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6.  Der gefährdete Nährboden

Metternich-1947

 

   Die Verpflichtung gegenüber dem Boden   

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Der Boden, das wunderbare Kompositum aus komplizierter Materie, aus chemischen Wirksamkeiten und biologischen Kräften, unterliegt der Nutzung durch den Menschen. Der Landbau in irgendeiner Form treibende Mensch, der dem Boden seine Nahrung abverlangt, faßt diese Nutzung je nach dem Grade seiner Kultur, seiner persönlichen Einstellung zu den Dingen seiner Umwelt und entsprechend seinen Kenntnissen von den Zusammenhängen in der Natur verschieden auf.

Der Boden, der von millionenfachem Leben erfüllt ist, der atmet und sich dauernd weiterentwickelt wie ein animalisches Wesen, und der seine Aufgabe, lebensnotwendige Erzeugnisse hervorzubringen, nur erfüllen kann, wenn sich seine Kräfte fortgesetzt regenerieren, bedarf der höchsten Sorge und Pflege und der dauernden Zuführung von Nahrungsstoffen, um das zu ersetzen, was er durch die von ihm gespendeten Ernten verlor. 

Man spricht von den Ernteerträgen als von Geschenken des Himmels und der Erde. Gewiß, der Himmel, die gütige Hand der Allmacht, kann schenken, und sie schenkt tatsächlich jährlich und stündlich in reichen Gaben, indem sie günstige Bedingungen für das Wachstum schafft. In vollen Strömen fließt das Sonnenlicht über die Erde und bewirkt die wundervollen Assimilationsvorgänge in den Pflanzen, auf daß diese wachsen und gedeihen und Segen spenden. Fluten sogenannter atmosphärischer Nährstoffe, Stickstoff, Kohlensäure, Sauerstoff, ergießen sich über die Vegetation des Erdballs und bieten eine Grundlage für eine segensreiche Entfaltung und Entwicklung.

Doch die Erde und ihr ertragspendender Boden haben nichts zu verschenken, sie können nichts ohne entsprechende Gegengabe hergeben, sie dürfen ihren Reichtum an erzeugenden Kräften nicht bedingungslos vertun. Wollte der Nährboden der Erde dies tun, so würde er das Schicksal eines Kaufmanns teilen, der die Vorräte seiner Lager und Läden grundsätzlich verschenkt. Er würde über kurz oder lang gänzlich verarmen.

 

Aber der Mensch ist stark. Mit den Mitteln seines Geistes, seiner Kenntnisse und Technik beherrscht er weitgehend die Natur. Er kann den Boden zur Hergabe von Geschenken zwingen. Von Anfang an ist der Raubbau an der Scholle ein immanenter Zug der Landwirtschaft gewesen. Bei einer primitiven und auf tiefer Kulturstufe stehenden Menschheit, die die Erde in durchaus erträglicher Zahl bewohnte und die außerdem außerordentlich bescheiden in ihrem Anspruch an Menge und Güte ihrer Nahrung war, ist ein solcher Raubbau an der Scholle verständlich und schließlich sogar entschuldbar, wenngleich man sich seiner Gefahren auch in diesem Stadium der Menschheitsgeschichte nicht verschließen kann.

Ernst wurde das Problem der Erhaltung der nahrungspendenden Böden der Erde und ihrer erzeugenden Kräfte von dem Augenblick an, als die Menschheit zum Selbstbewußtsein erwachte, ein von der Natur vor­gezeichnetes Gleichgewicht zwischen der Zahl der nahrungheischenden Menschen und der nahrung­spendenden Fläche gestört wurde und damit der Raubbau an der Scholle zum wichtigsten Medium des Nahrungs­erwerbs und des Kampfes gegen den Hunger wurde. 

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In die Frühzeit dieser Epoche fällt der Untergang der alten Reiche und Kulturen von Babylon, Assyrien und Persien. In ein späteres Stadium dieses Zeit­abschnittes fällt der Untergang von Hellas, Karthago und Rom, und in dessen drittes und letztes Stadium fallen die ununterbrochen in fast regelmäßigen Jahresintervallen auftretenden Hungersnöte des späten Mittelalters und der ersten Jahrhunderte der Neuzeit, einer Zeit, in der Kriege und Seuchen mit dem krassesten Mangel an notwendigem Lebensbedarf in ununterbrochener Folge Millionen fortrafften, um so in natürlichem Ausgleich das zerstörte Gleichgewicht zwischen Menschzahl und Bodenfläche immer aufs neue wieder zu stabilisieren.

Die schwere Krise aber kam für das Problem der Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit und der Erhaltung der Böden im jüngsten Zeitalter der Naturwissenschaft, der Technik und Industrie, des rasenden Fortschritts. 

Es klingt einfach grotesk, und man könnte die Tatsache unter der Rubrik der Treppenwitze der Menschheitsgeschichte anführen: der aufgeklärte Mensch des 19. und 20. Jahrhunderts, der ganz neue Seiten im Buch der Naturwissenschaften aufschlug, der geheime Kräfte des Naturgeschehens ergründete, bändigte, lenkte, der eindrang in das innerste Wesen der toten und belebten Dinge seiner Umwelt, der sich Kenntnis verschaffte über den Zusammenklang der Naturgesetze und der sich so stark fühlte, daß der den vermessenen Versuch machte, den Herrgott seiner Befugnisse auf dieser Erde zu entkleiden, — dieser Mensch hat in der Ausplünderung, Verelendung und völligen Zerstörung seines Nährbodens gründlicher, brutaler und unnachsichtiger gearbeitet, als Jahrhunderte und Jahrtausende vor ihm es fertig brachten. 

Dieser Mensch scheint die Gesetze der modernen Bodenpflege und Bodenhygiene nur entwickelt zu haben, um sie vernachlässigen zu können. Er betäubt sein Gewissen mit den hysterischen Schreien "Mehr Brot! Drei Jahresernten von der gleichen Fläche! Immer höheren Ertrag! Immer mehr, Profit!"

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Der Mensch des 19. und 20. Jahrhunderts hat das eherne ökonomische Gesetz der Industrie, das höchsten Ertrag bei geringstem Aufwand fordert, bedingungs­los auf den Landbau übertragen, der aber als Funktion im Werk der Natur anderen, lebensnäheren Gesetzen unterliegt. Der Raubbau an der Scholle ist im 19. und 20. Jahrhundert in wahrhaft destillierter Ausprägung zur tragenden Maxime des Landbaus geworden. Alle Über­legung und alle Sorge gilt der Erzeugung von Bodenprodukten, sie gilt aber nicht dem wichtigsten Produktionsmittel, dem Boden selbst. 

Dieses Jahrhundert hat mehr an Bodenkraft und Bodenenergie für teilweise notwendige, teilweise aber auch für höchst fragwürdige Zwecke mobilisiert, exploitiert und gewinnsüchtig vertan, als alle vorhergegangenen Jahrhunderte zusammengenommen. Auch in dieser Hinsicht wird man immer wieder an das Wort des englischen Physikers James Jeans erinnert: 

"Merkliche Wandlungen (auf der Erde) sind nicht mehr eine Sache von Millionen von Jahren, Tausende genügen, dann Jahrhunderte — jetzt fast einzelne Jahre. Das menschliche Leben (und die Dinge im menschlichen Bereich) hat sich in den letzten 50 Jahren mehr verändert als das der Reptilien in 50 Millionen Jahren während der Jura- und Permformation." 

Dieses Tempo mit allen seinen verderblichen Folgen erzeugt die Menschenhand. Es resultiert daraus letzten Endes die "Man made desert", die vom Menschen erzeugte Wüste.

 

   Der Raubbau an der Scholle   

 Jede grüne Pflanze besteht, wie bereits gesagt, zu 75 bis 90 Teilen aus Wasser. Der Rest bildet die sogenannte Trockensubstanz. Diese setzt sich ihrerseits zusammen aus organischen, d.h. in diesem Falle verbrennlichen, und aus anorganischen, d.h. mineralischen Bestandteilen. Verbrennt man die Trocken­substanz der Pflanze, so verflüchtigen sich die organischen Bestandteile in ihrem gasförmigen ursprünglichen Zustande wieder in die freie Atmosphäre. Nur etwa 2 bis 3 v.H. der ursprünglichen Masse bleiben als Asche zurück. Es sind dies die anorganischen Bausteine der Pflanze, die diese ausschließlich dem Boden entnahm. 

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Wenn ihr Anteil am Pflanzenorganismus auch nur relativ klein ist, so sind diese mineralischen Elemente doch sehr wichtige Bausteine des Pflanzenkörpers, ohne die Werden und Wachsen des Pflanzenwesens undenkbar ist. Es handelt sich im wesentlichen um die Elemente Phosphor, Schwefel, Kalium. Magnesium, Calcium, Natrium, Silicium, Eisen und Chlor. Dazu kommen noch eine Reihe sogenannter Spurenelemente, die nur in Spurenmengen von der Pflanze benötigt werden, die aber nichtsdestoweniger für das Wachsen und Gedeihen der Pflanzen von höchster Bedeutung sind. In der Wirksamkeit der Spurenelemente mag das Rätsel des Verhaltens mancher Pflanzen begründet sein, die unter sonst normalen Umständen anormale Wachstumsvorgänge zeigen. Man kann die Wirkung dieser kleinsten Nährstoffmengen auf das vegetabilische Leben mit der Wirkung der Vitamine und Enzyme auf den animalischen Organismus vergleichen.

Das ist der wichtige Beitrag des Bodens zur Ernährung der Pflanze. Der Mensch, den die Fortschritte seiner naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der Erfolg seiner Laboratoriumsversuche überheblich machten, hat zu Beginn des naturwissenschaftlichen Zeitalters vielfach geglaubt, sich in der Erzeugung seiner Nahrungsgüter von der Scholle unabhängig machen und diese mit Hilfe der chemo-technischen Herstellung von Pflanzen­nährstoffen zu einem bloßen Standort für seine Nutzpflanzen degradieren zu können. Die Natur selbst aber hat sehr bald den naturwissenschaftlichen Taschenspieler in seine Grenzen zurückgewiesen. Der Boden ist und bleibt nicht nur der Standort der lebenden Pflanze, sondern ist und bleibt auch in weitgehendem Maße deren Ernährer. Die ihm innewohnenden Kräfte müssen deshalb erhalten und, wenn Eingriffe in ihren Bestand erfolgten, wieder ergänzt werden.

 

Das Pflanzenwachstum entzieht dem Boden fortgesetzt eine bestimmte, beinahe genau errechenbare Summe von wichtigen Nährstoffen. Um diesen Betrag wird der Boden ärmer und seine ernährende Kraft geringer. 

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Kommt es nach dem Absterben des Pflanzenorganismus zu dessen Verfall und zu seiner Auflösung in die Grundelemente seines Aufbaus an Ort und Stelle, so kehren die Bodennährstoffe wieder in die Erde zurück, um sich in den Kreislauf des Naturgeschehens zwanglos wieder einzuschalten. Hier liegt die Erklärung für die absolute Autarkie des Urwaldes und zum Teil auch des Kulturwaldes, der Prärie, der Steppe, des nicht vom Menschen bearbeiteten Ödlandes, des Moores usw.

Eine Störung des natürlichen Kreislaufes tritt durch das Eingreifen des Menschen ein. Der Mensch hat das Bestreben, von seinen Nahrungsflächen fortgesetzt Nahrungsgüter zu entnehmen und diese wirtschaftlich und markttechnisch zu verwerten. Er verkauft die Erzeugnisse, deren er in der eigenen Wirtschaft nicht bedarf. Ein großer Teil der in der Welt erzeugten Nahrungsmengen geht außerhalb der erzeugenden Wirtschaft, und damit geht diese Wirtschaft und der von ihr bearbeitete Boden der Beträge an Bodenkraft verlustig, die in den verkauften Produkten stecken.

Die moderne Markttechnik hat ein viel verzweigtes System der Warenverwertung erfunden. Nahrungsgüter, die im landwirtschaftlichen deutschen Osten erzeugt wurden und dort an den Kraft- und Stoffvorräten der Böden zehrten, gehen in die dichtbesiedelten Gebiete des deutschen Westens, um hier verzehrt zu werden. Dadurch steigerte sich aber nicht in entsprechendem Umfange die Bodenkraft der nährenden Scholle des Westens. Das Zeitalter der industriellen Zivilisation hat das Hygienewesen der Großstadt mustergültig — allerdings nicht mustergültig im Sinne einer ökonomischen Bewirtschaftung der in den Nahrungsmitteln mobilisierten Bodenkraft — geordnet, indem es die "unverkennbaren", d.h. in diesem Falle die unverdaulichen Rückstände der verzehrten Nahrungsmittel auf Rieselfeldern verschlämmt oder noch bequemere Wege geht, indem die Abwässer großen Strömen zugeführt und ins Meer verfrachtet werden.

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Eine Bewegung gigantischen Ausmaßes an wertvollen Bodensubstanzen ist in der modernen Welt im Gange. Die Überschußländer der Weltwirtschaft schicken in nicht abreißendem Strom diese Bodenstoffe als Bestandteile der exportierten Nahrungsgüter in die dichtbevölkerten Bedarfsländer, an deren Spitze die hochentwickelten Industrieländer Europas stehen. Fortgesetzt zwingt man die Tropen und Subtropen, wertvolle Bodenprodukte an die anderen Erdgürtel »abzugeben. Ein ungeheuerer Mobilisierungsprozeß erdgebundener Kräfte und Stoffe ist in der Welt im Gange mit der Wirkung, daß die gebenden Gebiete ärmer werden, ohne daß die empfangenden Gebiete in entsprechendem Umfange bereichert werden.

Solange Menschen in lockerer Streuung die Erde bewohnten und sich von einem primitiven Landbau nährten, konnte das Problem der Bodenerschöpfung nicht akut werden. Aus der Fülle des Nährstoffkapitals, das die Erde in einem Hunderte von Millionen Jahre währenden Entwicklungsprozeß bildete, erzeugte sie in reichem Maße Nahrungsgüter für Mensch und Tier, und was sie gab, kehrte, nachdem es seine nährenden Zwecke erfüllt hatte, in vollem Umfange in den Kreislauf des Naturgeschehens dort zurück, woher es stammte. 

Das wurde anders, als eine zahlenmäßig wachsende Menschheit gezwungen wurde, immer höhere Anforderungen an das Nährstoffkapital zu stellen, immer rücksichtsloser "Geschenke" von der Erde zu verlangen und diese "Geschenke" im Clearing der Welternährungswirtschaft einzusetzen. Die höchste Stufe der Gefahr wurde erreicht im jüngsten Zeitalter der rein kommerziellen Einstellung, das eine Menschenansammlung von nie gekannter Dichte an einzelnen Stellen der Erde erreichte, und in dem der geistigen Einstellung nach das "Geschenk" der Erde gleichbedeutend wurde mit einem heiß begehrten "Profit".

 

    Justus Liebig und die Gesetze der Bodenstatik    

Man muß es als eine tragische Verkettung der Dinge ansehen, daß die neueste Zeit, in deren Beginn das Leben und Wirken eines der größten Männer der Welt­geschichte, des deutschen Chemikers Justus Liebig, fällt, mehr Bodenkraft verschwendet hat, als alle vorhergegangenen Jahrhunderte und Jahr­tausende zusammen­genommen.

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Im Jahre 1840 erschien aus der Feder von Justus Liebig im Verlag von Friedrich Vieweg & Sohn in Braunschweig das später so berühmt gewordene Buch: <Die Chemie in ihrer Anwendung auf Agrikultur und Physiologie>, und zwei Jahre später als Ergänzung dazu das Buch: <Die Tierchemie und ihre Anwendung auf Agrikultur und Physiologie>.

Etwas über hundert Jahre sind seit diesen Veröffentlichungen verflossen. Die Landwirtschaft ist durch die Ideen Liebigs auf eine ganz neue Grundlage gestellt. Die Chemie, diese ehemals verächtlich angesehene "Jahrmarktskunst", ist zu einer der wichtigsten Helferinnen der Landwirtschaft geworden.

Worin besteht die Arbeit dieses Mannes, und was bedeutet ihr Erfolg? — Liebig hat mit seinen bahnbrechenden Arbeiten und Erkenntnissen Klarheit über den Zusammenhang zwischen organischem Leben und "toter" Materie und ihre beiderseitige Verbindung über die Ernährung der Pflanze hinweg geschaffen. Wie in allen Dingen, so ging auch auf seinem Hauptforschungsgebiet, das der Stoffwechselfunktion galt, Justus Liebig analytisch vor, indem er die Daseins­bedingungen der Pflanzenwelt, zugleich aber auch die Lebensbedingungen des Bodens, der sie trägt und nährt, ermittelte. Man muß die Anschauungen der vorliebigschen Zeit kennen, um zu ermessen, welche Großtat Liebig damit leistete.

Die Landwirtschaft war bis zu Liebig Gegenstand der Betrachtung der Naturphilosophie. Sie war schicksalhaft an das Walten unbestimmbarer Faktoren gebunden. Die "gute Ernte" galt als ein Geschenk des Himmels, die "schlechte Ernte" galt als Strafe. Jeder Versuch einer menschlichen Beeinflussung der natürlichen Kräfte wäre vermessen gewesen. Der Landbau spielte sich seit Jahrhunderten in einem festen Zyklus ab, nämlich in der Methode der Dreifelderwirtschaft — Brache, Wintergetreide, Sommergetreide. 

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Fortschrittliche Geister, wie z.B. der "Vater der Landwirtschaft", Albrecht Thaer, hatten schon eine leichte Bresche in das landwirtschaftliche Wissens­gebäude von damals gelegt, aber die von Thaer aufgestellte "Humustheorie" war noch allzusehr befangen in den naturphilosophischen Anschauungen der Zeit, um es zu Fortschritten zu bringen, die mit dem Erfolg Liebigs zu vergleichen gewesen wären. Wohl gelang es Thaer, den Landbau in etwa zu intensivieren, indem er die Brache wegfallen ließ und sie durch Besommerung mit Futterpflanzen ausfüllte. Aber im Grunde änderte sich nur wenig an der bis dahin gegebenen Lage der Landwirtschaft. Sie blieb in gottgewollter Abhängigkeit von den geheimnisvoll in der Natur schaltenden Faktoren.   wikipedia  Albrecht_Daniel_Thaer  (1752-1828)

Vor dem Auftreten Liebigs erzeugte die Landwirtschaft Deutschlands auf einer größeren Nutzfläche, als sie heute vorhanden ist, unter stärksten Anstrengungen schlecht und recht die Nahrung für 32 Millionen Menschen. Vor Ausbruch des letzten Krieges erzeugte dieses Deutschland rund 83 v.H. des Nahrungsbedarfs seines 80 Millionenvolkes aus eigener Scholle. Vor Liebig lösten regelmäßige Mißernten und Hungersnöte sich mit Normal­erntejahren und der Möglichkeit für alle, sich satt zu essen, ab. Heute ist ein Normalertrag der Landwirtschaft, mit dem in jedem Jahre mit hoher Sicherheit zu rechnen ist, die Regel geworden. Dieser Wechsel der Dinge ist Justus Liebigs Verdienst.

Die von Liebig aufgestellte "Mineralstofftheorie" klingt für moderne Menschen höchst einfach. In den obenerwähnten Büchern weist der Autor nach, daß der ewige Hunger der Menschheit auf die mangelhafte Erzeugung der Landwirtschaft und auf die fortschreitende Bodenerschöpfung zurückzuführen sei. Man müsse das Übel an der Wurzel anpacken. Die mineralischen Bestandteile, die man in den Aschenteilen verbrannter Pflanzen fände, seien nicht im Pflanzenkörper entstanden, sondern sie seien Bodenstoffe, die die Pflanzen zu ihrer Ernährung ihrem Standort entzögen.

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Um ständig gute Ernten zu erzielen, sei es notwendig, dem Boden alle mineralischen und auch organischen Stoffe wiederzugeben, um die er durch die Pflanzen­ernährung ärmer wurde. Liebigs seherischer Blick schweifte in die weite Zukunft. Er sah die Landwirtschaft, die bis dahin alle Mühe hatte, eine kleine Bevölkerung zur Not zu ernähren, in der Lage, große Menschenmassen auskömmlich mit Nahrungsgütern zu versorgen. "Es wird eine Zeit kommen, wo man die Felder mit Stoffen düngen wird, die man in chemischen Fabriken herstellen wird und die nur aus solchen Stoffen bestehen werden, die für die Pflanze nötig sind." Liebig hatte den Weg gewiesen, auf dem seine Nachfolger auf dem Gebiet der Chemie weiterzugehen hatten. Es war noch ein weiter Weg bis dahin.

Noch im Jahre 1898 erklärte der englische Chemiker Sir William Crookes in einem Vortrag vor einer wissenschaftlichen Gesellschaft: "Eine Welthungersnot ist unvermeidlich, wenn es nicht gelingt, künstlich den Stickstoff der Luft in die Form von Düngemitteln zu bannen... Die Frage der Stickstoffbindung ist eine Frage auf Leben und Tod für die kommenden Generationen."    wikipedia  William_Crookes  (1832-1919)

Mit den Lehren von Justus Liebig waren die Gesetze der Statik im Landbau aufgestellt. Die ihnen zugrunde liegende Frage der Herstellung des Gleichgewichts zwischen Einnahme und Ausgabe an pflanzenerzeugenden Kräften des Bodens war theoretisch vollständig, praktisch zum Teil gelöst. Ihre volle Lösung erfolgte mit der Stickstoffsynthese und ihrer Auswertung auf industrieller Grundlage. Damit ist die Möglichkeit gegeben, das mit jeder neuen Ernte angezapfte Reservoir an Bodenkräften unverzüglich wieder aufzufüllen. Unter diesen Umständen kann der Boden pausenlos genutzt werden. Das Brachjahr des Dreifeldersystems, dessen notwendige Einschaltung vor Liebig den Ertrag der bebauten Flächen von vornherein um ein Drittel herabdrückte, konnte fortfallen. Der Fruchtwechselwirtschaft in ununterbrochenem Turnus war das Tor geöffnet, der rationellen Landwirtschaft modernen Stils war der Weg gewiesen.

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Hat die Weltwirtschaft die Lehren Liebigs genutzt und im Sinne ihres Entdeckers ausgewertet? — Nein, sie tat es nicht, sie tat es nicht einmal in vollem Umfange in seinem Heimatlande, auf altem landwirtschaftlichem Kulturboden im nahrungsbedürftigen Europa. Das Prinzip des Raubbaus ist ein tragender Grundsatz auch der modernen Landwirtschaft geblieben. Der flüchtige Profit des Tages erscheint den Bodenwirten aller Länder wichtiger als die Zukunft der Böden, die berufen sind, die Menschheit bis an das Ende ihrer Tage zu ernähren.

 

   Die Bilanz der Bodenkräfte  

 In der ältesten landwirtschaftlichen Versuchsstation der Welt, in Rothamsted in England, machten die landwirtschaftlichen Fachgelehrten Lawes und Gilbert im Anschluß an die Lehren von Liebig aufschlußreiche Versuche auf dem Gebiet der landwirtschaftlichen Statik. Die Versuche erstreckten sich über den Zeitraum der Jahre 1856 bis 1883. Der schwere, aber nicht übermäßig reiche Lehmboden von Rothamsted erhielt in den Jahren 1856 bis 1863 eine regelmäßige Voll-düngung. Das jährliche Ernteresultat war in diesen Jahren auf der Versuchsfläche: 27,2 Doppelzentner Körner und 64,7 Doppelzentner Stroh.

In den Jahren 1864 bis 1870 blieben die Flächen ungedüngt. Das Ergebnis war: 12,8 Doppelzentner Körner, 22,0 Doppelzentner Stroh.

Nach vierjähriger Pause wurden die Versuche fortgesetzt. Die Flächen blieben von 1874 bis. 1883 ungedüngt. Das durchschnittliche Jahresergebnis war: 8,1 Doppelzedtner Körner, 13,1 Doppelzentner Stroh.

Der Versuch zeigte also ein fortgesetztes Fallen der Erträge bei fehlender Düngung trotz der Ruhepause in den Jahren 1870 bis 1874. Im Anschluß erhielten die Flächen wieder eine Volldüngung mit dem Ergebnis, daß die hohen Erträge der Jahre 1856 bis 1863 bald wieder erreicht waren.

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Die Raubbautendenz der modernen Landwirtschaft zeigt ähnliche Ergebnisse in der Praxis. Ein krasses Beispiel bietet der wilde Raubbau an der Scholle während des ersten Weltkrieges in den Ländern Europas.

Auf dem Gebiet des nachmaligen Deutschen Reiches gab es im Jahre 1861 einen Ernteertrag der vier wichtigsten Getreidearten Weizen, Roggen, Gerste und Hafer von 12 Doppelzentnern. Unter Schwankungen hielt sich dieser Ertrag etwa bis zum Jahre 1891. Dann trat, unter dem Einfluß der modernen Erkenntnisse im Landbau und mit Unterstützung der Technik, ein rapides Steigen der Erträge bis zum Beginn des ersten Weltkrieges ein. Als der Krieg ausbrach, lag der Körnerertrag je Hektar in der Summe der vier genannten Getreidearten auf 21 Doppelzentnern. Im zweiten Kriegsjahr 1915 fiel der Ertrag infolge der mangelnden Bodenpflege und Zufuhr an Düngemitteln auf 13 Doppelzentner. Er fiel unter geringen Schwankungen nach oben weiter auf einen Tiefstand von 12 Doppel-, Zentnern im Jahre 1917. Er sank demgemäß in wenigen Jahren auf das Niveau des Jahres 1861 herunter.

In der Nachkriegszeit stieg der Ertrag wieder an, aber es dauerte bis in die dreißiger Jahre, ehe der Stand des Jahres 1914 wieder erreicht war. Wieweit und um wieviel Jahre wird der zweite Weltkrieg, der noch stärker in die Wertsubstanz des Bodens eingriff und in wilder Gier an ihr zehrte, die Nahrungsversorgung der hungernden Menschheit zurückgeworfen haben?

In den europäischen Südoststaaten, die auf weifen Landstrecken reiche Böden ihr eigen nennen, ist im letzten Jahrzehnt eine starke Steigerung der Landnutzung im Interesse der Autarkiebestrebungen des "Großraums Europa" vorgenommen worden, der auf der anderen Seite durchaus nicht die notwendige Zufuhr entsprechender Mengen von Nährstoffen des Bodens gegenübersteht.

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Ein planmäßiger Raubbau ist hier jahrelang betrieben worden, dessen unheilvolle Wirkungen nicht ausbleiben können. Das gleiche gilt für Polen, die Tschechoslowakei, Italien, Frankreich, Belgien, Holland und Dänemark.

In der außereuropäischen Welt liegen die Dinge nicht besser. Ein klassisches Beispiel ist Ägypten. Seit der Einschaltung des Nillandes in das scharfe Erzeugungstempo der modernen Welt fielen Ägyptens Bodenerträge schrittweise bis in die neunziger Jahre infolge fortschreitender Bodenverarmung. Die Inbetriebnahme der modernen Bewässerungsanlagen und stärkere Zufuhren namentlich von Phosphor haben den unheilvollen Zug dieser Entwicklung — vielleicht nur vorübergehend — beendet und die Erträge wieder steigen lassen.

In der Eingeborenenwirtschaft Afrikas hat die Erfahrung den Eingeborenen zur sogenannten Wanderwirtschaft, zur shifting cultivation, geführt. Ihr Wesen liegt darin, daß der Eingeborene auf urbar gemachten Parzellen Nähr- und Handelspflanzen anbaut, bis die Erträge merklich nachlassen. Er bestellt dann ein anderes Stück Boden, das urbar gemacht wurde oder das bereits früher in Kultur war, bis auch hier die Bodenfruchtbarkeit sinkt. Dieses System ist solange für den Boden gefahrlos,, als der primitive Bauer den Boden nicht völlig ruiniert und den Parzellenwechsel vornimmt, wenn die Kraft der eben genutzten Flächen nicht restlos erschöpft ist. Die Gefahr beginüt erst, wenn die Nutzung der eben bestellten Fläche übermäßig lange erfolgt, entweder weil der Stamm der Eingeborenen sich zu stark vermehrt hat oder weil neue Stämme zugewandert sind. Die Bodenfruchtbarkeit geht dann, was immer häufiger geschieht, so weit zurück, daß sich nicht einmal mehr ein genügend dicht schließender Busch auf. der verlassenen Fläche ansiedeln kann. Auch Afrika, dieser dünn besiedelte Erdteil, hat seine "Raumnot".

Das dichtbesiedelte Indien ringt unter der englischen Herrschaft energisch um seinen landwirtschaftlichen Fortschritt.

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Die ungenügende Düngung ist das Haupthindernis. Es fehlt nicht an Vieh und organischen Düngemitteln, aber ,in Ermangelung preiswerter Heizstoffe trocknet man die tierischen Exkremente und verwendet sie zu Brennzwecken. Die Engländer sind bemüht, durch Anlage von Musterfarmen mit vorbildlichen Dungstätten und Einrichtungen zur künstlichen Bereitung von Mist und Kompost Bresche in das uralte, System einer unrationellen Eingeborenenwirtschaft zu legen — bislang mit unzureichendem Erfolg. Den Schaden tragen unmittelbar der Boden und seine erzeugende Kraft, mittelbar, der nahrungheischende Mensch. Das Verfahren, wertvolle organische Düngestoffe zu Brennzwecken zu benutzen, herrseht im kohle- und waldarmen Orient bis hin an die Tore der europäischen Zivilisation auf dem Balkan und in Spanien.

Nordamerika hat seit der sogenannten Pionierzeit eine überaus sorglose Wirtschaft mit den Kräften seiner Böden getrieben. Hier hat es die Wirtschaft des 20. Jahrhunderts mit ihrem Raubbau so weit gebracht, daß die einstmals viel gefeierte Industriefarmerei vom höchsten Gipfel des zivilisierten Fortschritts zurückgeworfen wurde auf das Niveau der Wanderwirtschaft primitiver Eingeborenenvölker. Für die endlosen Gebiete der ehemaligen Prärie gelten — soweit die Gebiete nicht rettungslos der Erosion verfielen — die Feststellungen, die der amerikanische Bodenforscher Jenny für die Steppenböden ganz allgemein traf. Er verglich den Gehalt an organischen Stoffen eines jungfräulichen Steppenbodens mit- dem von Steppenböden, die bereits 60 Jahre lang mit Mais, Weizen und Hafer bestellt worden waren und fand, daß letztere Felder im Laufe der Zeit nicht weniger als 38 v. H. ihrer organischen Nährstoffe eingebüßt hatten. Das geschah trotz der sozusagen Unverwüstlichen Kraft dieser Steppenböden mit ihrer überaus starken Humusdecke.

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In der Zeit, als ein bösartiges Schlagwort die Völker der Erde in die Lager der Besitzenden und Besitzlosen verwies, richteten sich lüsterne Augen auf die Schatzkammern der Tropen. Seltsame Sachverständige entwarfen utopische Pläne für die agrarische Exploitation der Tropengebiete. Der regenfeuchte Urwald, das einzigartige und starke Rückgrat der meteorologischen Ausgeglichenheit der Erdgebiete im Bereich des Äquators, sollte fallen, um die akute Holznot der Havenots zu lindern, und an Stelle des natürlichen Tropenwaldes sollten schnell umtriebsreife Holzfabriken aus Nadelwäldern treten. Die eingesparten Flächen dieser kaltblütig gemordeten Tropenwälder aber sollten landwirtschaftlich rationell genutzt werden.

Diese und ähnliche Pläne gingen so gut wie an allen realen Tatsachen, die im Naturhaushalt der Tropen und Subtropen eine Rolle spielen, achtlos vorbei. Die Erfahrung hat gezeigt, daß der Gehalt- des Bodens an Nährstoffen stets in den Jahren abnimmt, die der Urbarmachung von Steppen-und Waldböden folgen. Die Böden der urwaldbestandenen Tropen sind zudem von Natur aus recht schwach. Die Dinge sind hier so gelagert, daß fast die gesamte Menge der vorhandenen Nährstoffe in der verschwenderisch ausgestatteten Vegetation des Urwaldes investiert ist und dem Boden in Gestalt der sich zersetzenden Pflanzenrückstände zurückgegeben wird, um dann wieder in den Kreislauf des Werdens und Vergehens zurückzukehren. Der Boden ist also hier viel weniger Nährstoffspeicher als Standort für die reiche Individuenwelt des Urwaldes, der der eigentliche Träger und Verwalter der Nährstoffe ist.

Der moderne, mit allen Wassern gewaschene Mensch hat eine Unzahl von Kunstfertigkeiten und Kniffen entwickelt, mit denen er die Natur in allen Breiten der Erde zu überlisten, zu täuschen und zu Leistungen zu bringen sucht, die sie ohne Gegengabe und ohne Gegendienste nicht hergeben will, kann und darf. Sie erliegt aber dem menschlichen Zwang, und der Raubbau an der Scholle schreitet selbstbewußt und stolz auf seine Leistungen durch die Länder der Erde — aber er zieht bei seinem unsauberen, die Gegenwart betrügenden und die Zukunft belastenden Geschäft die Glacehandschuhe an.

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  Die Bodenvernichtung durch die Erosion 

Das furchtbarste Gespenst der modernen Zeit ist die Bodenerosion, die Schwächung und schließlich die völlige Vernichtung der fruchtbringenden Scholle durch Abwaschung und Windverwehung. Die Erosion aller Intensitätsgrade hat in der Welt einen Umfang angenommen, der zu den schlimmsten Befürchtungen Anlaß gibt. Riesige Gebiete der Erde sind durch sie in Leistung und Ertrag mehr oder minder geschwächt und gehen langsam einet dunklen Zukunft entgegen, andere, nicht minder große und ernährungswirtschaftlich bedeutsame Gebiete, sind durch die Bodenerosion bereits total vernichtet und zu Ödland und Wüste geworden.

Der Boderiabtrag wirkt nach zwei entgegengesetzten Richtungen: einmal bildet, zum andern zerstört die Bodenerosion die nutzbare Erdoberfläche. Sie erzeugt fruchtbare Ackerkrume und vernichtet sie wieder. Nachdem die Erosion den Aufbau beendet hat, wird ihre weitere Wirksamkeit zu einer tödlichen Gefahr. Man muß sich diese Dinge an geologischen Werdegängen klarmachen.

Als der Erdball nach Erkaltung seiner äußeren Hülle mit einer glasigharten Schale umkleidet war, konnte sich kein vegetabilisches und animalisches Leben auf ihm festsetzen. Die Zersetzung der steinigen Außenhülle der Erde begann, nachdem die Dämpfe der Atmosphäre sich zu Wasser kondensiert hatten und dieses Wasser seinen Kreislauf in der Natur in gasförmiger, flüssiger und fester Gestalt begann. Die harte Außenhülle des Erdballs fing an, langsam, aber in stetem Fortschreiten, zu zerbröckeln, zunächst an besonders expor nierten Punkten, an den Ufern bewegter Seen und Meere, dann im Gebirge, überhaupt überall dort, wo die physikalischen und chemischen Wirkungen äußerer Kräfte den geringsten Widerstand fanden.

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Regengüsse, Nebel, Eis, Schnee, das Auf und Ab der Temperaturen, chemische Einflüsse und Wirkungen der Schwerkraft setzten den Prozeß über Millionen, »vielleicht Hunderte von Millionen Jahren fort, bis der Erdball wohnlich wurde für das Pflanzenleben. Gleichen Schritt mit der Gesteinszersetzung ging die Verfrachtung der zerriebenen und zerfallenen ^ Gesteinsmasse durch Wind, Wasser und Schwerkraftwirkung. An geeigneten Stellen lagerte sie sich ab in Mulden, Senken, Flußniederungen, am Strand der Meere usw.

Seit den ersten Veränderungen, die äußere Einflüsse auf unserem Planeten hervorriefen, ist die Bodenerosion und die Verfrachtung von Erdpartikeln bis heute nicht erlahmt, und sie wird nicht erlahmen, bis der absolute Ausgleich aller Gegensätzlichkeit, die den großen Motor des Natur- "und Weltgeschehens bildet, das "Ende der Welt" anzeigt.

Es sind Perioden geradezu gigantischer Erosionswirkungen über unsere Erde gegangen, die das Antlitz unseres Planeten stark verändert haben. Man braucht nur an die Verfrachtung gewaltiger Schutt- und Erdmassen während der Eiszeiten zu denken, an die Abtragung unserer Mittelgebirge, die zweifellos ihr Dasein als gewaltige Gebirgszüge begannen und die unter der Wirkung der Bodenerosion zu bescheidenen Überresten ihrer ursprünglichen Größe wurden, an die Zuschüttung riesiger Seen und Meere, an die Bildung weitreichender Tiefebenen in Meeresnähe.

Neben solchen Ereignissen von tiefeinschneidender Wirkung besteht bis auf den heutigen Tag und wird bis an das Ende der Tage unseres Planeten eine andere Art der Erosion bestehen, ein stilles, geräuschloses, zumeist unmerkliches Geschehen, das zu den natürlichen Vorgängen auf der Erdoberfläche gehört. Panta rhei! Alles fließt, alles ist in ständiger Bewegung und Entwicklung! Nach der Schneeschmelze und nach starken Regenfällen trüben sich die Fluten unserer Flüsse, Bäche und Rinnsale; sie führen Geröll, Sand und Schlamm mit sich, die sie teils in ihren; Betten, an den Ufern, auf überschwemmten Flächen ablagern, teils aber auch bis ins Meer führen, wo sie Delta bilden und die Schlickablagerung verstärken.

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Die Sedimentation hat das Angesicht der Erde entscheidend mit gebildet. Auch bläst der Wind kleinste Partikel zerfallenen Gesteins als feinen Staub in die Ferne. Sie werden an windgeschützten Stellen abgelagert. Die Gesetze der Schwerkraft, Wind und Wasser halten diese stille, geräuschlose und nur selten sichtbare Bodenerosion in ständigem Fluß. 

 

Die Geologie verzeichnet gewissenhaft alle Fakten der Bodenerosion, studiert in der Vergangenheit und beobachtet die Gegenwart, für den Landbau treibenden Menschen aber erhebt sich die Frage: wo hört der Nährboden bildende Segen der Erosion auf, und wo beginnt der Fluch, der die nutzbaren Räume der Erde schmälert und den Nahrungs-raum der Menschheit einengt?

Es gibt auf diesem Gebiet Tatsachen, die man, wenn das Nützlichkeitsprinzip des Menschen zugrunde gelegt wird, unzweideutig als nützlich oder schädlich bezeichnen kann Wenn die Delta großer Ströme, wie des Po. des Amazonas oder des Mississippi infolge der Anlandung verfrachteter Erdpartikel aus öden Gebirgsregionen wachsen und neues Fruchtland bilden, so kann die Menschheit diese Vorgänge nur begrüßen. Auch die Verfrachtung von Schlamm aus dem Innern Afrikas durch den Nil, der durch die Jahrtausende hindurch die Fluren Ägyptens düngte, ist ein Segen für das Menschengeschlecht. Genau entgegengesetzt aber liegen die Verhältnisse, wenn sich die Sanddünen am Rand der Oaseli verpflanzen und blühende Kulturen unter sich begraben, oder wenn die Zyklone und Antizyklone und der Blizzard in den einstmals so fruchtbaren Great Plains des nordamerikanischen Kontinents gewaltige Massen von Humuserde aufwirbeln und Tausende von Kilometern entfernt über reichen Pflanzungen und über dem Meere niederrieseln lassen, oder wenn die hochgehenden Fluten von Flüssen die Werke des Menschenfleißes unter einer Schlammschicht ersticken. Nutzen und Schaden lassen sich in solchen Fällen klar erkennen. Daneben aber gibt es Vorgänge, die in das Grenzgebiet der günstigen und ungünstigen, der nützlichen und schädlichen Wirkung fallen.

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   Die schwarzen Stürme der Steppe  

 

Die humusreichsten und fruchtbarsten Böden der Welt sind die Böden der östlichen Steppen, der mit ihnen wesensverwandten Flächen der amerikanischen Prärie sowie die Lößböden, die sich in vielen Ländern als geschlossene Gebietskomplexe oder als Einsprengsel finden. In Deutschland gehören dazu die engbegrenzten Flächen der Magdeburger Börde, Einsprengsel im Mainzer Becken und die Breslauer Platte. Dazu zählen auch die Lößterrassen im Elsaß.

Die Steppenböden gehören zu der Gruppe der Schwarzerden, des Tschernosem. und sie verdanken der Winderosion ihre Entstehung und ihren Fortbestand. Die gewaltigsten Komplexe von Schwarzerdeböden besitzt das südliche Rußland in seinen ungemessenen Steppen, ferner, Nordamerika in den Gebieten der alten Prärie. Die dunkle Färbung der Böden rührt von dem hohen Humusgehalt her, der in den russischen Steppen mindestens 6 v. H. beträgt, der aber gelegentlich bis zu 20 v. H. ansteigt. 

Die Tschernosemböden lagern in den russischen Steppen in einer Mächtigkeit bis eineinhalb und zwei Meter. Die Steppenböden verdanken ihre Entstehung dem Zusammenwirken von mechanischer Erdbewegung und den Besonderheiten des Klimas sowie des Pflanzen- und Tierlebens. Steppen bilden sich vorzugsweise unter klimatischen Extremen, so unter dem Kontinentalklima Rußlands mit kurzen, sehr heißen und sehr trockenen Sommern und langen kalten Wintern.

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In der Steppenvegetation bilden Gräser das wichtigste Element. Während der glühenden Sommermonate vertrocknen die Gräser, wenn die Winterfeuchtigkeit aufgebraucht ist. Die Tiere der Steppen, Würmer, Ameisen, Maulwürfe, Ratten sorgen für den Transport organischer Bestandteile in die tieferen Erdschichten. Der wesentliche Faktor bei der Bildung immer neuer Humusschichten aber ist der Staub, der vom Winde aus den Steppengebieten selbst emporgewirbelt und an anderen Stellen wieder abgelagert wird. Die unbefestigten, vegetationslosen Gebiete der Steppe sind die gebenden Teile bei dieser sich immer wieder erneuernden Erosion, die empfangenden Teile sind zerklüftete Mulden, Senken und alle jene Gebiete, die mit Pflanzenwuchs versehen sind und so dem alten und dem neuen Erdreich Schutz und Halt bieten. Die herangewehten Staubpartikel in Verbindung mit den Pflanzenrückständen ergeben immer wieder neue nährstoffreiche Humuschichten. Der Staub, die große Steppenplage, die im zweiten Weltkrieg hüben und drüben als schweres Hemmnis-bei der Kriegführung empfunden wurde, ist für die Bildung und Regeneration der Steppenböden ebenso wichtig wie die Zersetzungsbestandteile der abgestorbenen Pflanzenwelt.

Seit Jahrtausenden geht dieses grandiose Spiel der zerstörenden und zugleich aufbauenden Bodenerosion in den östlichen Steppen vor sich. Der beste Beweis dafür ist, daß in diesen Gebieten das Untergrundgestein gleichfalls aus Löß besteht, das einmal, vor unendlich langen Jahren, als Steppenflugsand dem gleichen Spiel unterlag wie der ihn heute deckende Humusboden. Und überall, wo Löß und Steppenerde heute in landwirtschaftlicher Nutzung stehen, hat dieses Spiel vor Tausenden von Jahren seine aufbauende Kraft erwiesen.

Die schwarzen, staubbeladenen Stürme der russischen Steppe sind berüchtigt, aber sie bilden ein Lebenselement der Steppe. Gewaltige Massen erdiger Teile werden durch die Luft getragen.

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Ein solcher schwarzer Sturm brauste mit ganz besonderem Ungestüm im Mai 1928 über die Ukraine, wirbelte ungeheure Mengen wertvoller Bodensubstanz empor und trug sie zu anderen Lagerstätten. Als der Sturm sich gelegt hatte, wurde festgestellt, daß auf weiten Flächen eine Humusschicht von durchschnittlich sechs Zentimetern Stärke davongetragen war. Stellenweise waren bis zu 25 Zentimeter Bodendecke erodiert. Die Geologen haben die Menge der vom Winde weggeblasenen Erde mit einer Billion Tonnen berechnet. Der Hauptteil dieser Menge blieb in den ukrainischen Steppen, wo er der Neubildung von Nährboden diente. Kleinere Mengen wurden weiter verfrachtet. So gingen 1,5 Millionen Tonnen in Polen nieder, während die Bodendecke Rumäniens um 2 Millionen Tonnen bereichert wurde. 

In diesem Falle gehen Vernichtung und Wiederaufbau von nahrungspendender Ackerkrume Hand in Hand. So war es auch im April des Jahres 1928, als der europäische Südosten einen starken Staubniederschlag zu verzeichnen hatte. In dem niederrieselnden Staub fand man zerriebenen Nilschlamm und Teile von im Nillande beheimateten Pflanzen. Im ganzen aber läßt sich sagen, daß eine solche zweifache Wirkung der Bodenerosion zu den Seltenheiten gehört. Wo die Bodenerosion Kulturland erfaßt, liegt in der Regel eindeutig eine Schädigung der in den Vorgang verwickelten Flächen vor, sowohl derjenigen, die geben, wie derjenigen, die nehmen. Die Bodenerosion ist inzwischen zur schlimmsten Bedrohung der Nahrungsgrundlage geworden.

 

   Die Tragödie der Great Plains  

 

Wenn von der Bodenerosion die Rede ist, denkt man heute unwillkürlich an die entsetzliche Veränderung, der die Erdoberfläche fast aller Staaten des mittleren Westens Nordamerikas unterworfen ist. Die unermeßlich großen Flächen sind heute Gegenstand schwerster Sorgen und harter, kostspieliger Arbeit zur Eindämmung der Erosion.

Es ist ein Irrtum, wenn man annimmt, daß die Bodenzerstörung ausschließlich das Werk oder die Folge der Arbeit der heute lebenden Generation sei. Die mangelnde Objektivität der Mitteilungen über das dringlichste Problem der Staaten ist geeignet, zu solchen Trugschlüssen zu führen.

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Sicher ist, daß die Bodenerosion in Nordamerika zu Beginn der 30er Jahre unseres Jahrhunderts in ein neues akutes und besonders intensives Stadium trat. Die Sünden aller Generationen, die seit Beginn des großen Trecks nach Westen und der überstürzten Landnahme der ersten Siedler an und auf dem Boden begangen wurden, begannen sich in den 30er Jahren nur bitter und in größtem Umfange zu rächen. Nicht die Börsen der amerikanischen Weltstädte, nicht der Anreiz des Welthandels oder gar politische Geschehnisse und deren Folgen haben den Grundstein gelegt zur Zerstörung der Bodenkraft und schließlich der Böden selbst, sondern der Geist, der von Anbeginn an die Hand des nordamerikanischen Farmers führte.

Eine deutsche Feder gab eine Charakterschilderung jener "Pioniere". Sie stammt nicht aus den Jahren der akuten Staubstürme über den Great Plains, sondern bereits aus dem Jahre 1864, und sie lautet: 

"Der nordamerikanische Farmer läßt das ausgeraubte Land liegen, das Haus verfallen, die Fence vermodern und zieht "nach Westen", d.h. zu neuem Raub, weil es ihm besser lohnt, auszurauben anstatt zu ernten und zu ersetzen — er hat ja bei 158 Seelen auf die Quadratmeile Weideland in Fülle und geht nach dem Dollar, ohne sich um das Sittengesetz einen Deut zu kümmern. Man sieht auch den Erfolg schon. Die Yankees werden auch leicht bei der Hand sein und sagen: man schreibe es ab! Wert gegen Wert! Man schreibe es ab — die Nation kann sich ihr Brot kaufen, wo sie will! Was wollt ihr da mit eurem Sittengesetz, mit Ackerbau als Staatsgrundlage?"

Man sah den Erfolg schon 1864. Seitdem sind drei weitere Generationen über die nordamerikanische Erde gegangen, und die heute lebende Generation muß die kostspielige Zeche bezahlen.

Zu Beginn der 30er Jahre unseres Jahrhunderts brausten alljährlich gewaltige Staubstürme über die Ebenen des nordamerik­anischen Kontinents.

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Das war so in den Jahren 1934, 1935 und 1936. Im Frühjahr traten die großen Ströme über ihre Ufer, überschwemmten die Täler und trugen das an fruchtbarer Erde noch davon, was der Sturmwind zurückgelassen hatte. Unter den Augen bitterarm gewordener und verzweifelter Farmer verwandelte sich das reiche Land in eine Wüste, deren Charakteristikum Steine, Geröll und Sanddünen bilden. Die kümmerliche Flora der Halbwüste nahm von den öde gewordenen Flächen Besitz.

In jenen 30er Jahren wiegte man sich in der Hoffnung, daß die Dürrekatastrophen und Überschwemmungen zwar verhängnisvolle, aber einmalige Ereignisse darstellten. Die Hoffnung hat getäuscht. Zehn Jahre später, im Sommer 1944, stöhnten weite Gebiete wieder unter Durst und Dürre, und erneut treiben Zyklone ihr entsetzliches Spiel.

Der Soil Conservation Service, die Bundesregierung, die Verwaltungen der von dem Unglück betroffenen Staaten, Farmervereinigungen und Einzelfarmer haben zehn Jahre lang unter Zuhilfenahme aller modernen Mittel ungeheure Anstrengungen gemacht, um der in Gang gesetzten unheilvollen Metamorphose der Erdoberfläche Einhalt zu gebieten. Gewaltige Aufwendungen an Arbeit und Kapital haben zu gewissen Erfolgen in der Bekämpfung der weiteren Ausbreitung der Bodenerosion oder wenigstens zur Verlangsamung ihres Tempos geführt, doch ist es, wie die neueren Nachrichten zeigen, nicht möglich gewesen, das Unheil vollends zu bannen. Über die Great Plains brausen neue Stürme, die den einstmals fruchtbaren Boden der Farmen von Kansas, Kolorado und Nebraska, von Oklahoma, Arkansas und Texas davontragen.

 

   Monokulturen und Clean Weeding   

Jeder Erdteil, jedes Land, sogar jeder Landstrich hat sein besonderes Charakteristikum hinsichtlich der Faktoren, die den Segen der Ernte bewirken.

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Der Boden und seine Zusammensetzung und Kräfte, die Groß- und Kleinklimate sowie die meteorologischen Verhältnisse spielen eine wesentliche Rolle. Es wäre falsch, jeden einzelnen der in Betracht kommenden Faktoren als isoliert wirkende Kraft betrachten zu wollen. Sie stehen vielmehr in Wechselwirkung zueinander. Die eine Kraft wird durch die andere gestützt und wirksam erhalten, wird durch sie mobilisiert und aktiviert. Von der Meteorologie her werden die Klimate gesteuert, genau wie durch sie der Boden unmittelbar beeinflußt wird. Von den Klimaten werden andererseits der Boden und das Pflanzenleben beeinflußt, der Boden hinwiederum prägt und bildet den Ablauf der Entwicklungen in den Klimaten und im Bereich der meteorologischen Vorgänge. Es ist ein beinahe sinnverwirrendes Spiel und Ineinanderspiel der verschiedensten Kräfte, von denen keine für sich getrennt gewertet werden kann, weder statisch noch dynamisch.

Mit dem Rüstzeug der modernsten Erkenntnisse der Wissenschaft ausgestattet ist es uns gelungen, einen Blick hinter die Kulissen von Geschehen und Entwicklung in der uns umgebenden Natur zu tun. Mit den Menschen älterer Schulen aber dürfen wir nicht gar zu bitter hadern wegen der Fehler, die sie machten und durch die sie das Antlitz unserer Erde in ungünstigem Sinne gestalteten. Ihre Tätigkeit erschöpfte sich darin, sich den Dingen der Umwelt anzupassen, um zu größtmöglichen Wirtschaftserfolgen zu kommen. Die Fern- und Tiefenwirkungen ihres Tuns kannten sie nicht, und deshalb mag der Mantel des Verzeihens alles bedecken, was geschehen ist, bevor die Naturwissenschaft unserer Tage den Schleier über vielen Zusammenhängen und Wirkungen lüftete. Wenn aber solche Methoden heute, auf der Grundlage der neugewonnenen naturwissenschaftlichen Kenntnisse und Erfahrungen, weiterhin bedeu-kenlos angewandt werden, so zwingen sie zu strengerer Beurteilung.

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Der Mann, der die Monokultur, die ununterbrochene Folge einer und derselben Fruchtart auf der gleichen Fläche, erfand, war weder ein Dummkopf noch ein Bösewicht. Er handelte aus der Perspektive seiner landwirtschaftlichen und bodenkundlichen Kenntnisse sogar durchaus richtig, denn die mörderische Wirkung der Monokultur auf den Boden war ihm fremd, während ihm die Wirtschaftlichkeit einer auf die höchste Spitze der Spezialisierung getriebenen Farm durchaus vertraut war. Dieser Mann darf sogar als der Prototyp des rationellen Landwirts angesehen werden.

Heute indessen weiß man, daß die Monokulturen nicht einseitig ein wirtschaftliches Problem darstellen, sondern auch eine ernste Frage der Bodenkultur und Bodenhygiene sind. Die Agrarwissenschaft hat bemerkenswerte Tatsachen erarbeitet. So beispielsweise diese:

Auf einer um 8 v.H. geneigten Fläche der alten Prärie im Staat Missouri würde es 100.000 Jahre dauern, um etwa 30 Zentimeter Humusboden der Erosion zum Opfer fallen zu lassen, wenn diese Fläche von der ursprünglichen Vegetation der Prärie bedeckt bleibt. Das heißt aber, daß dieser Fläche nur ein geringes weniger an Mutterboden verlorengeht, wie ihr neuer Boden durch die Umwandlung abgestorbener Pflanzen in Humus zuwächst. Praktisch bedeutet das, daß eine solche Fläche dauernd lebensfähig und in alter Kraft erhalten bleibt.

Ähnliche Wirkungen können sogar gewisse Kulturgewächse haben, die mit besonderen Eigenschaften ausgestattet sind. Es sind dies die stickstoff­sammelnden Pflanzen, die sich zum Lebensunterhalt der Mitwirkung der Knöllchenbakterien an den Wurzeln bedienen, die Stickstoff anziehen und sammeln. Amerikanische Versuchsstationen haben ermittelt, daß die vorhin erwähnte Fläche, wenn sie in ununterbrochener Folge mit Alfalfa, einer in Amerika geschätzten Kleeart, bestellt wird, 12.000 Jahre gebraucht, ehe eine Abnutzung der Humusdecke um 30 Zentimeter erfolgt sein wird. Auch dieser Zeitraum erscheint erträglich und wenig gefahrdrohend.

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Anders liegen die Dinge aber bei Kulturgewächsen, die sich nicht der guten Dienste der stickstoffsammelnden Bakterien bedienen können. Wird die erwähnte Fläche in ununterbrochener Folge mit Weizen oder Mais bestellt, so genügen 29 bis 36 Jahre, um einen Humusschwund von 30 Zentimetern Stärke eintreten zu lassen. Das heißt aber mit anderen Worten, daß die Monokultur der wichtigsten Körnerarten den Boden, der sie trägt, innerhalb eines kurzen Menschen­alters unfruchtbar macht und vernichtet. Fruchtwechselwirtschaft ohne entsprechende Zufuhr, organischer und mineralischer Düngermengen schiebt den Zeitpunkt der Boden­erschöpfung hinaus, weil sie bestimmte Kraftquellen des Bodens nicht in kontinuierlicher Folge, sondern in Zwischenräumen angreift und verbraucht.

 

Wie die Monokulturen der Erosion Vorschub leisten, so tut dies auch eine andere beliebte Methode des modernen Landbaus, die bereits besprochene Trockenfarmerei. Wie wir bei der Betrachtung ihrer Arbeitsweise gesehen haben, ist eines ihrer wesentlichen Merkmale die Freihaltung der Erdoberfläche von jedem "unnützen" Aufwuchs, von Unkraut und anderen bodenschützenden Pflanzen, im Interesse der sparsamen Verwaltung der aufgespeicherten Feuchtigkeit. An und für sich ist dies ein durchaus richtiger Grundsatz, leider stellen sich, ein wenig abseits von dem erwünschten Wirtschaftserfolg, sehr ungünstige Nebenwirkungen ein. Das Fehlen jeglicher Bodenbedeckung während des Herbstes, des Winters und des Frühjahrs, bei voller Brache sogar über das ganze Jahr, setzt den Boden schutzlos der Mechanik aller Kräfte aus, die dem Bodenabtrag die Wege ebnen: der Sonne, dem Wind, dem Wasser.

Der moderne Landwirt mit seinen vielfältigen Kenntnissen in Naturwissenschaft, Physik. Chemie und Technik fühlte sich berufen, die Natur zur Ordnung zu rufen und das Werk des Schöpfers zu verbessern. 

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Welcher Unfug, daß auf dem Acker, der Kulturgewächse zu tragen berufen ist, eine nutzlose Flora ins Kraut schießt und schamlos an den Kräften des Bodens mitzehrt! Welcher Mißgriff der Schöpfung, die das Naturgeschehen stabilisierte! Welche Fehlorganisation im sonst immerhin anerkennenswerten Arbeitsprogramm der Natur! Man muß kostspielige Arbeitskraft und besonders konstruierte Geräte einsetzen, um die unnütze Flora zwischen den Zeilen der Kulturgewächse zu vernichten. Das Clean Weeding, das Sauberhalten des Bodens in den Nutzkulturen von allem, was sich ungebeten an die Futterkrippen der Nutzböden begibt, gilt nicht nur als der Ausdruck der Sauberkeit und Akkuratesse, sondern gilt vor allem als ein Gebot der sorgsamen, klar auf den Nutzen zielenden Wirtschaftsführung.

Es hat in den Gehirnen der überrationellen Bodenwirte in aller Welt zu dämmern begonnen. Es gibt nichts Unnützes im Haushalt der Natur! Es gibt zwar Dinge und Geschehnisse in ihm, die, mit dem Maßstab der mensch­lichen Nützlichkeitsprinzipien gemessen, dem Menschen nicht unmittelbar dienen, sondern ihm gelegentlich sogar schaden. Deshalb sind das jedoch noch lange nicht Mißgriffe der Natur, sondern sie haben wesentliche Funktionen zu erfüllen. Ihre abfällige Bewertung beruht vielmehr auf Mißverständnissen des Menschen, der gewohnt ist, alles nur auf sich selbst zu beziehen und alles mit den von ihm so sehr geliebten monetären Maßstäben zu messen.

Wirklich fortschrittliche Plantagenleiter haben Abkehr gehalten von dem bodengefährdenden System des Clean Weeding, und die Bodenwirte der gemäßigten Klimate beginnen, ihrem Beispiel zu folgen. Die Land­wirt­schaftswissenschaft ist aufgerufen, bodendeckende Pflanzen namhaft zu machen, die einen Minimalanspruch an die Kraft des Bodens stellen, aber eine Maximalwirkung zu dessen Schutz bieten. Die angewandte Botanik hat die schöne Aufgabe, notfalls 'derartige Gewächse zu züchten. Das Nebensächliche, das Unnütze, ja das vermeintlich Schädliche gewinnt in der neuen Sicht an Bedeutung. Gestern war es noch Wahnsinn, beispielsweise die Tsetsefliege zu preisen; aber aus Wahnsinn ist inzwischen Vernunft geworden.

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   Die gesegnete Tsetsefliege  

 Vor der Tsetsefliege, der Botin des afrikanischen Todes, zittern im "schwarzen Erdteil" in seltener Harmonie die Weißen und die Schwarzen. Sie trägt das unheimliche Gift des Sumpffiebers und der Schlafkrankheit zu Mensch und Tier, und sie ist auch heute noch eine Geißel Afrikas, obwohl die Wissenschaft das Wesen der mörderischen Seuchen ergründete und Gegenmittel entwickelte.

Erscheint es demgegenüber nicht gewagt, wenn ein mit den afrikanischen Verhältnissen durchaus vertrauter Mann und Freund des afrikanischen Erdteils den Ausspruch tat: die Tsetsefliege verdiene, daß man ihr ein Denkmal der Dankbarkeit widme wegen des Segens, den sie in Afrika stifte! In der Tat: eine seltsame Forderung, dies Denkmal der Dankbarkeit für jenes Insekt, das Tod und Verderben, Not und Elend in Afrika erzeugt. Doch der Mann, der sie aufstellte, hatte mehr als nur das Schicksal der heute lebenden Generation im Auge. 

Afrika leidet in allen seinen Teilen schwer unter der Bodenerosion, in den Bezirken, die der weiße Mann bebaut, und in jenen, die der Schwarze in "Kultur" hat. Raubbau, unsachgemäße Methoden der Bodenbearbeitung, das bedenkenlose Abbrennen von Wald und Savanne und unzureichende Boden­bearbeitungsgeräte in der Hand der Eingeborenen machen das afrikanische Land noch anfälliger für die Erosion als es dies von Natur aus schon ist. Ungeheure Flächen gehen so der Nutzung verloren.

Der Wasserhaushalt des Erdteils ist schwer gestört, vornehmlich auf Grund der ungeheuren Entwaldung, die auf dem Kontinent stattgefunden hat. Überall findet man in Afrika die ausgetrockneten Betten großer und kleiner Flüsse, die offenbar einstmals das ganze Jahr über Wasser führten. Es ist festgestellt, daß eine Reihe dieser Flüsse während der letzten zwanzig Jahre versiegte und heute nur noch in der Regenzeit fließt.

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Während der letzten hundert Jahre ist die natürliche Pflanzendecke Afrikas immer dünner geworden. Dieser gefährliche Vorgang der vegetativen Verarmung setzt sich in beschleunigtem Tempo fort. Hervorgerufen wird er durch weitere Entwaldung, durch eine unbedachte Ausdehnung der Nutzkulturen und namentlich durch eine maßlose Überweidung der Weideflächen.

Nur noch 10 v. H. des Erdteils liegen unter dem Schatten von Baumkronen, während der für die Gesunderhaltung des Landes notwendige Anteil mindestens 30 v. H. betragen würde. Mit dem Anwachsen der Bevölkerung und infolge der Förderung des% Eingeborenenlandbaus werden immer größere Landflächen in Kultur genommen, in zweifelhafter Weise bearbeitet und in raubbauähnlicher Weise genutzt. Die Erosion ist dadurch für Afrika ein dringendes und allgemein anerkanntes Problem geworden. Die bedingungslose Verpflanzung europäischer Ackerbaumethoden und Ackergeräte auf afrikanischen Boden macht sich unheilvoll bemerkbar.

Die schwerste Bedrohung des afrikanischen Bodens bildet die Viehwirtschaft. Der Viehstapel in der Hand der Eingeborenen ist überall stark übersetzt. Die britische Kolonialverwaltung in Kenya hat hierüber einmal genaue Zahlen angegeben. Im Wakamba-Reservat wurde die Kopfzahl des Viehs der Eingeborenen auf 250 000 geschätzt, die Nahrungskapazität der Weideflächen aber reichte nur für 20.000 Tiere. An anderen Stellen der Kolonie wurde eine fünffache Übersetzung der Weideflächen ermittelt. Solche Verhältnisse bilden in Afrika nicht Ausnahmen, sondern die Regel.

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Solange der afrikanische Viehhalter sein Leben auf der nomadenhaften Wanderschaft von einem fetten Weideplatz zum anderen zubrachte, waren die Verhältnisse einigermaßen tragbar. Vom Fieber verseuchte Gebiete setzten den Wanderungen eine Grenze, und Rinderpest und andere Seuchen hielten die Kopfzahl der Tiere in Schranken. Inzwischen aber ist der schwarze Mann seßhaft geworden, weil es kaum noch freies Land in Afrika gibt. Auf kleinem und kleinstem Terrain suchen er und seine Stammesbrüder ihren Reichtum an Vieh zu vermehren. Vieh ist in Afrika in anderem Sinne Reichtum als anderswo. Das einzelne Stück ist Zahlungsmittel, die Herde ist gleichbedeutend mit einem Bankkonto. Landesbräuche und religiöse Vorstellungen verbinden sich mit dem Viehbesitz. Das Brautgeld wird in Vieh entrichtet, die Opfergaben der heidnischen Stämme bestehen in Vieh. 

Eine ganz besondere Bedeutung hat die Ziege. Dieses harmlose Tier, das so sympathisch ist, weil es in unseren Breiten die Milchkuh des kleinen Mannes ist, hat zugleich mit der Vegetation in Feld und Wald die Kulturen blühender Länder hinweggefressen. Griechenland und Kleinasien sind Beispiele dafür. Auch Afrika wird von der Ziege förmlich aufgefressen. Ihre Bescheidenheit macht die Ziege so gefährlich. Wenn der Grasvorrat erschöpft ist, begnügt sie sich mit Wurzeln, Blättern und Baumrinden. Ihr Biß ist wahrhaft zerstörerisch. Dazu kommt, daß die afrikanische Ziege ein durchaus unnützes Tier ist. Sie spendet ihrem Besitzer weder Milch noch Fleisch; sie ist nur Zahlungsmittel und Wertgegenstand.

Die Kolonialverwaltungen haben versucht, Bresche in dieses gefährliche Wirtschafts- und Währungssystem der Eingeborenen zu legen, ohne zu nennenswerten Erfolgen zu kommen. Man drohte mit progressiver Besteuerung der Herden, aber man setzte sich allein schon mit der Drohung der Gefahr von Aufständen aus. Man versuchte es mit Münzen, die statt gekrönter Häupter ein Schaf, eine Ziege, eine Kuh oder einen Stier im Bilde zeigten, aber man stieß auf schroffe Ablehnung. 

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Man propagierte die Postsparkasse, der Schwarze aber hielt an seiner Herde fest. Mag der weiße Mann Fabriken gründen, um überzähliges Vieh zu Knochenmehl und Dünger zu verarbeiten, der Eingeborene lehnt das Angebot guter Bezahlung ab und bleibt der "reiche Viehbesitzer". Unter diesen Umständen scheint der Kontinent rettungslos der Erosion preisgegeben, die durch den Kahlfraß übergroßer Viehbestände im Verein mit einem raubbau­ähnlichen Landbau bedenklich gefördert wird.

Nur jenes kleine, böse und verfolgte Insekt, die Tsetsefliege, bemüht sich, einigermaßen für Ordnung zu sorgen und eine Art von Gleichgewichtszustand zwischen den Bedürfnissen der Natur und dem übersetzten Anspruch des Menschen zu stabilisieren, indem sie den Menschen und seine Herden aus bestimmten Gebieten fernhält. Die Tsetsefliege verdient in der Tat das von einem ganz und gar nicht schrullenhaften, wohl aber tief einsichtigen Engländer geforderte Denkmal der Dankbarkeit. Den Baumwollkäfer, den ärgsten Feind der verderblichsten Monokultur Afrikas, wünscht dieser einsichtsvolle Mann übrigens in gleicher Weise geehrt zu sehen.

 

   "Das Unglück Chinas"  

"Das Unglück Chinas" nennt der Chinese den zweitgrößten Strom seines Landes, den Hoangho, den Gelben Fluß. Im allgemeinen gelten große Ströme als Lebensadern der Gebiete, die sie durchfließen, als Spender von Fruchtbarkeit und Segen. Der Chinese, der bei seiner hohen geistigen Kultur naturnahe und natursichtig geblieben ist, erkennt in der Wirksamkeit des Gelben Flusses neben dem Segen den Unsegen, neben der Wohltat die Plage, neben der Förderung; der Fruchtbarkeit die Wegbereitung der Unfruchtbarkeit durch die Fluten des Hoangho.

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Nicht allein deshalb nennt der Chinese den Hoangho das Unglück seines Landes, weil der unberechenbare Strom in periodischen Folgen aus seinen Ufern tritt, die Kulturen vernichtet und Tausende, Zehntausende von Bewohnern in den nassen Tod reißt. Ein solches Unheil sieht das allwaltende Schicksal, unter das nach der Lehre des Kon Fu Tse das Menschendasein gestellt ist, nun einmal vor. Das Unglück, das der Fluß bereitet, liegt vor allem in der Tätigkeit, deren sichtbares Zeichen ihm seinen Namen gab. Kein zweiter Fluß der Erde trägt ununterbrochen so viel erodierte Erdteile davon wie der Gelbe Fluß. Seine Fluten sind dauernd vom gelben Löß der chinesischen Tiefebene gelb gefärbt, und das Meer, in das er sich ergießt, heißt das "Gelbe Meer", weil es auf Hunderte von Meilen hin gleichfalls die gelbliche Farbe der Erdteilchen annimmt, die der Hoangho von den Fluren Chinas entführt.

Das Einzugsgebiet des Gelben Flusses erstreckt sich über das chinesische Tiefland. Die außerordentliche Fruchtbarkeit dieser Ebene beruht auf dem Löß, der hier in einer Mächtigkeit auftritt wie sonst an keiner Stelle der Welt, nämlich bis zu 60 Meter Tiefe. Die Zerfallsprodukte der chinesischen Gebirge sind Millionen von Jahren hindurch vom Winde über den grasbestandenen trockenen Ebenen ausgeschüttet worden und haben hier ein Nutzgebiet geschaffen, das seinesgleichen auf dem Erdball sucht. Auf diesen Lößböden hat die Wiege der chinesischen Kultur gestanden, und die Provinzen, die sich über die Böden erstrecken, nähren noch heute den Hauptteil der überaus starken chinesischen Bevölkerung. Von diesem reichen Löß entlehnten die Dynastien Chinas das Gelb als Hoffarbe, und unter den vielen klangvollen Titeln der Kaiser lautete einer Hoang Ti, d.h. Herr der Lößerde.

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An und auf diesem fruchtbaren Lande ist schwer gesündigt worden. Die Wälder wurden niedergeschlagen, der Haushalt der Natur damit schwer geschädigt, und die absolute und relative Übervölkerung führte sogar unter der Hand des Chinesen, der unstreitig der tüchtigste und fleißigste Bauer in der ganzen Welt ist, gelegentlich zum Rautbau an der Scholle. Nur der Gnade der Natur, die hier in verschwenderischer Fülle Bodenkräfte investierte, verdanken es diese fruchtbaren Ebenen, daß sie noch nicht dem völligen Verderben anheimfielen.

Von allen Strömen der Welt führt der Hoangho die meiste Wassertrübe, feste Bestandteile in schwebender Form, zudem auch am Boden bewegtes Geschiebe, mit sich. Die Flüsse stark erodierender Gebiete tragen regelmäßig gewaltige Lasten von Schlamm mit sich, wenn Regenfälle die feinsten Erdteilchen von den Ackerflächen talwärts schwemmen. So haben amerikanische Geologen die verfrachteten Stoffe in einem kleinen Nebenfluß des Missouri in Wisconsin zu verschiedenen Zeiten gemessen und gefunden, daß der Fluß normalerweise eine Tonne Schlamm täglich seiner Mündung zuträgt. Nach einem besonders heftigen Regenfall stieg die Menge der schwebenden und geschobenen Fracht jedoch auf 8.970 Tonnen je Stunde. Der Gelbe Fluß führt Stunde um Stunde gewaltige Mengen erodierter Erde aus seinem Einzugsgebiet mit sich. Die jährliche Verfrachtung von Erde durch ihn ist auf 500 Millionen Tonnen, fast 1,5 Millionen Tonnen täglich, berechnet worden. Für den Po, einen der am stärksten aufschüttenden Flüsse, wurde die Menge der Erdfracht auf 11,5 Millionen Tonnen, für den Mississippi und den Jangtsekiang auf 200 Millionen Tonnen im Jahre festgestellt.

Das "Unglück Chinas" und seine Nebenflüsse nagen ununterbrochen an der Kraft und Nahrungsquelle der fruchtbarsten chinesischen Böden. Bei der Mächtigkeit der Lößschichten des chinesischen Fruchtlandes ist natürlich nicht zu befürchten, daß der Boden bis auf die steinigen Unterschichten von der Erosion verschlungen wird. Dazu bedürfte es eines Zeitraums von mehreren hunderttausend Jahren. Was aber im Einzugsgebiet des Hoangho der Erosion zum Opfer fällt, das sind gerade die in Kultur befindlichen oberen Schichten, es sind die kleinsten und feinsten Erdpartikel, die die wirklichen Träger des Bodenlebens und der Fruchtbarkeit sind. 

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Es sind die Schichten, die der chinesische Bauer wie kein zweiter Bodenwirt in der Welt in unablässigem Fleiß durch sorgsamste und kunstfertigste Verwendung menschlicher und tierischer Exkremente zu bereichern sucht, um in einem Landbau, der in den Methoden dem viel mühseligeren Gartenbau ähnlich ist, Ernten zu erzielen, die seine vielköpfige Familie und seine ebenso fruchtbare Volksfamilie zu ernähren in der Lage sind. 

Wenn dieses Volk der Mitte unablässig mit Hunger und Mangel zu kämpfen hat, so liegt das nicht an mangelndem Bauernfleiß, sondern ist der Übervölkerung und den nie abreißenden Verheerungen der Erosion zuzuschreiben. Im Jahre 1927 verhungerten in China neun Millionen Menschen.

Das wichtigste Nahrungsmittel ist in China der Reis. Der chinesische Hektarertrag in Reis ist jedoch niedriger als in allen Ländern des Reisgroßanbaus. Er beläuft sich in China auf 9,5, in Japan auf 18, in den Vereinigten Staaten auf 11,5 und in Italien auf 23,5 Doppelzentner. Das ist für China eine Folge der Erosion. Weder Mensch noch Tier zehrt so stark an der Bodenkraft Chinas wie die unheilvolle Bodenerosion.

Auch sonst vollziehen sich im pazifischen Raum sehr wenig erfreuliche Dinge. Die Japaner haben im Interesse ihrer Papierindustrie den ihnen im <Frieden von Plymouth> zugefallenen Südteil der Insel Sachalin, den die Russen sich im letzten Kriege wiedernahmen, so restlos von Wald entblößt, daß hier durch die nachfolgende Erosion ein ostasiatischer Karst geschaffen wurde, und im trockenen Norden von Australien steht das Tempo der Bodenerosion mit dem Umsichgreifen der Wüstenzone in Idealkonkurrenz.

Indien, das maßlos übervölkerte Land, ringt noch um seine agrarische Entwicklung. Auch hier ist die Erosionsgefahr ein dringliches Problem geworden. In Indiens Bergländern, die vielfach entwaldet sind, unter starkem Regenmangel leiden und in der sommerlichen Dürre brüten, treten bedenkliche Erosions­erscheinungen auf, zumal da der Eingeborenen-Landbau vor den durch die Erosion am stärksten bedrohten Flächen, die unter Neigungswinkeln von mehr als 8 v. H. liegen, nicht haltmacht. 

Großartige Terrassenkulturen, wie Ceylon und Java sie ihr eigen nennen, sind an Indiens Bergleisten nicht bekannt. In den Gebieten der Plantagen­wirtschaften Vorder- und Hinterindiens haben die ausgedehnten Monokulturen die Gefahr der Bodenzerstörung in greifbare Nähe gerückt. 

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    Europas Nahrungsraum wird immer enger   

 

Der von seiner Tüchtigkeit und Unfehlbarkeit überzeugte Europäer hat es sich angewöhnt, beim Thema Bodenerosion und Bodenvernichtung den mahnenden Zeigefinger zu erheben und anklagend auf die andern Kontinente hinzuweisen. Gewiß ist, daß es in den außereuropäischen Erdteilen besonders in die Augen springende Vorgänge dieser Art gibt und daß das Tempo der geologischen Entwicklungen dort besonders besorgniserregend ist. Doch der selbstgefällige Europäer hätte allen Grund, zunächst einmal vor der eigenen Tür zu kehren.

Europa hat den unschätzbaren Vorteil, mit den überwiegenden Teilen seines Landkomplexes unter günstigen maritimen Einflüssen zu liegen. Dem ausgesprochen kontinentalen Extrem nähern sich nur die Randgebiete des Ostens. Nicht nur Europas Kultur und Wirtschaft, sondern auch die Verfassung und Entwicklung der Erdoberfläche ziehen Nutzen aus dieser geographisch-klimatischen Situation. Sie gibt dem Menschen in seinem Schaffensdrang einen weiten Spielraum, sie erlaubt ihm, vieles zu tun, was unter strengeren Verhältnissen sofort einen Ordnungsruf der Natur zur Folge haben würde. Wenn der Europäer, auf seinen krassen Vorteil bedacht, der Natur Wunden geschlagen hat, so nimmt diese nicht gleich Rache dafür, sondern bemüht sich, die Schäden heilen zu helfen.

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Nichtsdestoweniger ist auch Europa von der Bodenerosion bedroht. In fast allen Ländern des Kontinents zeigen sich deutliche Spuren des Bodenabtrags bis hin zu einem völligen Ruin der nährenden Scholle. Was hier geschieht, fällt um so mehr ins Gewicht, als Europa relativ übervölkert ist und seine liebe Not hat, die Zahl seiner Esser satt zu bekommen.

 

Beginnen wir mit Rußland. Wenn die Sowjetunion an die Spitze dieser Betrachtungen gestellt wird, so hat das bestimmte Gründe. Einmal verfügt dieser Staatenkoloß über ungemessene Strecken von nutzbaren Böden, auf denen die Erzeugung erst im Begriff steht, eine hohe Stufe der Leistung zu erreichen. Weiterhin liegen die Nutzflächen aller Teile des Riesenreiches unter so extremen Sonderverhältnissen klimatischer und meteorologischer Art, daß hier besondere Gefahren für den Boden mit der Nutzung durch den Menschen verbunden sind.

Der dritte, aber nicht der letzte Grund ist rein äußerlicher Natur. Die russische Wissenschaft hat sich intensiv mit dem Problem der Bodenerosion beschäftigt, sein Wesen zum Gegenstand tiefschürfender Untersuchungen gemacht, seine Folgen studiert und Programme für die Abwendung des Unheils, für die Mäßigung seines Tempos und für die Verhinderung seiner Tiefenwirkungen aufgestellt. Kein Land der Welt weist in seiner Fach­literatur so viele bodenkundliche Werke, vielfach unter einschlägiger Berücksichtigung der Bodenerosion, auf wie Rußland. Man darf Rußland als ein Geburtsland der modernen Bodenkunde betrachten.

Der russischen Wissenschaft waren bereits vor der Jahrhundertwende die dringenden Probleme der Bodenerosion bekannt. Die ersten systematischen Studien wurden von der Hydrographischen Tula-Expedition durchgeführt, die von 1908 bis 1914 in der Wald-Steppenregion von Kursk arbeitete. Den Forschungen dieser Expedition entsprang die Erkenntnis, daß die Ab- und Ausspülung auf die menschliche Arbeit am und auf dem Boden zurückzuführen sind.

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Die Sowjetregierung hat die Frage der Bodenerosion zu einem Staatsproblem erster Ordnung gemacht und die Arbeit zu seiner Erforschung und Bekämpfung in die Sphäre der dringenden Staatsaufgaben erhoben. Im Jahre 1921 wurde die Versuchsstation Novosil gegründet. Ihr Hauptarbeitsgebiet liegt in der Wald-Steppenregion von Kursk, wo sich besonders starke Erosionserscheinungen zeigen. Daneben besteht eine Reihe von Anstalten, die andere gefährdete Gebiete bearbeiten. Zu nennen sind hier: das Dokuehaijew-Bodeninstitut der Akademie der Wissenschaften, die Versuchsstation der Timiriazew - Landwirtschaftsakademie und das Wissen­schaftliche Institut für Bodenforschung der Moskauer Staatsuniversität. Weitere Anstalten und wissenschaftliche Institute behandeln die in Frage stehenden Komplexe im Rahmen ihrer geographischen, meteorologischen, hydrologischen, landeskulturellen und landesplanerischen Arbeitsgebiete.

Im Jahre 1936 berief die Sowjetregierung die erste Pan-Sowjet-Konferenz für den Kampf gegen die Bodenerosion nach- Moskau. In der Zeit vom 4. bis 7. März versammelte diese Konferenz im Bodenkundlichen Institut der Moskauer Pan-Sowjet-Wissenschaftlichen Akademie die Vertreter aller in Frage kommenden Institute zu einer fruchtbaren Arbeitstagung, die ein umfassendes Programm für die Erforschung der Erosion und ihre Bekämpfung aufstellte und zur Vereinheitlichung der Forschungsarbeit als federführende Dienststelle die Wissenschaftliche Sowjet-Lenin-Akademie erwählte.

Das Problem der Bodenerosion stellt in jeder russischen Landbauzone besondere Aufgaben. 

Gemeinsam sind diesen Zonen die langen, strengen Winter mit starken Schneefällen und einem späteren Anfall von Schmelzwassern, die nur zum Teil vom Boden aufgenommen werden können. Der oberirdische Abfluß dieser Schmelzwasser führt an Hängen und auf geneigten Flachen zu stärken Abtragungen von wertvollen Humusstoffen.

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In der Podsol-Zone im mittleren Rußland hat man die Menge der durch schmelzenden Schnee abgetragenen Erde auf nicht weniger als drei Tonnen je Hektar jährlich geschätzt. Der Gesamtverlust einschließlich des Verlustes durch Regenerosion betrüg nach diesen Schätzungen fünf Tonnen je Hektar. Bei Hängen, die vom Abflußwasser höher gelegener Teile überflutet werden, kam man zu Schätzungen von zehn bis über zwölf Tonnen je Hektar. Für die Tschernosem-Zone_ der Steppengebiete belaufen sich die Schätzungen auf einen Verlust von fünf bis neun Tonnen je Hektar jährlich, und für die subtropischen Gebiete auf zwanzig bis fünfzig Tonnen. 

Es liegt auf der Hand, daß diese Beträge an fortgeschwemmtem Humus durch keinerlei irgendwie geartete Düngerwirtschaft ausgeglichen werden können. Die russischen Bodenkundler haben auch das interessante c Experiment gemacht, die durch die Erosion bewirkten Stickstoffverluste festzustellen. Die Messungen fanden unter den subtropischen Verhältnissen des Kaukasus statt, und sie ergaben auf einem Hektar Eluvialboden einen Verlust von 59 Kilogramm Reinstickstoff im Jahr, während sie auf Diluvialböden, die viel stärker erosionsanfällig sind, den ungeheuren Betrag von 445 Kilogramm Reinstickstoff ergaben. Es ist schwer, wenn nicht unmöglich, "für den Riesenkomplex Rußland einen summarischen Wert der Erosionsschäden festzustellen. Von der Wichtigkeit des Problems zeugt aber die von sachverständiger russischer Seite angegebene Schätzung für das europäische Rußland. Danach sind 60 bis 70 v. H. des zentralrussischen Plateaus, 75 bis 80 v. H. der erhöhten Gebiete diesseits des Dnjepr und 45 bis 50 v. H. des rechten Wolgaufers von der Erosion bedroht.

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Und das übrige Europa? — Mit Ausnahme Englands sind sämtliche Länder des alten Kontinents von den bösartigen Auswirkungen der Bodenerosion in Mitleidenschaft gezogen worden. England verdankt seine Sonderstellung seinem ausgeglichenen ozeanischen Klima, ferner der durchaus maßvollen und korrekten Nutzung der der Landwirtschaft dienstbaren Flächen.

In den alten Kulturländern des europäischen Festlandes mit ihrer verhältnismäßig sorgfältigen Bodenkultur herrscht eine besondere Art Raubbau, ein latenter Raubbau, der hinter politischen und ethischen Motiven eine dürftige Entschuldigung sucht. 

Das galt vor allen Dingen von Deutschland.

Seit dem Aufstieg Deutschlands im industriellen Zeitalter strebte die deutsche Landwirtschaft unverdrossen nach Mehrerzeugung, auch in den Zeiten, in denen das ausländische Agrarprodukt an den Weltmärkten ver­schleudert und fast verschenkt wurde. Unverdrossen stürzte sich die deutsche Landwirtschaft im Kampf mit dem billigen ausländischen Erzeugnis aus einer Krise in die andere. Alle Kräfte blieben auf die ständige Mehr­erzeugung konzentriert. Das Interesse an der Pflege der Erzeugungsgrundlage, des Bodens, mußte dabei notgedrungen zurücktreten. Man betrachtete Düngung und Fruchtfolge unter rein betriebswirtschaftlichen Gesichts­punkten und beeinflußt durch Konjunkturfragen. 

Das Grünland, das man ungestraft vernachlässigen zu dürfen glaubte, erfuhr in Deutschland allerorten eine zunehmende Verschlechterung. Auf dem Ackerlande geschah nur das Notwendigste zur Erhaltung zeitbedingter Erträge, aber Maßnahmen zur nachhaltigen Steigerung der Bodenfruchtbarkeit ließ man in den Hintergrund treten. 

Das geschah auch in wirtschaftlich günstigen Zeiten und in günstig stehenden Betrieben. Zu einer Gipfelleistung dieser Art von rafferischer Boden­nutzung verstieg sich die Erzeugung in der Nazi-Zeit.

Kaum eine einzige deutsche Landschaft ist völlig frei von Erosionserscheinungen. Am stärksten treten sie auf im Osten und Norden. In Holstein sind starke Schäden festzustellen, gleichfalls in Pommern und Mecklenburg sowie in der gefährdeten Landbauzone des Ostens. Man kann sagen, daß Erosions­erscheinungen und Erosionsgefahren mit dem kontinentalen Klimacharakter in der Richtung von Westen nach Osten wachsen.

Aber auch vor den besten Böden Deutschlands, den Lößgebieten im Harzvorland, in der Magdeburger Börde und vor den sächsischen und schlesischen Lößgebieten macht die Erosion nicht halt. Sogar im Rheinland, das unter wohltätigen atlantischen Einflüssen liegt, zeigen sich Anfänge einer bedenklichen Flächenerosion bis hin zu den landwirtschaftlich besten Gebieten in der Köln-Bonner Bucht, die bei verhältnismäßig geringen Regenfällen der austrocknenden Wirkung scharfer Nord- und Ostwinde ausgesetzt ist.

Sehr starke Erosionserscheinungen zeigen sich in den Gebieten des europäischen Südostens, so in der Bukowina, in der Moldau, der Walachei und in der Dobrudscha. Ungarn führt einen harten Kampf gegen die Wassererosion in seinen fruchtbaren Ebenen. Hier kommt es an verschiedenen Stellen aber auch zur Bildung von Wanderdünen, nachdem der Verlust der schützenden Pflanzendecke dem Wind die erste Angriffsfläche bot.

 

Man mag auch in Europa blicken, wohin man will, überall zeigt sich die schleichende Gefahr des Bodenverlustes oder einer Bodenschwächung durch die Erosion. Sogar Holland und Belgien sind davon nicht verschont. Wir stehen sozusagen erst am Beginn der neuen Ära des rationellen Landbaus und der rationellen Bodennutzung. 

Einige wenige Jahrzehnte Intensivlandwirtschaft aber haben genügt, geologische Entwicklungen offenkundig werden zu lassen, die die schlimmsten Befürchtungen für die Zukunft rechtfertigen. 

Wir stehen nicht nur zeitlich, sondern zweifellos auch dem Intensitätsgrade nach am Beginn dieser neuen Entwicklung, und die Frage ist berechtigt: was werden allein die nächsten Menschenalter bringen, wenn die Arbeit von kurzen achtzig Jahren bereits Anlaß zu so vielen und schwerwiegenden Bedenken gibt?

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Dr. Anton Metternich : Die Wüste droht : Die gefährdete Nahrungsgrundlage der menschlichen Gesellschaft