individuellen Aktivitäten begünstigen würde. Bei der größeren Disponibilität der allseitig gebildeten Menschen kann man annehmen, daß sich die dissoziierten Lebenssphären der Arbeit, des Hobbys (ein miserables Wort, da es die freie Tätigkeit auf die jetzt für sie kennzeichnende Unverbindlichkeit fixiert), des Wohnens, der Erholung, der Freundschaft und Liebe in solchen Gruppen wieder enger bzw. häufiger miteinander verbinden würden. Die Zersplitterung der menschlichen Tätigkeit in tausend je für sich bedeutungsarme Unterfunktionen atomisiert die Individuen. 

Die schöpferische Gruppenarbeit an ungelösten Problemen kann zugleich der Ausgangspunkt sein, von dem aus die Identität von Kooperation und Kommunikation wiederhergestellt wird. (Selbstverständlich gibt es auch andere schöpferische Gruppenzwecke, als die hier in den Vordergrund gestellten wissenschaftlichproduktiven.)

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Zur Verwirklichung einer solchen Perspektive braucht die Gesellschaft in erster Linie einen Überschuß, eine echte Reserve an Arbeitskraft statt an Gütern und Dienstleistungen. Sie muß nicht mehr herstellen, sie muß mehr herstellen können, als sie benötigt. Um den Individuen und Kollektiven »disposable time«, Zeit für Entwicklung und Selbstverwirklichung und für vermehrte Rückwirkung auf die Ökonomie geben zu können, muß zuerst insgesamt genügend Arbeitszeit verfügbar sein. Der Reproduktionsprozeß muß so organisiert werden, daß der Plan zur Befriedigung der gesellschaftlichen Bedürfnisse von vornherein nicht die gesamte verfügbare Arbeitskraft beansprucht, weil es ohne Reserve an Arbeitskraft, ohne einen Puffer, unmöglich ist, eine Sphäre freier, psychisch produktiver Tätigkeit von dem Reich der Notwendigkeit abzukoppeln. 

Dies ist nicht eine ökonomische, sondern eine politökonomische Frage. Die verfügbare Arbeitszeit wird vergrößert, indem man die Produktivität steigert, ohne den Ausstoß zu steigern, und indem man durch Egalisierung der materiellen und kulturellen Lebensbedingungen den größten Teil des riesigen Apparats zur Kontrolle aller einzelnen und besonderen Interessen überflüssig macht. Auf eine Politik, die Abrüstung erzwänge, statt unter Rüstungskonkurrenten bloß darüber zu reden, will ich im anschließenden Kapitel kurz gesondert eingehen. Jedenfalls ist die disposable time die Bedingung für die Wiederherstellung eines Gemeinschaftslebens, denn das »Reich der Freiheit allein — freilich auch in Beziehung auf das Reich der Notwendigkeit« — bietet die Gegenstände und den Spielraum für erfüllte (d.h. nicht zuletzt ausreichend komplexe, vielfältige) menschliche Verhältnisse.

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Fünftens — allgemeine Kommunikation über soziale Alternativen 

 

Die »kulturell-erzieherische Mission« des Staates (und Überstaates) macht die Massen zum Objekt eines bürokratischen Heilsplanes, dem im Vergleich mit dem kirchlichen überdies noch das Beste fehlt: die Transzendenz. 

Denn nach allem, was man hört, sind wir ein für allemal angekommen, bis auf die kleinen akzidentellen Mängel, die »schon noch behoben werden«. Die Gesellschaft soll nur noch das fertige Schema einer idealen Staatsräson ausfüllen. So wie unsere pädagogische Wissenschaft die traditionelle Verschwörung der Autoritäten gegen die Autonomie und Phantasie des Kindes als »einheitliches Erzieherkollektiv« neuentdeckt hat, spricht die politische Lehrerschaft bis hinunter zum letzten Torhüter mit einer Stimme zum Volke. »Menschen, damit ihr unwissend bleibt, werden wir euch schulen« (Reiner Kunze). Die Bewußtheit der Massen »wächst« mit dem Grad ihrer demonstrativen Konformität. Das ist das formelle Geistesleben der »sozialistischen Gesellschaft«; das wahre, informelle, das sich zum Glück immer weniger unterdrücken läßt, bleibt privat.

Die Kulturrevolution widerspräche sich selbst, wenn sie darauf hinausliefe, daß sich eine neue Avantgarde in dem alten administrativen Monopol auf Erziehung und Meinungsbildung festsetzte. Der menschliche Baumeister, sagte Marx, zeichne sich dadurch aus, daß er den Plan für das Gebäude in seinem Bewußtsein vorwegnimmt. Das Gebäude der herrschaftsfreien Gesellschaft kann nur zustande kommen, wenn es nicht vom exklusiven Staatsgeist entworfen wird, sondern in der offenen Kommunikation mit den Massen entsteht. Es muß im gesellschaftlichen Bewußtsein vorweggenommen werden. Ein Programm, das die Umstrukturierung der ganzen gegenständlichen und inneren Welt des Menschen, des Ensembles aller seiner Verhältnisse betrifft, kann nur funktionieren, wenn es das Werk aller psychischen Kräfte ist, die die von den Auswüchsen des politischen Bürokratismus befreite Gesellschaft aufzubieten vermag.

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Die »schwer zu machende« Aufgabe, die Permanenz der Kulturrevolution bei Kontinuität der Reproduktion zu sichern, ist auf den aktiven Konsensus der großen Mehrheit angewiesen. Selbst die am weitesten zurückgebliebenen, weil bisher am stärksten benachteiligten Schichten müssen von vornherein zumindest insoweit beteiligt werden, daß man sie von jedem Schritt überzeugt und dieses Prinzip durch die institutionelle Garantie ihres Vetorechts, durch die politische Organisation ihrer besonderen Interessenvertretung sichert.

Ich hatte betont, daß das Wesen der bürokratischen Herrschaft in der Verfügungsgewalt über das soziale Nervensystem, über die Hierarchie der Informations­verarbeitung besteht. Durch diese Vermittlung eignet sich die Korporation der Funktionäre den gesellschaftlichen Reichtum an. Daher ist die Vergesellschaftung des sozialen Erkenntnisprozesses, diese eigentliche und positive Expropriation der Bürokraten, Weg und Ziel der Kulturrevolution in einem. 

Der Prozeß der allgemeinen Willensbildung muß zunächst unabhängig vom bürokratischen Apparat gemacht werden, der vielmehr schrittweise in das zugehörige Hilfsorgan zu verwandeln ist, das er sogar nach der offiziellen Ideologie zu sein vorgibt. 

Heute, wo das Problem der allgemeinen Volks­versammlung von der quantitativ-technischen Seite durch die modernen Computer und Massen­kommunikations­mittel gelöst ist, könnten prinzipiell alle Individuen regelmäßig an der Entscheidung über die Neuwertverteilung, an der Festlegung der Perspektiven der Gesellschaft, an den Willensakten der Prognose teilnehmen. Noch sind die Computer und Massen­kommunikations­mittel gerade das perfekteste Organ, um sie davon auszuschließen, weil eben der »allgemeine Geist der Bürokratie das Geheimnis« ist, von ihr nach außen »als geschlossene Korporation bewahrt«, weil ihr eben der offenbare Staatsgeist, auch die Staatsgesinnung »als ein Verrat an ihrem Mysterium« erscheint (MEW 1/249). 

357/358


Bei uns ist alle wirklich wesentliche Information über Probleme, die neue Lösungen verlangen, vertrauliche Verschlußsache. Das Politbüro kann einen notwendigen Beschluß bereits gefaßt haben, aber wer ihn einen Tag vor seiner Verkündigung fordert, verstößt entschieden gegen die politische Sitte. Das bürokratische Prinzip ist unfähig zu einer echten Vermittlung der allgemeinen, besonderen und einzelnen Interessen, es stört geradezu notwendig deren dialektischen Ausgleich. Die Lösung besteht darin, den Hin- und Rückfluß aller derjenigen Informationen, die sich auf qualitative Veränderungen des bestehenden Zustands beziehen, außerhalb der Leitungs- und Verwaltungshierarchie zu institutionalisieren. Letztere bliebe so nur für die Regelung und Steuerung der reproduktiven Seite des Gesamtprozesses zuständig.

Diese Trennung wäre selbstverständlich nicht absolut, und sie beträfe insbesondere nicht etwa die Staats- und Wirtschaftsangestellten als Menschen, als Bürger. Im Gegenteil, ihre Bürgerfreiheiten, die sie jetzt mit der bürokratischen Vergatterung einbüßen, wären gerade erst herzustellen! Als Bürger würden auch sie sowohl die allgemeinen Informationen benutzen als auch die mit ihrer Arbeit verbundenen partikularen Interessen neben denen der anderen zur Geltung bringen. Es geht nur darum, die Staats- und Verwaltungsarbeit zunächst zu einer Tätigkeit wie alle anderen zu machen. 

Dazu ist erforderlich, daß die auf den verschiedenen Ebenen der Verarbeitung jeweils integrierte Information von den zuständigen Spezialisten für die Bedürfnisse der öffentlichen Entscheidungs­findung aufbereitet und ausgegeben und nicht bloß innerhalb der Pyramide weitergeleitet wird. Sofern die Menschen- und Bürgerrechte der erwähnten Spezialisten voll gesichert sind, d.h. unter anderem, sofern sie in der Öffentlichkeit nicht durch bürokratisches Dienstgeheimnis und bürokratische Abhängigkeit gehindert sind, besteht hinsichtlich der Kontrolle des Apparats durch die Gesellschaft gar kein Problem. Jede Wesentliches betreffende Manipulation der Daten käme ans Licht.

In der bürokratisierten Gesellschaft ist der Kreislauf der Information dadurch gestört, daß sich die Rückkopplung in schmalen Rinnsalen durch eine ganze Hierarchie von Filtern hinaufarbeiten muß, während der Befehls- und Anleitungsfluß nach unten mit großer Gewalt die Kaskaden der Pyramide hinabstürzt.

Die Zahl der Stufen mag in beiden Richtungen gleich sein, die Durchlaßfähigkeit ist es nicht. Zudem sind die verschiedenen Ebenen und Linien säuberlich voneinander getrennt. Unten sehen sich die vorhandenen partikularen Interessen systematisch atomisiert, so daß sie keine Aussicht haben, direkt in der Synthesis anerkannt zu werden. All dem ist nur dadurch zu begegnen, daß der Entscheidungsprozeß über qualitative Veränderungen rigoros in die je betroffene Öffentlichkeit verlegt wird, in der die aufgerufenen Individuen weder nach oben noch nach unten, weder nach rechts noch nach links äußerlich in ihrer Kompetenz beschränkt sind, so daß ihre Teilnahme so weit reichen kann, wie ihre innere Kompetenz ausgreift.

In der Regel wissen die »maßgeblichen Instanzen« vor ihren Entscheidungen nicht mehr, als jeder Bürger wissen würde, wenn man ihm die Alternativen bekanntmachte, um die man sich »oben« oft nicht einmal hinter den verschlossenen Türen ernsthaft streitet. Man müßte nur die verallgemeinerten Informationen, auf die die ganze Gesellschaft ein elementares Recht hat, öffentlich zugänglich machen und die Massenkommunikationsmittel dazu benutzen, die verschiedenen möglichen Lösungen zu diskutieren. Dabei muß durchaus nicht jeder verbal vor der ganzen Gesellschaft seine Meinung kundtun, was ja auch nicht möglich wäre. 

Die Interessengruppen, die es objektiv in einer differenzierten Gesellschaft gibt, werden ihre formell gewählten und nicht zuletzt auch ihre informell berufenen Sprecher haben. Der Mechanismus der Abstimmung zwischen den verschiedenen Interessen, der nur in Ausnahmefällen plebiszitär sein wird, ist in dem Erbe der politischen Demokratie, das aus den großen bürgerlichen Revolutionen stammt, vorgebildet.

Die genaue Form der Institutionen wird sich finden. Entscheidend ist, daß die Demokratie jenseits des Kapitalismus ihres formellen und abstrakten Charakters, ihres bürgerlichen Klasseninhalts entkleidet ist und daß die individuelle Teilnahme an der allgemeinen Willensbildung durch eine geeignete Organisation der Massenkommunikation etwas von der Direktheit wiedergewinnen kann, die sie in einfachen, überschaubaren Gemeinschaften hatte.  

359-360

 

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Rudolf Bahro 1977 Die Alternative Zur Kritik des real existierenden Sozialismus