Start    Weiter 

Bericht aus dem Berija-Reservat 

 

   en.wikipedia  Valentyn_Moroz (1936-2019)   dissidenten.eu  walentyn-moros     goog  Walentyn+Moros    

 Moros ist auch bei Applebaum, Malzew und Bukowski erwähnt  -  wikipedia  Stefanija_Schabatura (1938-2014) 

 

 Zur Person Walentyn Moros 

25-27

Der 40jährige sowjet-ukrainische Historiker Walentyn Moros, der schon 1965-1969 in einem Arbeitslager der Mordowischen ASSR eine erste Haft abbüßte, wurde neun Monate nach seiner Entlassung am 1. Juli 1970 erneut verhaftet und am 18. November 1970 von einem sowjetischen Provinzgericht in Iwano-Frankiwsk (Westukraine) aufgrund des Art. 62 des Kriminal­strafrechts wegen »antisowjetischer Agitation und Propaganda« zu 14 Jahren Haft verurteilt (davon 6 Jahre Gefängnis, 3 Jahre Arbeitslager, 5 Jahre Exil).

Den Tatbestand der antisowjetischen Propaganda sah das wegen angeblicher »Staatsgefährdung« unter Ausschluß der Öffentlichkeit tagende Gericht in den durch den Samwydaw (Samisdat) verbreiteten Essays erwiesen, in denen der Rückfall in den Stalinismus sowie die Mißachtung der Prinzipien von Lenins Nationalitäten­politik in den nichtrussischen Sowjetrepubliken seitens der Zentralregierung angeprangert wurden.

Sein wichtigstes Essay ist der hier vorliegende »Bericht aus dem Berija-Reservat«, der 1967 während seiner ersten Haftzeit im Lager von Jawas entstanden ist.

Der »Bericht« untersucht die Methoden der »Umerziehung« politischer Häftlinge in den Straflagern der UdSSR und kommt zum Ergebnis, daß die Praktiken des KGB sich innerhalb der Lager in keiner Weise geändert haben.

Die totale Rechtlosigkeit der Häftlinge, der Druck des KGB auf alle, die auch nur zeitweise in seinen Händen gewesen sind, die barbarischen Methoden, die politischen Häftlinge von ihren Ansichten abzubringen und nicht zuletzt das gesellschaftliche Bewußtsein, das diese Willkür erst ermöglicht, all das geschildert anhand eigener Erfahrung und Anschauung, anhand erlebter und berichteter Vorfälle und Gespräche während der Haftzeit, bestätigt das Bild, das sich der westliche Leser in jüngster Zeit anhand der Lektüre von Solschenizyns »Archipel Gulag« von den rechtlichen Zuständen in der UdSSR machen konnte; mehr noch, es zeigt, daß diese Zustände nicht etwa nur deshalb angeprangert werden können, weil sich »das System geändert hat«. 

Es hat sich nicht oder kaum geändert, berücksichtigt man die Tatsache, daß bei der zweiten Verhaftungs­welle in der Ukraine 1971 fast alle der im Essay angeführten Häftlinge und darüber hinaus noch Dutzende anderer Intellektueller zu wesentlich höheren Haftstrafen verurteilt wurden als 1965 und daß die Lebensbedingungen in den Straflagern sich gerade in den letzten Jahren bedeutend verschärften.

Es bestätigt vielmehr die Ansicht von Moros, daß zur Zeit die stalinistischen Kräfte in der UdSSR noch an der Macht sind, und teilweise sogar eine Renaissance erleben.

Moros hatte seinen Bericht mit der Absicht verfaßt, die sowjetukrainischen Deputierten mit den Methoden des KGB und den Zuständen in den Arbeitslagern, in die man ukrainische Dissidenten zur Umerziehung verschickt, bekanntzumachen. Der ukrainische Journalist Wjatscheslaw Tschornowil (1973 zu 12 Jahren Freiheitsentzug verurteilt) fertigte mehrere Kopien des Berichts an und schickte ihn an führende Parteimitglieder. Eine dieser Kopien gelangte noch 1968 in den Westen und erschien mehrfach in englischer Übersetzung.

Um Mithäftlinge vor seinem Einfluß zu isolieren, wurde Moros während seiner zweiten Haft von 1970-1972 in Wladimir mit Kriminellen und psychisch Kranken in einer Zelle untergebracht, die den an einer schweren Anämie leidenden Historiker im Auftrag der Gefängnisleitung mißhandeln durften. Die tätlichen Auseinandersetzungen in der Gefängniszelle reichten bis zu einem im Sommer 1972 vom KGB initiierten Überfall mit scharfen Gegenständen, wobei Moros einige tiefe Stichwunden in den Leib beigebracht wurden.

Nach seiner gesundheitlichen Wiederherstellung kam Moros in strenge Isolierhaft. Unter dem Druck der ständigen Aufforderungen seitens des KGB, Selbstkritik zu üben und seine Schriften durch eine Erklärung zu widerrufen, in ständiger Angst, daß seiner Nahrung Drogen beigemengt würden, um seine Willenskraft zu brechen, hat W. Moros im April 1974 einen Antrag gestellt, ihn in ein Arbeitslager zu verlegen, andernfalls er am 1. Juli 1974 einen unbefristeten Hungerstreik antreten werde.

Die sowjetischen Justizbehörden lehnten seinen Antrag ab. Als Antwort auf die zahlreichen Proteste der kanadischen Jugend ukrainischer Herkunft, die sich um die Freilassung von Moros einsetzte und demonstrierte, nannte die sowjetische Botschaft in Ottawa in einer offiziellen Verlautbarung im Mai 1974 Moros einen Rückfalltäter und Kriminellen, für den es keine Gnade geben dürfe.

Moros befand sich fünf Monate im Hungerstreik. Die Bemühungen seiner Frau Raissa, ihn außer der Reihe besuchen zu dürfen (gestattet sind nur 2 Besuche und 2 Lebensmittelsendungen zu je 1 Kilo im Jahr) und ihn von einem Moskauer Vertrauensarzt untersuchen zu lassen, wurden im August abgelehnt. Moros schrieb im Oktober 1974 an seine Frau, daß er stundenlang bewußtlos daliege, daß er nur noch 100 Pfund wiege und keine physischen Kräfte mehr besitze. »Aber innerlich stehe ich fest wie eine Mauer« hieß es in einem Brief. 

Nachdem der Gefängnisarzt im Oktober eine akute Gallenblasenentzündung festgestellt hatte, bemüht sich das KGB, Frau Moros durch Überreden, Einschüchterungen und Terror dazu zu bringen, auf ihren Mann einzuwirken, den Hungerstreik aufzugeben. Sogar der Vater des Historikers, ein Kolchosbauer aus Wolhynien, wurde aufgefordert, den Sohn während eines einberaumten Besuchs umzustimmen. Doch Moros' Wille zum Durchhalten schien nicht zu brechen.

Im Juni 1974, während des Nixon-Breschnew-Treffens, schickte Andrej Sacharow an beide Politiker Telegramme, in denen er die Freilassung von W. Moroz verlangte. In der 4. Woche des Hungerstreiks, Ende Juli, telegraphierte Sacharow an die kanadische Regierung, bei der sowjetischen Führung die Freilassung von Moros zu verlangen. Auch amnesty international, die Moros seit Jahren betreut, hat durch die Arbeit ihrer zahlreichen Gruppen, die sich des Falles angenommen haben, viel dazu beigetragen, daß die Weltöffentlichkeit mit seinem Gefangenenschicksal bekannt wurde. Führende amerikanische, kanadische, englische, deutsche und skandinavische Zeitungen haben in zahlreichen Artikeln auf die Verfolgungen ukrainischer Dissidenten und insbesondere auf das Schicksal von Walentyn Moros hingewiesen.

Moros' Kampf hatte schließlich relativen Erfolg; er wurde aus der Einzelzelle in eine Gemeinschaftszelle des Gefängnisses von Wladimir verlegt. Nach sechsjährigem Gefängnisaufenthalt wurde Moros zur Untersuchung ins Serbski-Institut gebracht. Nur massive Proteste aus dem Westen verhinderten seine Einweisung in eine psychiatrische Sonderklinik; heute befindet sich Moros in einem Straflager in Mordowien, wo er seine dreijährige Lagerhaft abzuleisten hat.

27

#

 

 

www.detopia.de     ^^^^