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   Schlußwort des Angeklagten   

von Walentyn Moros 

 

 

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Ich will weder das Strafgesetzbuch zitieren, noch versuchen, meine Unschuld zu beweisen. Wir stehen nicht wegen eines Vergehens vor Gericht, und das wißt ihr selbst am besten. Man verurteilt uns für die Rolle, die wir in Prozessen spielen, die euch unerwünscht sind.

Es gibt Leute, für deren Verhaftung ihr mehr formal-juristische Grundlagen habt. Aber es ist euch lieber, daß diese Leute im Saal sitzen, weil sie das Prestige der ukrainischen Wiedergeburt mindern, weil sie ihre Entwicklung bremsen, wobei sie dies meistens nicht einmal selbst wissen.

Diese Leute werdet ihr niemals antasten, und wenn sie einmal zufällig in eure Hände gerieten, würdet ihr euch bemühen, sie sofort wieder freizulassen.

Ihr seid zu dem Schluß gekommen, daß W. Moros in der Ukraine Prozesse anheizt, die euch unangenehm sind, also ist es besser, ihn durch Gitter von seiner Umgebung zu trennen. Nun, das wäre völlig logisch, gäbe es da nicht ein »aber« ...

Seit 1965 habt ihr einige Dutzend Leute hinter Gitter gebracht.

Und was habt ihr davon? Reden wir nicht von der Tendenz — es ist noch niemandem gelungen, sie einzudämmen. Aber ist es euch wenigstens gelungen, ihre konkret-materiellen Erscheinungsformen zu beseitigen?

Ist es euch etwa gelungen, den Fluß der inoffiziellen, unzensierten Literatur zu stoppen, die sogar schon einen Namen hat — Samwydaw (Samisdat)? Nein, das geht über eure Kraft, wie sich gezeigt hat. Der Samwydaw wächst, wird reicher an Formen und Richtungen, gewinnt neue Autoren und Leser, und, was die Hauptsache ist, er hat so tiefe Wurzeln geschlagen, daß auch kein größerer Stab von Spitzeln, keine japanischen Miniabhörgeräte mehr helfen.

Eure Bemühungen haben zu nichts geführt, und man könnte das, was ihr macht, auf russisch als »Affenarbeit« bezeichnen.

Diese Art von Arbeit ist jedoch sinnlos, niemandem wird von ihr warm oder kalt, es ist eine Arbeit ohne Ergebnisse.

Eure Arbeit hat dagegen schon einen spürbaren Erfolg gebracht — allerdings einen ganz anderen als erwartet. Es hat sich herausgestellt, daß ihr nicht eingeschüchtert, sondern Interesse geweckt habt. Ihr wolltet löschen und habt statt dessen Öl ins Feuer gegossen.

Nichts hat der Belebung des gesellschaftlichen Lebens in der Ukraine so genützt wie eure Repressionen. Nichts hat die Aufmerksamkeit der Leute so sehr auf die Entwicklung der ukrainischen Wiedergeburt gelenkt wie eure Prozesse.

Im Grunde haben ja gerade diese Prozesse dem breiten Publikum gezeigt, daß das gesellschaftliche Leben in der Ukraine sich belebt. Ihr wolltet die Leute in den mordowischen Wäldern verstecken und habt sie statt dessen in eine riesige Arena gestellt, vor die Augen der ganzen Welt.

Die meisten Vertreter der ukrainischen Wiedergeburt wurden gerade durch eure Repressionen aktiv.

Es ist inzwischen genug Zeit vergangen, um zu begreifen: die Repressionen schaden vor allen Dingen euch.

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Aber ihr richtet weiter . . . Wofür? Zur Planerfüllung? Zur Beruhigung des Beamtengewissens? Um eure Wut abzureagieren?

Doch wohl vor allem aus Trägheit.

Ihr habt der gegenwärtigen Etappe der ukrainischen Wiedergeburt nach der Stalin-Ära das gegeben, was ihr gerade gefehlt hat - das Element der Opferbereitschaft. Glaube entsteht dort, wo es Märtyrer gibt. Ihr habt sie uns gegeben.

Jedesmal, wenn am ukrainischen Horizont etwas Lebendiges auftauchte, habt ihr mit Steinen danach geworfen.

Und jedesmal hat sich herausgestellt, daß es kein Stein war, sondern ein Bumerang. Er kehrte jedesmal zurück und schlug — euch!

Was ist geschehen? Warum führen die Repressionen nicht zum gewohnten Ergebnis? Warum wurde die bewährte Waffe zum Bumerang?
Ganz einfach: Die Zeiten haben sich geändert.

Stalin hatte genug Wasser, um das Feuer zu löschen. Eure Situation ist aber ganz anders. Ihr lebt eben in einer Epoche, in der die Reserven erschöpft sind. Und wenn zu wenig Wasser da ist, sollte man das Feuer damit gar nicht erst reizen. Sonst brennt es noch besser, das weiß jedes Kind.

Ihr habt einen Stock genommen, um das Feuer zu ersticken, aber ihr habt es nur geschürt. Für mehr reicht eure Kraft nicht aus. Das heißt, daß der gesellschaftliche Organismus, in dem wir leben, in eine Phase der Entwicklung getreten ist, in der Repressionen eher einen gegenteiligen Effekt bewirken. Und jede neue Repression wird wieder ein neuer Bumerang sein.

Als ihr mich am l. Juni wieder hinter Gitter gebracht habt, habt ihr einen neuen Bumerang geworfen. Was weiter geschehen wird, habt ihr ja schon gesehen. Vor fünf Jahren hat man mich auf die Anklagebank gesetzt, und von dort kam ein Pfeil geflogen. Dann setzte man mich hinter Stacheldraht in Mordowien, und von dort kam eine Bombe.

Jetzt fangt ihr wieder von vorn an, ihr habt nichts begriffen und nichts gelernt. Nur wird die Kraft des Bumerangs diesmal wesentlich größer sein. 1965 war Moros ein völlig unbekannter Geschichtsdozent. Heute kennt man ihn ... Und jetzt sitzt Moros im Knast. Fragen wir auf europäisch - »Was werdet ihr davon haben?«

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Der einzige Moros, der euch wirklich nützen würde, wäre ein demütiger Moros, der Autor eines Reuebekenntnisses. Das wäre ein wirklich niederschmetternder Schlag für alle bewußten Ukrainer. Aber diesen Moros werdet ihr nie erleben.

Wenn ihr aber damit rechnet, irgendein Vakuum in der ukrainischen Wiedergeburt zu schaffen, indem ihr mich hinter Gitter bringt, so liegt ihr falsch. Begreift doch endlich - es wird kein Vakuum mehr geben. Das geistige Potential der Ukraine ist inzwischen groß genug, um jedes Vakuum aufzufüllen, um jeden Aktiven, der im Gefängnis sitzt, oder jeden, der sich aus dem gesellschaftlichen Leben zurückgezogen hat, zu ersetzen.

Die sechziger Jahre haben das ukrainische Leben entscheidend aktiviert, und auch die siebziger werden in der ukrainischen Geschichte kein weißer Fleck sein. Die goldenen Zeiten, als das ganze Leben sich im offiziellen Rahmen abspielte, sind unwiderruflich vorbei.

Es gibt bereits eine Kultur außerhalb des Kulturministeriums und eine Philosophie außerhalb der Zeitschrift »Woprossy Filosofiji« (Fragen der Philosophie).

Es wird jetzt immer Erscheinungen geben, die ohne offizielle Erlaubnis entstehen, und mit jedem Jahr wird ihre Zahl wachsen.

Mich wird jetzt ein Gericht hinter verschlossenen Türen verurteilen. Und trotz allem wird das ein Bumerang sein, auch wenn mich niemand hört, auch wenn ich schweigen werde in einer von der übrigen Welt isolierten Zelle des Wladimir-Gefängnisses. Es gibt ein Schweigen, das ist lauter als ein Schrei. Und auch wenn ihr mich vernichtet, werdet ihr es nicht zum Verstummen bringen.

Vernichten ist einfach, aber habt ihr jemals über folgende Weisheit nachgedacht: Vernichtete wiegen manchmal schwerer als Lebende. Vernichtete werden zum Fanal.

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Ich weiß gut, was ihr jetzt sagen wollt: Moros denkt zuviel über sich selbst nach. Aber hier geht es nicht um Moros. Hier geht es um jeden anständigen Menschen an meiner Stelle. Und außerdem: dort, wo Leute bereit sind, im Wladimir-Gefängnis unter dem Einfluß irgendwelcher chemischer Drogen langsam zu sterben, hat kleinliche Eigenliebe einfach keinen Platz.

Die nationale Wiedergeburt ist der tiefste aller geistigen Prozesse. Es ist eine vielschichtige Erscheinung, sie kann viele tausend Formen haben. Niemand kann sie alle voraussehen, niemand kann ein so weites Netz knüpfen, um den ganzen Prozeß einzufangen.

Eure Dämme sind fest und zuverlässig, aber sie stehen auf dem Trockenen. Das Schmelzwasser hat sie einfach umgangen und neue Flußbetten gefunden.

Eure Schlagbäume sind geschlossen. Aber sie halten niemanden auf, die Straßen führen längst an ihnen vorbei.

Die nationale Wiedergeburt ist ein Prozeß, der praktisch unerschöpfliche Quellen hat, denn jeder Mensch hat ein Nationalgefühl, auch einer, der geistig scheinbar gestorben ist.

Das hat sich z. B. während der Debatten im Schriftstellerverband gezeigt, als Leute gegen den Ausschluß von I. Dzjuba stimmten, von denen das niemand erwartet hätte.

Ihr wiederholt stur, daß die Leute, die hinter Gittern sitzen, einfach kriminelle Verbrecher sind. Ihr verschließt die Augep und tut so, als gäbe es kein Problem. Na gut, ihr werdet diese nicht allzu kluge Position vielleicht noch zehn Jahre behaupten können. Und was dann? Die neuen Prozesse in der Ukraine und in der ganzen Sowjetunion stehen doch erst am Anfang. Die ukrainische Wiedergeburt ist noch keine Massenbewegung geworden. Aber tröstet euch nicht damit, daß dies immer so bleiben wird.

In einer Epoche der allgemeinen Bildung, in der es in der Ukraine 800.000 Studenten gibt und jeder ein Radio hat, wird jede gesellschaftlich relevante Erscheinung eine Massenerscheinung.

Versteht ihr denn wirklich nicht, daß ihr es bald mit sozialen Massentendenzen zu tun haben werdet? Die neuen Prozesse stehen erst am Anfang, und eure Repressionsmaßnahmen haben schon jetzt ihre Wirksamkeit verloren. Wie soll es weitergehen?

Es gibt nur einen Ausweg: sich von der veralteten Repressionspolitik lossagen und neue Formen des Zusammenlebens finden mit den neuen Erscheinungen, die in unserem Leben endgültig Fuß gefaßt haben.

Das ist die Realität. Sie kam ohne Erlaubnis und hat Dinge mitgebracht, die neue Methoden verlangen. Für Leute, die berufen sind, sich mit Politik zu befassen, gibt es genug nachzudenken. Und ihr spielt weiter, werft einen Bumerang ...

Es wird einen Prozeß geben. Und wieder wird alles von vorn anfangen: neue Proteste und Unterschriften, neues Material für Presse und Radio in der ganzen Welt. Das Interesse an dem, was Moros geschrieben hat, wird ums Zehnfache wachsen. Alles in allem wird eine neue Portion Öl in das Feuer gegossen, das ihr löschen wollt. Das gerade ist subversive Tätigkeit. Aber sucht die Schuld nicht bei mir: Ich habe Moros nicht hinter Gitter gesetzt. Ich habe keinen Bumerang geworfen.

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W.Moros in Iwano-Frankiwsk
im November 1970

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