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2.5 - Der männliche Logos steuert zum Tode

 Könige und Königinnen    

 

   Verlorene Balance zwischen Mann und Frau  

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Das vorige Kapitel habe ich ganz in einem patriarchalen Duktus verfaßt, so als würde Geschichte nur von Männern gemacht, von diesem männlichen weißen Ich vor allem. Aber das ist ja für eine Geschichte, die in der Logik der Selbstausrottung steht, auch wahr. 

Der ganze Stoff, den ich in diesem II. Teil zu überblicken suche, sind patriarchale Strukturen, in die das Weibliche nicht autonom und gleichgewichtig eingegangen ist. Der ganze weibliche Beitrag, der einst viel stärker und fundamentaler war, selbst in den Wissensstrukturen von dem Pflanzenkontakt bis zur Mondastronomie, wurde, soweit nicht vernichtet, männlich integriert. Die Zivilisation ist maskulin, Patriarchat und Zivilisation sind identisch.

In der "Tageszeitung" vom 5. Mai 1986 wurde aus Anlaß von Tschernobyl eine Moskauerin zitiert, die gesagt hatte: "Wenn da oben im Politbüro eine Frau säße, die das Leben kennt, dann würde man uns wenigstens bei der Auswahl der Lebensmittel helfen."  

Und dann der Satz, der noch weit darüber hinausgeht: "Männer denken gar nicht an das Leben, sie wollen nur die Natur und den Feind bezwingen. Was immer es koste." Einfacher und genauer läßt sich die Kriegerpsychologie nicht auf den Punkt bringen. Es ist das Geheimnis der ökologischen Krise überhaupt, daß der Mensch andere Prioritäten als das Leben — und sei es sogar sein eigenes — verfolgt. "Die Natur und den Feind bezwingen, koste es was es wolle" — wie Melvilles Kapitän Ahab in seinem Kampf mit Moby Dick, dem Weißen Wal.

Eben habe ich mir noch einmal erlaubt, vom Menschen zu reden statt vom Mann allein. Dabei ist es doch so offensichtlich: Wohl nicht der Tausch, aber "Krieg, Handel und Piraterie", Geld und Kapital, Staat und Kirche, rationalistische Wissenschaft und Technik sind lauter männliche Erfindungen und Veranstaltungen. Keine Amazone, keine Marketenderin, keine Königin, keine Heilige, keine Curie* kann dagegen zeugen. Die Rollen sind vorausgeschrieben und vor-verteilt, die Frauen dabei mitspielen können. Der Geist und die Methode sind männlichen Wesens, Frauen modulieren nur.

Jetzt sind alle unsere gesellschaftlichen Einrichtungen und unsere Technostrukturen das Resultat von ein paar tausend Jahren Entwicklung, in denen die Balance zwischen weiblichem und männlichem Weltverhalten bei der Gestaltung der Kultur gefehlt hat. Mit Mann und Frau standen die Welt des Logos und der Götter hier, des Bios und des Eros dort, entzweit einander gegenüber. Walter Schubart, der in diesem Zusammenhang von der Selbstzerstörung der Kultur spricht, nannte das schon vor 50 Jahren: Rätsel aller Rätsel und Verhängnis aller Verhängnisse.77

  wikipedia  Herman_Melville (1819-1891)      wikipedia  Moby Dick  Roman     Schubart bei detopia     wikipedia  Marie_Curie 

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Es würde eher eine Maskerade, bei der Behandlung dieses Stoffes — und im Hinblick auf die allein verfügbare Begrifflichkeit, die wiederum von Grund auf dazugehört wie die ganze Wissenschaft (auch die feministische) — die Logik, den Logos der Selbst­ausrottung darstellerisch aufzuweichen. 

Ich weiß, diese ganze Intellektualität stößt immer noch die Mehrheit der Frauen wenn nicht sogar die Mehrheit der Menschen ab. Sie ist der Geist einer herrschenden Minderheit von Männern und ein paar Frauen, der aber den ganzen modernen Gesell­schafts­körper prägt. Es ist "richtig" und "falsch" zugleich, sich ihm zu entziehen. "Richtig" — denn der männliche Logos in der herrschenden Position bedeutet, daß abstrakte Begriffe, geometrische und mathematische Strukturen (der binäre Code der Computersprachen zuletzt!) ins Machtzentrum der Gattungsentwicklung gerückt sind. Von daher hat das Ganze seine antinatürliche, antibiotische, antierotische, antiweibliche Perspektive. "Falsch" — denn es bedeutet Ignorieren der dann einfach als schicksalhaft hinge­nommenen Selbstaus­rottungslogik.

<New-Age>-Leute z.B. — die dies ja häufig auch nur für eine Teilzeit sind — meditieren auf dem fahrenden Zug. Tschernobyl verschont keine Findhorn-Community. Hexenrituale haben den Aufbruch des modernen technokratischen Mannes nicht aufgehalten. Warum sollten sie sein Finale verhindern können? Von dorther, wo "Kopf out" ist, können Ursprungsenergien für den Widerstand kommen, die so wichtigen inneren Selbstgewißheiten. 

Aber die geistige Struktur, in der sie auftreten, wenn sie das Feld beherrschen, hat zu ihrer großen Zeit nur scheinbar paradoxerweise den Weg gewiesen, den wir seither gegangen sind.

Aufgeben des Geistes statt seiner Reinigung, Abwehr der Begriffe statt ihrer Berichtigung, das ergibt nur einen Rückfall in Stadien, die heute mehr denn je auch unter dem Gesichtspunkt des Versagens gesehen werden müßten. 

Es gibt so etwas wie eine weibliche Verweigerung der Vernunft, und ich meine damit nicht einfach des Logos. Ich meine das Fehlen einer weiblichen Alternative dazu, die unter dem Namen Sophia* zwar schon in der Geschichte hervorgetreten ist, aber ihre Struktur nicht wesentlich beeinflußt hat. Die Menschheits­geschichte ist bisher tragischer Aufstieg zur Bewußtheit. 

*  Sophia, frühchristliche Märtyrerin im antiken Rom; eine der Eisheiligen ("kalte Sophie"); Tag: 14. Mai  --  bing  Heilige+Sophia  bis 304

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Die Tragik hängt mit der Verfassung des Mannes zusammen und mit seiner geistigen Einsamkeit, mit dem Mangel der Gefährtin. Das ist natürlich gründlich vermintes Gebiet, denn Er stößt Sie ja präventiv ab. Die ganzen alten Geschichten bilden einen Teufelskreis und Hexenkessel. 

Inzwischen sind die Ursachen des Patriarchats weitgehend erklärt und es ist als notwendige (unvermeidliche) Bewußtseins­verfassung erkannt (die sich als hartnäckiger erweist, wenn sie unterschätzt, nicht genügend gewürdigt wird; das ist ganz analog zu der Ohnmacht bloß entlarvender Kapitalismuskritik).78  

Man kann - auf der psycholog­ischen Ebene - sagen, der rationalistische Dämon beruht auf der kompensatorischen Machtpolitik des verängstigten männlichen Ichs.

Mir erscheint noch heute bedeutend, was Walter Schubart vor 50 Jahren hierzu und über das mentale Verhältnis der Geschlechter zueinander schrieb:     Schubart  auf detopia  

Das Weib ruht näher an der Quellmitte des Lebens, der Mann jagt die Ränder des Daseins ab, immer bemüht, es zu überwinden, und das heißt in letzter Folgerichtigkeit, es zu töten. Das Weib ist mit dem Prinzip des ewigen Lebens, der Mann mit dem Prinzip des Todes im heimlichen Bunde. Die Frau will die Gegensätze der Welt umarmen und in der Umschlingung versöhnen. Der Mann dagegen löst die Spannung zwischen Gegensätzen, indem er die eine Seite, die ihm unangenehme, vernichtet. Er sucht die Lösung nicht in Liebe und Versöhnung, sondern in Überwindung und Vernichtung. Er hat eine kriegerische, keine erotische Art. Das männliche Prinzip, aus der Vereinzelung geboren, verewigt die Vereinzelung, sucht das Für-sich-sein, stört das Leben im Ganzen. Sein Wesen ist Kampf und Eigennutz, sein Lebenswille geht auf Behauptung der eigenen oder auf Überwältigung einer fremden Person, bis sich in ihm das Erlösungsmotiv entzündet ... Die Frau mit ihrer erhaltenden Anlage ist mit dem Weltgrund einig und im Einklang. Der Mann aber will die Welt ändern, vorwärtsbringen, überwinden ... 79

Hypothetisch wäre die Kultur ganz anders, weniger abstoßend, weniger exterministisch ausgefallen, besäße vielleicht überhaupt den ersehnten utopischen Charakter, wenn die Frauen von Anfang an den vor 10.000 Jahren einsetzenden Schritt mitgegangen wären. 

Die ganze Zeit der jungen Göttin und "ihres" Heros, die jetzt von den Matriarchats­forscherinnen so idealisiert wird, war schon der Übergang, die Würfel waren längst gefallen, und die Lösung liegt gewiß auf einer völlig anderen Ebene als der, auf die die freilich zutreffenden Klagen und Anklagen hinweisen.

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Der Mann hat die Frau ursprünglich wohl nicht des Ihrigen beraubt und enteignet. Er hat seine Macht um Tätigkeitsbereiche und mit Kräften aufgebaut, mit denen sich die Frauen nicht befaßten. Er hat der Gesellschaft Schritt um Schritt andere Schwerpunkte, ein anderes Zentrum gegeben als die Reproduktion des Lebens und die Beherrschung des nahen Lebensraums, um die die mutter­rechtliche Sippe kreist. 

Allen neu aufkommenden Zweigen der Kultur aber waren abstrakte Kalküle und strategische Erwägungen eigen, die dem männlichen Geist, der sich auf dieser Grundlage entfaltet, gelegener gewesen sind. Das "Höhere", "Spätere" macht sich das "Niedere", "Tragende", "Frühere" zur Peripherie. Die Frauen werden so zur ersten Peripherie der Zivilisation.

Ihr Bereich muß auch gar nicht unbedingt als solcher unterdrückt, eingeschränkt, stärker benutzt werden. Ausbeutung beginnt, wo in einem Austausch­prozeß80) das Gleichgewicht der Partner, ihre Gleichgeltung, Gleich­bedeutsamkeit aufhört. Es genügt schon, daß der männliche Bereich nicht mehr komplementär und polar neben dem weiblichen und auf der gleichen Ebene steht, wie es in der Sippenordnung der Sammlerinnen und Jäger noch der Fall gewesen war, sondern — wie schon einfachste Vermittlungs­funktionen nach außen — teilweise darüber. 

Je komplexer eine Kultur nach innen und außen wird, so daß also Vermittlungs­funktionen oberhalb des Sippenverbandes und der Lokalität entstehen, desto größer ist der Machtvorteil, der dem männlichen Verhaltens­modus zuwächst. "Wer die Vermittlung hat, hat die Macht", sagte Hegel. Es waren die neuen Gebiete, die "Marken" der jeweiligen Kultur, ihre Entwicklungsbereiche, von denen her das Patriarchat vordrang.

Tatsächlich waren Völker wie die Griechen, Römer, Germanen ebenso extrem patriarchal wie sie extrem expansionistisch waren. Anderswo sind die älteren, mutterrechtlichen Prinzipien nicht so völlig abgedrängt worden. Die sechs Charakteristika des homo occidentalis, die ich resümierte, sind Punkt für Punkt Kennzeichen einer völlig vom männlichen Prinzip beherrschten Kultur. Der berühmte Rangstreit der Königinnen aus unserem mörderischen Nibelungenlied und Kriemhilds Rache darin stehen fest unter dem übergreifenden Sittengesetz der ganzen ritterlichen Welt.

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Alle Frauenkultur bei uns, so weit wir zurückblicken können, ist davon eingerahmt. Das heutige Hexenrevival mag eine Form sein, sich weiblicher Ursprungs­kräfte wieder zu vergewissern, aber es bezieht sich auf eine bestenfalls rebellische Tradition. Ein emanzipatorisches Ideal dürfte die Hexe schwerlich sein. So wie sie damals kehrseitig zum Mönch gehörte und als Gestalt auch seine projektive Schöpfung gewesen ist, gehört sie heute, wiederum als Gegenstück, auch zu dessen Nachfolger, dem rationalistischen Monomanen in Wissenschaft, Technik, Kapital und Politik.

Auf lange Sicht und im Unterstrom mag die westliche Frauenemanzipation Raum für eine zivilisatorische Umkehr öffnen, aber zunächst bewegt sie sich innerhalb des europäischen Fortschrittsmodells. Die weiße Dame sagt dem weißen König Schach, macht ihm hin und wieder den ersten Rang streitig. Das schwarz-weiß-gekastelte Brett mit seinen Regeln, mit seiner Logik aber vertritt auch sie. Gleichberechtigung auf dieser Grundlage, der Einzug in die Welt der Arbeit, der Schule, der Wissenschaft, Technik, Medizin und selbst des Staates — all das tastet die patriarchale Struktur und ihre tödlichen Konsequenzen kaum an, und das liegt nicht nur am offenen oder versteckten Widerstand der patriarchalen Ideen und Instanzen in uns und außer uns. Das Einrücken der Frauen in die alten Positionen fügt dem Übel nichts Wesentliches mehr hin zu, legitimiert es allerdings ein letztes Mal.

Der Frauenemanzipation sind jetzt keine Unterwerfungs-Ideologien und -Absichten mehr mit irgendwelcher Erfolgsaussicht im Wege — ich meine, deren Kraft ist gebrochen, so viele Überreste es noch gibt. Verstärkt aber haben sich seit dem Eintritt des Patriarchats die strukturellen Bedingungen, die die Macht­verschiebung bewirkt, die männliche Mentalität einseitig begünstigt haben.

Ich fürchte, wir können sämtliche Funktionen paritätisch besetzen und formell den letzten Rest der Frauen­diskriminierung durch planvolle Überkompen­sation ausschalten — es wird nicht mehr als eine atmosphärische Veränderung im Status quo bedeuten.

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Zwar ist das in so einem Umbruch wie dem heutigen nicht zu unterschätzen. Aber selbst eine ganze Frauenliste wie jetzt in Hamburg kann nur so weit subversiv wirken, wie sie die normalen parlamentarischen Verhaltens­normen nicht erfüllt, d.h. vor allem der politischen Effizienz die Priorität verweigert. Lebens­interessen in direkterer Form hineinbrechen läßt, als es sich jene Moskauerin von irgendeiner Walentina Tereschkowa im sowjetischen Politbüro zu wünschen vermag.

Wahrscheinlich sind das alles nur Durchgänge zu einer diesmal ja von außen, von irgendeiner Inquisition viel weniger gefährdeten Unabhängigkeit. "Die Selbst" aus Mary Daly's <Gyn/Ökologie> ist in gewisser Weise "die Einzige in ihrem Eigentume",* d.h. die Vollendung unseres bürgerlichen Individualismus für die weibliche Intellektuelle. 

Sie erinnert an den Gestus, mit dem sich unsere Stürmer und Dränger einst über die damals noch ziemlich unentrinnbare Hofmeisterstellung erhoben. Natürlich fügt das "Spinnen" und "Weben" des weiblichen Geistes Dimensionen hinzu, und die Aufdeckung der spezifisch gegen die Frau gerichteten patriarchalen Grausamkeiten und Unterwerfungsmechanismen unterstreicht das Dilemma unserer Zivilisation.

Nicht lösbar aber ist dieses Dilemma in dem Dalyschen* Geiste "Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns". Die "klassen­kämpferische" Behandlung der Geschlechterfrage ist nicht nur geeignet, das alte Muster festzuziehen und noch einmal mit Energie aufzuladen. Sie ist auch eine Erkenntnisbremse.81) "Die Gute" und "Der Böse" hängen nicht nur in dem nachträglichen Opfer-Täter-Zirkel zusammen, sondern die Frau muß von vornherein auch "Komplizin" des erst entstehenden Patriarchats gewesen sein, d.h. die Rollen müssen sich korrelativ, sozusagen ko-evolutionär dahin bewegt haben. 

Kein patriarchaler Herrschaftswille wäre zum Zuge gekommen ohne eine "notwendige Gelegenheit". Der Mensch — Mann und Frau — hat bisher keine nichtpatriarchale Form gefunden, soziale Komplexität (schon sehr viel geringeren Grades als heute) zu bewältigen. Die Geschlechter in ihrer Polarität sind komplementäre Hälften des einen bipolaren Systems Menschengesellschaft. Weder von der einen noch von der anderen "Hälfte des Himmels" allein können Zerstörung oder Heilung ausgehen. 

*  (d-2011:)    Buch von Max Stirner bei detopia      * Mary Daly, siehe oben

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Wie ich es verstehe, war das Patriarchat vor allem eine neue Bewußtseinsverfassung, eine neue Ich-Verfass­ung. Sie trat mit dem heroischen, selbst­bewußten, mythischen Ego auf den Plan, das sich aus dem mütterlichen Bereiche, aus der Rolle des Sohn-Geliebten der Großen Mutter, löste. Wenn jetzt dieser Held "am Ende" ist, so ist es über ein kleines die Frau auch, weil die Gesamtkultur krank ist und weil ihre zivilisatorischen Strukturen viel schwerer wiegen als der biopsychische Unterschied zugunsten der Frau, wie wichtig der jetzt auch sein mag. Wirklich am Ende sind wir mit der Herrschaft des männlichen Prinzips als einer kulturell bedingten Phase in der Entwicklung des menschlichen Geistes, die sich jedoch in der ungeheuren Trägheitskraft der Megamaschine niedergeschlagen hat.

Das männliche Prinzip sitzt nicht nur auch in jeder Frau (übrigens auch dort ja nur in seiner patriarchalen Verzerrung zu kritisieren, und sofern es die eigentliche, weibliche Identität erdrückt), sondern vor allem in dem Ganzen, das uns alle hat. Die Ressentiments und Schuldzuschreibungen nützen da einfach nichts, noch viel weniger als in den privaten Konflikten, wo dadurch manchmal etwas fruchtbar aufbricht. Manchmal sagen Frauen: Die Männer haben die Karre in den Graben gefahren, sollen sie sie gefälligst auch wieder herausholen. Und manchmal sagen — nicht einmal immer andere — Frauen, sie wollten nun die Führung übernehmen. In beidem kommt Wahres durch. Wie paßt es zusammen?

Nach meiner Meinung kann das Patriarchat vom besonderen Frauenstandpunkt allein nicht zu Ende kritisiert werden, schon theoretisch nicht, vom Praktischen zu schweigen. Es wird nicht ganz gesehen, wenn SIE sich ausnimmt oder sich bloß als Opfer oder nachträgliche Mitspielerin einrechnet, wenn es IHR bis zuletzt um den verantwortlichen Mann und nicht doch um den Menschen — Mann und Frau — geht, um das Gattungs­problem des "richtigen" Verhältnisses der beiden Pole jetzt.

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     Könige und Königinnen    

 

Je mehr wir uns dem Ursprung der menschlichen Existenz nähern, desto labyrinthischer wird das Gefilde der Identifikationen, mit denen wir uns die Realität verdecken. Der Urtatsache, daß der Mensch Mann und Frau ist, wird gerade jetzt wieder jede Menge Ideologie aufgebürdet, so als wären wir in Wirklichkeit Unisex, nur eine Kombination männlicher und weiblicher Prinzipien, beliebig integrierbar, und als sei der tatsächliche Unter­schied bloß eingebildet. Welcher Unfug!

So weit ich sehe, sind aber Androgynie- und Transsexualitätsvorstellungen größtenteils männliche Versuche gewesen, zusätzlich "weiblich zu werden", um die priesterliche und ärztliche Macht zu vollenden. Es sind Konzeptionen gegen den ursprünglichen Aufbau des Lebens. Wenn es eine Ureinheit gab und gibt, so war und ist die weiblich. Der Urgrund ist "weiblich" und nicht "androgyn". In der Geschichte des Lebens geht die Große Mutter dem später sich aus ihr herausdifferenzierenden männlichen, väterlichen Prinzip voraus. Das ist nicht nur eine psychologische, das ist eine physische, damit auch eine geistige Realität, im übrigen in zahllosen Überlieferungen verbürgt.

Das Patriarchat dann ist ein Umsturz der eigentlichen Lebensordnung gewesen, nur soweit sinnvoll, als sein sekundärer Charakter gewahrt blieb, sein Charakter als ein paradoxer Überbau des tragenden Grundes. Warum haben die matristischen Sozial­verfassungen — weitwirkend bis tief in patriarchale Zeiten hinein — die Geschlechterrollen so rigide fixiert, nach höchst unterschiedlichen, manchmal gegensätzlichen Rastern, aber immer rigide?! Es war immer die männliche Rolle, die heraus­spezialisiert wurde, weil sie eben später kam. Es genügte die kleinste Abweichung von dem jeweiligen Stereotyp, das für männliches Verhalten, für den Krieger festgelegt war, und der Mann mußte die soziale Position wechseln, mußte hinüber in die des anderen Geschlechts, häufig in eine spirituelle Funktion (Gisela Bleibtreu-Ehrenberg).

Was wir heute Individuation nennen, u.a. also die Aneignung und Integration der Eigenschaften des anderen Geschlechts, qualifizierte früh zu Führerschaft, wies die Aufstiegsrichtung des Geistes. 

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Aber zugleich waren alle diese Initiationen der Frühzeit Vereinseitigungen, ja Vergewaltigungen, bedeuteten Brüche mit sexuellen Naturtatsachen und neurotisierten die Gesamtkultur. Zwar geht es jetzt nicht darum, die rigide Rollenpolarität der Geschlechter wieder festzuziehen. Die tatsächliche Skalierung der Geschlechts­eigenschaften, die ja bis ins Biologische zurückreicht, will ausgelebt werden, jedoch in ihrer Normalverteilung. 

Zu glauben, die bislang als abweichend diskriminierten Verfassungen des Eros würden nun umgekehrt dominant werden, ist eine Illusion. Was sich da entwickelt, sind Subkulturen, sicher häufig mit Pionierfunktion für neue Gesamt­ordnungen. Menschen mit weniger ausgeprägter sexueller Polarisierung haben immer wieder eine wichtige Rolle bei der Neuanpassung der Subjektivität gespielt, bei Stufenschritten des menschlichen Geistes.

Doch wie einst im Stamm werden diese Minderheiten jetzt auch in der Menschheit nur ein Ferment des Ganzen sein. Sie werden ihm eine freilich flexiblere psychosexuelle Ordnung schenken, die naturgemäß der bipolaren, an den Rändern aufgipfelnden Verteilung der Geschlechtseigenschaften nachgeben wird. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte versucht die Menschheit das Problem der starken Spannung zwischen den wirklichen Polen von Mann und Frau kulturell stabil zu bewältigen. Mann und Frau, im Begriff, sich voll zu individualisieren und ihre Teilkräfte zu integrieren, werden leichter in einem Geflecht von Liebes­beziehungen leben können, angstlos und frei genug, einander zu beschenken, anstatt sich teils schuldig, teils bestohlen zu fühlen, wenn mehr als eine Liebe von ihrem Herzen ausgehen oder ihr Herz erreichen will.

Es scheint mir sonnenklar, daß — ohne irgendwelche Diskriminierung anderer Bedürfnispräferenzen — das heterosexuelle Paar als Gestalt die Knoten des Geflechts besetzen und so die Basis des sozialen Gebäudes bilden wird. Bi- und homo- und transsexuelle Einstellungen mehr oder weniger aller Individuen werden sie ergänzen, vervollkommnen, verschönern. Aber die Zeit der Liebe zwischen Mann und Frau kommt erst herauf, die Figur der Heiligen Hochzeit, die einst eine Unindividuelle, kollektive Metapher war, wird zum Mythos jeder gelungenen Individuation gehören. Die Liebes­vereinigung wird sich als Königsweg des millionen­fachen Aufstiegs zu einem höheren Bewußtseins­zustand erweisen.

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Weil es nichts Schmerzhafteres gibt als den Haß der Egos, die wirklich intim miteinander geworden sind, werden Mann und Frau aneinander die Grenz­überschreitung vom machtkämpferischen Ich zum liebenden Selbst erlernen. Die Liebe überhaupt, zentral aber die erotische Liebe ist der Weg.

Wo hingegen eine "platonische" Liebe gegen den sexuellen Antrieb des wirklichen Eros gekehrt wird, haben wir es nur mit letzten Zuckungen leibfeindlicher patriarchalischer Tradition in Spiritualität und Moralität zu tun. Es ist die schöpferische Energie des Menschen von Grund auf erotisch, und dieses Potential wird sich endlich voll ausdrücken können, wenn die Entfremdung dieser Kraft in den puren Produktivismus wieder verfällt. An der Aufgabe vorbei, eine Liebeskultur zu schaffen, die nicht metaphorisch bleibt, sondern sich sinnlich realisiert, kann die ökologische Krise schon deshalb nicht gelöst werden, weil dann die Krieger (inzwischen beiderlei Geschlechts) weitermachen müssen mit ihren diversen Ersatzprojekten, an denen sie sich dennoch niemals sättigen können.

Eines steht fest: 

Der weitere Aufstieg zur Bewußtheit muß tödlich ausgehen, wenn der männliche Logos dominierend bleibt. Es muß die Führung wechseln, aber bestimmt nicht willkürlich "matristisch". Es muß sich in beiden Geschlechtern Sophia entfalten. War bisher Sophia dem Logos unterworfen, von ihm ausgebeutet und an der Entfaltung gehindert, so muß nun Sophia den Logos integrieren, sich das an ihm zu eigen machen, was auch vom Standpunkt des Bios, des Eros effizient ist und bei einer lebensrichtigen Einordnung nicht mehr im Widerspruche zur Natur steht.

Logos und Sophia umfassen von den Geschlechterpolen her die ganze uns zugängliche Welt. Ihre Strukturen müssen sich durchdringen. Der Gegensatz ist katastrophal, aber die Polarität auszuleben, würde uns wieder in Übereinstimmung mit dem natürlichen Gang der Dinge bringen. Laudse hatte im Blick auf den schon vollzogenen Gegensatz die Losung "das Männliche wissen, das Weibliche wahren". Nimmt man es so, ist "Führungswechsel" sogar ungenau, irreführend, sofern das Wort "Führung" für uns im Kontext der Expedition steht. Auch die Frau soll, muß jetzt (der Mann sagt in seiner Angst und Ungeduld: "endlich") ihre Logoskräfte anspannen, aber auf dem Grunde jenes "Wahrens".

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Und um auch seinerseits auf diesen Grund zurückzukommen, braucht der Mann ihre Hilfe. Denn unbegleitet — und wohl auch bis zu gewissem Grade ausgetrieben — hat er sich einseitig-logozentrisch vom Urgrund losgerissen und seine Heimat im Vorwärts gesucht — in Blochs* berühmter Formulierung als etwas, das uns allen in die Kindheit scheint, worin aber noch keiner war. Und die Suche hat sich immer mehr veräußerlicht.

Die Heimat hat mit dem Schoß zu tun — von dem Phallus auf Buddhas Kopf bis zu den Weltraumraketen unseres super­materialistischen Logos flüchten wir uns derzeit noch in den galaktischen Antischoß. Die Feministinnen, die zuweilen mit dem Bauch der Großen Mutter drohen, wissen gar nicht, wie sehr sie den Buddha treiben, der keine größere Angst hatte, als noch einmal in einen Schoß eingehen zu müssen, in dieses vorige Nichtsein oder vielmehr Nichtssein, dem er das vor ihm liegende geistgeschaffene Nirwana vorzieht. Der Mann braucht jetzt die Göttin, aber die moderne.

Mann und Frau haben sich naturwüchsig getrennt. Nun können sie sich nur von ihren verschiedenen Geistern geleitet wiederfinden. Das wird in der Begegnung all ihrer Sinne geschehen, aber Körper und Seele allein garantieren es nicht, weil in der Entwicklung der Gattung Mensch so oder so der Geist die Spitze des Prozesses ist. "Führung", weibliche Führung meint da eine neue Bewußtseinsstruktur als Weg, meint die Überwindung jener Spaltung, jenes Schismas zwischen logischem (zunächst männlichem) Ich und Körper, zwischen Geschichte und Natur, Geist und Erde, Logos und Bios, Mann und Frau (dies alles Aspekte ein und desselben Problems).

Demgegenüber zeigt sich der radikale Feminismus, indem er sich kritisch auf die rationalistische Struktur (der Megamaschine, all ihrer Apparate und Institutionen) einläßt, immer wieder zu sehr verstrickt in den Anta­go­nismus, der gerade das Grundproblem ist. Das ist - vielleicht unvermeidlich - weibliches Nachholen des Drachenkampfes: Sankt Georg als Amazone, um - uneingestanden - die Errungenschaften des Patriarchats zu erobern. Unter der schimmernden Wehr jedoch vergewaltigt sich die Frau noch ganz anders als der Mann, und sie macht dem Mann nicht in dieser kämpferisch konkurrierenden Rolle Angst, sondern mit der darin eingeschlossenen Figur der Großen Mutter, die nicht mit ihm konkurriert, sondern sein ganzes kompensatorisches Werk für Nichts hält.  

  Ernst Bloch (1885-1977) bei detopia      Dieses Zitat auch bei Carna Zacharias  

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Feministinnen lieben es, Patriarchen zu entlarven (wie z.B. C.G. Jung und seinen Schüler Erich Neumann), ehe sie deren Durchbrüche aufgenommen haben, die sich ausweiten ließen. Betroffen von der offenbaren Ungerechtigkeit des Patriarchats und seiner unzweifelhaft exterministischen Kapazität, konzentrieren sie die Auseinandersetzung oft auf die Schlacken statt auf das Erz. Es mag ja furchtbar sein, wenn der mythische Gott Marduk einst die mythische Göttin Tiamat (Mutter, mater, Materie) erschlug, zerspaltete, zerriß und ihre Teile zerstreute. Wie kam er in die Lage dazu? Ist darin nicht der Part der Göttin mit vorausgesetzt? Und hatte sie den Partner nicht auch zerstückelt?

Das männlich-patriarchale Ego, das schon nicht unabhängig vom weiblichen Gegenpol entstanden sein kann, hat nun auch noch ein weibliches Pendant hervorgekitzelt, das nicht minder problematisch ist als es selbst und ihm bei der Fortsetzung der Abspaltung vom Ursprung kräftig zur Seite steht.

Der soziale Gegensatz zwischen den Geschlechtern dürfte der grundlegendste Mechanismus gewesen sein, der in die Zeit des Privateigentums und des Staates hineinführte. Deshalb scheint mir der Anklage-Feminismus über die aufgegriffenen historischen Fakten hinaus wenig zu erhellen. Das aufbereitete Material (die eigentümliche Grausamkeit der matristischen Gesellschaft darf im allgemeinen nicht gewesen sein) ist hauptsächlich eine Waffe aktueller Selbstbehauptung, aber nicht unbedingt der noch ausstehenden Selbstbefreiung.

Das Patriarchat ist zwar der umfassendste Name für die abzulösende Bewußtseinsstruktur, soweit sie sich als zwischen­menschliche, als Sozial­struktur objektiviert hat. Doch sind Mann und Frau gleichermaßen — und beide "zuständig" — darin befangen. Die Ichverhaftung, der Ichkrampf ist die Quelle der aufreibenden und verzehrenden Kämpfe in unseren Liebesverbindungen. Damit es zu der zusätzlich modulierenden, verharschenden Unterdrückung des ganzen "anderen Geschlechts" kommen konnte, mußte es dieses ungelöste Problem der Individualität, den Machtanspruch des um seine prekäre Identität geängstigten Ichs schon geben. Nirgends so sehr wie im Scheitern des Eros wird diese Machtfrage kenntlich als das Urproblem, auch wenn der Liebeskrieg nur eine ihrer Facetten ist.

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Während es verhältnismäßig leicht scheint, anzugeben, was auf der materiellen Ebene geschehen muß, um die Megamaschine zu stoppen und aufzulösen (wäre nur die seelische Ausgangsbasis dafür gewonnen!), ist es noch überaus neblig, in welcher Gesamtgestalt der Mensch als Körper-Seele-Geist auf die Krise des modernen rationalistischen Ichs, der Persönlichkeit, antworten wird und wie sich dabei die Geschlechter zueinander stellen werden. 

Fürs erste spitzen sich die Widersprüche zu. Es gibt hier keine ausgedachte Lösung, sondern helfen kann nur die Bereitschaft zu einer Tiefenöffnung für das darin durch­brechende ursprüngliche Potential und Thema, dem wir wie Anfänger neu begegnen müssen. Wird uns die Unterscheidung gelingen: Wo spricht der Eros wirklich aus seinem Naturrecht, wo wird er nur als Verstärker gebraucht für eine neueste Mode oder eine ältere Konvention der Selbstbehauptung und des Rollenspiels?

Seine Pointe hat der Widerspruch zwischen den Geschlechtern in der Tatsache, daß der selbstbewußte Geist (im Sinne von Bewußtheit, nicht bloß gegebenem Bewußtsein des eigenen Ichs) überhaupt erst patriarchal zur vollen Entfaltung gekommen ist, so daß all unsere Kultur und Wissenschaft das Weibliche nicht nur nicht "wahren" kann, sondern als niederziehend und feindlich behandeln muß. Die weibliche Art zu wissen, hat dieser Geist nicht integriert. Er hat sich im Gegenteil — anders als bei Laudse — davon abgestoßen, und sie im Extremfalle unserer Zivilisation mit den Hexen verbrannt.

Hier stoßen wir nun auf folgendes Dilemma. 

Nicht nur die Entstehung des patriarchalen Egos, sondern auch die spirituelle Reaktion auf den damit einhergehenden "Schrecken der Geschichte" standen im Zeichen der bereits verlorenen Balance und des Kampfes zwischen den Geschlechtern. Die Botschaft der Ichüberwindung kann sich gegen den Aufstieg der Frauen zu der seit ein paar tausend Jahren immer stärker ausgebauten odysseisch-listenreichen Ich-Struktur richten, kann die Frauen also von der Gleichberechtigung im Patriarchat, von der Teilnahme an regulären Funktionen rationalistischer Gesellschaften abhalten.

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Vor allem verabsolutiert sie leicht diesen bestimmten asketischen, erlösungssüchtigen Typ von Spiritualität, der verleugnet, was Laudse wußte: daß der Geschlechtsunterschied eines der kosmogonischen Urprinzipien ist. So eine zwitterhafte Androgynität, wie sie in dem Film zu Michael Endes <Unendlicher Geschichte> der <Kindlichen Kaiserin> verliehen war, kann nicht mit dem Urgrund des Lebens stimmen. Die patriarchale Spiritualität ist grundsätzlich erosverdrängend, häufig direkt antierotisch. In solchem Klima können Mann und Frau nur geistig zusammenfinden, indem sie die geschlechtliche Polarität des Lebens mißachten, sich von ihr abstoßen.

Die Buddhas sind in der Regel mehr als irgend jemand sonst Patriarchen gewesen. Buddha selbst wollte keine Frau initiieren, und das war alles andere als ein Irrtum, es war nur zu kohärent in seiner Weltbefindlichkeit. Insofern ist sein Weg als ganzer letztlich nicht der wahre, indem er die "Hälfte des Himmels" desavouiert. Es soll, damit das Leid der Welt aufhört, erst gar niemand mehr geboren werden.

 

Mich hat, seit ich das Daudedsching vor 15 Jahren kennenlernte, immer das Besondere fasziniert, das den Laudse auch von Buddha unterscheidet. Laudse ist nicht auf der Flucht vor dem Weiblichen, vor der Zeit der Frauen. In der Substanz deckt sich seine Mystik mit jeder anderen — ob nun der des Buddha oder des Meisters Eckhart. Ihrem Wesen nach beschreiben Dau und Logos, der Christusgeist Eckharts und die Logik Hegels dieselbe Grundfigur des Seins und suchen denselben letzten Hintergrund, "höher, als Gott und Trinität". 

Aber bei Laudse haben wir ihn ohne monotheistische bzw. trinitarische, immer patriarchale Einkleidung, d.h. in unserem Sinne irreligiös. Außerdem ist der patriarchale Geist von Plato und Plotin bis Hegel homoerotisch. Daher ist dieser Urgrund bei ihnen ein eher männliches Neutrum. Für Laudse ist er mütterlich, und die Schöpfung ist wie in allen ursprünglichen Kosmogonien eine Geschichte, die über ein Weltelternpaar abläuft. Yin und Yang, die beiden Geschlechtspole, gehen den abertausend Dingen, die im einzelnen entstehen, voraus.

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Wenn es wahr ist, und alles spricht dafür, daß sich Eros und Logos — entlang der Wirbelsäule miteinander verbunden — von derselben Energie nähren, kann es keinen Frieden mit der Natur geben ohne "die Heimkehr des Eros zu den Göttern", ohne den Gewinn einer Balance zwischen den beiden Polen, die einander bis ans entgegen­gesetzte Ende durchdringen, ohne einander dabei auszulöschen. In letzter Instanz gibt es keine Gefahr, daß der Eros den Logos tötet — auch der weibliche Geist steigt auf, jetzt mehr denn je. Aber der Logos tötet nur allzu häufig den Eros. 

Eine Spiritualität, die uns darin leiten könnte, die Erde zu retten, muß im Eros gründen statt ihn zu fliehen.

Aber hierin hängt viel auch von der Frau ab. Sie mag das Verhalten des Mannes noch so sehr zu seinen Ungunsten beschreiben, es bleibt ein elementarer Schicksals­zusammenhang, ein ungelöstes Urproblem beider Geschlechter. Die Frau ist nicht auf diese rationale, mental-ichhafte Stufe fixiert, aber sie ist in ihrem Anspruch seit Vorzeiten ebenso egozentrisch (das meine ich nicht moralistisch, sondern anthropologisch). Ihr Interesse hat nur einen anderen Schwerpunkt, je unverfälschter durch die patriarchale Stufe, je mehr in den vitalen Tiefenschichten verwurzelt ihre Identität ist, je näher sie also der ursprünglichen weiblichen Zeit der Kultur steht, um so deutlicher.

Der Unterschied der Geschlechter mag mit der Zeit überideologisiert worden sein (immerhin entspricht er in etwa dem chinesischen Yin-Yang-Muster). In der aktuellen Situation mag das bloße Zurückkommen auf seine Existenz eine repressive Tendenz gegen die Frau haben. Es gibt jedenfalls eine Realität, die dem entspricht, und zwar auch heute noch als sehr mächtige Schicht. Dann handelt es sich darum, daß sich die egozentrische Tendenz beim Manne mehr um den Logos, bei der Frau mehr um den Eros herum kristallisiert, beim Manne mehr um den Kriegszug, die Expedition, bei der Frau mehr das Lager, das Bett.

Soweit es nun — auf dieser elementaren Stufe der Selbstausrottungslogik — bereits manifeste Feindschaft zwischen den Geschlechtern gibt, wird diese schwerlich rückwärts aufzulösen sein, indem wir irgendeinen vorhergehenden paradiesischen Naturzustand wieder aufdecken oder matristische Zustände idealisieren — als wären diese älteren Zeiten nicht mit dem Konflikt schwanger gegangen. Vielmehr besteht die einzige Chance in der von Mann und Frau verfolgten Überwindung der Egozentrik nach vorwärts.

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Wie für alle näher zutage liegenden Stufen der Formationsfolge liegt der erste Schlüssel in der Befreiung des eigenen Selbst, die zugleich Selbstfindung jenseits der Bedürftigkeit ist. Der Anruf lautet also, in Hölderlins Worten: "Könige der Endlichkeit, erwacht!" Und Königinnen!

Das spirituell-erotische Paar ist angelegt, aber als Ziel, durch den Aufstieg zur Bewußtheit hindurch, und da ist nun die Ego-Transzendenz der nächste Schritt. Das Paar ist nur möglich, die Liebe ist nur möglich, "im Erotischen wie im Religiösen", wenn wir Befriedigung, Beglückung, Erlösung nicht vom Anderen, nicht von der Gottheit erwarten (während wir entgegen­kommender Hilfe wohl bedürfen). 

Nur zwei Menschen, die ihre innere Unabhängigkeit und Freiheit wirklich erlangt haben und ihren Wünschen nicht mehr verhaftet sind, die also halbwegs Arroganz und Eifersucht hinter sich haben und vom Nächsten nicht vor allem fordern, sind fähig, sich zum Paar zu verbinden. Vorher ist die Liebe ebenso ein Ersatzprojekt, bevorzugt von der Frau, wie andere, logozentrische Ersatzprojekte des Mannes auch, und auf der Schwelle zur psychischen Intimität beginnt der Machtkampf, beginnt das Alte von neuem: Gibst du mir, geb ich dir.

Wenn es wahr ist, daß Sexualität und Geist in den Individualitäten der beiden Geschlechter polar, aber untrenn­bar zusammen­hängen, dann kann die Liebesbegegnung — wo doch beide vom Baum der Erkenntnis gegessen haben — nicht mehr unreflektiert auf Dauer gelingen, nicht mehr ohne den Willen zur Transzendenz des Machtspiels, d.h. beiderseits zu einseitiger Abrüstung. Deshalb geht die Selbstfindung beider Geschlechter, die Annahme der Einsamkeit, die mit der unumkehrbaren immer radikaleren Individualisierung verbunden ist, das Verlernen der auf den anderen projizierten Erwartungen — geht all das ihrer Kommunion immer wieder als Moment voraus.

In diesem Punkt hat die Frau den weiteren Weg vor sich, weil sie in der Regel an einem früheren geschicht­lichen Ort verharrt — und sie hat vielleicht zugleich den kürzeren. Denn jenseits des Eros gibt es für sie kein gleichwertiges Ersatzprojekt mehr, während der Mann noch immer von einem logozentrischen Projekt zum nächsten flüchten kann. 

Wiederum: 

Gegen IHN, gegen seine Projekte, gegen sein Versagen in der Liebe wird SIE ihn nur weiter forttreiben, wie bisher, und auch den Weg zu ihrem Selbst (oder mit Mary Daly "ihrer Selbst") verlängern. Und auch Er wird den seinen verlängern, wenn er — wie in dem ganzen patriarchalen "Yoga" welcher Hochkonfession auch immer — Befreiung sucht auf der Flucht vor der Frau: vor der Großen Mutter, vor der jungen Göttin. 

Es ergeht dann gegen ihn das Urteil, daß er die Große Göttin, die in den beiden andern Gestalten sich verbirgt, daß er Sophia verfehlt. Die Flucht vor der Frau führt von der Liebe und vom Leben weg, vom lebendigen zum toten Geist. So bleibt also die leidenschaftliche Frage, ob und wie Mann und Frau in einer neuen spirituellen Praxis zusammen­wirken können.#

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 Rudolf Bahro 1987 LdR