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Vom indianischen Sammler und Jäger zur Agrarfabrik

    Anmerk 

 

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Ende des 18. Jahrhunderts war Nordamerika vermutlich das fruchtbarste Land, das je auf dieser Erde existiert hat. Durch behutsame Besiedlung und ökologische Landwirtschaft wäre daraus mit Sicherheit ein riesiger blühender Garten geworden. Statt dessen brachen die Siedler aus Europa – mit ihrer Sucht nach Reichtum und Landbesitz – mit unglaublicher Brutalität in die Natur ein und zerstörten innerhalb von 200 Jahren einen ganzen Kontinent

Nach der ersten Besiedlungswelle durch Fallensteller (Trapper) und Waldläufer, die noch ein Neben- bzw. Miteinander mit den Ureinwohnern, den Indianern, suchten, folgte die zweite Besiedlung der Ranchers und Squatters. Sie begannen mit der Feuerrodung und Tierhaltung. Die Ranchers waren Viehzüchter, die ihre Herden auf den weiten Prärien weiden ließen. Da sie sich von Anfang an relativ große Viehherden hielten, führte dies zu Auseinandersetzungen mit den Sammler- und Jägergesell­schaften der Indianer.

Die Viehhaltung war von vornherein nicht nur auf Eigenversorgung ausgerichtet, sondern darauf, möglichst schnell große Gewinne zu erzielen. Darüber hinaus wirkten die Indianer durch ihr nomadenhaftes Leben provokativ auf die seßhaften europäischen Einwanderer. Auch hier finden wir wieder die Kontroverse zwischen den Sammlern und Jägern und den Ackerbauern; deren Intoleranz duldete ein friedliches Nebeneinander beider Lebensformen nicht, obwohl mit Sicherheit genügend Raum und Nahrung für beide vorhanden gewesen wäre.

Durch die Überlegenheit ihrer Geräte und Waffen und getrieben von ihrer Fortschrittsideologie trugen die Siedler den Sieg über die vermeintlich rückständigen "Wilden" davon. Dieser Sieg war der Beginn der Umwandlung Nordamerikas in ein riesiges Farmland. Denn die Ranchers hatten als Viehzüchter keinen langen Nutzen von den großen, freien Prärien.

Nun kamen mit der dritten Besiedlungswelle die Farmer. Das Land wurde wie ein riesiges Schachbrett aufgeteilt, an Spekulanten verkauft und dann mit geliehenem Geld von den Farmern erworben. Die Siedler aus Europa, die in der Regel noch die viel kleinteiligeren Flächen und Regelkreisläufe des Bauernhofes kannten, glaubten an den Neuanfang einer fortschrittlichen, profitbringenden Landwirtschaft mit großen Flächen, wenigen und spezialisierten Produkten – wie Weizen, Mais oder Baumwolle –, ohne die Zwänge staatlicher Gesetzgebung.

Während dieser drei Besiedlungsphasen wurden allein in Nordamerika innerhalb kürzester Zeit 30 Millionen Bisons regelrecht abgeschlachtet. Das heißt, schon am Anfang der Besiedlung Nordamerikas steht ein riesiger Raubbau an regenerierbarer Energie: Wald und Wild. Damit wurde den Sammler- und Jägergesell­schaften der Indianer abrupt die Lebensgrundlage entzogen. Die Reste ihrer Gesellschaften wurden brutal ermordet. Nach diesem barbarischen "Sieg" fehlten aber zunächst nicht nur die Absatz­märkte für die Produkte, sondern auch Arbeitskräfte. Das führte zu einer ersten großen Pleitewelle unter den Farmern, die letztendlich die Konzentration des Landbesitzes und eine stärkere Kapitalbildung nach sich zog. Die Probleme, die sich durch fehlende Absatzmärkte und Arbeitskräfte ergaben, wurden nun durch stärkeren Energieeinsatz gelöst.

Eisenbahn und Dampflokomotive wurden zum Symbol des Fortschritts der amerikanischen Industrieland­wirtschaft. Durch die transkontinentale Eisenbahn konnten die Märkte im dichter besiedelten Osten und durch das Dampfboot diejenigen in Europa erschlossen werden. Fehlende Arbeitskräfte wurden durch mechanische Geräte ersetzt.

Die Zeit um die Mitte des vorigen Jahrhunderts ist also der Beginn des Einsatzes von Fremdenergie in der amerikanischen Landwirtschaft und der Anfang einer Entwicklung, bei der mit steigendem Energieeinsatz eine Erhöhung der Erträge und gleichzeitig ein immer stärkerer Abbau der Arbeitskräfte erreicht wurde. Dabei wurde auch diese erste Mechanisierungswelle in Nordamerika noch durch tierische Zugkraft eingeleitet. Die ersten Mäher von Wood und Mc. Comic wurden noch von zwei Pferden gezogen, und von diesen Maschinen wurden bereits ab 1840 Zehntausende gebaut. In rascher Folge wurden nun Mähbinder, Grasmähmaschinen und Heuwender entwickelt. Sie wurden zunächst noch im Pferdebetrieb, von Göpeln, später, wenn auch erst zögernd, von Dampflokomobilen betrieben. In den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts gab es bereits die ersten Selbstbinder, die das Getreide in einem Arbeitsgang schnitten und banden.

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Mähdrescher, an deren Entwicklung man bereits seit 1836 arbeitete, wurden ab 1880 in Kalifornien eingesetzt. Es waren schon damals riesige Maschinen mit breiten Schneiden, die von ca. 50 Pferden gezogen werden mußten. Die Mechanisierung der amerikanischen Landwirtschaft war also in ihren Grundzügen bereits vollendet, als die Dampf- und Verbrennungs­kraftmaschinen zu arbeiten begannen. Viele weitere wichtige Instrumente bei der Industrialisierung der Landwirtschaft wurden noch ohne fossilen Energieverbrauch entwickelt.

Jenseits des 100. Längengrades entstand jedoch für die Siedler – nach Vernichtung der Büffel und der Niedermachung des Präriegrases – ein unüberwindliches Hindernis: Die Trockenheit ließ die Ernte verdorren, und die Pflüge waren zu schwach, um den Boden aufzureißen. John Dery konstruierte 1837 für diese Zwecke den Ganzstahlpflug.

Als Antriebsmotoren für Wasser­pumpen wurden europäische Windmühlen weiterentwickelt. Diese Windmotoren haben für die Erschließung des amerikanischen Westens eine ähnliche Bedeutung wie die Windmühlen für die Landgewinnung in den Niederlanden ab 1700. Waren es aber in Holland noch wenige tausend Windmühlen, so wurden in Amerika 2 Millionen dieser Windmotoren gebaut und eingesetzt. Sie versorgten als dezentrale Energiequellen die weit auseinander liegenden Farmen mit billiger, zuverlässiger Energie und verrichteten neben Pumparbeit und Bewässerung bald auch viele andere Arbeiten, wie Dreschen, Häckseln, Schneiden usw. Obwohl diese erste und umfassende Mechanisierung nur mit Sonnenenergie erreicht wurde, führte sie durch ihren großflächigen Einsatz und ihre wider­natürlichen Methoden zu weit größeren ökologischen Krisen als der, die die Abholzung des Mittel­meerraumes nach sich zog.

Nie zuvor in der Geschichte der Menschheit haben so wenige Menschen eine so umfassende ökologische Vernichtung angerichtet. In den ersten 50 Jahren der Siedlungs- und Mechanisierungs­phase wurde der größte Teil der Ureinwohner ausgerottet. Fast die gesamte ursprüngliche Klein- und Großtierwelt wurde vernichtet und durch europäische Zuchttiere – wie Rind und Schwein – ersetzt. Neben Millionen von Büffeln und Pelztieren wurden auch Milliarden von Kleinlebewesen dem brutalen Gewinnstreben nur weniger Millionen Einwohner geopfert. Dabei erwies diese erste Siedlungs­generation sich und ihren Nachkommen einen "Bärendienst": Dieser Raubbau an der Natur führte dazu, daß bis 1930 etwa die Hälfte des nordamerikanischen Mutterbodens durch Bodenerosion abgetragen und ins Meer gespült wurde.

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Die Gründe dafür waren die Zerstörung der Humusschicht durch zu große mechanische Einwirkungen, falsche Anbaumethoden, Entzug der Nährmittel und zu lange Brachzeiten, in denen der Boden ausgelaugt wurde. Während vorher die Wald- und Präriegräser und die Bäume den Boden festhielten, konnten Wind und Regen die Ackerkrume wegschwemmen, auswaschen und das fruchtbare Land in ein Dürregebiet verwandeln. Es ist deshalb gar nicht erstaunlich, daß es in der Folge dieser Entwicklung zu periodischen Dürre­katastrophen mit gewaltigen Ernteverlusten und Wirtschaftskrisen in Nordamerika kam.

Der Konkurrenzdruck auf dem Weltmarkt für Getreideprodukte zwang die amerikanischen Farmer im 19. und zu Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer stetig steigenden Mechanisierung. Diese wurde durch die Nutzung von Dampfmaschinen und Verbrennungs­kraftmaschinen erreicht sowie durch die Einführung des Traktors. Es war Henry Ford I., der 1916 einen leichten, vielseitigen Schlepper mit 20 PS und Vierzylindermotor konstruierte und mit dieser Erfindung die Massenmotorisierung in der Landwirtschaft einleitete. Innerhalb von vier Jahren produzierte Ford 100.000 Traktoren und verkaufte sie. Dies war der entscheidende Schritt von der Sonnenenergie zur fossilen Energie.

Der Verbrauch nichtregenerierbarer Energie steigerte sich nun exponential. Neben den Einsatz von Maschinen traten sehr schnell die Verwendung von Kunstdünger und Schädlingsbekämpfungsmitteln, was mit einem steigenden Energieverbrauch einherging. Die amerikanischen Farmer verfolgten zwei Ziele parallel: die Erträge zu steigern und dabei die Arbeitskräfte zu reduzieren, um Kosten zu sparen. Im Hintergrund dieser Ziele stand der enorme Preisdruck, der durch die Überproduktion verursacht wurde. Denn je mehr die Farmer produzierten, desto größer wurde der nationale Überschuß, der nun auf dem Weltmarkt – das war damals vor allem Europa – abgesetzt werden mußte. Die Mechanisierungsspirale zwang die Farmer zum Kauf immer neuerer und größerer Maschinen und damit zu einem höheren Einsatz von Energie. Finanziert wurde das Ganze durch Kredite. 

Spekulationen und die Hoffnung auf wachsende Gewinne heizten sich gegenseitig an und trieben viele amerikanische Farmer in die Abhängigkeit von Banken und endgültig in den Ruin, als am 24.10.1929, dem sog. <Schwarzen Freitag>, das gesamte amerikanische Wirtschaftssystem zusammen­brach.

 

Es folgte eine mehrjährige Rezession. Viele kleine und mittlere Farmer mußten ihren Landbesitz an Großgrundbesitzer verkaufen, und es entstanden Riesenfarmen (s. Giedion, S. 195). Diese Vergrößerung der Landflächen intensivierte den Maschineneinsatz, erforderte stärkere Maschinen und mehr Kunstdünger und Schädlingsbekämpfungsmittel. Die Betriebe spezialisierten sich auf einzelne Produkte, wodurch immer größere Monokulturen entstanden. Nordamerika wurde zum Weizen-, Mais-, Schweine-, Rinder- und Hühnerland. Die Produkt­vielfalt der Land­wirtschaft verarmte, bevorzugte Nahrungsmittel wurden Steak und Toastbrot.

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Inzwischen hatte die Mechanisierung der Landwirtschaft auch die Mechanisierung der Veredelung von landwirtschaftlichen Produkten nach sich gezogen. Diese ergriff zuerst Back- und Fleischwaren, später Obst- und Gemüsewaren. Bereits Mitte des vorigen Jahrhunderts wurden in Amerika mechanische Knetmaschinen sowie Backöfen mit Durchlaufbändern und Endlos­back­vorgängen eingeführt. Die amerikanischen Großbrotfabriken entstanden. Das für die Toast­brot­herstellung benötigte weiße Mehl wurde von den Walzenstühlen der Großmühlen geliefert, und die Mehlherstellung wurde weiterentwickelt, bis man feinstes Weizenauszugsmehl gewinnen konnte. Nun mußte die Produktion der Brote rationell durchorganisiert werden. Deshalb wurden dem Teig chemische Zusätze beigemengt. Das Brot mußte maschinengerecht geformt werden, und es wurde gleichmäßig geschnitten. Doch nicht nur bei den Amerikanern wurde Toastbrot immer beliebter – bald schon produzierte man es überall in der Welt. Ein Lebensmittel ohne Geschmack und mit wenig Nährstoffen – nur noch gedacht als dezente Unterlage für gekochte, gebratene oder verrührte Eier – wurde die Hauptzutat für das künftige Welteinheits­frühstück.

Die Herstellung von Toastbrot ist von Anfang an infolge des durchrationalisierten Produktionsablaufs durch einen hohen Bedarf an Fremdenergie gekenn­zeichnet. Es wird dafür Kohle, Gas und Elektrizität benötigt. Der Energie­verbrauch wird zum Selbstzweck, das Produkt degeneriert vom Lebensmittel zur vorgefertigten Einheitspampe.

Später weitet sich die Mechanisierung auch in der Fleischverarbeitung aus. Auch dabei wurde Nordamerika zwangsläufig zum Vorreiter. Die großen Rinderbestände im mittleren Westen der USA konnten dort weder verkauft noch verarbeitet werden. Die Märkte lagen im Osten des Landes und in Europa. Die Produktion war auf einen ungeheuren Überschuß angelegt, also mußte das "Material" auf irgendeine Weise in den Osten und von dort über den Ozean transportiert werden. So begann sich ab 1820 in Cincinnati die amerikanische Fleischindustrie zu entwickeln. Der Ort wurde gewählt, weil er am Ohio lag und die Rinder bis dorthin getrieben werden konnten. Der Weitertransport des Fleisches konnte dann über den Fluß erfolgen. In der Cincinnati-Phase ging man mit dem Fleisch absolut verschwenderisch um.

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Nur die wertvollsten Teile der Rinder wurden verwendet, der Rest wurde einfach in den Fluß gekippt, so daß der Fluß von Blut und Fleischresten geradezu dampfte. Obwohl in diesem ersten großen Zentral­schlachthof Amerikas noch Kühlmöglichkeiten fehlten, waren der Schlachtprozeß und die Weiterverarbeitung bereits automatisiert. Das Fleisch wurde entweder verpackt oder gleich zu Konserven verarbeitet. 1875 entwickelte J. A. Wilson die Methode, das Fleisch zu kochen, zu pressen und in Dosen zu konservieren. Das Produkt in den charakteristischen pyramiden­förmigen Dosen nannte er Corned beef.

Der endgültige Durchbruch der automatisierten und mechanisierten Weiterverarbeitung der Fleischmassen des nordamerika­nischen Kontinents gelang mit der Konstruktion des Eisen­bahn­kühl­waggons. Nach 15 Jahren Entwicklungszeit traf 1882 der erste Waggon mit billigem Rindfleisch aus Chicago in New York ein. Von dort konnte das Fleisch dann mit Kühlschiffen nach Europa transportiert werden. Nach und nach wurden nun immer mehr landwirtschaftliche Produktions- und Veredelungsbereiche mechanisiert und automatisiert und die Produkte in Einheitsangebote verwandelt. Die entscheidende Rolle spielte dabei die Energie, deren Verbrauch als Vermarktungsproblem angesehen wurde. Erst vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, warum ein ganzes Volk aus Aluminiumdosen Coca-Cola trinkt, Fertigkaffee konsumiert, das geschnittene Brot aus der Packung ißt und den Hamburger aus der Styroporverpackung als gastronomische Spezialität akzeptiert.

Die Entwicklungsgeschichte der amerikanischen Landwirtschafts- und Lebensmittelindustrie ist keine Geschichte von Hungersnöten, sondern von Überfluß­produktionen, keine Geschichte von Bauern, sondern von Industriellen. Es ist der Beginn der Massen­produktion und des Massen­energie­verbrauchs, es ist die Geschichte der Automaten, nicht der Handarbeit, und es ist die Geschichte der Wegwerfprodukte. – Letztlich ist es die Geschichte der totalen Umweltzerstörung.

 

Die Situation der amerikanischen Landwirtschaft ist in ihrer kurzen Entwicklung von Gegensätzen geprägt. An die Stelle der kleinen Familien­industriefarmen des vorigen Jahrhunderts treten in diesem Jahrhundert Agro-business-farms mit modernem Management, computer­gesteuerten Fütterungs- und Ablauf­systemen und einem riesigen Maschineneinsatz auf wachsenden Flächeneinheiten. Die Viehzucht wird in Stückeinheiten mit bis zu 100.000 Rindern betrieben. Das ist natürlich nur mit Hilfe von programmierter, vollautomatischer Fütterung, Klimatisierung und vollautomatischem Gülleabtransport möglich. Dieselben Bedingungen gelten beispielsweise auch für die Hühner- oder Schweinehaltung.

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Angesichts dieser Lage scheint es kaum glaubhaft, daß die Farmindustrie heute die größte Krise ihrer Geschichte durchmacht. Die Farmer sind mit 214 Milliarden Dollar verschuldet, und schon 1988 werden mindestens 10 % der Betriebe für immer schließen müssen. Die von Farmern bevorzugte Bank of America machte im zweiten Quartal 1985 einen Verlust von 600 Mio. Dollar und steht inzwischen kurz vor der Pleite. Trotzdem steigt die Überproduktion immer mehr, während die Weltpreise für Weizen sinken, so daß die kleineren Betriebe immer größeren Existenzzwängen ausgeliefert sind.

In dieser Krise, die allein durch die Marktlage hervorgerufen wird, zerstört der intensive Maschineneinsatz auch noch weiter die Böden. Die Aussichten für Strukturveränderungen dieses größten Landwirt­schaftsgebietes der Erde sind schlecht. Amerika kennt die Tradition der kleinteiligen Landwirtschaft kaum, sondern richtete seine Planung immer auf riesige Erzeugungs­mengen aus. Die voranschreitende Konzentration der Betriebe steigert den Energieeinsatz kontinuierlich. Dies wird den Boden zwangsläufig weiter zerstören und die Qualität der Produkte stetig senken. 

Das hat schon 1944 George Orwell erkannt, der in seinem Essay <Kreativität und Lebensqualität> schrieb:

"Die Technisierung der Welt könnte nie sehr weit fortschreiten, solange der Geschmack, ja nur die Geschmacks­knospen der Zunge, unverdorben blieben, weil die Produkte der Maschine in dem Fall einfach unerwünscht wären. In einer gesunden Welt bestünde kein Bedarf an Konserven, Aspirin-Tabletten, Grammophonen, Gasrohrstühlen, Maschinengewehren, Tageszeitungen, Telefonen, Autos usw., usw.; dagegen bestünde ein ständiger Bedarf an Dingen, die die Maschine nicht herstellen kann. Aber inzwischen ist die Maschine da, und ihr verderblicher Einfluß ist beinahe unwiderstehlich. Man schimpft über sie, aber man benutzt sie trotzdem weiter. Sogar jeder Eingeborene wird, wenn man ihm die Möglichkeit dazu gibt, die Laster der Zivilisation innerhalb weniger Monate erlernen. Die Technisierung führt zum Verfall des Geschmacks, der Verfall des Geschmacks führt zum Verlangen nach maschinell hergestellten Artikeln und somit zu mehr Technisierung, und auf diese Weise wird ein Teufelskreis hergestellt."(5)

* (d-2015:)  G.Orwell bei detopia   Essay bei detopia   Eventuell schon 1937 geschrieben.

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Die Bauern in Mitteleuropa hatten im 19. Jahrhundert gar keine andere Wahl, als sich dem amerikanischen Trend anzuschließen. Zwar schützten einige Staaten ihre Kleinbauernschaft durch gewisse Importzölle, doch reichten diese nie aus, um in dem Konkurrenz­druck zu bestehen. Aufgrund ihrer riesigen Überkapazität überschwemmten die Amerikaner die europäischen Märkte mit Weizen, Mais, Rindfleisch und vielem anderen. Um dabei mitzuhalten, mußten die Bauern mechanisieren, rationalisieren und zu Fremdenergie greifen. Dennoch verhielten sich gerade die deutschen Bauern der Mechanisierung gegenüber zunächst zurückhaltend. Das hat seine Gründe sowohl im Traditionsbewußtsein als auch in der Angst, Kredite aufzunehmen, denn aufgrund der engen Märkte fehlte den Bauern das Eigenkapital, um die teuren Maschinen zu bezahlen. Wagemutiger waren sie da schon eher beim Einsatz von Kunstdünger.

 

Mineraldüngerverbrauch in der deutschen Landwirtschaft in Kilogramm je Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche, aus <K. Herrmann: <Pflügen. Säen. Ernten> Reinbek,1985, S.167

Jahr:  

Stickstoff 
(N) 

Phosphat 
(P2O5) 

Kali
(K2O)

1878/1880  

0,7

1,6

0,8

1898/1900   

2,2

10,3

 3,1

1913/1914  

6.4

18.9

16.7

1918/1919 

3,9

7,9

22,8

1929/1930 

14,1

18,6

26,6

1938/1939  

25,0

26,2

43,7

1950/1951, BRD und DDR

26,7

25,0

50,6

1969/1970, nur BRD

79,7

62,9

82,3

1980/1981  

126,6

68,4

93,4

 

Zug- und Gartenmaschinen wurden dagegen relativ wenig eingesetzt:

Tabelle: 

Schlepperbestand nach Ländern 1925-1980 (in 1000).  Ebd. S. 225

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Diese Zahlen belegen deutlich den strukturellen Unterschied zwischen der Landwirtschaft in Europa und Amerika bis 1945. Das bedeutet, daß noch bis 1950 der Einsatz von Fremdenergie in der deutschen Landwirtschaft relativ gering war. Selbst der Kunst­düngereinsatz war noch an den Vorkriegswerten orientiert. 

Eine völlige Veränderung der Verhältnisse setzte ab 1955 ein und hat ihre Ursachen vor allem in der Gründung der EWG. 

Die mitteleuropäische Landwirt­schaft suchte den Wettbewerb mit der amerikanischen auf dem Sektor der Qualität, wodurch sie gezwungen war, zu mechanisieren, große Energiemengen einzusetzen, Arbeitskräfte einzusparen und große Flächen zu schaffen (Flurbereinigung). Die Zahlen, die dies für die deutsche Landwirtschaft belegen, sind deutlich. Der Bestand an Traktoren stieg von 139.000 (1950) auf rund 1,5 Millionen im Jahre 1986; die Zahl der Zugpferde sank von 1,6 Mio auf fast null. Die Zahl der Beschäftigten sank von 5,87 Mio im Jahr 1949 auf 913.000 im Jahre 1984. Die Zahl der Betriebe sank von 2 Mio im Jahr 1949 auf 733.000 im Jahre 1984, wobei nur noch die Hälfte Vollerwerbsbetriebe sind. 

 

Um 1960 begann dann die sogenannte "Edelfreßwelle" mit einem immer größeren Fleisch­konsum. Die Massen­tierhaltung mit all ihren negativen Begleit­erscheinungen hielt in der EWG Einzug: Die Kühe wurden in Milchmaschinen verwandelt, Hühner in Legeautomaten, Schweine und Rinder in Fleischfabriken. Die Devise hieß: schnell, viel und billig. Es gibt heute Hühnerhalter mit 2,8 Mio. Legehennen auf kleinstem Raum, Schweineställe mit bis zu 10.000 Tieren und Rindermastanstalten mit bis zu 4000 Stück Vieh. Das Futter wird nicht mehr vom Mäster oder Viehhalter selbst erzeugt, sondern immer mehr als fertiges Kraftfutter aus EG-Beständen oder aus Übersee, oft sogar aus Entwicklungsländern importiert. Da die Abnehmer durch ihre Größe monopol­artige Stellungen einnehmen, können sie dem Erzeuger in Übersee die Preise fast beliebig diktieren.

In dreißig Jahren wurde die europäische Landwirtschaft, die noch 1950  90% ihrer Antriebsenergie von der Sonne bezog, in eine öl- und strom­abhängige Industrie­landwirtschaft amerikanischen Zuschnitts umgewandelt. Dieselben Verhältnisse gelten für die nachfolgende Lebensmittelveredelungsindustrie. So haben wir heute den Zustand erreicht, daß wir 0,48 kg Erdöl verbrauchen, wenn wir 1 kg Brot essen oder 2 kW Strom, wenn wir eine Dose Cola von 0,3 l Inhalt trinken. Diese Energie­relationen gelten inzwischen für alle Lebensmittel, die wir konsumieren. Die Landwirtschaft der EG-Länder ist heute faktisch bankrott. Sie verbraucht weit mehr Energie, als sie in den Nahrungsmitteln hervorbringt.

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Um einen Überschuß zu produzieren, der zur Zeit einen Einkaufswert von 23 Milliarden DM hat, werden von den europäischen Bauern jährlich riesige Mengen an Öl, Strom, Kunstdünger und Pestiziden verbraucht. Sie erwirtschaften dabei für die Lagerhaltung zur Zeit 18 Mio. Tonnen Getreide, 1,5 Mio. Tonnen Butter, mehr als 1 Mio. Tonnen Milchpulver, Millionen Tonnen Rindfleisch, Schweinefleisch, Zucker, Olivenöl und einen Weinsee von 1,8 Milliarden Liter; daneben eine fast unüberschaubare Menge an anderen Lagerwaren. Zwar hat sich der Durch­schnitts­ertrag der Getreideerzeugung pro Hektar von 1910 bis heute verdoppelt, der Energieeinsatz stieg aber dabei auf das Zwanzigfache.

Das bedeutet, daß mit diesem riesigen Energieaufwand lediglich der Arbeitsaufwand reduziert, aber keine wesentliche Ertragssteigerung erreicht wurde. Ähnliche Zahlen gelten für Milchleistungen der Kühe, Legeleistungen der Hühner und Mastgewinne bei Schweine- und Rindfleisch. Darüber hinaus führte die absolute Überversorgung mit Lebensmitteln in weiten Teilen der Europäischen Gemeinschaft, aber auch in vielen anderen Nationen, zu Fettleibigkeit und Überflußkrankheiten. Die Menschen essen sich buchstäblich krank.

Die andere Seite dieser wahnsinnigen Lebensmittelproduktion sind die Umweltschäden, die unsere heutige Landwirtschaft erzeugt. Der Zwang zu großen Ackerflächen fördert den Bodenabtrag, der Einsatz der schweren Maschinen verfestigt den Boden, der feste Boden fordert immer schwerere Schlepper mit größeren PS-Leistungen. So kostet heute ein Daimler-Benz-Traktor mit 150 PS bis zu 150.000 DM.

Die viel zu großen Mengen Kunstdünger, die mit sehr großen Mengen fossiler Energie hergestellt werden, können nur zum Teil von den Pflanzen aufgenommen werden. Der Rest geht über Entwässerungskanäle in die Bäche und Russe und baut dort durch Überdüngung einen viel zu großen Algenbestand auf. Als Ergebnis sterben nach und nach alle Süßwasserlebewesen und schließlich die Pflanzen selbst.

Die Monokulturen erfordern einen erhöhten Einsatz von Schädlings­bekämpfungs­mitteln, weil die sogenannten Pflanzen­schädlinge keine natürlichen Feinde mehr haben, denn die Vögel und die vielen anderen Kleinlebewesen haben wir ganz nebenbei in den letzten 30 Jahren gleich mitvergiftet. Von dieser Entwicklung waren während der ersten Phase der Intensivland­wirtschaft nur Boden und Gewässer betroffen.

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Wenn man nun den Energiekreislauf aufzeigt, so ergibt sich folgendes Szenarium: In Südamerika oder Afrika wird ein großes Stück Regenwald brandgerodet, dann wird mit importiertem Kunstdünger aus Europa Futtergetreide – Mais oder Ölsaat – angebaut und geerntet. Dies erfolgt mit Maschinen, die durch den Entwicklungs­hilfefonds der Industrieländer finanziert werden. Die Futtermittel werden nach Europa verschifft und von Amsterdam aus zu einem Schweinemäster ins Münsterland transportiert. Dieser wieder mästet in einem klimatisierten und automatisierten Stall einige tausend Schweine. Um die Schweine zu verkaufen, läßt er sie zu einer Großschlachterei nach Schleswig-Holstein bringen, da dort die Schweinepreise höher als in Münster sind. Die Schlachterei wiederum transportiert das Fleisch nach Berlin, weil sie dort besondere Subventionen für die Vermarktung erhält. In Berlin wird das Fleisch in Büchsen abgepackt und wandert xfach subventioniert in die Senatsreserve. Nach ca. fünf Jahren wird das Fleisch weit unter Marktpreis verkauft.

Es geht bei diesem "Schweinezyklus" nicht um den Preis, sondern um den Verbrauch von Energie. Für jedes Kilogramm Fleisch werden bei einem solchen Prozeß mindestens 1,5 Liter Erdöl verbraucht. Noch vor 30 Jahren wurden 95 % der Schweine als Abfallverwerter von den Kleinbauern, also vom Erzeuger zum Verbraucher gebracht – ohne fossilen Energieeinsatz. Das Fleisch war damals besser, es enthielt weder chemische noch pharmakologische Bestandteile, und es war frisch.

Die Landwirtschaft der Industrieländer dient heute nicht mehr primär der Nahrungserzeugung, sondern ist Großverbraucher von Energie und Maschinen. Die Nahrungsmittel sind im Grunde bei diesem Prozeß nur noch Abfallprodukte. Sie müssen darüber hinaus noch durch recht komplizierte Verfahren konserviert, tiefgefroren, zentrifugiert oder durch Bestrahlung mit Gammastrahlen haltbar gemacht werden. Allein die Elektroenergie, die für diese ganzen Verfahren benötigt wird, lastet in Europa mehrere Groß­kraftwerke aus.

Die Klein- und Mittelbauern in Europa stehen diesem ganzen Treiben hilflos gegenüber. Schließlich haben sie sich diese Produktions­methoden nicht selbst ausgedacht, sondern sie wurden durch Prämien, Kredite und andere Anreize in das System hineingelockt. Nachdem sie nun durch ihre Verschuldung in Abhängigkeit geraten sind, werden sie durch eine übermächtige Bürokratie, die vor allem mit den Großhändlern und Lagerhaltern verbunden ist, manipuliert. Innerhalb dieses Systems verdienen die kleinen und mittleren Bauern am wenigsten. Das große Geld machen einige der größeren Tierhalter, die Großhändler, die Lagerhalter, die Landmaschinen­produzenten, die Energiekonzerne, die Kunstdünger­hersteller und die chemische Industrie.

 

Der größte Verlierer neben den Bauern ist die Umwelt: Die Massentierhaltung verseucht durch den hohen Nitratgehalt, die Chemierückstände der tierischen Gülle, durch die Pestizide, wie DDT u.a., und durch die Homogenisierung des Futtergetreides die Böden und die tieferen Schichten des Grundwassers.

Zu welchen Überraschungen ein solches Gesamtsystem führen kann, zeigt das jüngste Projekt der Gülleverwertung in den Niederlanden. Weil dort die Felder buchstäblich so zum Himmel stinken, daß das Grundwasser ernsthaft gefährdet wird, sehen sich die Wasserschutzbehörden zum Eingreifen gezwungen. Im Jahre 1985 sollte eine Verordnung in Kraft treten, die besagt, daß nur noch so viel Gülle auf die Felder gebracht werden darf, wie die jeweiligen Pflanzen aufnehmen können. Dabei ist anzumerken, daß dies dann früher oder später dazu führen würde, daß in ganz Europa nur noch Mais angebaut wird, weil allein diese Frucht maximale Mengen von Gülle aufnehmen kann.

Durch diese Verordnung hätten in den Niederlanden viele Betriebe schließen müssen, weil sie ihre tierischen Abwässer nicht mehr ohne hohe Kosten losgeworden wären. Um das Problem anders zu lösen, beauftragte die niederländische Regierung eine Leitgruppe "Güllefragen" mit einer Projektstudie. Diese schlug vor, die Gülle entweder in die Nordsee abzuleiten oder sie durch ein großes Rohrnetz, das möglichst viele Viehhalter entsorgt, an der Küste zu sammeln und dann mit Großtankern als Dünger in die Entwicklungs­länder zu schicken.

Dort sollte sie quasi als Rückfracht für Futtergetreide den Nährstoffgehalt der Böden verbessern.

Hierzu fällt mir nur noch Shakespeare ein: "Ist dies schon Wahnsinn, nun so hat es doch Methode."

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1988- Hans Joachim Rieseberg - Verbrauchte Welt - Die Geschichte der Naturzerstörung und Thesen zur Befreiung vom Fortschritt