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1.2 - Wie andere antworten wollen

 

Bahro-1987

Grüne       Biedenkopf  

    Ängstlicher Späth-Imperialismus    

49-61

Die interessanteste Antwort scheint mir, wie schon gesagt, Kurt Biedenkopf entworfen zu haben. Um auf ihn zu kommen, will ich mich zuerst seinem Gegen­pol zuwenden, Lothar Späth.(19, nur Buchangabe) Es ist mir um so wichtiger, die beiden klar zu unterscheiden, als es Perspektiven auf ihre Konzepte gibt, unter denen sie als beinahe deckungsgleich wahr­genommen werden können.

Die Kritiker der Stuttgarter <Wende in die Zukunft> reden im allgemeinen von Späth-Kapitalismus. Das ist kein charakteristischer Akzent. Man kann genau so gut von Biedenkopf-Kapitalismus, von (Wolfgang) Roth-Kapitalismus, ja von Lafontaine-Kapitalismus reden. Die ökonomische Struktur ist einfach vorgegeben für jeden, der unter diesen Bedingungen Realpolitik irgendwelcher Art machen will. Auf die Art kommt es dann zunächst mal an.

Das Geheimnis der Späthschen Position ist das verängstigte deutsche Ich. Wie in den besten Zeiten »machtgeschützter Inner­lichkeit« möchte es der Welt wohl­gerüstet begegnen, diesmal eben wissenschaftlich-techno­logisch. Objekt der Sorge ist da ein Imperium in der Defensive, genauer natürlich diese unsere Bundes­republik als ja inzwischen zum weniger bedeutenden Teil eines Imperiums abgestiegene »Mittelmacht«. Unser Land ist nämlich von gnadenlosen Konkurrenten bedroht und muß mit seiner Produktion die Stellung halten, weil sich seine Wohlstandsbürger sonst über der Verteilung eines kleiner werdenden Kuchens gegenseitig die Köpfe einschlagen würden.

Es ist unsere spätrömische Situation, auf die Späth aktiv reagieren möchte. Er will sie mit Computern statt via Limes und Legionen stabilisieren (obgleich er nicht etwa davon redet, das Militär abschaffen zu wollen; aber der Akzent ist technologische Verteidigung). Aus der Angst um den inneren Frieden dieser unserer Musterprovinz im Imperium des Weißen Mannes will er unter tapferem wissenschaftlichem Kriegsgesang, von Roboterstimmen hallend begleitet, die Deutschen in eine letzte Flucht nach vorn führen. In diesem Sinne spreche ich von seinem Imperialismus. 

Bloß ein bißchen weniger technomanisch hat übrigens der Sozialdemokrat Peter Glotz ein ganz analoges Konzept. In seiner <Arbeit der Zuspitzung> sucht er eine Art kollektiven linken Augustus zu konstruieren. Er fragt sich: Wie muß eine Politik aussehen, die dem imperialen Zentrum, der kolonial­istischen Metropolis der Welt, die Pax Romana, den machtbestimmten inneren und äußeren Frieden bewahrt? Das geht bei ihm mit denselben flinken Risiko­kapitalen, flexiblen Unter­nehmern, Wissenschaftlern und Ingenieuren wie bei Späth. Den einzigen Unterschied, nur des Blickwinkels, nicht der Substanz, macht das Herangehen an die soziale Frage, weil die beiden Politiker infolge Parteizugehörigkeit von verschiedenen Seiten an den Gewerkschaften ziehen müssen.   

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Späth sieht völlig richtig, daß die sozialdemokratische Konkurrenz um den Thron für ihn nicht Hauptsache ist. Sondern: Wer die besseren Karten für die »Wende in die Zukunft« hat, wird automatisch auch die besseren Stiche machen, und er glaubt an sein Blatt. Also konkurriert er um die Macht innerhalb der CDU, und so ist die Pointe seiner Frage, woher die Sesterzen kommen sollen, die zur sozialen Befriedung unters Volk zu streuen sind, gegen den Herrn Kohl und andere gemütliche »Pfälzer« überall im Lande gerichtet, die nicht effektiv genug die Wende machen. Sind wir doch, hier in diesem immer schon von einer Welt von Feinden umgebenen Deutschland, dieser armen Bundesrepublik,  mindestens so heftig belagert wie unsere liebe Erde von den galaktischen Konkurrenten in der Science-Fiction.

»Während wir in der Bundesrepublik Ziele verabsolutieren« — nach Herrn Späth etwa das Ziel, eine Strom­schnelle im Fluß zu lassen, während andere ihn schiffbar haben wollen —, »Standpunkte verhärten und Lösungs­muster als unvollkommen verwerfen, wächst jedoch die Welt um uns herum mit atemberaubender Geschwindig­keit ökonomisch und technisch zusammen. Nationen formulieren langfristige gemeinschaftliche Perspektiven, zu deren Erreichung sich Staat, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft in breitem Konsens zusammenfinden.«(20)

  wikipedia  Peter_Glotz (1939-2005)   wikipedia  Augustus  (-63 bis +14)    wikipedia  Sesterz     wikipedia  Alfred von Tirpitz (1849-1930, Admiral)

Es liest sich ganz zivil, aber früher hat dieselbe Denkweise einen Tirpitz gemacht. Jetzt kleidet sich dieser nekrophile Kampfgeist in »technischen Struktur­wandel«.

Es sind genau solche Motive, aus denen die Reagan-Administration zu ihren SDI genannten Weltraum­rüstungsplänen gedrängt wird. Wenn das technologische Nach­rüsten zu spät kommt, dann drohen nach Lothar Späth »der Verlust von Glaubwürdigkeit, die Zunahme kompromiß­loser Fundamental­kritik und die Zersplitterung in politische Kulturen, die zum Dialog nicht mehr fähig sind«.(21)

In Späths Buch versteht sich von Beginn an, daß das Gesetz des Handelns bei der Logik der Sachen liegt. Wir müssen die »Informations­gesellschaft« gestalten, weil der Götze, den wir uns aus Wissenschaft und Kapital gegossen haben, dies auf der neuesten Stufe seiner Selbstentwicklung so verlangt.

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»Der technische Strukturwandel mit seinen politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Auswirkungen bildet den Kern« des gesellschaftlichen Entwurfs, den dieser technokratische Politiker im Kopf hat. Eindeutig stellt er den Menschen ans Ende dieser insgesamt als unvermeidlich deklarierten Auswirkungskette: als letzte »kreative« Variable der Anpassung ans Unentrinnbare. Wer sich dem entziehen möchte, den stellt er moralisch ins Abseits. Vermutlich weiß er nichts von der Ungeheuer­lichkeit seines Ansinnens.

Wie ich das wiedererkenne! Es ist das — dort inzwischen eher gebrochene — Ethos der Fünfjahrpläne! Nur können sie drüben noch mildernde Umstände reklamieren, weil sie es exakt in der Logik der unentrinnbaren »Auswirkungen«, die Späth transportiert, vom überlegenen weltpolitischen Konkurrenten vorgeschrieben kriegen. Wo der Mann aus Stuttgart nur um die Bequemlichkeit des Regierens zu fürchten hat, geht es für die im Osten — solange sie sich nicht dazu durchringen können, vom Wettlauf um die »Parität« zu lassen — um den Bestand ihres Leviathan.

Besonders in den letzten Ulbricht-Jahren war in der DDR unausgesetzt von den »erbarmungslosen Imperativen des Weltmarktes« die Rede, nach denen sich halt strecken muß, wer bestehen und in der zweiten Reihe mitkonsumieren will. Augstein hat in einem Kommentar im SPIEGEL (6/86), »Wir Weltraum­eroberer«, das Prager Rudé Právo zitieren können: 

»Der Tod der Challenger-Besatzung ist der Preis der Menschheit für den Fortschritt, den der Mensch für sein Wagnis, die Geheimnisse des Weltraums zu erforschen, zahlen muß. In diesem Sinne ist die Challenger-Tragödie mit Recht auf der ganzen Welt mit tiefer Bewegung aufgenommen worden.«22

In Prag und Stuttgart derselbe (Un-) Geist.

Unglaublicherweise glaubt Lothar Späth tatsächlich daran, es sei heute noch möglich, eine westliche Gesell­schaft in ihrer ökologischen Krise innerlich auszusöhnen, indem man ihren Selbst­behauptungs­willen — ohne Korrektur am psychischen Antrieb, der dahintersteht — zur Abwechslung technologisch statt wie früher militär-fiskalisch und geopolitisch artikuliert

Innenpolitisch ist seine These, »die neuen Technologien sind für alle Völker, die sie anwenden und fortentwickeln können, ein aus Vernunft und Gewissen abgeleiteter Auftrag, dies auch zu tun«.23)  Das ist in Wirklichkeit ein psychologisches Bürger­kriegs­programm, weil es einen gegenläufigen Fundamentalismus geradezu zum Barrikadenbau herausfordert. Aber das scheint er nicht einmal zu ahnen.

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  detopia

wikipedia  Challenger Raumfähre 

wikipedia   Challenger-Unglück   28.01.1986

2016: 30. Jahrestag - Rückblick von Harald Zaun
heise  Von-den-Nachwirkungen-einer-Raumfahrt-Tragoedie

Rudé Právo = "Rotes Recht"
Tageszeitung (und "Zentralorgan") der
Kommunistischen Partei der CSSR
wikipedia Rudé_právo

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Voller Blindheit für sich selbst schließt Lothar Späth sein Buch mit einem Rückgriff auf Den, der eines hellen Mittags die Heimkehr der Götter erhoffte. Er zitiert, als wäre's seins, aus Hölderlins <Hyperion>: »Wie der Zwist der Liebenden sind die Dissonanzen der Welt. Versöhnung ist mitten im Streit, und alles Getrennte findet sich wieder.«  Dagegen fällt mir nur ein anderes Gedicht Hölderlins ein, das er in der letzten Zeile nicht ganz vollendet hat, sein »Gebet für die Unheilbaren«: 

Eil', o zaudernde Zeit, sie ans Ungereimte zu führen,
Anders belehrst du sie nie, wie verständig sie sind.
Eile, verderbe sie ganz, und führ ans furchtbare Nichts sie,
Anders glauben sie dir nie, wie verdorben sie sind.
Diese Toren bekehren sich nie, wenn ihnen nicht schwindelt,
Diese ... sich nie, wenn sie Verwesung nicht sehn.

 

    Dienstbare Geister — die Grünen   

 

Selbstverständlich schließt die Späthsche <Wende in die Zukunft> die aufrichtige Absicht ein, die heimische Umwelt als Hinterland der Expedition zu sichern. Er hat Aufträge zur »Umweltschonung« zu vergeben, und Helfer sind willkommen. Sie müssen sich nur einfügen.

Auf welchem Grat sich solch eine »Wende« bewegt, hat schon Ivan Illich (24) 1973 hellsichtig beschrieben:

Es kann sein, daß die Technokraten beauftragt werden, die Herde an den Rand des Abgrunds zu führen. Das heißt, ihnen wäre dann aufgetragen, multidimensional Grenzen des Wachstums gerade noch unterhalb der Schwelle der Selbst­zerstörung festzulegen. Eine solche selbstmörderische Phantasie würde das industrielle System auf dem höchsten noch erträglichen Produktivitätsgrad erhalten ... 

Von der Geburt bis zum Tode wäre die ganze Menschheit eingesperrt in eine im Weltmaßstab erweiterte permanente Schule, würde sie lebenslang im weltweiten großen Krankenhaus behandelt und Tag und Nacht an unerbittliche Kommunikationskanäle angeschlossen.

Eine zugleich hyperindustrielle und ökologisch realisierbare Ära herbeiführen zu wollen, das heißt die Zerstörung der übrigen Komponenten des multi­dimensionalen Gleichgewichts des Lebens beschleunigen.

Es gebe bereits eine die Orthodoxie des Anti-Wachstums predigende Elite. Allerdings ziele sie bislang lediglich auf die Begrenzung der Güterproduktion und nicht der Dienstleistungen. Und dann die spitzeste Stelle:

Wird die Bevölkerung verleitet, eine Begrenzung der industriellen Produktion zu akzeptieren, ohne die Grundstruktur der Industriegesellschaft in Frage zu stellen, so würde sie zwangsläufig den Bürokraten, die das Wachstum qualifizieren, mehr Macht geben und sich ihnen ausliefern. Konsequenz: Die stabilisierte Produktion von hochrationalisierten und standardisierten Gütern und Dienstleistungen würde die konviviale Produktion, wäre diese dann überhaupt noch möglich, in noch weitere Ferne rücken als die industrielle Wachstumsgesellschaft.

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Und diese bürokratische Ausbeutung der ökologischen Krise ist schon in vollem Gange; selbst die Grünen haben hier ihre Aktien und inzwischen auch ihre ersten Renditen daran. Für das von Daniel Cohn-Bendit liebevoll so titulierte damalige Ministerlein Joschka Fischer hat man den Apparat der Wiesbadener Landesregierung um ein paar Millionen Mark ausgebaut. Gerade die Industrie, die das nicht ernstlich kratzen wird, hält vorsorglich mit antibürokratischen Argumenten dagegen und macht sich anheischig, ungezwungen sogar besseren Umweltschutz zu praktizieren, wenn man sie nur im eigenen Rhythmus gewähren läßt. 

Warum eigentlich soll es für sie nicht wieder so glimpflich oder vielmehr glorios ausgehen wie mit der »sozialen Marktwirtschaft«?! Sie hält trotz aller Klagen über die hohen Lohnkosten ihre sozialen Beiträge aus. Am Umwelt­schutz werden einige Zweige gut verdienen, die andern Zweige werden die Kosten weitergeben können, ohne daß die Preiserhöhungen Märkte verschließen, denn die Konkurrenz wird ja auch ökomodernisieren müssen. Wo es gar zu teuer wird, kann man die Produktion ja woandershin abschieben.

Vor allem wird man auf neue, von vornherein »grüner« anmutende Gebiete umschalten. Es ist die japanische Lösung: die Mischung aus aufgezwungener Internalisierung der Kosten (also Verursacherprinzip) und entgegen­kommender Einsicht der Großunternehmen. Sie wird sich in dem Maß einstellen, wie man Zeit gewinnt, die alten Anlagen abzuschreiben. Und so wird sich genau die Fahrweise dicht unterhalb der Schwelle direkter Selbst­zerstörung entwickeln, die Illich vor 14 Jahren befürchtet hatte: parallel zum Abgrund.

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Joschka Fischer gab das in seiner schätzenswert unverblümten Art ganz offen als grünes Politikziel an.25 Er appellierte an die Chemieriesen Hoechst und Merck sowie an die Gewerkschaften, einerseits etwas für die minimal erforderliche Akzeptanz der Industrie durch die Bevölkerung und andererseits etwas für sichere Arbeits­plätze zu tun: z.B. über das Engagement für abfallärmere und umwelt­verträglichere Produktions­verfahren. Unter Hinweis auf Kalifornien und Japan (mit ihren drastischeren Bestimmungen) sagte er, es könne doch wohl nicht wahr sein, daß Hessen als Industriestandort unter strengeren Verträglichkeits­prüfungen werde leiden müssen. Denn eine Modernisierung der Bundesrepublik ohne ökologische Sanierung und Sicherung werde »das Leben in diesem Lande so unerträglich machen, daß wir ohne das ökologische Korrektiv hier nur eine kurzfristige Perspektive haben«.

Sehr schön, er möchte das Gleis nicht einen, sondern fünf Meter neben dem Abgrund entlangführen [Anspiellung auf Illich;deto], um seine Konzeption zu prüfen, »inwieweit innerhalb dieser spätkapitalistischen Industriegesellschaft ein ökologisch bedingter Strukturwandel durch den Einsatz von Politik, durch die Mobilisierung betroffener Bürger und durch staatliches Handeln tatsächlich erreicht werden kann, ohne die System­frage zu stellen«.

So ein Ministerlein eignet sich zum Liebling der Nation und ihrer Industrie. Wie sagte Illich? Verleite man die Bevölkerung zu einer Begrenzung der industriellen Produktion, ohne die Grundstruktur der Industrie­gesellschaft (die jenseits aller west-östlichen »System­vergleiche« liegt) in Frage zu stellen, so rücke die konviviale Produktion, wäre sie dann überhaupt noch möglich, in nur noch weitere Ferne. Genau dafür aber sind nunmehr die Grünen gut. 

Während ein Biedenkopf — worauf ich gleich ausführlich komme —, obwohl er materiell häufig gleiche Inhalte vertritt, in der rückständigen CDU systematisch neue Einsichten zu stiften sucht, war es Fischers, Kerschgens, Haibachs, Kretschmanns Funktion in den hessischen Regierungs­ämtern, den Fortgang der ökologischen Aufklärung in den avancierteren Sektoren des gesellschaftlichen Bewußtseins noch eine Weile aufzuhalten. 

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Sie dienten in jener gestrichelten Ecke des kleinen ökopolitischen Rechtecks, die auf meinem Schema von der System-Diagonale in die japanische Richtung weist. Ob sie das wollten oder nicht, es war in dem Moment entschieden, als sie in den Machtapparaten mitzuwirken begannen, die — jedenfalls bislang — en bloc und von weither darauf programmiert sind, die Megamaschine an die »Umwelt« und die »Umwelt« an die Mega­maschine anzupassen.

Inzwischen ist der parteigrüne Diskurs fast völlig auf die bürgerliche Soziologie und Politologie zurückgefallen. Die Reste marxistischer Terminologie und Analyse tun dem keinen wesentlichen Abbruch. Man rezipiert Habermas, der ist ja auch marxistisch. Da der marxistische Sozialismus seinem Wesen nach zur industrialist­ischen Diagonale gehört und statt des Auszugs aus dem Industriesystem das Bündnis mit der IG Metall suchen muß, gibt die ökosozialistische Ecke nur noch ein bißchen formellen Widerstand gegen den staatsmittragenden »Realo«-Flügel her. Nichts war kennzeichnender als der grüne Jubel über den Auftritt des lieben Kollegen Janßen von der IG Metall. 

  Habermas bei detopia      wikipedia  Hans_Janßen_- Gewerkschafter  1924-2011

Auf der blau-roten Hauptachse entsprechen sich die äußeren (militärischen) und die inneren (Klassen-)Blöcke auch in ihrem Verhältnis zueinander. Es ist eines, sich zu deren Kämpfen zu verhalten, etwas anderes, darin Partei zu ergreifen. Hilft man — aus noch größerem eigenem Schwächegefühl — dem Schwächeren der beiden Blöcke (seien es die »Arbeiterstaaten«, seien es die Arbeiterorganisationen), nimmt man also Grün Partei für Big Labour gegen Big Industry, so reproduziert man primär auf der exterministischen Diagonale mit, welche sekundären Vorteile sonst immer dabei herauskommen mögen.

In Wirklichkeit waren selbst die »Römer«-Fundamentalisten auch in ihrer besten Zeit nicht einfach bloß de facto Frankfurter, sondern kritisch mit der City befaßt und identifiziert. Da, wie ich erklärt bekam, die Menschen nur kämpfen können, solange die Stadt sie noch atmen läßt, mußte es ihnen wichtig sein, die Frankfurter Luft zu verbessern (wo natürlich, wenn es wirklich ernst wird, der Oberbürgermeister für 99 Prozent des möglichen Effektes sorgen wird, während die Rathaus-Fundamentalisten 99 Prozent ihrer Energie in ihre kleinen Zulieferungen für derlei Sachen stecken). 

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Noch ein Stück effektiver half der grüne hessische Umweltminister die Hoechst-Werke sanieren, und ein anderer Grüner die auf Giftmüllkippen gesetzten Stadtteile Bielefelds. Daß sie die Anpassung an die »Umweltkrise« vielleicht besser fördern, als es die alten Besen täten, mag ihr Verdienst bleiben, bloß Verdienst vor wem? Gäbe es hier jenen staatlichen Ordenssegen wie in der DDR, würden wir schneller erfahren, was die Bundes­republik an ihren grünen Mitarbeitern hat.

Indessen wäre es doch selbst realpolitisch gedacht viel sinnvoller, die SPD- und CDU-Beamten in den Umwelt­schutz hineinzutreiben. Entlastung erspart nur Lernprozesse. Der Megamaschine ausgerechnet das Umwelt­ressort abzunehmen, ist entweder Schildbürgerei oder Verführbarkeit oder — am allereinfachsten — die Heimkehr verirrter Bürgerkinder in ihr Milieu.

 

Die grüne Partei hat nun im wesentlichen die Position des gestrichelten Dreiecks eingenommen: ein Alibi für unsere umwelttrost­bedürftige Gesellschaft. Und diejenigen, die sich heute noch auf der nunmehr rückwärtigen Hypothenuse halten, werden nur deshalb »Fundis« genannt, weil sie aus den Grünen nicht direkt eine Schwesterpartei der SPD machen wollen. Alles, was man jetzt noch über Flügelkämpfe der Grünen in den Zeitungen lesen kann, dient eher schon der Täuschung der Öffentlichkeit. Es geht nicht mehr um fruchtbare politische Substanz. Die »Fundis« sind in den Grünen ähnlich unwichtig wie der linke »Frankfurter Kreis« in der SPD, auch wenn sie mal eine Vorstandswahl gewinnen.

Inzwischen gibt es eine Realo-Fortschreibung des Sindelfinger Programms, »Umbauprogramm« genannt. Um über jeden Verdacht erhaben zu sein, versichern die Grünen ausdrücklich, sie wollten nicht aus dem Industriesystem ausziehen, sondern es nur »umbauen«. Lediglich »extrem (!!!) umwelt­schädliche Produktions-, Konsum- und Abfallbeseitigungsformen müssen eingestellt werden«. Gratulation! Ich hatte auf der Hamburger Bundes­versammlung im Dezember 1984 gesagt, die Grünen seien im Begriff, gut für eine nächste und letzte Restauration des imperialen Zentrums zu werden. Das ist nun geklärt. In dem Sinne, in dem ich den Begriff auch für Lothar Späth gebrauchte, sind sie trotz aller mentalen Unterschiede prinzipiell genauso gut imperialistisch wie jede andere etablierte Partei.   wikipedia  Bündnis_90/Die_Grünen 

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    Biedenkopfs Begrenzungs-ORDO   

 

Die »ökologische Modernisierung« mit den Robotern an der Spitze wird die seelische Verelendung vollenden und den letzten Rest der Werte auffressen, mit denen die CDU/CSU hausieren geht. »Informations­gesellschaft« — äußerster Entfremdungsname!

Diesmal werden wir das Werkzeug unseres Geistes über uns setzen. Wir werden kommunikationsfähiger mit den maschinellen und mit unseren Naturabstraktionen werden. Und der Mut zur mitmenschlichen Öffnung und Zuwendung, die Kraft zum Wärmen und zur Liebe werden noch mehr vergehen. Schon die Kinder werden zeitiger an die Kälte gewöhnt.

Kann sich das konservative Lager ökologisch formieren? Natürlich nicht ohne Kontinuitätsbruch, für den erst im kulturellen Vorfeld die Bereitschaft heranreifen müßte. Von dem korrumpierten politischen Konservatismus her, den wir kennen, Institutionen wie das Zentralkomitee der Katholiken oder die Bischofs­konferenzen eingeschlossen, wird es nicht kommen — es sei denn, da käme ein Feuer unter die Kessel, das diese Gremien selbst nicht anzünden werden, etwas wie das Feuer einer wahren Volksreformation, die von dem Zorn über den ökologischen Ablaßhandel ihren Ausgang nehmen könnte.

Noch weniger aber wird es der rote bzw. rot-grüne Ökoreformismus bringen. Erstens verleugnet er fast durch­gängig die spirituelle Anlage, ohne die es überhaupt keine ökologische Politik gibt. Er ist immer noch mit dem rationalistischen »Projekt der Moderne« vermählt und möchte dessen tödliche Fehlfunktionen kurieren mit einem Mehr von der gleichen Arznei; nur Späth ist noch gottverlassener »modern«. Zweitens ist der rot-grüne Reformismus auf materielle Gleichheit innerhalb der reichen Metropolis verpflichtet — als Vorbedingung ökologischen Handelns, so daß es bis zum Sankt-Nimmerleinstag immer erst noch etwas anzuschaffen geben wird. Drittens käme dieses rot-grüne Feld nur zusammen mit der Kohle-, Stahl-, Beton- und Computerfraktion der SPD an die Regierung, wäre dann aber durch die faktische Große Koalition der Technokraten beider »Volksparteien« (SPD und CDU) ausmanövriert.

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Vor diesem Hintergrund macht Kurt Biedenkopf einen Kontrast. Ganz anders als Lothar Späth begreift er — wachstumskritisch schon seit Mitte der siebziger Jahre — unsere Grundsituation als Begrenzungskrise. Die materielle Expansion »überfordert unsere ökologische Basis und stellt uns damit vor eine existentielle Gefahr«.26 Da zeigt er eine Sensibilität, die auch mit seinem theoretischen Motiv harmoniert, in naturgemäßen Ordnungen zu denken, welche gewiß nicht darauf angelegt sind, Knechtsdienste für unsere ausgreifende Expansion zu leisten. Er ist auf Bewahren und nicht auf Fitnesstraining aus.

Wo andere von der »Wende in die Zukunft« schreiben oder, wie Oskar Lafontaine, vom »Anderen Fortschritt«, könnte über Biedenkopfs Buch ohne weiteres »Neuordnung für die Begrenzung der Wirtschaft« stehen. Mehr noch, angesichts der Erosion der Gesellschaft von der staatlichen bis zur individuellen Ebene, die in keiner Schwarzwaldklinik heilbar ist, weiß er, daß allmählich eine neue Ordnung dringlich wird, die nicht primär »die Wirtschaft«, »den Sozialstaat«, »die Umwelt« stützt, sondern erst einmal den sonst unweigerlich zerstörerischen Menschen.

Wo er sich im Prolog auf beständige Werte festgelegt hat, meint er damit offenbar anthropologische, denn er sieht uns zugleich in einem solchen Umbruch, daß wir »deshalb die wichtigsten Annahmen und Werte unserer Kultur grundlegend überprüfen« müssen.27 Da meint er nicht zuletzt eine Umwertung des Gechlechter­verhält­nisses28, die, anders als z.B. in der »Arbeit der Zuspitzung« bei Peter Glotz, nicht in einer platten Werbegeste für Auf- und Einsteigerinnen in die männliche Struktur unserer Apparate steckenbleibt.

Wo andere, wenn sie Ökologie sagen, nur Umweltschutz meinen, weil sie vom Unterschied noch gar nichts wissen zielt Biedenkopf unter dem Namen Umweltschutz häufig auf Ökologie. Er begreift unsere Praxis als insgesamt zu massiv, zu massig, zu massenhaft, zu gewaltsam, zu komplex. Nur hat er das noch nicht ganz so scharf akzentuiert, weil er wohl seine CDU-Klientel nicht allzu kraß erschrecken wollte. Nach seiner Niederlage im nordrheinwestfälischen Landesverband dürfte er sich freier fühlen. Sein Blick geht über die Grenzen des eigenen Landes hinaus. 

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Die »weltweite Ausdehnung europäischer Wirtschaftsformen auch auf Länder ohne die notwendigen kulturellen Voraussetzungen« erzeuge auch dort einen Massenbedarf, der auf eine erweiterte und ökologisch noch destruktivere Wiederholung des Prozesses drängt, den Westeuropa in den letzten anderthalb Jahrhunderten durchlaufen hat. So seien wir inzwischen soweit, »daß die materielle Expansivität das ökologische Gleichgewicht unseres Planeten nicht nur bedroht, sondern dauerhaft gefährdet«.

 

Bemerkenswerterweise macht sich Biedenkopf keine Gedanken darum, diesen Prozeß an seinen Peripherien aufzuhalten. Kein Lamento z.B. über die Bevölkerungs­explosion, denn er weiß, etwa im Gegensatz zu Herrn von Ditfurth, daß sie primär Folge und erst sekundär wieder Mitursache der Expansion ist. Er führt die Gefahr vielmehr auf die europäische Entwicklung seit der Renaissance zurück. Und er ist eindeutig darin, daß es so nicht weitergehen kann.

Die Ursache sieht er in der »Expansivität unseres Denkens und in der Umsetzung der Ergebnisse dieses Denkens in den Bereich der Materie, in die Produktion von Gütern, in Dienstleistungen, in Wohlstand und materielles Vermögen«.29 Nicht ganz konsistent, falls die erste Ursache tatsächlich im Denken liegt, wenn auch politisch-pragmatisch verständlich, setzt er hinzu: Nicht schon die ständige Erweiterung der Erkenntnis in allen diesen Dimensionen, erst die Anwendung, die »Übertragung der Möglichkeit in die Wirklichkeit« sei der kritische Punkt.

Aber dann ist entscheidend, welche Antriebe hinter diesem Übergang stecken und ob da überhaupt entkoppelt werden kann. Gewiß ist theoretisch richtig, daß man nicht alles machen muß, was man machen kann; so scheint es handlich, die Wissensanwendung als Endverursacher der Expansion ins Materielle aufs Korn zu nehmen, den expansiven Wissenserwerb aber außen vorzulassen. Das erspart einem nicht zuletzt die Diskussion über die immer problematischer werdende »Freiheit der Wissenschaft«.

Doch diese Abkopplung hat es im bisherigen Verlauf der Industrialisierung von vornherein nicht gegeben, und heute wird die Wissenschaft endgültig als »unmittelbare Produktivkraft« betrachtet — und finanziert, eine Entwicklung, die sich auf gleich zwei parallelen Schienen sozialen Machtwillens durchsetzen konnte: Die eine war der selbstbehauptende Ehrgeiz der Wissenschaftler selbst, die andere der Unternehmergewinn. Und so war von zwei Seiten zugleich für die Verklamm­erung gesorgt.

Kurt Hübner spricht in seiner umfassenden <Kritik der wissenschaftlichen Vernunft>30 geradezu von der Verschmelzung von Naturwissenschaft und Technik als dem Gesetz der Moderne. Es gehe zunehmend weniger um wahrheitsgetreue Widerspiegelung der Naturgesetze als darum, »das Reich der technischen Möglich­keiten unbeschränkt und systematisch auszuforschen«. Das korrespondiert mit der entsprechenden Pionier­psychologie:

So bildet sich ein neuer Menschentyp, den es in dieser Form vorher nie gegeben hat: der Erfinder. Er ist natur­wissen­schaftlich und insofern theoretisch gebildet; es geht ihm um das systematische Erfinden überhaupt, weniger um das von etwas Bestimmtem; wirtschaftliche, soziale, politische Interessen sind für ihn nicht ausschlaggebend, oft sind sie sogar nur vorgeschützt; doch ist er beherrscht von dem Willen, seine Entwürfe in die Praxis umzusetzen, ja manchmal sogar sie der Mitwelt aufzuzwingen. Wir finden diese Verfassung bei allen großen Erfindern vor, von Leonardo da Vinci über Papin, Huygens, Watt, Trevithick, Niepce, Daguerre, Nobel, Edison usf. bis zur Gegenwart, wo das Team in der Regel die Arbeit des einzelnen ersetzt hat.

Ist der Selbstverwirklichungsdrang des Wissenschaftlers der eine Beweger, so macht sich auf der anderen Seite das Kapital als ebenso mächtiger wie agiler Vermittler und Antreiber verdient. Hatte doch die materielle Expan­sivität die ökonomische Form der Kapitalakkumulation! Es ist keineswegs realer Hauptzweck der Wissen­schaft, »die Mühseligkeit der menschlichen Existenz zu erleichtern«.31 Geist und Geld nehmen es gleichermaßen billigend in Kauf, zum Zwecke eigenen Wachstums über Leichen zu gehen. Nur irgendwelche Philemon und Baucis' stehen »dem Fortschritt des Menschengeschlechts« immer mal wieder im Wege.  [Figuren aus Faust II von Goethe]

Leider läßt die ordoliberale Theorie der Freiburger Schule Euckens und anderer, in der Biedenkopf gelernt hat, unbesehen die Eigendynamik dieser reißenden Flüsse Wissenschaft und Kapital als natur­notwendig gelten und ist daher nur darauf aus, sie mit Uferbefestigungen einzudämmen. Und daraus folgt ganz unmittel­bar, wie sich Biedenkopf das Begrenzungsproblem für den juristisch-politischen Zugriff zurecht­gelegt hat: Man muß eben den Wettbewerb — was auch immer für Fische (Plötzen oder Hechte) in den Wassern des Marktes ums Dasein kämpfen — expansionsbegrenzend ordnen, ohne die Konkurrenz selbst zu stören. Genauer gesagt, Ordnungspolitik soll das Wachstum nur nicht noch zusätzlich antreiben, reduziert aber den Ausstoß nicht.

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wikipedia  Walter Eucken 1891-1950   

 

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    Rudolf Bahro 1987